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Chronik und Quellen
1936
Januar 1936

Die Gestapo Düsseldorf berichtet

Die Gestapo Düsseldorf berichtete über den Monat Januar 1936:

„Mit Beginn des neuen Jahres haben die Juden ihre bisherige Versammlungstätigkeit fortgesetzt. Von der ihnen im Rahmen der Gesetze gewährten Freiheit wird in beträchtlichem Umfange Gebrauch gemacht. Nicht nur in wirtschaftlicher, sondern auch kultureller Beziehung und in der Jugendbewegung merkt man eine Lebendigkeit, die auf eine engere Zusammenarbeit aller jüdischen Gemeinschaften schließen läßt und sich zum Nachteil assimilatorischer Bestrebungen auswirkt.

Die Verordnungen der Reichsregierung zur Regelung der Judenfrage und die dazu ergangenen Ausführungsverordnungen sind Gegenstand von Erörterungen in den jüdischen Gemeindezeitungen gewesen. Es wurde dabei u.a. betont, daß der Lebensraum der Juden in Deutschland immer mehr eingeengt werde, was sich für den jüdischen Nachwuchs, insbesondere hinsichtlich des Bildungsniveaus, bemerkbar mache. Die Krise der Bildung sei bereits soweit, daß diese Not von den meisten nicht einmal mehr als solche empfunden werde. Man glaube, daß es die Hauptsache sei, wenn die Jugend heute etwas Praktisches lerne. Verachtung der Intelligenz, die daraus zu hören sei, sei jedoch ein Beweis unendlicher Kurzsichtigkeit. Das Judentum brauche nicht nur Menschen, die aufgrund ihrer Bildung, sei es als Lehrer, Rabbiner, Führer der Bünde und Organisationen usw. führend tätig sein könnten, vielmehr müßten auch diejenigen, die hinausgingen, über ein Bildungsniveau verfügen. Es müsse Gelegenheit geschaffen werden, die Bildungslücken auszufüllen, die Kinder dürften nicht zu früh aus den Schulen genommen werden, und es müsse möglich sein, den Berufstätigen den Besuch der zusätzlichen Bildungs- und Berufskurse zu ermöglichen. Diejenige Gemeinschaft, die nicht mehr die Kraft habe sich zu bilden, sei mit ihrer Existenz am Ende. Die Reichsvertretung sei bemüht, in diesem Sinne Möglichkeiten zu bieten. Sie werde gemeinsam mit dem Jüdischen Frauenbund einen einmaligen einjährigen Ausbildungskursus für jüdische Sozialarbeit in Berlin einrichten.

Über die Schulausbildung der jüdischen Jugend machte auf der 15. Generalversammlung des ostjüdischen Religionsvereins „Machsike Hatorah“ in Düsseldorf der Vorsitzende dieser Organisation bemerkenswerte Ausführungen, in denen er u.a. betonte, daß die Leistungen der Schüler viel zu wünschen übrig ließen und z.Zt. unter der Hälfte der Leistungen der Vorjahre ständen. Geklagt wurde außerdem über die äußerst schwierige Erziehung der Schüler. Widersetzlichkeiten gegen die Lehrpersonen seien an der Tagesordnung. Die Schüler würden in ihrem widerspenstigen Verhalten bestärkt durch die dauernden Beschwerden der Eltern über die von den Lehrpersonen ergriffenen Schulmaßnahmen. Die etwa 60 anwesenden Versammlungsteilnehmer gaben gegen den Vorwurf, daß unter diesen Umständen die Führung eines disziplinierten Schulbetriebes kaum möglich sei, ihrer Erregung durch fortgesetzte Zwischenrufe Ausdruck. Die Unruhe legte sich erst nach Schluß der Versammlung.

