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Chronik und Quellen
1935
September 1935

Die Gestapo Düsseldorf berichtet

Die Gestapo Düsseldorf berichtete über den Monat September 1935:

„Die Judenfrage und das neue Rassengesetz finden geteilte Aufnahme. Es ist leider so, daß der größte Teil der Volksgenossen, Parteigenossen, mit Ausnahme der in der Kampfzeit geschulten, eingeschlossen, die ungeheure Tragweite der Judenfrage sowohl vom wirtschaftspolitischen als auch rassepolitischen Standpunkte aus gesehen noch nicht erkannt haben. Auf diesem Gebiet bleibt für die politischen Leiter der Partei noch sehr viel Arbeit zu leisten, dann diese allein sind dazu berufen.“

„In der jüdischen Vereinstätigkeit ist fast ein völliger Stillstand eingetreten. Die Verkündung der neuen Gesetze zur Regelung der Judenfrage, die für die Juden von so weittragender Bedeutung sind, mögen mit dazu beigetragen haben. Obwohl man in der deutschen Bevölkerung einsieht, daß die jüdischen Elemente sich als Träger der internationalen Boykotthetze gegen Deutschland erwiesen haben und darin auch die Judengesetze ihre innere Rechtfertigung finden, ist man doch keineswegs bereit, aus dieser Erkenntnis die letzten Konsequenzen zu ziehen. Denn immer wieder kann man die Feststellung machen, daß die Käuferkreise trotz allem noch die jüdischen Geschäfte bevorzugen. Die Beobachtungen haben noch nicht erkennen lassen, daß der Zulauf zu den jüdischen Geschäften und Warenhäusern bis auf einige Einzelfälle merklich nachgelassen hat. Die jüdischen Einheitspreisgeschäfte werden nach wie vor von Arbeitern und Erwerbslosen wegen der verhältnismäßig billigeren Preise bei ihren Einkäufen bevorzugt. Dagegen haben die kleineren Geschäfte für Bekleidungssachen usw. und auch sonstige Spezialgeschäfte nicht mehr den Zulauf wie bisher. Dieses gilt besonders von den Vorortsgeschäften, weil hier die Käufer mehr aus Angst wegen der gegenseitigen Kontrollen und der Beobachtung durch Parteigenossen jüdische Geschäfte meiden. Daß die Abwanderung des Käuferpublikums sich in finanzieller Beziehung für die jüdischen Geschäftsinhaber sehr bemerkbar macht, beweist u.a. auch ein bei der Postkontrolle erfaßter Brief des Inhabers des Schuhhauses Samson in Essen an dem Zentralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens, in dem Samson mitteilt, daß sein Geschäft im Monat Juli einen Umsatzrückgang von 24,6%, im August von 30% und im September von 50% zu verzeichnen habe. Nach Verlautbarungen von Geschäftsleuten und Lieferanten soll sich auch in anderen jüdischen Geschäften der Warenumsatz besonders in den letzten Monaten entsprechend verringert haben. Über die Auswirkungen des Judenboykotts berichtet mir die Bergische Industrie- und Handelskammer, Zweigstelle Remscheid, wie folgt:

