Die Gestapo Düsseldorf berichtet
Die Gestapo Düsseldorf berichtete über den Monat November 1935:
„Im Berichtsmonat sind die jüdischen Organisationen mit besonderen Veranstaltungen nicht in Erscheinung getreten. Die Versammlungstätigkeit war rege, hielt sich jedoch allgemein in den gebotenen Grenzen. Die Nürnberger Gesetze und die dazu inzwischen ergangenen Ausführungsverordnungen sind in der Hauptsache Gegenstand der Erörterungen gewesen. Aus den Darlegungen der Versammlungsredner konnte entnommen werden, daß die seitens der nationalsozialistischen Staatsführung durch Erlaß der Ausführungsverordnungen vorgenommene weitere Regelung der Judenfrage das Judentum nicht sonderlich überrascht hat. Hinsichtlich der angekündigten Neuregelung des jüdischen Schulwesens wurde der Hoffnung Ausdruck gegeben, daß diese Regelung so gestaltet werden möge, daß für die Bildung der jüdischen Jugend ausreichend gesorgt wird, zumal der Zeitpunkt kommen müsse, da es bei aller Bereitschaft nicht mehr möglich sein werde, die jüdischen Schulen aus eigenen Mitteln zu erhalten.
In den Kulturveranstaltungen wurde von den Veranstaltungsleitern insbesondere auf die selbstverständliche und unabweisbare Pflicht der in Deutschland ansässigen Juden, sich restlos an den Bemühungen des Kulturbundes zu beteiligen und an seinen Veranstaltungen teilzunehmen, hingewiesen. Betont wurde hierbei, daß es verständlich sei, wenn viele aus den verschiedensten Gefühlen und Stimmungen heraus zu Hause bleiben möchten, solche Stimmungen jedoch um der Gemeinschaft, aber auch um der einzelnen Menschen willen zurückgestellt werden müßten.
Im übrigen ist zu den einzelnen Veranstaltungen folgendes zu bemerken:
In einer in Anwesenheit des polnischen Konsuls stattgefundenen Veranstaltung der Ortsgruppe Essen des Reichsverbandes ostjüdischer Organisationen wurde durch den Versammlungsleiter bekannt gegeben, daß die Organisation ab 1. Dezember 1935 die Bezeichnung „Reichsorganisation polnischer Juden in Deutschland“ führe. Der Umbenennung dürfte die Absicht zu Grunde liegen, die polnische Nationalität in den Vordergrund zu rücken, um dadurch in erhöhtem Maße den Schutz der polnischen Minderheit zu genießen.
Gelegentlich eines Kulturabends der jüdischen Gemeinde Duisburg sprach George Goetz, Berlin, stellvertr. Mitglied des Rates des Preußischen Landesverbandes jüdischer Gemeinden zu dem Thema: „Jüdische Geschichte – jüdische Gegenwart“. Seine Forderungen für die Gegenwart aus der jüdischen Geschichte schöpfend, kam der Redner zu dem Ergebnis, daß nur der feste Zusammenschluß der Juden in den religiösen jüdischen Gemeinden ihre und ihres Volkes Existenz sichern würde.
Seitens der jüdischen Gemeinde Oberhausen wurde im Rahmen der vom Reichsverband der jüdischen Kulturbünde mit dem Staatskommissar Hinkel als Sonderbeauftragtem des Reichsministers für Volksaufklärung und Propaganda getroffenen Vereinbarungen am 6.11.1935 ein Kulturabend abgehalten. Als Redner war auch hier Dr. George Goetz, Berlin, verpflichtet, der sich in längeren Ausführungen über das Thona „Die jüdische Geschichte“ verbreitete. Seine Ausführungen gipfelten in der Beweisführung, daß das jüdische Volk immer noch das auserwählte Volk Gottes sei, des Gottes, an den Katholiken, Protestanten, also Christen und Juden gemeinsam, glauben. Nur mit Abraham habe Gott einen Bund geschlossen und in diesem Bunde verheißen, daß durch seine Nachkommen sollen gesegnet werden alle Völker auf Erden. Diesen Bund hielt Gott auch heute noch, selbst wenn er von den Juden nicht gehalten würde. Immer noch sei das Gebot, welches Moses von Sinai gebracht habe, die Grundlage für das Zusammenleben der Völker. Auch das jüdische Volk werde den Aufstieg wieder erleben, insbesondere die Jugend, nur kann nicht angegeben werden, wann und wo, denn das sei der Bund, den Gott unauflöslich für alle Zeiten und Geschlechter geschlossen habe.
