Die Gestapo Düsseldorf berichtet
Die Gestapo Düsseldorf berichtete über den Monat Oktober 1935:
„Die Auswirkung der neuen Gesetze zur Regelung der Judenfrage macht sich in den örtlichen Fachgeschäften bereits bemerkbar. Die Inhaber der jüdischen Geschäfte haben als Folgen einer stärkeren Abwanderung der Käuferschaft ihre bereits für den Winter abgeschlossenen Aufträge bei den Lieferanten teilweise bis fast zur Hälfte abbestellt. Verschiedene Fachgeschäfte der Schuhwarenbranche der Herren- und Damenkonfektion und anderer Modewaren haben nach eigenen Angaben einen weiteren erheblichen prozentualen Umsatzrückgang zu verzeichnen. Die Folge hiervon wird sein, daß bei einer weiteren Abwanderung der Käuferschaft mit einer Verringerung des Personals zu rechnen ist. Auch in den Kreisen der jüdischen Gewerbetreibenden, Handwerker usw. macht sich ein weiterer Rückgang an Arbeitsaufträgen bemerkbar. Die Beobachtungen lassen erkennen, daß das Publikum, soweit es den Beamten- oder Angestelltenkreisen angehört, die jüdischen Geschäfte meidet. Die wiederholten Aufklärungen und Anordnungen seitens der Behörden und auch der Beamtenorganisationen haben hier den gewünschten Erfolg gezeigt. Gerade der Ausfall der festbesoldeten Käuferschaft hat den Kundenkreis der jüdischen Geschäftsinhaber ganz erheblich verringert. Da eine Anzahl großer jüdischer Fachgeschäfte für Konfektionen, Schuhwaren usw. besonders in den Großstädten vorhanden ist, wirkt sich der finanzielle Ausfall in diesen Geschäften nicht unerheblich aus. Über die Auswirkung der am 1.1.1936 in Kraft tretenden Bestimmungen bezüglich der Hausangestellten im jüdischen Haushalt kann berichtet werden, daß von den jüdischen Frauenverbänden Umschulungskurse für die Vorbereitung auf den Beruf der Hausangestellten angekündigt sind. Für die Unterbringung der frei werdenden Kräfte sind von den Arbeitsämtern bereits entsprechende Maßnahmen in die Wege geleitet. Des weiteren ist zu berichten, nachdem Juden vom Winterhilfswerk nicht mehr betreut werden, die einzelnen Vereine dazu übergegangen sind, Komitees zur Betreuung der Glaubensgenossen zu gründen.
In Oberhausen hat sich eine Kommission von 10 Mitgliedern des jüdischen Winterhilfswerkes gebildet, deren Obmann der Vorsitzende des Z.V., Kaufmann Hugo Stehberg, ist. Die Kommission ist an die Kreisleitung in Oberhausen wegen käuflicher Überlassung von Kartoffel- und Lebensmittelgutscheinen herangetreten. Eine Stellungnahme ist noch nicht erfolgt.
Über besonders bemerkenswerte Vorkommnisse ist folgendes zu berichten:
In der Nacht vom 19.10. zum 20.10.1935 wurden in Düsseldorf auf der Ferdinand-Heye-Straße und Benderstraße Plakate an Geschäftshäusern angeklebt mit der Aufschrift: „Juden unerwünscht!“
Der jüdische Tierarzt Dr. Baer in Hilden ist auf Anweisung des Herrn Regierungspräsidenten mit Wirkung vom 1. Oktober 1935 von seiner Tätigkeit als Schlachtvieh- und Fleischbeschauer beurlaubt worden.
Am 22. August 1935 wurde in Hilden die Schaufensterscheibe eines jüdischen Kaufmanns zertrümmert. Die Ermittlungen waren bisher ergebnislos.
Der Banküberfall auf den Juden Emil Rosendahl in Wuppertal wurde aufgeklärt. Als Täter wurden drei frühere SA.-Leute festgenommen, von denen zwei wegen Interessenlosigkeit und einer wegen angeblicher Krankheit bereits seit einiger Zeit aus der SA. ausgeschlossen worden sind.
