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Chronik und Quellen
1935
Mai 1935

Die Gestapo Düsseldorf berichtet

Die Gestapo Düsseldorf berichtete über den Monat Mai 1935:

„Übereinstimmend war festzustellen, daß der 1. Mai dieses Jahres in seltenem Ausmaße von allen Schichten der Bevölkerung gefeiert worden ist. Unmittelbar nach dem 1. Mai setzte, hervorgerufen durch einen Artikel im „Stürmer“ gegen den Juden Hugo Wilhelm, Besitzer einer ganzen Reihe offener Schokoladen- und Lebensmittelgeschäfte in Düsseldorf und anderen Städten des Bezirkes, eine Boykottaktion ein, die sich sehr bald auf die übrigen jüdischen Geschäfte ausdehnte. Da der Boykott durch Beschmieren der Schaufenster mit judenfeindlichen Losungen Formen annahm, die mit Rücksicht auf den starken Ausländerverkehr unklug und unzweckmäßig erschienen, wurde er von weiten Kreisen der Bevölkerung abgelehnt. Auch zeigte sich, daß die Ansammlungen vor den jüdischen Geschäften als willkommener Anlaß von staatsfeindlichen Elementen benutzt wurde, um gegen Staat und Bewegung zu hetzen. Es ist Aufgabe der Parteistellen, die Volksgenossen durch sachgemäße Aufklärung und Schulung dahingehend zu erziehen, daß sie in Erkenntnis der Schädlichkeit des Weltjudentums aus sich heraus jedes jüdische Geschäft meiden.“

„Im Berichtsmonat ist die jüdische Vereinstätigkeit nur wenig in Erscheinung getreten. Lediglich in Essen entfalteten die Juden in der Abhaltung von Versammlungen eine ziemliche Aktivität. Dort haben durchschnittlich wöchentlich 3 Veranstaltungen verschiedener jüdischer Organisationen stattgefunden. In der Versammlung wurden vorwiegend die Fragen der Auswanderung nach Palästina behandelt. In einer Frauenversammlung der zionistischen Ortsgruppe bemerkte die Rednerin, Frau Cohn, zu diesem Thema, daß es Pflicht der jüdischen Frau sei, die Jugend für Palästina vorzubereiten. Außerdem wurde auf den Mangel an geschultem Lehrpersonal für Haus- und Landwirtschaft in Palästina hingewiesen und die Anwesenden zur Beseitigung dieses Übelstandes durch hilfreiche Mitarbeit aufgefordert. Von der Rednerin wurde vorgeschlagen, im Monat Juni eine Werbeveranstaltung für den Frauenbund abzuhalten, um neue Mitglieder zu gewinnen, damit der zionistische Gedanke immer mehr vorbreitet werde.

Über das Thema „Jüdische Ärzte und Naturforscher“ sprach Frau Professor Selma Meyer, Düsseldorf. Die Rednerin versuchte den Beweis zu führen, daß die jüdischen Wissenschaftler die Pfadfinder auf dem Gebiete der Heilkunde seien. Desgleichen werde die Erfindung des Radios, des Automobils und des Luftschiffes Nichtariern zugeschrieben. In einer Versammlung der jüdischen Rabbiner, Lehrer und Lehrerinnen von Rheinland und Westfalen wurde von den Rednern Dr. Neumark, Duisburg, und Rektor Buchheim, Dortmund, für die Gründung einer Arbeitsgemeinschaft Propaganda gemacht. Es wurde ausgeführt, daß es heute für die Lehrpersonen Pflicht sei, die neue hebräische Sprache zu erlernen, damit diese auch der Jugend vermittelt werden könne. Auch sei es erforderlich, der Jugend die Vorzüge Palästinas in lebendiger Form vorzutragen, damit die heutige Jugend an Palästina Gefallen finde. Die Gründung einer Arbeitsgemeinschaft mit kleinen Ortsgruppen in Essen, Duisburg, Dortmund usw. wurde beschlossen.

Über die Tagung des Rabbinerverbandes in Berlin referierte Dr. Hahn, Essen, in einer Mitgliederversammlung der Glückauf-Vereinigung. Neuerdings wird auch die Jugendwerbung mit allem Nachdruck betrieben. Auf einer in Essen stattgefundenen Tagung des Landesverbandes für Rheinland und Westfalen wurden von den Vertretern der erschienenen Ortsgruppen Anregungen gegeben über Art der Werbung und Zweck und Ziel der Zusammenfassung aller jüdischen Jungmänner und Jungmädchen. Zur Erzielung einer einheitlichen Erziehung der jüdischen Jugend sollen sogenannte Rundbriefe versandt werden. Dr. Salomon, Köln, ermahnte die Jugend, nicht nur nach Haltung zu streben, sondern die religiöse Vertiefung als Richtschnur nicht zu vergessen. Hervorzuheben ist die Äußerung: „Es stehe im übrigen nicht fest, ob die kulturellen Belange für die bündische Jugend gesichert seien; es bestehe vorläufig nur die Hoffnung, sich im Rahmen der Jugend frei von jedem liberalistischen Überbleibsel kulturell und in der Erziehungsfrage im alten Heim – Deutschland – zu betätigen.“

Auf einer Versammlung der zionistischen Ortsgruppe in M.-Gladbach gab der Rabbiner Dr. Eschelbacher aus Düsseldorf bekannt, daß eine größere Zahl von Mitgliedern aus dem Zionisten-Verband ausgetreten sei. Aus Deutschland seien inzwischen 100-120 000 Juden in Palästina eingewandert, die auch dort zum größten Teil Arbeit gefunden hätten. Der Redner war bemüht, den Anwesenden die Schönheit Palästinas zu schildern und sie darauf vorzubereiten, daß es am schönsten sei, in der eigenen Heimat ruhig leben und sterben zu können.