1.) Örtlich. Die im August vorgenommenen regelmäßigen Aktionen gegen jüdische Geschäfte, besonders in der Adolf Hitlerstraße, haben zu einer starken Abwanderung aus den betroffenen jüdischen Geschäften, insbesondere der Firma Gebr. Alsberg geführt. Die Firma Gebr. Alsberg ist das größte und leistungsfähigste Fachgeschäft für Damenkonfektion, Stoffe, beschäftigt 130 Angestellte, darunter 4 Juden. Die Inhaber Cohen und Wiesbrun sind Juden. Die nachteilige Wirkung dieser Einzelaktion, deren Herkunft nicht festzustellen war, führte jedoch nicht etwa zu einer Abwanderung aus den jüdischen in arische Geschäfte, sondern zu einer verstärkten Abwanderung in Geschäfte außerhalb Remscheids. Es ist immer wieder zu beobachten, daß das Publikum sich durch die Ankündigung des Fotografierens, Aushändigung von kleinen Zetteln an Aus- und Eingängen der jüdischen Geschäfte außerordentlich behindert in seinem geschäftlichen Vorhaben fühlt und daher derartige Gegenden überhaupt meidet. Nach unseren Eindrücken in Einzelhandelskreisen führen daher derartige Einzelaktionen nur zu weiteren Umsatzverschiebungen z.T. in Warenhäuser oder Abwanderung des ortsansässigen Publikums in die Großstädte. Es wird also wirtschaftspolitisch eine Entwickelung verstärkt, die im Sinne nationalsozialistischer Wirtschaft mit allen Mitteln verhindert werden muß.

2.) Schuhindustrie in Wermelskirchen. Über die bereits wiederholt in den Monatsberichten eingehend geschilderte Entwicklung hinaus hat z.B. die Firma Adolf Flöring neuerdings wieder auf manche Vorgänge aufmerksam gemacht. Vor allen Dingen schildert der Inhaber, Herr Flöring, die ganz besonderen Schwierigkeiten, die Verluste für seine Firma mit sich bringen, in folgenden Fällen:

Einer der größten Kunden der Firma Flöring, zugleich das beste Fachgeschäft in einer großen Stadt Mitteldeutschlands, ist Jude. Der jährliche Umsatz beträgt rund 1.000.000.- RM. Da auch dort dieselbe Entwicklung vorliegt, beabsichtigt der bisherige Inhaber das Geschäft zu verkaufen mit Unterstützung der Firma Flöring. Die strenge Auslegung des Einzelhandelsschutzgesetzes verhindert jedoch diesen Verkauf, sodaß der Firma unter Umständen zwar kein sofortiger Verlust, jedoch eine dauernde Abwanderung eines großen und guten Kunden bevorsteht. Die Nachbargeschäfte sind Filialen von Tack, Lingel und Salamander. Die Liquidation derartiger jüdischer Geschäfte in Verbindung mit den im übrigen durchaus günstigen Entwicklungen des Einzelhandelsschutzgesetzes haben dieses Ergebnis.

3.) Export und Judenboykott. Viele Exportfirmen des Remscheider Bezirks haben schon seit langen Monaten keine Berichte über die Boykottauswirkungen im Auslande gegeben, weil die Berichterstattung bisher doch keine Hilfe gebracht hat. Es ist weitgehend Entmutigung all derjenigen Firmen festzustellen, die zahlreiche Juden in ihrer Kundschaft haben, besonders Textilfirmen. Das trifft auch auf den hiesigen Bezirk z.B. Lüttringhausen, Wermelskirchen, usw. zu. Von einigen Firmen wurde sogar behauptet, daß aus Ländern, in denen der Katholizismus auch politisch eine besonders große Bedeutung hat, der Boykott deutscher Waren aus diesen Kreisen unterstützt würde. Einzelbeweise liegen hierfür nicht vor.

Aus den letzten Wochen geben wir noch zwei besonders wichtige Berichte an eine große Werkzeugfirma. Die Vertretung berichtet aus Santiago Folgendes: … „Zeitlich war nichts zu machen, doch besteht Aussicht, vielleicht zu Beginn des neuen Jahres einen Regierungsauftrag zu bekommen, nähere Mitteilungen werden Ihnen noch von Herrn H. zugehen. Hier liegt die Sache daran, daß die Hauptkunden in dem Artikel Juden sind und diese heute wieder anfangen, deutsche Waren zu boykottieren.“

Der zweite Bericht ist aus Prag vom 5. August datiert.

