Tagebucheintrag von Daniel Lotter aus Fürth
Daniel Lotter erwähnt am 20. Januar 1943 in seinem Tagebuch Gerüchte, dass deportierte Juden durch Giftgas ermordet würden:
Roosevelt hielt eine Rundfunkansprache, deren Inhalt dem deutschen Volke wie üblich vorenthalten wurde. Einige positive Angaben brachte die „Frankfurter“. Nach ihnen wurden im abgelaufenen Jahr 56.000 Panzer- und Sturmgeschütze, 670.000 Maschinengewehre und 21.000 Panzerabwehrgeschütze in den U.S.A. hergestellt. Für das Jahr 1943 ist die Fabrikation von 48.000 Flugzeugen geplant. Der Gesamtbestand des amerikan. Heeres belaufe sich auf 7 Millionen, wovon 1½ Millionen im Ausland eingesetzt seien. Das sind Zahlen, bei denen man ein leichtes Gruseln bekommen kann, und es ist begreiflich, daß sie in der breiten Öffentlichkeit nicht breitgetreten werden. (…)
Zustände im Lande verschlimmern sich mehr und mehr. Goebbels bemüht sich im Schweiße seines Angesichts, die Stimmung zu halten, aber die immer stärker und drastischer werdende Redeweise beweist, daß er seiner Sache nicht mehr ganz sicher ist. Auch die immer schärfer werdenden Gerichtsurteile deuten auf eine kritisch werdende Lage hin.
Ein Pfarrer, der seinem Zweifel an der Gewißheit unseres Endsieges Worte verlieh, erhielt 9 Monate Gefängnis. Geradezu empörend ist es, daß ein Mann, der gegenüber russischen Gefangenen eine freundliche Gesinnung hegte, vor das berüchtigte Sondergericht gestellt wurde. Für einen Akt der Menschlichkeit erhielt er lt. eingeklebtem Ausschnitt 1 Jahr und 4 Monate Zuchthaus und die Zeitungen werden gezwungen, solche Justizverbrechen unter der Überschrift „Gerechte Urteile“ abzudrucken.
Auch der Kampf gegen die Kirche geht, wenn auch einigermaßen getarnt, weiter. Während die zahlreichen Kinos und Theater genügend Kohlen bekommen, besteht für die Kirchen ein Heizverbot. Gesangbücher und Bibeln dürfen wegen Papiermangel nicht mehr gedruckt werden.
Im Radio sagte neulich ein Sprecher unverhohlen, daß von Juden geschriebene Bücher über jüdische „Heldentaten“ keine geeignete Lektüre für deutsche Menschen seien. Was kann er anderes damit gemeint haben als die Bibel. Daß wir ohne Christentum wieder in die fürchterlichste Barbarei versinken werden und zum guten Teil schon drinstecken, scheint diesen Leuten nicht klar zu sein.
Ein neulich im Urlaub hier weilender Pfarrer fragte mich, ob ich auch schon davon gehört hätte, daß man ganze Eisenbahnzüge mit armen zusammengepferchten Juden einfach vergast hätte. Ich mußte zur Antwort geben, daß ich von solchen und anderen entsetzlichen Mordtaten an diesen armen Menschen schon wiederholt von glaubwürdiger Seite gehört hätte, daß ich mich aber sträube, diese Greuelnachrichten zu glauben. Gestern erzählte mir nun ein Jurist, daß in einem plombierten Eisenbahnwagen beförderte Juden flehentlich, aber erfolglos um Wasser gebeten hätten. Beim Öffnen des Wagens fielen dem Zugpersonal die Leichen der gemarterten und erstickten Juden entgegen. Solche Nachrichten werden von Mund zu Mund weiter verbreitet - und geglaubt.