In verschiedenen Veranstaltungen wurde eifrig für den Palästinagedanken propagiert. So hat die zionistische Ortsgruppe Düsseldorf am 25., 27. und 28.1.1936 im Ibachsaal in Düsseldorf jeweils den Palästinatonfilm „Das Land der Verheißung“ vorgeführt. Die einleitenden Worte zu dem Film sprach ein Dr. Behrendt aus Berlin. Der Redner führte u.a. aus, daß der Zusammenhalt des Judentums in der Palästinafrage nötiger sei denn je. Die ganze Welt würde die Juden nach ihren Leistungen in Palästina beurteilen. Ferner betonte B., daß Europa seinen ethischen Höhestand und seine Kultur nur der Thora und dem Talmud zu verdanken habe. Dann lief der Film, der die Arbeit und die Siedlung in Palästina zeigte.

In Duisburg veranstaltete die zionistische Ortsgruppe am 29.1.1936 einen gutbesuchten Vortragsabend im Theodor-Lauter-Haus. Es sprach Dr. Neuberger aus Düsseldorf über das Thema: „Die zionistische Situation der Gegenwart“. Bemerkenswert waren die Ausführungen, die der Redner über den 19. zionistischen Weltkongreß machte, der vor einiger Zeit in Luzern getagt hat. Er nahm dabei kritisch Stellung zu der Einrichtung des Kongresses an sich, der keine fruchtbare Arbeit leisten könne, weil ihm die nötige Exekutive fehle. Auch habe es auf dem Kongreß an der erforderlichen Einheitlichkeit in grundsätzlichen Fragen gemangelt. So habe man sich z.B. über die wichtige Frage der einheitlichen Organisation der zionistischen Bewegung     in Amerika gebe es überhaupt noch keine zionistische Organisation   nicht einigen können. Der größte Teil der Delegierten habe den Standpunkt vertreten, daß es für die zionistische Bewegung genüge, wenn die ihr angehörenden Juden den Schekel bezahlten und sich zum Baseler Programm bekennen würden. Die deutschen Vertreter dagegen seien der Meinung gewesen, daß das durchaus nicht ausreiche. Sie hatten den Standpunkt eingenommen, daß die Anonymität der Mitglieder einer zionistischen Organisation, die durch Zahlen des Schekels und durch Bekennen zum Baseler Programm gewahrt werde, durch eine freie Beitrittserklärung zu einer zionistischen Organisation und durch Beitragszahlung an diese Organisation aufgegeben werden müsse. Mit dieser Forderung seien die deutschen Delegierten aber nicht durchgedrungen.

Ausgehend von der Feststellung, daß wir heute in einem Zeitalter des neu-erwachenden Nationalismus leben, kam der Redner auch auf Palästina zu sprechen. Das Judentum habe auf dieses Land ein unanfechtbares Anrecht. Durch die jährliche Einwanderung von 60.000 Juden nach Palästina sei dort heute eine Industrie im Werden begriffen, die man, solange sie noch nicht konkurrenzfähig sei, durch Schutzzölle fördern müsse.

Die Araberfrage, die ohne Zweifel vorhanden sei, könne nur so gelöst werden, daß die Araber die extensive Nutzung großer Bodenflächen aufgäben, und sich dafür der intensiven Bewirtschaftung kleinerer Flächen widmeten. Dadurch würde der für die Juden nötige Raum frei, während den Arabern eine immerhin noch ausreichende Lebensmöglichkeit bleibe.

Der gleiche Redner sprach am 27.1.1936 in einer Versammlung der Wuppertaler zionistischen Ortsgruppe.

Vor der zionistischen Ortsgruppe Oberhausen sprach am 30.1.1936 Dr. Siegmund Wassermann, Oberhausen, über das Thema: „Zionismus als politische Idee“. Er führte aus, daß der Zionismus als staatenbildende Nationalidee zuerst vor etwa 50 Jahren durch Herzl sich Geltung verschafft habe. Heute komme nur noch Palästina für die Bildung eines selbständigen jüdischen Staates in Frage; die Durchführung dieser Idee werde von der zionistischen Vereinigung vertreten.

Man sei sich im klaren, daß man auch jetzt ohne Hilfe fremder Völker nicht zum Ziel kommen könne. Hierbei denke man vor allen Dingen an England, das bei seinem großen Kolonialreich in erster Linie zu helfen in der Lage sei, dann aber auch an die Hilfe des Völkerbundes.

