Aktennotiz der I.G. Berlin-Lichtenberg über eine Besprechung bei der Berliner Gestapo (IV B4)
Die Gestapo fordert die Berliner Großbetriebe am 9. Februar 1942 auf, Zwangsarbeitslager für Juden einzurichten und plant, deren Angehörige zu deportieren:
Herr Regierungsrat Dr. Kunz als Beauftragter der Gestapo für die Lösung der Judenfrage hat die Betriebsführer aller Groß-Berliner Werke, die mehr als 100 Juden beschäftigen zu sich gebeten. Herr Dr. Kunz teilt mit, daß zwar die in den Betrieben eingesetzten Juden gemäß Verfügung des Wirtschaftsministers bis auf weiteres an ihren Arbeitsstellen bleiben, daß aber sobald als möglich Vorkehrungen getroffen werden müssen, um die Juden möglichst aus dem Stadtbild auszuschalten. Deshalb ist beabsichtigt, sämtliche Wohnungen, in welchen sich noch Juden befinden, zu räumen, nicht arbeitseinsatzfähige luden, wie Kinder, Greise und Gebrechliche, zu evakuieren, während die im Arbeitsprozeß befindlichen Familienangehörigen in geschlossenen Lagern untergebracht werden sollen. Der Gestapo wäre es am liebsten, wenn die Unterbringung der Juden auf dem Werksgelände oder wenigstens in unmittelbarer Nähe stattfinden könnte, damit die luden in den Straßen überhaupt nicht mehr in Erscheinung treten können. Die zu erstellenden Baracken sind mit Stacheldraht zu umgeben, die Insassen sind wie Kriegsgefangene zu behandeln und dürfen das Lager lediglich zur Arbeitsleistung verlassen. Die Betriebsführung habe für die Verpflegung und die Bewachung durch Werkschutzbeamte Sorge zu tragen.
Nur zwei der bei der Besprechung anwesenden Betriebsführer, die ihr Werk außerhalb Berlins haben, sahen eine Möglichkeit, ihre jüdischen Arbeiter in der oben geschilderten Weise unterzubringen. Es wurde auch bezweifelt, ob es überhaupt möglich sei, Baracken in der benötigten Menge zu beschaffen, nachdem in Groß-Berlin sich noch etwa 16.000 erwerbstätige Juden befinden, die von ihren Firmen für keinen Fall ohne Ersatz freigegeben werden können. Es wurde vorgeschlagen, in der Nähe von Werken, die in größerem Ausmaß Juden beschäftigen, durch die DAF Unterbringungsmöglichkeiten für Juden zu schaffen. Kosten würden unter den beteiligten Firmen je nach Kopfzahl der Lagerinsassen umgelegt. Nachdem Herr Dr. Kunz sich davon überzeugen mußte, daß praktisch keine Firma es für möglich hielt, in der geforderten Art und Weise dem Wunsche der Gestapo zu entsprechen, versprach er, nochmals mit den in Frage kommenden Stellen Rücksprache zu halten, um vielleicht zu erreichen, daß die arbeitende jüdische Bevölkerung in Ghettos zusammengefaßt würde. Die anwesenden Betriebsführer waren sich darüber einig, daß diese Lösung von Leitern der Industrie für vorteilhaft gehalten werden würde. Nebenbei bemerkte Dr. Kunz, daß den jüdischen Arbeitern zwar der Lohn wie bisher zustehen würde, daß aber Restbeträge nach Abzug von Verpflegung und Unterkunft dem Konto der Geheimen Staatspolizei überwiesen werden müssen, so daß also die Juden ihre Arbeitskraft lediglich gegen freie Unterkunft und Verpflegung hergeben müssen. Den Einwurf einiger Betriebsführer, daß dann wohl die Arbeitsleistung einiger Juden wesentlich zurückgehen würde, entkräftigte Herr Dr. Kunz dadurch, daß ganz scharfe Strafbestimmungen dies sicherlich wieder ausgleichen werden. Mit der Evakuierung der Familienangehörigen der werktätigen Juden wird im April-Mai begonnen.
Herr Dr. Kunz bat, die den Betriebsführern gemachten Mitteilungen vorerst vertraulich zu behandeln.
Abschließend bemerkte Herr Dr. Kunz, daß das Judenproblem nicht nur in Großdeutschland, sondern für ganz Europa, soweit die Interessen der Achsenmächte reichen in der oben geschilderten Weise geregelt werde.