Vermerk über die Besprechung am 29. Juni 1942 betr. Lebensmittelversorgung der Juden
Das Reichsernährungsministerium beschließt am 29. Juni 1942, die Lebensmittelrationen für jüdische Kinder zu kürzen:
Nach eingehender Erörterung des derzeitigen Standes der Lebensmittelversorgung der Juden und der Möglichkeiten etwaiger weiterer Kürzungen wurde folgendes vorgetragen und beschlossen:
1.) Nach der Reichsregelung ist die Abgabe von Kuchen an Juden untersagt. Manche Ernährungsämter haben darüber hinaus die Abgabe von Weizengebäck jeglicher Art an Juden untersagt. Es wurde für zweckmäßig gehalten, nunmehr von Reichs wegen zu bestimmen, daß Weizengebäck überhaupt nicht mehr an Juden abgegeben werden darf.
2.) Mit Wirkung vom 27. Juli 1942 erhalten, wie bereits durch Erlaß verfügt worden ist die Juden die Reichseierkarte nicht mehr. Darüber hinaus ist man der Auffassung, daß es vertretbar ist, die Juden auch vom Fleischbezug auszuschließen, ihnen in Zukunft also auch keine Fleischkarten mehr auszuhändigen. (Vgl. Vorbehalt unter 7).
3.) Es wurde weiterhin Einverständnis darüber erzielt, daß es richtig ist, die Gleichstellung der jüdischen Kinder und Jugendlichen mit den deutschstämmigen Kindern und Jugendlichen aufzuheben. Z. Zt. erhalten je Zuteilungsperiode die 10- bis 20-Jährigen 2.400 g Brot, die 6- bis 18-Jährigen 200 g Fleisch und rd. 250 g Fett mehr als die Normalverbraucher. Es wurde daher beschlossen, den jüdischen Kindern und Jugendlichen diese Mehrmengen beim Brot, Fleisch und Fett zu streichen und sie ebenso wie die jüdischen Normalverbraucher zu behandeln. Falls bei diesen also die Fleischration ganz wegfällt, würde das auch bei den Kindern und Jugendlichen der Fall sein. (Vgl. Vorbehalt unter 7).
4.) Jüdische Kinder sollen in Zukunft keine Vollmilch mehr erhalten. Statt dessen soll ihnen Magermilch gegeben werden. Arische Kinder erhalten bis zum 3. Lebensjahr ¾ Liter, bis zum 6. ½ Liter und vom 6. bis zum 14. Lebensjahr ¼ Liter Vollmilch. Die sehen Kinder sollen in Zukunft nur bis zum 6. Lebensjahr Magermilch erhalten, und zwar täglich ½ Liter. (Vgl. Vorbehalt unter 7). In Berlin wird diese Regelung bereits vom 29. Juni 1942 ab durchgeführt.
5) Es wurde festgestellt, daß auf Grund eines Erlasses des REM werdende Mütter, Wöchnerinnen und stillende jüdische Mütter ab 6. April 1942 keine Zulagen mehr erhalten und daß die R[eichs]gesundheitsführung die Ärzte angewiesen hat, jüdischen Kranken und gebrechlichen Personen keinerlei Zulagen mehr zu gewähren. Diese Anweisung der Reichsgesundheitsführung soll nunmehr auch in dem Erlaß des REM den Ernährungsämtern gegenüber ausgesprochen werden.
6.) Es wurde für richtig gehalten, die Zulagen für jüdische Lang-, Nacht-, Schwer und Schwerstarbeiter zu streichen. Diese Zulagen wurden bisher unter dem Gesichtspunkt des Arbeitseinsatzes gewährt. Die Erfahrung, daß die von den Juden geleistete Arbeit in keiner Weise der von deutschstämmigen Arbeitern geleisteten gleichwertig ist, ist jedoch von neuem bestätigt worden. Die Gewährung der Zulagen hat daher bei den deutschen Arbeitern weitgehendst Mißstimmung hervorgerufen. Notwendig dürfte es jedoch sein, giftgefährdeten Arbeitern jüdischer Rasse täglich ½ Liter Magermilch zu geben. Hiervon werden insbesondere die jüdischen Arbeiter, die in den Akkumulatorenwerken usw. arbeiten (in Berlin etwa 6.000), betroffen. Zu dieser Frage wurde darauf hingewiesen, daß Berlin bereits seit längerer Zeit die Zulagen für die jüdischen Arbeiter gestrichen hat. (Vgl. Vorbehalt unter 7).
7.) Da die Reichsgesundheitsführung in der Sitzung nicht vertreten war und infolgedessen nicht sachverständig beurteilt werden konnte, ob die in Aussicht genommenen Kürzungen nicht zu weit gehen und durch eine zu starke Unterernährung der Juden die arische Bevölkerung wegen der Ansteckungsgefahr bei Epidemien und Seuchen gefährdet werde, wurde beschlossen, die Stellungnahme der Reichsgesundheitsführung einzuholen. Desgleichen soll dem Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz, der in der Sitzung ebenfalls nicht vertreten war, Gelegenheit gegeben werden, sich zu der beabsichtigten Streichung der Arbeiterzulagen vom Standpunkte des Arbeitseinsatzes aus zu äußern.