Zu erwähnen wäre noch eine Veranstaltung der Ortsgruppe des Reichsverbandes ostjüdischer Organisationen in Düsseldorf, die am 18.1.1936 im jüdischen Gemeindehaus in Düsseldorf stattgefunden hat. Hierzu war auch ein Sekretär des polnischen Konsulats in Essen erschienen, der im Laufe des Abends Grüße der polnischen Regierung überbrachte. Der Geschäftsführer des Vereins, D. Rosenbaum, regte die Gründung eines Verbandes polnischer Juden an. Hierzu sprach der Vertreter der Exekutive ostjüdischer Organisationen, Fuchs, Oberhausen. Er führte aus: 6 Millionen polnische Juden wohnen in der ganzen Welt zersplittert, isoliert und geistig vereinsamt. Es gelte heute mehr denn je, die brachliegenden Energien und schlummernden Kräfte dieses jüdischen Volksteiles in der ganzen Welt und besonders in Deutschland zu wecken. Die in Deutschland lebenden polnischen Juden sollten die Möglichkeit haben, ihre Angelegenheiten selbständig zu regeln, sich zu einer aufbauenden jüdischen Arbeit, die unter dem Gesichtspunkt eines einheitlichen und zielbewußten Willens geführt werden solle, zu organisieren. Die Reichskonferenz werde demnach eine Reihe von organisatorischen Maßnahmen zu treffen haben. Neben einer aufbauenden, praktischen Soforthilfe müsse das polnische Judentum zur Erhaltung seiner Eigenart angehalten werden. Die Zusammenarbeit mit den polnischen Juden innerhalb und außerhalb Polens müsse hergestellt und enger geknüpft werden. Der Verband polnischer Juden werde auch das Verhältnis der polnischen Juden in Deutschland zu den in Deutschland bestehenden Organisationen überprüfen. Die künstlich gezogene Grenze zwischen West- und Ost-Judentum müsse endgültig fallen gelassen werden. Die polnische Judenheit wolle von den jüdischen Körperschaften gleichwertig behandelt werden. Der Verband polnischer Juden sehe es als seine vornehmste Aufgabe an, die Beziehungen zu den Vertretern des polnischen Staates zu vertiefen, gemeinsam mit ihnen schwierige Rechtsfälle zu beraten und zu klären und unbillige Härten abzuwenden. Der Verband polnischer Juden werde sich auch mit dem Problem der polnisch-jüdischen Staatenlosen im Zusammenhang mit der vor kurzen in Polen erlassenen Amnestie befassen.

Im Monat Januar sind wieder einige namhafte jüdische Geschäfte in arischen Besitz übergegangen. So sind die Schuhgeschäfte in Duisburg fast gänzlich im Besitz arischer Kaufleute. Auch aus dem Getreidehandel bezw. aus hies. Mühlenwerken ist das Ausscheiden einzelner Juden bekannt geworden. Ferner stehen in der Textilbranche weitere Verkäufe bevor; jedoch sind die Verhandlungen noch nicht zum Abschluß gelangt.