Neben dem durch Sonderbericht vom 22.11.1935 geschilderten Versammlungsverlauf der zionistischen Ortsgruppe Oberhausen vom 13.11.1935 fand eine weitere Veranstaltung dieser Ortsgruppe am 27.11.1935 statt, die das Thema „Quer durch die Lage der Juden in der Welt“ zur Behandlung hatte. Der Redner, Dr. Guthmann, Düsseldorf, schilderte die schwere Lage der Juden in den außerdeutschen Ländern, insbesondere in Sowjet-Rußland. Abgesehen von den Zuständen und Pogromen in der zaristischen Zeit habe auch die berühmte Gleichstellung unter dem Sowjetregime insbesondere dem Mittelstande keine Besserung gebracht. Der Mittelstand sei durch die Einführung der Kollektivwirtschaft verarmt und vernichtet. Die Beteiligung an der Politik sei durch die Ausschaltung der Trotzki’schen Richtung gleichfalls nur gering. Ähnlich sei die Lage in Polen und Rumänien. Von den in der Welt vorhandenen 12 Millionen Juden lebten in Palästina nur dreihunderttausend und in Amerika etwa 4 Millionen. Das Rassengemisch in Amerika begünstigte zwar die wirtschaftliche und politische Gleichstellung der Juden, und seien die Prozentsätze der jüdischen Beteiligung an Handel, Bankgewerbe, Politik, Theater, Presse und Literatur hoch, doch zeige sich auch dort ein rascher, geistiger Verfall des Judentums. Der Redner schilderte sodann die wirtschaftliche und politische Entwicklungsmöglichkeit und Aufnahmefähigkeit Palästinas, die er mit 50.000 Zuwanderungen in den nächsten Jahren bezifferte. Er schloß seinen Vortrag mit den Worten, daß Palästina der Ausgangspunkt der tausendjährigen jüdischen Wanderung sei und auch das Endziel sein müsse.
Der in meinem Vormonatsbericht geschilderte Umsatzrückgang der jüdischen Geschäfte hält auch weiterhin unvermindert an. Verschiedene größere jüdische Kaufhäuser und Fachgeschäfte sind verkauft worden, andere befinden sich im Ausverkauf wegen Geschäftsaufgabe. So sind beispielsweise die Schokoladengeschäfte der Firma Hugo Wilhelm in arischen Besitz übergegangen. Dazu gehören die Geschäfte in Düsseldorf, zwei Filialen in Essen und eine in Duisburg. Sämtliche Geschäfte waren nach dem im Frühjahr ds.Js. erfolgten Vorgehen gegen den Inhaber der Firma Hugo Wilhelm vom Finanzamt wegen erheblicher Steuerforderungen beschlagnahmt worden. Die Prokuristin der Firma Hugo Wilhelm, Fräulein Dörseln, die mit der Liquidation beauftragt worden war, hat jetzt die Schokoladengeschäfte aus der Liquidationsmasse erworben. Desgleichen sind die Hutgeschäfte Benno Leeser in arischen Besitz übergegangen. Die Geschäfte in Düsseldorf, Essen und Köln sind von dem Generalbevollmächtigten der Firma Leeser, dem Kaufmann Gewiener, übernommen worden.
Boykottabwehrmaßnahmen der Juden machen sich an verschiedenen Stellen meines Amtsbereichs bemerkbar. Sei es, daß jüdische Händler, wie in der Schuhbranche festgestellt, bei arischen Fabrikanten nach Möglichkeit nicht mehr kaufen, oder daß jüdische Organisationen, insbesondere der Centralverein, Ortsgruppe Essen, Beschwerden über angebliche Einzelaktionen vorlegen. Soweit durch irgendwelche Einzelaktionen ein staatspolizeiliches Vorgehen geboten erschien, sind die erforderlichen Vorkehrungen zur künftigen Verhinderung solcher Ausschreitungen getroffen worden.
Das jüdische Winterhilfswerk wird in der Weise durchgeführt, daß von jedem jüdischen Steuerpflichtigen ein Betrag von 3% der Einkommenssteuer abgeführt wird. Die Eintopfsonntage werden gleichfalls eingehalten. Die Unterstützungsbedürftigen erhalten Kartoffeln und Kohlen nach den Richtlinien des WHW., außerdem eine monatliche Unterstützung von 2,- RM je Kopf.
