Die Gestapo Koblenz berichtet
Die Gestapo Koblenz berichtete über den Monat Mai 1935:
„Die Jüdischen Vereinigungen entfalteten auch im Berichtsmonat eine rege Tätigkeit.
Die Tatsache, daß die jüdischen Geschäfte immer noch einen erheblichen Umsatz aufweisen, mag die äußere Ursache dazu gewesen sein, daß in verschieden Orten des Bezirks Judenboykottmaßnahmen stattgefunden haben, die sich in Bad Kreuznach an mehreren Tagen wiederholten und in Koblenz und Hamm/Sieg zu Sachbeschädigungen führten.
Das Vorgehen gegen die Juden wird in Kreuznach von einem nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung abgelehnt. Zwölf dort zur Kur weilende Gäste sollen aus diesem Anlaß Kreuznach verlassen haben. Ich beziehe mich dieserhalb auf die Tagesberichte vom 17., 18., 20. und 21. v. Mts.
Für die Einstellung eines Teiles der arischen Volksgenossen gegenüber den Juden spricht auch folgender Vorfall. Anfangs Mai wurde in Merxheim, Kreis Kreuznach, die Ehefrau eines Juden beerdigt. Die Annahme, die Bevölkerung würde sich bei der Beerdigung gebührend zurückhalten, erwies sich als unzutreffend. Es nahm im Gegenteil eine große Anzahl von arischen Vg. am Leichenzuge teil, darunter leider auch eine Anzahl Mitglieder der NS-Frauenschaft. Auffallend stark beteiligte sich die katholische Bevölkerung. Es liegt auf der Hand, daß das Auftreten und Benehmen der Juden durch eine solche Einstellung der arischen Bevölkerung zunehmend freier und dreister werden muß.
Die in den anderen Orten des Bezirks stattgefundenen Judenboykottmaßnahmen bestanden hauptsächlich im Ankleben von Handzetteln, die zum Judenboykott aufforderten, an den Häusern. Diese Maßnahmen wurden nicht nur an Häusern, die von Juden bewohnt sind, durchgeführt, sondern auch an solchen, bei denen vermutet wurde, daß die Bewohner noch bei Juden kaufen.
Immer wieder führt der Geschäftsleiter des hiesigen Kaufhofes Klage darüber, daß das von ihm geleitete Warenhaus als jüdisches Unternehmen angesehen und offen boykottiert werde. Tatsächlich haben auch hier wiederholt Boykottmaßnahmen der erwähnten Art im Berichtsmonat stattgefunden. Das Geschäft wurde außerdem am 1. Mai (dem nationalen Feiertage) von Angehörigen der NSDAP genötigt, die gehißten schwarz-weiß-roten Fahnen einzuziehen. Die Belegschaft ist zu 97% arisch und gehört insoweit der DAF an.
Nach wie vor ist eine wesentliche Änderung in der Einstellung der bäuerlichen Bevölkerung zu der Frage der Aufrechterhaltung der Geschäftsbeziehungen mit den Juden nicht feststellbar. Darüber, daß das Viehhandelsgeschäft so gut wie ausschließlich in jüdischen Händen liegt, habe ich wiederholt berichtet. Zur Abstellung dieses Mangels schlägt jetzt ein Landrat vor, in den kleineren Städten und Marktflecken die Viehmärkte vermehrt oder neu einzuführen. Hierdurch würde auch den kaufkräftigen Bauern das unnötige und zeitraubende Suchen nach verkäuflichem Vieh erspart.
Bei einem Teil der Juden macht sich eine Neigung dahin bemerkbar, vom flachen Lande entweder in die Großstädte oder in das Ausland abzuwandern. So ist aus diesem Grunde in Simmern ein jüdisches Anwesen bereits verkauft, während mehrere andere zum Verkauf stehen.“