In Remscheid wurden Flugzettel verteilt mit der Aufforderung, jüdische Geschäfte zu meiden.
In Alpen, Kreis Moers, wurden Transparente, welche die Bevölkerung über die Judenfrage aufklärten, auf Grund des Erlasses über das Verbot von Einzelaktionen beseitigt. Die Besucher eines jüdischen Kinos wurden gelegentlich photographiert. Der jüdische Unternehmer trat daraufhin in Verkaufsverhandlungen ein.
Der Arbeiter August Salewski in Walsum wurde festgenommen, weil er sich gegen das Gesetz zum Schutze des Deutschen Blutes und der Deutschen Ehre vergangen hat. Er hat zuletzt noch am 10.10.1935 mit der Jüdin Rose Faschl außerehelichen Verkehr gepflogen.
In der Nacht zum 2. Oktober 1935 wurden an der Synagoge in Hamborn mehrere Fensterscheiben und eine Lampe zertrümmert. Die Täter wurden nicht ermittelt.
Mit dem Beginn des Winterhalbjahres mehren sich auch wieder die Vereins- und Versammlungsabende. In der zionistischen Vereinigung, Ortsgruppe Duisburg, sprach Dr. Wassermann über seine Palästinareise und gegen die reger werdenden Assimilanten. In einem Rundschreiben des ZDFD. vom 22.10.1935, das an die Ortsgruppenwerbeleiter gerichtet war, wird über die Führung und Betätigung der assimilatorischen Verbände Klage geführt. Zur Information wurden die hauptsächlich von den Assimilanten angeführten Werbemotive bekannt gegeben, und zwar:
1. Die Notwendigkeit eines Winterhilfswerkes der Juden, das der Arbeit für Palästina vorangehen müßte.
2. Die undurchsichtige Lage im Mittelmeerraum, welche die Zukunftsaussichten für Palästina keinesfalls rosig erscheinen ließen.
Zu 1. ist zu bemerken, daß die Vorstände der jüdischen Synagogengemeinden, die das Winterhilfswerk organisieren, den Werbeschreiben Verpflichtungsvordrucke für die gedachten Spenden beifügen.
Zu 2. sei erwähnt, daß Dr. Wassermann Gerüchte über die durch die im Mittelmeer erfolgten Bewegungen der englischen Flotte hervorgerufenen Beunruhigungen in Palästina bestätigte.
Er hob nachdrücklich hervor, daß sich diese fast nur in palästinensischen Hafenstädten unter den neu zugewanderten Juden, die sich auch dort dem Handel widmeten, bemerkbar machten. Der Ansturm auf die Banken, die aber allen Forderungen gerecht wurden, sei erheblich gewesen. Größere Kapitalmengen seien in der Hauptsache nach Warschau abgewandert.
In M.-Gladbach fand nur eine Versammlung statt, und zwar die des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten am 26.10. im jüdischen Gemeindehaus, in welcher der Vorsitzende Heymanns über Sünschas-Thora-Gesetzesrolle sprach. Des weitern führte er aus, er beabsichtigte einen Fonds für die Kameradschaftshilfe einzurichten und machte es ferner allen zur Pflicht, bei Einkäufen nur Juden zu berücksichtigen und nur jüdische Rechtsanwälte zu besuchen, insbesondere jüdische Erwerbslose einzustellen und jüdische Schwerkriegsbeschädigte. Er kam ferner auf das Thema „Land- und Stadtkind“ zu sprechen, berichtete, auf Haus Herta seien erholungsbedürftige Kinder untergebracht und bat, bis 15. November 1935 zu melden, wer noch erholungsbedürftige Kinder unterbringen könne. Zum Schluß forderte er alle auf, fester denn je zusammen zu stehen und stets an die Sünschas-Thora (was „von vorne anfangen“ bedeutet) zu denken. Die Devise laute: Von vorne anfangen.