Über besonders bemerkenswerte Vorkommnisse ist folgendes zu berichten:
Wie bereits im Tagesbericht vom 23.11.1935 mitgeteilt wurde, hat die jüdische Familie Defries in Duisburg, bestehend aus Mann, Frau und Tochter, aus Furcht vor Strafe, Selbstmord durch Gasvergiftung vorgenommen. Der Jude hatte eine Glühlampenvertretung im Jahre 1933 an einen gewissen Hoffmeister, Duisburg, Kaiser Wilhelmstr. 88 wohnhaft, gegen eine monatliche Entschädigung von 500,- RM abgegeben. Die einkommenden Gelder hat er auf das Konto seiner Tochter bei dem Duisburger Bankverein eingezahlt. Weitere 500 RM hatte Hoffmeister aus diesem Geschäft an einen Schwager des Defries zu zahlen. Durch einen anonymen Telefonanruf wurde Defries der Steuerhinterziehung beschuldigt. Das zuständige Finanzamt leitete daraufhin Ermittlungen ein, die die Richtigkeit dieser Abgaben bestätigten. Defries hatte die von Hoffmeister erhaltenen Gelder in seine Bücher nicht eingetragen. Nun versuchte Defries, dieses Geld zu verschieben und konnte ca. 8000,- RM von dem Konto seiner Tochter abheben. Dieses Geld ist mit noch ca. 2000 RM anscheinend durch Aachener Juden verschoben worden. Weitere 8000 RM sind nach dem Tode des Defries von der Jüdin Willich dem Finanzamt als diesem gehörig übergeben worden. Die Ermittlungen des Finanzamtes sind z.Zt. noch nicht abgeschlossen.
Defries wird von zuverlässigen Personen als ein Mann geschildert, der ein Doppelleben führte. In seinem Hause verkehrten bis zum Jahre 1932 viele Ostjuden, mit denen Defries undurchsichtige Geldgeschäfte betrieb. Die Bindung zu den Ostjuden geben der Vermutung Raum, daß Defries auch zu kommunistischen Kreisen Beziehungen unterhielt. Sonst spielte er den biederen Geschäftsmann, der für Notleidende stets eine offene Hand hatte. Das Begräbnis der Familie erfolgte daher unter starker Anteilnahme der Bevölkerung von Laar, unter der Defries einen guten Ruf genoß, zumal in der Öffentlichkeit bisher nur eine harmlose Steuerhinterziehung bekannt geworden ist. In politischer Hinsicht ist über Defries hier nichts bekannt geworden.
Der Jude Max Goldstein, Duisburg, Juliusstr. 42, hatte aus Eitelkeit und anscheinend auch zur Tarnung das schwarze Verwundetenabzeichen des Weltkrieges öffentlich getragen und entsprechende Eintragungen in seine Militärpapiere selbst vorgenommen. Er gelangte wegen Urkundenfälschung zur Anzeige.
In Solingen ist wegen Beleidigung eines Hoheitsträgers der Partei gegen den jüdischen Kaufmann Herbert Frankenstein Anzeige erstattet worden. Über ihn wurden 7 Tage Schutzhaft verhängt; ein Strafverfahren wurde eingeleitet.
An wirklichen Einzelaktionen sind folgende Fälle zu verzeichnen:
In der Nacht zum 8.11.1935 wurden dem jüdischen Lehrer Fritz Kaiser, Vorsitzender des Centralverbandes der Juden in Duisburg, Landwehrstr. 21 wohnhaft, 2 Fensterscheiben in seiner Wohnung durch Steinwürfe zertrümmert.
In der gleichen Nacht wurde in dem Haushaltungswarengeschäft der Jüdin Hermine Simon, Duisburg-Hamborn, Jägerstr. 29, eine Schaufensterscheibe eingeworfen.
In der Nacht vom 6. zum 7.11.1935 sind in der zum Landkreis Wesel gehörigen Ortschaft Schermbeck mehrere mit Schreibmaschine hergestellte Anschläge mit Aufschriften hetzerischen Inhalts gegen Juden an Pumpen und Telegrafenmasten angebracht worden. Auf den am 22.11.1935 vorgelegten Sonderbericht nehme ich Bezug.
Die Fahndungen nach den unbekannten Tätern sind in all diesen Fällen bisher ergebnislos verlaufen.“