Die Gestapo Düsseldorf berichtet
Die Gestapo Düsseldorf berichtete über den Monat Juni 1935:
„Im Gegensatz zu den Vormonaten ist ein starkes Nachlassen der Veranstaltungen jüdischer Organisationen festzustellen. Die Zurückhaltung ist wohl in der Hauptsache auf die Pfingstfeiertage und auf den Beginn der Ferienzeit zurückzuführen.
Wiederholt ist schon in den Berichten der Vormonate auf das Verhalten der Bevölkerung gegenüber jüdischen Geschäften hingewiesen worden. Die weiteren Beobachtungen haben erkennen lassen, daß die Geschäfte der Juden einen wachsenden Zulauf aus allen Kreisen der Bevölkerung hatten. Regelmäßig vor den Feiertagen sind die jüdischen Kaufhäuser für Bekleidungssachen aller Art besonders stark überfüllt. Bezüglich der Einheitspreisgeschäfte „Epa“ u.a. wird immer wieder festgestellt, daß diese Häuser besonders von Arbeitern und Erwerbslosen beim Einkauf von Lebensmitteln und Haushaltungswaren wegen der billigen Preise bevorzugt werden. Hier kann nur immer wieder Aufklärung allmählich Wandel schaffen.
In den Kreisen der jüdischen Frontsoldaten wird die Nichtzulassung der Juden zum Wehrdienst mit einem Gefühl der Bitterkeit empfunden. Nach Auskunftserteilung der Musterungskommission haben die Juden, soweit sie den Jahrgängen 1914/15 angehören, der Gestellungsaufforderung Folge geleistet. Vereinzelt sind auch freiwillige Meldungen zum aktiven Wehrdienst vorgekommen.
Über die jüdischen Veranstaltungen ist folgendes zu berichten:
Bei der am 11.6.1935 stattgefundenen Versammlung der Zionistischen Ortsgruppe Essen waren etwa 400 Personen, zur Hälfte Frauen und Jugendliche im Alter von 16-20 Jahren anwesend. Der Redner, Assessor Georg Guthmann aus Frankfurt, sprach über die wirtschaftlichen Verhältnisse in Palästina und zeigte, wie trotz aller Schwierigkeiten der Aufbau des Landes unaufhaltsam fortschreite. In diesem Rahmen wies er schliesslich auf die Bedeutung der Scheckelaktion hin, die zur Unterstützung im gegenwärtigen Moment das Bekenntnis zum Aufbau der nationalen Heimstätte bedeute. Dieses Land sei Palästina und die Zionisten seien diejenigen, die bei den noch abseits stehenden Juden werbend wirken müssten. Weiter fand in Essen eine Versammlung jüdischer Rabbiner und Lehrerinnen statt, die von etwa 43 Personen besucht war. Die beiden Redner, Dr. Neumark aus Duisburg und Rektor Buchheim aus Dortmund, begründeten in ihren Reden die Notwendigkeit einer Arbeitsgemeinschaft. Aus ihren Ausführungen war zu entnehmen, dass es heute für die jüdischen Lehrpersonen eine Pflicht sei, die neue hebräische Sprache zu erlernen, damit sie auch der Schuljugend vermittelt werden könnte. Auch sei es erforderlich, dass das Land Palästina mehr bekannt würde, damit seine Vorzüge im Schulunterricht in lebendiger Form vorgetragen werden könnten. Es wurde beschlossen, eine Arbeitsgemeinschaft zu gründen mit kleineren Arbeitsgemeinschaften in Duisburg, Dortmund, Hamm, Bielefeld, Köln, Koblenz usw.. Ein oder zweimal im Jahre soll dann in einer jeweils zu bestimmenden Stadt die grosse Arbeitsgemeinschaft zusammentreten.
Von besonderer Bedeutung ist ein bei der Postkontrolle in Essen erfasster Brief an Gerhard Orgler, Gauleiter des Bundes deutsch-jüdischer Juden, der einen Vortrag enthält, der von Orgler offensichtlich zur Werbung für den Bund deutsch-jüdischer Juden ausgearbeitet worden ist. Er lässt die Ziele des Bundes als auf das Verbleiben der Juden in Deutschland unter Erringung wirtschaftlicher und geistiger Selbständigkeit eindeutig erkennen. Der Bund ist also der völkischen Anschauung und der amtlichen Politik restlos entgegengesetzt eingestellt.
In Wuppertal-Elberfeld hat sich am 12.6.1935 eine Ortsgruppe des jüdischen Frauenverbandes für Palästinaarbeit gebildet, die ca. 100 Mitglieder zählt und dem jüdischen Frauenverband für Palästinaarbeit in Berlin angeschlossen ist. Zweck und Ziel des Verbandes sind die Ausbildung der jüdischen Frauen und Mädchen für Land- und Hauswirtschaft in Palästina.
