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Chronik und Quellen
1942
Dezember 1942

Aktenvermerk zur Finanzierung der Maßnahmen zur Lösung der Judenfrage

Referent Maedel aus dem Reichsfinanzministerium fasst am 14. Dezember 1942 zusammen, wie die „Endlösung“ durch die Enteignung der Juden finanziert wird:

Vermerk

A. Tatbestand

Der Reichsmarschall hat den Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei vor längerer Zeit beauftragt, die Maßnahmen vorzubereiten, die der Endlösung der europäischen Judenfrage dienen. Der Reichsführer-SS hat mit der Durchführung der Aufgaben den Chef der Sicherheitspolizei und des SD betraut. Dieser hat zunächst durch besondere Maßnahmen die legale Auswanderung der Juden nach Übersee gefördert. Als bei Ausbruch des Krieges die Auswanderung nach Übersee nicht mehr möglich war, hat er die allmähliche Freimachung des Reichsgebietes von Juden durch deren Abschiebung nach dem Osten in die Wege geleitet. In der letzten Zeit sind außerdem innerhalb des Reichsgebietes Altersheime (Altersghettos) zur Aufnahme der Juden z. B. in Theresienstadt errichtet worden. Wegen der Einzelheiten Hinweis auf den Vermerk vom 21. August 1942. Die Errichtung weiterer Altersheime in den Ostgebieten steht bevor. Der Chef der Sicherheitspolizei und des SD bedient sich zur Durchführung seiner Maßnahmen im wesentlichen der „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“ dir durch die Zehnte Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 4. Juli 1939 (RGBl. I S 1097) geschaffen worden ist. Die Reichsvereinigung untersteht gemäß § 4 dieser Verordnung der Aufsicht des Reichsministers des Innern. Praktisch wird jedoch die Aufsicht ausschließlich durch den Chef der Sicherheitspolizei und des SD ausgeübt.

Die Finanzierung der zum Teil außerordentlich kostspieligen Maßnahmen ist bisher ohne Inanspruchnahme von Haushaltsmitteln durchgeführt worden. Die Mittel sind auf verschiedene Weise beschafft worden.

a.) Altreich

Die Reichsvereinigung hat durch Rundschreiben vom 3. Dezember 1941 ihre für die Abschiebung nach dem Osten vorgesehenen Mitglieder aufgefordert, mindestens 25 v.H. ihrer flüssigen Mittel vor der Abschiebung als Spende an die Reichsvereinigung abzutreten. Die Spenden sind nach Ziffer 2 des Rundschreibens für die Ausrüstung der Transporte mit Lebensmitteln und Geräten bestimmt. Das Verfügungsrecht über die Spendenmittel steht den Bezirksstellen der Reichsvereinigung der Juden zu, die der Reichsvereinigung in Berlin Rechnung legen. Es ist nicht zu bezweifeln, daß auch die Kosten der Transporte und die mit der Abschiebung im Zusammenhang stehenden sonstigen Aufwendungen aus diesen Spendenmitteln bestritten werden. Die Staatspolizeistellen sind zwar nicht berechtigt, über die Spendenmittel zu verfügen. Aus gelegentlichen Unterhaltungen mit Vertretern des Reichssicherheitshauptamts ist jedoch zu entnehmen, daß die Staatspolizeistellen tatsächlich auf die Verwendung der Mittel weitgehend Einfluß nehmen (Bezahlung der Transportkosten usw.). Ein Nachweis dafür läßt sich jedoch nicht erbringen. Die gesamte finanzielle Gebarung der Reichsvereinigung unterliegt ausschließlich der Aufsicht des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD.

Die auf diese Weise aufgekommenen Mittel reichen offenbar in den letzten Monaten angesichts der wachsenden Zahl der abzuschiebenden Juden nicht mehr aus. Der Aufbau des Altersghettos Theresienstadt erforderte außerdem hohe Aufwendungen. Theresienstadt ist von der tschechischen Bevölkerung völlig geräumt und zur Aufnahme von etwa 80.000 Juden hergerichtet worden. Für den Lebensunterhalt der Juden im Altersghetto sind erhebliche Mittel erforderlich, umso mehr, als auch Juden aufgenommen werden, die völlig mittellos sind. Die Reichsvereinigung hat deshalb auf Weisung des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD neue Wege der Finanzierung beschritten. Es wird das folgende Verfahren angewendet:

Der für die Umsiedlung nach Theresienstadt bestimmte Jude schließt mit der Reichsvereinigung der Juden einen Vertrag über seine Aufnahme in das Altersghetto Theresienstadt (Heimeinkaufsvertrag). Abschrift eines solchen Heimeinkaufsvertrags ist beigefügt. Durch diesen Vertrag verpflichtet sich die Reichsvereinigung, den Juden bis an sein Lebensende in Theresienstadt zu unterhalten. Der Jude überweist als Gegenleistung der Reichsvereinigung sein aus Bargeld, Bankguthaben, Wertpapieren und Forderungen bestehendes Vermögen. Die der Reichsvereinigung auf diese Weise zufließenden Mittel werden an den Judenältesten in Theresienstadt überwiesen. Die in Theresienstadt lebenden Juden sind berechtigt, in bestimmtem Rahmen über ihr Guthaben zu verfügen. Wegen der Einzelheiten Hinweis auf den beiliegenden Vermerk einer Besprechung mit SS-Sturmbannführer Suhr am 30. September 1942.

b.) Alpen und Donaureichsgaue

Zur Förderung der jüdischen Auswanderung in den Alpen- und Donaureichsgauen besteht die Zentralstelle für jüdische Auswanderung in Wien. Die Zentralstelle für jüdische Auswanderung bedient sich zur Durchführung der finanziellen Maßnahmen des „Auswanderungsfonds Wien“, der eigene Rechtspersönlichkeit besitzt. Die Zentralstelle für jüdische Auswanderung erhält ihre Weisungen vom Chef der Sicherheitspolizei und des SD. Juden, denen die Abwanderung gestattet war oder die nach Kriegsausbruch für die Abschiebung in den Osten vorgesehen waren, haben in zahlreichen Fällen der Zentral-tejle eine sogenannte „Sondervollmacht“ erteilt, durch die der Zentralstelle die Verfügungsberechtigung über ihr gesamtes Vermögen übertragen wurde. Der Auswanderungsfonds Wien hat die ihm auf diese Weise zugefallenen Vermögenswerte nach «einem Ermessen verwertet. Die Erlöse sind zur Finanzierung der eingangs dargestellten Maßnahmen verwendet worden.

c) Protektorat Böhmen und Mähren

Im Protektorat Böhmen und Mähren ist auf Grund einer Verordnung des Reichsprotektors vom 5. März 1940 (Verordnungsblatt Nr. 11) die „Zentralstelle für jüdische Auswanderung in Prag“ geschaffen worden.14 Vermögensträger der Zentralstelle ist nach §5 der Verordnung „Der Auswanderungsfonds für Böhmen und Mähren“. Die Zentralstelle kann nach einer Verordnung des Reichsprotektors vom 12. Oktober 1941 (Verordnungsblatt Nr. 51) die Abwicklung des Vermögens auswandernder Juden übernehmen, „wenn das bei ihr vom Verfügungsberechtigten in einer Niederschrift beantragt wird“. Die Zentralstelle Prag übernimmt auf diesem Weg auch die Verwaltung und Verwertung des Vermögens abgeschobener Juden. Die auf diese Weise anfallenden Mittel werden auf Weisung des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD zur Finanzierung der von ihm getroffenen Maßnahmen verwendet.

B. Stellungnahme

Bei der Beurteilung der Frage, inwieweit die Belange des Reichs durch die Maßnahmen des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD berührt werden, ist zwischen den zwei verschiedenen Wegen der Finanzierung zu unterscheiden:

1. In der einen Gruppe von Fällen werden Vermögenswerte nicht eingezogen, sondern den Juden belassen. Die den Juden belassenen Vermögenswerte werden nicht Reichsvermögen. Der Reichsminister der Finanzen hat keinen Einfluß darauf, ob Vermögenswerte zugunsten des Reichs eingezogen werden oder nicht. Die Verantwortung für die Verwendung der im Eigentum der Juden verbleibenden Mittel trifft demgemäß ausschließlich den Chef der Sicherheitspolizei und des SD. Von Bedeutung kann die Verwendung dieser Mittel nur dann werden, wenn die unbeweglichen Vermögenswerte des Juden, die zugunsten des Reichs eingezogen werden, überschuldet sind. In diesem Fall würde eine Schädigung der arischen Gläubiger eintreten können, weil die in die Verfügungsgewalt des Reichs gelangten Vermögenswerte zur Befriedigung der Gläubiger nicht ausreichen. Denkbar ist, daß in solchen Fällen durch Vereinbarung mit dem Chef der Sicherheitspolizei und des SD sichergestellt wird, daß die Schulden anteilig auf das nicht eingezogene und das eingezogene Vermögen verteilt werden.