Von den wegen Rassenschande im Berichtsmonat abgeurteilten Personen dürfte der Fall des 42 Jahre alten Juden Hugo Cohen aus Calcar Erwähnung finden, der sich am 23.1.1936 vor der großen Strafkammer des Landgerichte Kleve zu verantworten hatte und dem die Anklage zur Last legte, in den Jahren 1925 bis 1934 in einer Reihe von Fällen an bei ihm tätigen Hausangestellten fortgesetzt und unter Anwendung von Gewalt Notzuchtverbrechen, unzüchtige Handlungen und Versuche dazu verübt zu haben. Die Staatsanwaltschaft leitete das Verfahren ein und stellte 3 besonders schwere Fälle aus den Jahren 1925 bis Anfang 1934 zur Anklage. Die Verhandlung ließ durch die Aussagen der drei als Zeuginnen vernommenen Opfer und durch die eidlichen Aussagen weiterer Zeuginnen zweifelsfrei das schamlose Treiben des Angeklagten erkennen. Der Vertreter der Anklage betonte, daß der Fall Cohen aus dem Rahmen der üblichen Sittlichkeitsprozesse herausfalle nicht nur wegen der Schwere und der Zahl der Verbrechen, sondern vor allem, weil die Opfer Hausangestellte in seinem Haushalt und von ihm abhängig waren, weil sie während ihrer Tätigkeit mißbraucht wurden, und weil es sich um Mädchen handelte, die im jugendlichen Alter von 16 bis 18 Jahren standen. Nicht allein um die Ehre dieser von einem Juden schändlich mißbrauchten Mädchen gehe es in diesem Prozeß, sondern um die Ehre der deutschen Frau überhaupt. Dieser Prozeß beweise mit eindringlicher Deutlichkeit die Berechtigung und die Notwendigkeit der Nürnberger Gesetze. Entsprechend dem Antrag der Staatsanwaltschaft verurteilte das Gericht den Angeklagten wegen fortgesetzten Verbrechens gegen den § 176 RStGB Ziff. 1 in Tateinheit mit Verbrechen gegen den § 171 RStGB in 3 Fällen zu einer Gesamtstrafe von 4 Jahren Zuchthaus. Außerdem wurden ihm die bürgerlichen Ehrenrechte auf die Dauer von 6 Jahren aberkannt.

Der Jude Siegfried Isaak, der in Essen-Steele ein Haushaltungswarengeschäft betreibt, wurde wegen falscher Buchführung und Steuerhinterziehung in Haft gesetzt. Bei einer durch die Steuerbehörde und Kriminalpolizei durchgeführten Revision wurde festgestellt, daß er seit 5 Jahren in gleicher Weise wie früher seine Eltern falsche Bücher führte, seine Gewinne verschleierte und den Staat um seine Steuern betrog. Nach Angaben der Kriminalpolizei handelt es sich um beträchtliche Summen, die weit in die Tausende gehen. Beschlagnahmt wurden 45.000 RM Außenstände, ein Sparkassenbuch, ein Barbestand von 2000 RM und ein Reisepaß.

An Einzelaktionen sind im Berichtsmonat nachstehende Fälle zu verzeichnen:

In Essen wurden am 18. und 20.1.1936 im jüdischen Jugendheim Saarbrückerstraße 20 von unbekannten Tätern durch Steinwürfe mehrere Fensterscheiben eingeworfen. Der Vorfall wiederholte sich am 27.1.1936 gegen 18.10 Uhr, wobei den bisher noch unbekannten Tätern eine Spiegelscheibe im Werte von etwa 25-30 RM zertrümmert wurden.

In Duisburg stellte am 26.1.1936 ein Schutzpolizeibeamter auf seinem Streifendienst fest, daß an dem Hause Beeckstraße 64 in Duisburg drei Schaufensterscheiben mit Teer beschmiert waren. An den Schaufensterscheiben war in großen Buchstaben der Name „Juda“ geschrieben. Die Täter konnten bisher nicht ermittelt werden.

Weiter wurden 2 Fälle jüdischer Gegenpropaganda aus dem Auslande bekannt. In dem einen Falle wurde einem hies. Geschäftsmann eine Postsendung aus London zugestellt, die den Sonderdruck eines Artikels aus der „Times“ enthielt, in dem die Nürnberger Rassegesetzgebung sehr abfällig kritisiert wurde. Die Art und Weise der Verbreitung läßt darauf schließen, daß man es hier mit planmäßiger Gegenpropaganda zu tun hat.

In dem zweiten Falle stellte sich bei der Übernahme einer jüdischen Tuchfabrik in Mönchengladbach durch hies. arische Fabrikanten heraus, daß insbesondere die jüdische Auslandskundschaft diesem Unternehmen sofort Schwierigkeiten machte und den neuen Eigentümern unsaubere Machenschaften vorwarf. Aber auch die jüdischen Inlandskunden brachen zum Teil sofort ihre Geschäftsbeziehungen ab.“

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