„... Von den „Kompensationsfeilen“ wollen uns P.&V. nicht 1 Dtzd. abnehmen, „infolge der jüngsten Judenverfolgung in Berlin!“   Der Boykott gegen deutsche Waren hat hier nun auch ernstlich eingesetzt. Schöne Aussichten für unsere Kompensationsfeilen.“

Wir bemerken, daß die Remscheider Firma mit ihren Qualitätsfeilen führend auf dem tschechischen Merkt war und in der letzen Zeit nach außerordentlichen Anstrengungen z.T. mit Hilfe von Kompensationsgeschäften davor stand, große Kunden wiederzugewinnen. Die Kompensationsgeschäfte sind mit vieler Mühe von allen beteiligten Behörden genehmigt worden, der Erfolg ist durch den Boykott gänzlich in Frage gestellt.

Aus dieser Veranlassung haben auch schon einige kleinere jüdische Geschäfte freiwillig geschlossen. Teilweise ist auch festgestellt worden, daß verschiedene große Judenfirmen eine Änderung des Geschäftsnamens vorgenommen haben, um ein arisches Unternehmen vorzutäuschen. So hat beispielsweise die Tuchgroßhandlung Hertz in Essen die Firmenänderung in Wettuch G.m.b.H. in Essen und die bisherige Kleiderfabrik Neumann und Mendel in Mechanische Kleiderfabrik Hüpen vorgenommen.

Hauptsächlich wohl in Auswirkung des Erlasses des Herrn Reichs- und Preußischen Ministers des Innern vom 20.8.1935 betr. Verhinderung von Ausschreitungen haben die Boykottmaßnahmen und Einzelaktionen gegen Juden und jüdische Geschäfte stark nachgelassen. Über vorgekommene Aktionen ist Folgendes zu berichten: Im Stadtteil Essen-Borbeck wurden die Schaufensterscheiben der jüdischen Geschäfte mit handgeschriebenen Zetteln und Plakaten wie „Jud und Kommune gehen Hand in Hand, drum schickt sie ins gelobte Land“, „Kauft nicht bei Rassenschändern“, „Die Not des Volkes ist des Juden Schuld“ usw. beklebt. Auf den Bürgersteigen vor diesen Geschäften sowie am Marktplatz wurden in Balkenschrift Aufschriften wie „Juda verrecke“, „Deutsche, kauft nicht bei Juden“, angebracht. In Steele, Opladen und in anderen kleineren Orten waren in den Stürmer-Kasten bezw. Aushängekästen der NS.-Hago Lichtbilder von Käufern in jüdischen Geschäften angebracht. Die Entfernung ist inzwischen veranlaßt worden.

In der Nacht zum 8.9.1935 wurden vor mehreren jüdischen Häusern in der Stadt Wesel die Straßen und der Bürgersteig mit Inschriften „Judenknecht“ usw. verunreinigt. Die Täter, alte Parteigenossen, wurden wegen dieses disziplinwidrigen Verhaltens von dem Ortsgruppenleiter in Wesel im Schnellverfahren aus der Partei ausgeschlossen.

In der Zeit vom 5. bis zum 16.9.1935 wurden im Stadtteil Duisburg-Meiderich die Schaufenster von 4 Jüdischen Geschäften eingeworfen. Sämtlich Fälle eigneten sich während der Dunkelheit zwischen 22 und 23 Uhr. Der Sachschaden, der durch Versicherung gedeckt ist, beträgt ca. 1200.- RM. Als Täter kommt ein bisher nicht ermittelter Radfahrer in Zivil in Frage.

Über die jüdischen Versammlungen ist Folgendes zu berichten: Bei der am 18.9.1935 vom Verband Jüdischer Frauen für Palästina-Arbeit, Ortsgruppe Essen, stattgefundenen Versammlung sprach Frau Helene Hanna Thon, Jerusalem, über das Thema „Die jüdische Frau im Alltag Palästinas“. Von der Rednerin wurden die klimatischen, wirtschaftlichen und kulturellen Verhältnisse in Palästina einer anschaulichen Erörterung unterzogen, wobei auch die Frage der Bodenspekulation   wie sie bereits bei jüdischen Einwanderern vorgekommen sei     erwähnt wurde. Die Rednerin machte die Anwesenden darauf aufmerksam, nicht unvorbereitet nach Palästina auszuwandern, da es sehr schwer sei, dort Fuß zu fassen. Die Versammlung war von etwa 400 Personen besucht.