Am 16.10.1935 sprach in einer Versammlung der zionistischen Ortsgruppe in Mülheim Dr. Salomon, Köln, über „Was können wir von der jüdischen Erneuerung erwarten?“. Von der jüdischen Geschichte ausgehend, kam er zu dem Ergebnis, eine Erneuerung des jüdischen Volkes sei nur von der zionistischen Jugend, die sich augenblicklich in Palästina seßhaft mache, zu erwarten.
In einer am 29. Oktober 1935 abgehaltenen Versammlung der zionistischen Jugend sprach Dr. Wassermann, Oberhausen, über Reiseeindrücke in Palästina, die wirtschaftliche und politische Lage Palästinas und Einwanderungsmöglichkeiten.
Am 22. Oktober fand in den Räumen des Elberfelder Frauenklubs, Wuppertal-Elberfeld, eine Versammlung des jüdischen Frauenbundes statt, die von etwa 100 jüdischen Frauen und Mädchen besucht war. Die stellvertretende Vorsitzende, Frau Samuel, erteilte das Wort Frau Conny Katzenstein zum Thema: „Wie ist dem Mangel an Hausangestellten zu begegnen?“ Frau Katzenstein berichtete, daß die jüdischen Gemeinden Haushaltungskurse, Nähkurse, Waschkurse usw. eingerichtet hätten, um in denselben jüdische Frauen zur Hausarbeit heranzubilden. Hiermit sei es aber noch nicht getan. Vielmehr müßten die jüdischen Töchter zu Hausengestellten herangebildet werden, zumal viele aus ihren bisherigen Stellungen in Geschäften ausscheiden würden. Die jüdischen Familien sollten sich bereit finden, jüdische junge Mädchen bei sich zur Erlernung des Haushalts aufzunehmen, zumal zur Abwanderung nach Palästina die Erlernung des Haushalts Grundbedingung sei. Die Rednerin führte dann weiter aus, daß bei den einzelnen jüdischen Gemeinden Stellennachweise eingerichtet wären bezw. würden und forderte die Anwesenden auf, die anliegenden Formulare auszufüllen und der Gemeinde einzureichen. Anschließend schilderte Fräulein Henny Bauer die Tätigkeit der jüdischen Beratungsstellen. Grund zur Beanstandung der Versammlung war nicht gegeben, zumal das Judengesetz in keiner Weise kritisiert wurde.
Am 1. Oktober 1935 veranstaltete die zionistische Vereinigung Remscheid einen Vortrag über das Thema: Ergebnis und Ziele des zionistischen Kongresses in Luzern. Der Leiter, Dr. Walter Markowicz, erteilte dem Redner Dr. Neuberger das Wort, der etwa folgendes äußerte: Die Organisation der Zionsmitglieder sei bisher mangelhaft. Besonders betonte er, daß in Deutschland eine Dachorganisation bestände, die einheitlich organisiert sei, während in anderen Ländern diesbezüglich noch Mangel bestehe. Er hob hervor, daß jeder Mitglied sein müßte, um eine einheitliche Landesorganisation zustande zu bringen. Als hervorragend bezeichnete er die zionistische Disziplin in Deutschland, Dr. Neuberger ging über zum staatspolitischen Unterbau Palästinas. Er betonte, Palästina sei für alle heimatlosen Juden als die eigentliche Heimat von London anerkannt und daß nach zweijährigem Dortsein die Staatsangehörigkeit angenommen werden könnte. Des weiteren wurde der allgemeine Zuzug (etwa 60.000 jährlich) nach Palästina hervorgehoben. Als weiteres kamen die Lebensmittelverhältnisse und die weitere Zukunft dortselbst zur Sprache. Man wolle in erster Linie die Landwirtschaft heben. Man beabsichtigt durch vorbildliche Bearbeitung des Landes die Existenzmöglichkeit zu gewährleisten und den dort Ansässigen Land fortzunehmen, um den Zuwandernden zu helfen. Den kleineren Fabrikanten soll bis zur Existenzfähigkeit geholfen werden, um die Industrie zu heben. Zum Schluß befürwortete Dr. Neubauer die Auswanderung nach Palästina mit der Begründung, man könne die weltpolitischen Ereignisse nicht voraussehen. Es wäre aber angebracht, jetzt schon daran zu denken, einen Zusammenhalt zu suchen, um eine gewisse Stärke zu besitzen.
