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Chronik und Quellen
1942
August 1942

Brief von Johanna und Albert Kleinstrass sowie Emilie Baum aus Wiesbaden an Paul Kleinstrass in Stockholm

Johanna und Albert Kleinstrass schreiben ihrem Sohn Paul in Schweden am 16 und 17. August 1942, dass sie bald deportiert werden:

Sonntag früh zwischen 9-10 Uhr, 16.8.1942

Mein lieber Paul!

Es ist Sonntag früh, und ich hoffe, Du bist irgend an einem schönen Plätzchen und freust Dich des schönen Sommers, der nun endlich zu kommen scheint. Ich habe heute mal Frühdienst - wer weiß wie lange noch hier, und noch ist es so still und ruhig, daß ich mich freue, Dir schon heute früh schreiben zu können. - Unsere verschiedenen Karten der letzten Woche hast Du sicher inzwischen erhalten. Gestern bekamen [wir] eine Karte von Herrn Siegel vom 28.7., so lange war dieselbe unterwegs. Er schrieb furchtbar nett und auch dies von Dir - Du hättest von ihm und seiner Frau eine „Dauer-Einladung“ und haben sie Dich schon richtig liebgewonnen. Ich denke das mir auch für Dich sehr schön mal wieder in einer „Familie“ zu sein nach so langem Heimleben - denn ein bißchen „Bourg[e]ois“ - Du verstehst doch diesen Ausdruck - steckt doch noch in Dir drin, wenn Du auch sehr jung von [zu] Hause fort bist, und Du brauchst es aber keineswegs zu bedauern, das frühe Fortkommen.

Nun stehen wir alle auch davor, es können 8,10,14,20 Tage drüber hingehen, den genauen Termin wissen [wir] nicht, aber beinahe könnte man sich wünschen je eher umso lieber. Aber jeder Tag, der so noch gut rumgeht, ist uns auch recht. Wir halten unseren Haushalt bis zur letzten Minute in gewohnter Weise aufrecht, und bin ich glücklich mit Oma zusammenbleiben zu können und nicht der eine dahin und der andere da, und man hört ewig nichts voneinander. Wir haben lange gute Tage gehabt und alle Bequemlichkeiten (wenn ich nur an unsere schöne warme Dusche denke!); es wird auch mal anders gehen, Hauptsache wir alle bleiben gesund. Tante Mathilde ist auch sehr ruhig und tapfer, wie eigentlich die meisten. Unsere Nachbarschaft ist auch betroffen, ihnen gilt es schwer, sich von ihren Brocken zu trennen. Es tut mir nur leid, daß ich Euch früher immer schimpfte, wenn ihr die Füße auf die guten Stühle gestellt habt - es war alles für die Katz - na, aber auch recht. An all dem Kram hänge ich nicht mehr - nur mein gutes Bett - aber Du schliefst ja mal im Zelt im strömenden Regen brillant, so werden wir es anderswo auch tun. Man wird ja heutzutage ohnehin schon mal des Nachts aus dem Schlaf geweckt. -

Solange es geht, werden wir Dich mit Post versorgen und sofort wieder versuchen, ob wir mit Dir in Verbindung bleiben können. Wir halten uns tapfer, sind ja noch nicht alt und G.s.D. vollkommen gesund, auch Oma ist in einer sehr guten Verfassung, viel besser wie früher, sie kann jetzt alles essen - Hauptsache wenn sie nur hat!! Und z. Zt. sibt es ja reichlich Gemüse und Kartoffel[n], Obst ist sehr rar, aber auch da haben [wir] uns dran gewöhnt, aber es hat uns noch nichts gefehlt. Salate essen wir sehr viel und sehr gerne. Vielleicht kommt Onkel Hugo nochmals nach hier, wir schrieben ihm bereits, daß uns auch diese Änderung bevorsteht, nur wissen wir nicht, ob er jetzt abkommen kann. - Rechtskonsulent Guthmann, Bahnhofstr. 25 bleibt zur endgültigen Abwicklung noch hier, und ob Onkel Arthur und Tante Anna, ist noch unentschieden, ersterer ist noch im Krankenhaus, aber schon fast wieder ganz in Ordnung. Tante Anna hat wahnsinnig viel Arbeit und spreche ich sie privat nie, dienstlich ja sehr viel. Die Berliner schrieben uns auch zu meinem Geburtstag und sandten mir ein ganz famoses Päckchen - die schweben auch in der Luft, werden aber wohl noch bleiben bis so ziemlich zum Schluß. Wahrscheinlich werden wir ihre Eltern treffen, wenn das möglich ist. Und sonst hoffen [wir] das Beste, bleibe Du uns nur gesund, sei weiter fleißig, denn wir werden Dich sehr brauchen in absehbarer Zeit. Siehe zu, daß Du evtl. mit uns in Fühlung bleiben kannst. Doch ich weiß ja, daß Du tust, was Du kannst und gut Ding will Weile haben. Du wirst ja Deine Schwester verständigen, sie soll Edmund sagen, wären mit Emmy und Otto aus Schierstein zusammen. Nun mal erst Schluß, jetzt muß ich noch etwas tun - viel ist es ja nicht mehr, und zu Hause haben [wir] unsere Vorbereitungen schnell getroffen, denn viel mitzunehmen haben wir nicht und ist schnell gepackt. Aber für den Winter sind mal noch alle gut versorgt, und das ist die Hauptsache. Ich hoffe nur, daß Du Dir einen guten Wintermantel kaufen kannst, nimm möglichst Stoff so von Hildes Qualität, Du erinnerst Dich noch ihres guten Mantels. –

Nun einen guten Beginn Deiner weiteren Arbeit, und ich hoffe, man ist auch dort bei Deiner jetzigen Tätigkeit zufrieden. Grüße die „Tante“ - hoffentlich kann sie Dich ebensogut leiden wie Du sie -, dann wirst Du es nicht schlecht bei ihr haben. Auch alle Deine Freunde viele Grüße, Dir einen Kuß Deiner Mutti

17/8 Lieber Paul! Bis Du diesen Brief erhältst, sind wir vielleicht schon nicht mehr in unserer Wohnung, aber ein genaues Datum wissen wir nicht. Solange es nur eben möglich ist schreiben wir Dir noch. Gestern haben wir mal an Onkel Josef & auch an Hermannsein Telegr. mit bezahlter Rückantwort gesandt, aber anscheinend ohne Erfolg, da [wir] bis jetzt keine Antwort bekommen haben. Wir bedauern […] unser Fortkommen nicht [... ]. Heute ist mal wieder herrliches Wetter, & du wirst die Gelegenheit haben, in dem See oder sogar in der Ostsee zu schwimmen, oder ist das im allgemeinen zu weit! Mutti hat dir ja schon allerhand geschrieben, daher für heute nur herzl. Gruß & Kuß Papa

L. P.! Recht herzl. [...] Grüße.

Wir sind alle zusammen und können von Dir & Lena sprechen, und der Gedanke, Euch mal wieder in die Arme schließen zu können, gibt mir die Kraft, das Bevorstehende zu ertragen. Übrigens war das Klassenbildchen allerliebst. Und welch schöne Mädchen waren die Kinder aus Deiner Klasse! Alles Gute u. weiter viel Schönes für Dich, mein Lieber Grüße auch Herrn u. Frau Siegel, bei denen Du doch sicher ein Stück Heimat empfindest. Daß die Langg[asse] abgereist ist, ist sehr gut. Ich umarme Dich in Liebe, Deine Oma Tante schreibt eine Karte extra. O.

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