2. In der zweiten Gruppe von Fällen verfügen die Juden auf Veranlassung der Reichsvereinigung vor der Einziehung ihres Vermögens über gewisse Vermögenswerte. Die von der Reichsvereinigung im Auftrag des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD angeordneten Maßnahmen beruhen auf der Erwägung, daß der Jude mit Genehmigung der Devisenstelle über sein Vermögen verfügen kann, solange es nicht zugunsten des Reichs eingezogen oder verfallen ist. Die erforderlichen Genehmigungen werden auf Antrag der Reichsvereinigung von den Devisenstellen erteilt. In rechtlicher Hinsicht ist deshalb gegen dieses Verfahren nichts einzuwenden. Vermögenswerte, über die der Jude kurz vor seiner Abschiebung verfügt, werden aber auf diese Weise dem Zugriff des Reichs entzogen. Es ist nicht möglich, auch nur annähernd den Umfang der Werte zu schätzen die auf diese Weise der Einziehung oder dem Verfall zugunsten des Reichs entgehen. Es kann aber nicht zweifelhaft sein, daß es sich um beträchtliche Werte handelt.

Der Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei ist offenbar der Auffassung, daß die von ihm eingeschlagenen Wege der Finanzierung durch den besonderen Auftrag des Reichsmarschalls gedeckt sind. Er hat in einem von dem verstorbenen SS-Obergruppenführer Heydrich unterzeichneten Schreiben vom 2. April 1942, gerichtet an die Staatspolizeileitstellen, ausgeführt, daß „Vermögen der Reichsvereinigung nunmehr vor allen Dingen der Endlösung der europäischen Judenfrage diene, weswegen darauf Bedacht genommen werden müßte, daß genügend Vermögenswerte für diesen Zweck zur Verfügung stehen, damit Reichsmittel hierfür nicht in Anspruch genommen zu werden brauchen. Aus diesem Grunde ist es nicht mehr schlechthin als jüdisches, sondern letzthin als ein bereits für Zwecke des Deutschen Reichs gebundenes Vermögen zu betrachten... Es würde dementsprechend einen Eingriff in die mir als vom Reichsmarschall bestellten Beauftragten für die Endlösung der europäischen Judenfrage zustehenden Befugnisse darstellen, wenn andere Behörden und Dienststellen durch Beschlagnahme usw. die hiesigen Planungen auf diesem Gebiet für die Endlösung der europäischen Judenfrage durchkreuzen würden“.

Der Reichsführer-SS vertritt demgemäß einerseits die Auffassung, daß das gesamte jüdische Vermögen dem Reich zufallen müsse. Er hat andererseits das Bestreben, über die von ihm aus diesem Vermögen abgezweigten Mittel ohne haushaltsmäßige Bindungen frei zu verfügen. Es zeigt sich auch hier wiederum die Tendenz, Finanzierungen nach Möglichkeit außerhalb der ordentlichen Mittelbewilligung durch den Haushalt durchzuführen und nur mit Nettospitzen im Haushaltsplan zu erscheinen.

Eine fernmündliche Besprechung zwischen Regierungsrat Dr. Schwarzat und Amtsrat von Hofe (Rechnungshof des Deutschen Reichs) hat ergeben, daß der Rechnungshof nach Überwindung gewisser Widerstände die Prüfung des Auswanderungsfonds in Prag durchgeführt hat. Der Prüfungsbericht liegt jetzt vor. Die Prüfung hat besondere Anstände nicht ergeben. Eine Prüfung der Finanzgebarung der Reichsvereinigung durch Rechnungshof wird jedoch nicht in Betracht kommen.

Es muß darüber entschieden werden, ob das vom Reichsführer-SS eingeschlagene Verfahren der Selbstfinanzierung stillschweigend zu billigen ist oder ob versucht werden soll, die gesamten in Betracht kommenden Werte der Reichskasse zuzuführen, dafür aber die Aufwendungen im ordentlichen Haushalt auszubringen. Die Frage ist gelegentlich schon mit den Vertretern des Reichssicherheitshauptamts berührt worden. Es belebt offenbar keinerlei Neigung, von dem bisher geübten Verfahren abzuweichen. Der Weg der Mittelbewilligung über den Haushalt wird als zu umständlich angesehen. Man wendet ein, daß die Lösung der gestellten Aufgaben beeinträchtigt werden könne, wenn die zur Zeit außerordentlich bewegliche und den Erfordernissen angepaßte Finanzierungsmethode aufgegeben würde.

Das Reichsvermögen wird unmittelbar nur insoweit berührt, als der Chef der Sicherheitspolizei und des SD jetzt Freigabe von Werten verlangt, die bereits zugunsten des Reichs eingezogen worden sind. Die Einziehung ist vorgenommen worden, weil das neue Verfahren des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD noch nicht eingespielt war. Es handelt sich tatsächlich um Werte, die in Zukunft von der Einziehung ausgenommen werden und die durch Verfügung des Juden selbst der Reichsvereinigung zufließen werden. Wenn es bei dem vom Chef der Sicherheitspolizei und des SD bisher geübten Verfahren verbleiben soll, wird es zweckmäßig sein, auch diese Werte freizugeben.

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