Der jüdische Lehrerverband Rheinland und Westfalen, Ortsgruppe Mülheim a.d. Ruhr, hielt eine Versammlung ab, in der Rabbiner Dr. Neumark, Duisburg, über das Buch der Richter, Kap. 1 aus der Heiligen Schrift sprach. Weiter veranstaltete die zionistische Ortsgruppe in Mülheim/Ruhr einen Vortragsabend, der ausschließlich den Problemen der Zukunft der jüdischen Jugend gewidmet war. Die Redner, Jehuda Kaufmann, Köln, und Helmut Neumann, Essen, schilderten das Aufbauwerk der jüdischen Jugend in Palästina. Sie richteten an die anwesenden Eltern den Appell, für die Zukunft für ihre Jugend in der Weise zu sorgen, daß sie durch frühzeitige Erziehungsmaßnahmen die für die Auswanderung nach Palästina notwendige Vorarbeit leisten sollen. In diesem Zusammenhang richteten die Redner an die Versammlungsteilnehmer die Bitte, bei der kommenden Palästina-Bodenfonds-Aktion es nicht an der nötigen Unterstützung fehlen zu lassen.

Unter den Juden erweckten insbesondere die letzten Zionistenkongresse in Luzern und Amsterdam naturgemäß lebhaftes Interesse. Dies war vor allem bei zwei im Berichtsmonat stattgefundenen äußerst gut besuchten Vortragsabenden festzustellen, wobei sich als stark werbend die Tatsache erwies, daß beide Vortragende, Dr. Josephtal und die Ehefrau Thon, die bei der Einwanderungskommission in Palästina den Posten einer Beraterin ausübt, Teilnehmer dieser Kongresse waren. Für die Beurteilung der Wirksamkeit der deutschen Rassepolitik dürfte von Interesse sein, daß der Redner mehrfach in seinen Ausführungen darauf hinwies, daß im Ausland mehr und mehr das Verständnis für die Notlage der Juden in Deutschland schwinde und sie sich infolgedessen nur durch eigene Initiative helfen könnten.

Die Entfernung der Juden aus dem geselligen, kulturellen und sportlichen Leben macht weiter Fortschritte. Einzelne Stadtverwaltungen haben durch Zuweisung einer eigenen Turnhalle dafür gesorgt, daß die Juden eine Möglichkeit haben, beim Sport unter sich zu bleiben. Das beginnende Winterhalbjahr macht sich insofern bemerkbar, als allenthalben die internen Veranstaltungen wie Sprachkurse, Gebetsstunden, Schulungsabende usw. wieder angekündigt und abgehalten werden.

Mehrere Juden wurden in der Berichtszeit wegen ihrer rasseschänderischen Bet[ätigung] in Schutzhaft genommen, jedoch inzwischen auf Grund des Erlasses vom 18.9.1935   II 1 B 2 1194/35   aus der Schutzhaft wieder entlassen.

Besonders bemerkenswert für die Einstellung des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens ist die Tatsache, daß die Ortsgruppe Essen an die unterstellten Ortsgruppen folgendes Rundschreiben versandt hat.

Betrifft: Mitglieder Enquete

Der Fragebogen der Staatspolizeistelle für die Aufstellung der Mitgliederverzeichnisse ist im Hinblick auf die Ihnen bekannte Namens- und Zweckänderung des CV in der Rubrik „jüdisch-politische Einstellung“ „neutral“ auszufüllen.

In vorzüglicher Hochachtung
Centralverein
Dr. Plaut“

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