Der jüdische Sportverein „Hakorah“ in Wuppertal-Barmen hielt am 30.6.1935 ein Sportfest ab, das von 150 Sportlern und 250 Zuschauern besucht war. Die arische Bevölkerung nahm von der Veranstaltung kaum Notiz.
Die zionistische Ortsgruppe Oberhausen hielt am 18.6.1935 in der Synagoge in Oberhausen eine Versammlung ab, in der Dr. Markus über die Eindrücke auf seiner Palästinareise sprach. Er erklärte, dass für die Zionisten günstige Entwicklungsmöglichkeiten in Palästina beständen, wenn auch harte Arbeit dafür erforderlich sei. In der Wiedervereinigung des jüdischen Volkes auf eigenem Boden und in der Festigung des nationalen Zusammengehörigkeitsgefühls, sah der Redner die einzige Möglichkeit, dass das jüdische Volk endgültig einmal zur Ruhe komme. Zum Schlusse streifte dann Markus noch kurz die Regierungsform in Palästina, wobei er erwähnte, dass das Judentum mit der englischen Regierungsform einverstanden sein könne.
Im letzten Monat wurde in einer Reihe von Orten mit grossem Erfolge Aufklärungsversammlungen über die Arbeit des Judentums abgehalten. Die Teilnehmer an den Versammlungen wurden von den Rednern regelmässig ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sie sich jeder Gewalttätigkeit und Einzelaktionen gegen Juden zu enthalten hätten, da sie durch derartige Massnahmen nur das Ansehen der nationalsozialistischen Bewegung schädigen würden. Nachdem schon im vorigen Monat im Anschluss an eine Aufklärungsversammlung in Grevenbroich in einigen jüdischen Geschäftshäusern Scheiben eingeworfen worden waren, wurde auch in diesem Monat mehrfach über ähnliche Ausschreitungen berichtet. Besonders stark war die Boykottätigkeit gegen die Juden in Rheydt, woran sich hauptsächlich Angehörige der SA. beteiligten. So z.B. drangen in den Nachtstunden 7 SA.-Männer zum grössten Teil in Uniform, in den .jüdischen Friedhof in Rheydt ein, wo sie 8 Grabsteine umwarfen, mehrere Bäume absägten und den auf der Friedhofshalle angebrachten Davidstern herunterrissen. Die Tür der Leichenhalle wurde mit folgenden Aufschriften versehen: „Juda, du Teufel, du Talmudjude, Juda, du Schänder, Juda verrecke usw.“ Besonders bemerkenswert ist, dass einer der Beteiligten, der Angehöriger der freiwilligen Feuerwehr in Rheydt ist, die motorisierte ausziehbare Feuerwehrleiter der freiwilligen Feuerwehr Rheydt herbeischaffte, um hiermit den Davidstern von der Leichenhalle herunterzuholen. Die Täter sind ermittelt.
In den folgenden Nächten wurden in Rheydt noch verschiedene jüdische Geschäfte mit weisser Farbe beschmiert und die Schaufensterscheiben eines jüdischen Geschäftes zertrümmert.
Zu einem besonders scharfen gewaltsamen Vorgehen von 5 SA.-Männern gegen einen jüdischen Lebensmittelhändler kam es in Rheydt, als bekannt wurde, dass der jüdische Lebensmittelhändler Simons in einer ganz unerhörten Art und Weise durch betrügerische Machenschaften zahlreiche Volksgenossen übervorteilt hätte. Es ist festgestellt worden, dass den Käufern Madenkäse, Madenspeck und stark verdorbene Lebensmittel verabfolgt worden sind. Weiter haben die Geschäftsinhaber billige Lebensmittel, wie vor allen Dingen Margarine, durch Umpacken und Umbenennung als Markenware zu erheblich teureren Preisen verkauft. Ein Strafverfahren ist eingeleitet. Der Sohn des Geschäftsinhabers ist geflüchtet. Als diese Tatsache in der Stadt bekannt und durch die Zeitungen verbreitet wurde, drangen in der Nacht 5 SA.-Männer in Uniform in die Wohnung des Simons ein und demolierten zum Teil die Wohnungseinrichtung. Die Witwe Davis, die Schwiegertochter des Simons, wurde, als sie um Hilfe rief, zurückgerissen und misshandelt. Ein Strafverfahren schwebt. Sämtliche an den Boykottmassnahmen beteiligten SA.-Männer wurden bis zur Aburteilung durch die SA.-Gerichtsbarkeit beurlaubt.“