Die zionistische Ortsgruppe Mülheim-Ruhr hatte sich am 22.5.1935 in ihrem Heim zusammengefunden zu einem Vortrage des Dr. Wassermann, Berlin, über das Thema: „Die Lage der Juden in Deutschland“. Wassermann, der ein eifriger Förderer der Auswanderung nach Palästina ist, machte den Zuhörern, besonders der jüdischen Jugend, klar, daß jetzt die goldene Zeit für die Juden in Deutschland vorbei sei, und man deshalb andere Wege suchen müsse, um der Jugend eine gesicherte Zukunft zu geben.

In Oberhausen hielt die zionistische Ortsgruppe in der Synagoge eine Versammlung ab, in der Amtsrichter Dr. Otto May, Köln, das Thema „Palästina im Spiegel der Weltpolitik“ behandelte. Der Redner zeigte in einem längeren Vortrag die weltgeschichtliche Stellung Palästinas in der Vergangenheit, den Kampf der Völker um dieses Gebiet und dessen Verschwinden aus der Weltpolitik. Weiter führte er aus, daß durch die Entwicklung des Motors und der Luftfahrt, die den uralten Handelsweg vom Abendlande nach Indien wieder mehr auf den Landweg verlegen werde, Palästina eine wichtige Rolle spiele. Er schilderte ferner die Aussichten auf eine günstige wirtschaftliche Entwicklung Palästinas, so daß man sich die Gelegenheit, die sich jetzt biete, nicht vorübergehen lassen dürfe.

In Remscheid fand eine Versammlung der zionistischen Ortsgruppe statt, die nur von 30 Personen besucht war. Als Hauptredner sprach Dr. Capell, Düsseldorf, zu dem Thema: „Um die Zukunft des Palästina-Ausbaues und der Zionisten-Organisation – ein Appell an das deutsche Judentum“.

Von Interesse ist die Tatsache, daß die Anmeldungen zu der jüdischen Volkschule in Düsseldorf derart zahlreich eingelaufen sind (200 Kinder), daß sogar Raumschwierigkeiten entstanden sind. Es ist nunmehr beabsichtigt, die Religionsschule in den Privaträumen des Rabbiners Dr. Eschelbacher unterzubringen. Die jüdische Volksschule in Wesel dagegen ist am 1. April wegen zu geringer Schülerzahl aufgelöst worden. Die jüdischen Kinder haben in den katholischen Schulen Aufnahme gefunden.

Insbesondere in der ersten Woche des Berichtsmonats war in verschiedenen Städten, insbesondere in Düsseldorf, ein starker Boykott der jüdischen Geschäfte zu verzeichnen. Der in der Nr. 18 des „Stürmer“ erschienene Artikel über den Juden Hugo Wilhelm in Düsseldorf gab Anlaß zu einem allgemeinen Boykott sämtlicher jüdischer Geschäfte in Düsseldorf. Nachdem zuerst nur die Läden des Wilhelm mit Farbe bemalt und mit Papierschildern beklebt wurden, ging man später dazu über, sämtliche jüdischen Geschäfte entsprechend zu bemalen. Vor allen jüdischen Geschäften sammelten sich Menschen an, so daß ein Teil dieser Geschäfte von den Inhabern vorsichtshalber geschlossen wurde. Da, wie bereits erwähnt, linksradikale Elemente diese Ansammlungen dazu benutzten, um gegen Staat und Bewegung zu hetzen, hat der Polizeipräsident die Unterbindung solcher Ansammlungen durch starke Schutzpolizeistreifen durchführen lassen. In weiterer Auswirkung des Artikels des „Stürmer“ kam es auch vor den Geschäften des Hugo Wilhelm in Essen zu demonstrativen Ansammlungen. Zu Zusammenstößen ist es nicht gekommen. Auch in Duisburg, wo sich auch einige Geschäfte des Hugo Wilhelm befinden, kam es zu größeren Menschensammlungen, die von der Polizei zerstreut wurden. In fast sämtlichen Städten und Ortschaften meines Bezirks wurden die Schaufenster der jüdischen Geschäfte mit Zetteln mit folgenden Inschriften beklebt: „Die Juden sind ein geiziges und habgieriges Volk. Sie stecken die anderen mit ihrem Geiz an“, „Der Jude muß hinaus“, „Kauft nicht bei Juden“, „Warum haben die Juden Geld und die anderen nicht?“, „Der Jude ist der geborene Umstürzler“, „Wer bei Juden kauft, ist ein Volksverräter“ und „Gibt’s schwere Arbeit, Schweiß und Pflicht, da suchst du vergebens ein Judengesicht.“

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