Für die Synagogengemeinde Essen und die ihr angeschlossenen Vereine liegt eine Voranmeldung vor, nach der im kommenden Winter wöchentlich drei bis vier interne Veranstaltungen geplant sind. Hiernach sollen an jedem Montag abends von 8-10 Uhr Kurse in hebräisch und englisch zur Vorbereitung für Palästina abgehalten werden. Weiter finden 14tägig an jedem Donnerstag abend Arbeitsgemeinschaften von jeweils denselben Rednern wie: Assessor Georg Guthmann, Frankfurt a.M. über „Palästina, Wirtschaft und Gesellschaft“, von Dr. Moritz Schweizer, Essen, über „Probleme der Auswanderung“ und von Rabbiner Dr. Hahn, Essen, über „Franz Rosenzweigs Weg zum Judentum“ statt. Diese Kurse und Vorträge haben durchweg einen religiös belehrenden Charakter und wollen die geistigen Grundlagen für den Aufbau Palästinas vorbereiten. Für die zionistische Ortsgruppe Essen, Verband jüdischer Frauen für Palästina-Arbeit, wird für jeden Donnerstag ein Abend über Fragen der Palästina-Wanderung und jeden Montag ein Vortragsabend über Probleme des Zionismus angekündigt. Die religiös karitative Arbeitsgemeinschaft der jüdischen Frauen Essens hält wöchentlich einen Bibelkursus, in jedem Monat einen Vortrag über Erziehungs- und hauswirtschaftliche Fragen, die Glückauf-Vereinigung unter Leitung des Predigers A. Katzenstein Essen-Steele an jedem 1. und 3. Mittwochabend des Monats eine Arbeitsgemeinschaft mit dem Thema: „Wege zum Judentum“ und der Ortsring der jüdischen Jugend Essens außerdem die üblichen Sport- und Heimabende ab.
Bei der am 14. Oktober 1935 stattgefundenen Veranstaltung der religiös-karitativen Arbeitsgemeinschaft der jüdischen Frauen Essens und Verband jüdischer Frauen für Palästina-Arbeit Essens sprachen: Dr. Behrend, Köln, Änne Hahn und Eva Levy, Essen, über das Thema „Die jüdische Frau in der Hauswirtschaft“. Es fand eine eingehende Aussprache und Erläuterung über die Fragen der Haushalts statt, wie sie sich am 1.1.1936 für die jüdischen Haushaltungen ergeben. Es sei Pflicht aller jüdischer Frauen, sich mehr als bisher mit den hausfraulichen Dingen zu befassen. Anwesend waren etwa 450-500 Personen. Politische Fragen wurden nicht erörtert. Am 26.10.1935 fand eine Versammlung des Vereins der selbständigen jüdischen Handwerker statt. Anwesend waren etwa 14 Personen aus den verschiedenen Handwerkerberufen. Es wurden nur interne Vereinsfragen wie Arbeitsbeschaffung für die Vereinsmitglieder, Beitragsregelung und dergl. besprochen. Es wurde beschlossen, dem jüdischen Winterhilfswerk einen Betrag von 25.- RM. zu überweisen. Es wurde weiterhin dafür eingetreten, daß die Mitglieder sich für Zuwendungen von Aufträgen, Vergebung von Arbeitsplätzen, Empfehlungen in Bekanntenkreisen usw. noch mehr als bisher gegenseitig zu unterstützen hätten. Politische Angelegenheiten kamen nicht zur Sprache.
Die Beobachtungen lassen erkennen, daß aus den Kreisen der jüdischen Handels- und Gewerbetreibenden in steigendem Maße Paßanträge gestellt werden zum Besuch der im Ausland lebenden Verwandten. In all diesen Fällen kann aber wohl angenommen werden, daß die Juden die Reisen zu geschäftlichen Zwecken ausnutzen, zumal auch einzelne Fälle bekannt sind, in denen Paßanträge nur aus diesen Gründen gestellt werden.“