Vertraulicher Bericht eines Schutzpolizisten aus Düsseldorf
Schutzpolizeihauptmann Wilhelm Meurin schildert am 22. November 1941 seine Eindrücke als Begleiter eines Deportationszugs von Düsseldorf nach Minsk:[1]
Betr. Evakuierung von Juden nach Minsk Transportbegleitung vom 10.11.-18.11.41.
1. Transportverlauf.
Der Judentransport, umfassend 992 Juden aus den Städten Düsseldorf, Essen und Wuppertal, wurde am 10.11.1941 um 10.40 Uhr vom Güterbahnhof Düsseldorf-Derendorf abgelassen. Die Fahrt führte über Mettmann nach Wuppertal-Steinbeck, wo die von dort zu evakuierenden Juden fertig verladen bereitstanden und an den Zug angehängt wurden. In Wuppertal betrug die Verspätung des Zuges schon 40 Minuten. Die Fortsetzung der Fahrt führte über Hagen-Soest nach Paderborn. Die Verspätung war bis hier her weiter angestiegen und betrug nun schon 125 Minuten. 6 Kilometer vor der nächst, folgenden Station Altenbeken riß der Zug auseinander, da die Lok den schweren Zug nicht über die Steigung Heimberg brachte und immer mehr stampfte. Das Herbeirufen einer Schiebelok, die den abgerissenen Zugteil bis nach Altenbeken nachschob, das Auswechseln des beschädigten Wagens und das Umladen der Juden verursachte eine Ausdehnung der Verspätung auf 3 Std. 40 Minuten. Hiernach wurde der Transport weitergeleitet über Northeim - Nordhausen - Halle - Cottbus - Sagan - Glogau (wo die Verspätung nunmehr auf 8 Std. 30 Min. angestiegen war) - Lissa - Kalisch - Litzmann-stadt nach Warschau, wo der Zug auf dem Bhf. Warschau-Ost am 12.11. um 4.15 Uhr eintraf. Die Verspätung betrug bereits über 13 Stunden. Wegen dieser großen Verspätung war die für den Zug vorgesehene Lok inzwischen anderweitig verfügt worden. Das Warten auf eine neue Lok dauerte bis 12 Uhr, also fast 8 Stunden, währenddessen der Zug ungeheizt am Bahnhof stand. Die Außentemperatur betrug an diesem Tage 12° unter Null. Danach führte die Fahrt über die Grenzstation an der ehemaligen deutsch-russischen Grenze Malkinia (hier wiederum 1 ½ Stunden Aufenthalt) nach Bialystok. Dort wurde der Zug mit einer bemerkenswerten Auffälligkeit empfangen. Es stellte sich heraus, daß unterwegs eine Lok mit zwei Güterwagen auf der Strecke gewesen war, die noch eben auf ein Ausweichgleis geleitet werden und die Weiche etwa 20 m vor dem Transportzug umgelegt werden konnte. In Bialystok wurde mir sodann von der Bahnhofskommandantur eröffnet, daß auf der weiteren Strecke mit Partisanentrupps zu rechnen sei, die Züge anhielten und zu plündern versuchten. Der Zug wurde nun nicht auf der direkten Strecke weitergeschickt, sondern mußte in Richtung Brest-Litowsk ausweichen, um über den kleinen Knotenpunkt Czeremcha nach Wolkowirsk zu fahren, wo die Hauptstrecke wieder erreicht wurde. Bereits eine Station hinter Bialystok, bei Lowitzka, wurde der Zug infolge schlechter Fahrweise des polnischen Lokführers zum zweiten Mal auseinandergerissen. Da es ausgeschlossen war, eine Schiebelok zu bekommen, wurde der Zug umrangiert. Die ausgerissene Kopplung befand sich glücklicherweise an der Rückseite des beschädigten Wagens, so daß dieser Wagen am Ende des Zuges mitgeführt werden konnte. Eine Weiche war in der Nähe, so daß das Umrangieren möglich war. In Czeremcha mußte der Wagen dann ausgewechselt werden, da er nicht mehr an Bremsschläuche angeschlossen werden konnte. Ein Ersatzwagen war zur Stelle. Der beschädigte Wagen, übrigens der in Altenbeken ausgeliehene Ersatzwagen, blieb in Czeremcha stehen. Infolge dieses Zwischenfalls wurde die Hauptstrecke bei Wolkowirsk nach einer Wegelänge von 174 km erst 24 Stunden später wieder erreicht. In Czeremcha selbst mußte der Zug wiederum wegen Lokwechsels von 2.30-9.30 Uhr liegenbleiben. Der Zug war wieder ungeheizt, die Außentemperatur betrug 18 Grad unter Null. Die Heizleitung war derart eingefroren, daß die Lok später den Dampf nicht mehr durchtreiben konnte. Immerhin gelang es, die Schläuche wenigstens bis zum Wagen des Begleitkommandos aufzutauen. Nach weiterem Aufenthalt von 1 ½ Stunden in Hainovka wurde die Hauptstrecke dann am 13.11. um 13.45 Uhr bei Wolkowirsk wieder erreicht. Hier wurde bekannt, daß aus dem an der Strecke liegenden Wald von Bialowicze, der ehem. polnischen Staatsjagd, wo Reichsmarschall Göring früher Gast Pilsudskis war, 1.200 Sowjets herausgeholt worden waren und daß noch weitere 2 Bataillone dort verborgen seien. Der Aufenthalt in Wolkowirsk betrug wieder 3 Stunden. Auf der Reststrecke mußte der Transport nochmals in Baranowicze 2 Stunden und schließlich in Stolpcze 2 ½ Std. halten. Am 14.1. um 10.40 Uhr erreichte der Transport nach genau 96 Std. den Bestimmungsort Minsk. Die Juden waren um diese Zeit ziemlich weich, da der Zug vielfach ungeheizt geblieben war und vor allem seit Einfahrt ins russische Gebiet keine Möglichkeit mehr gegeben war, Wasser zu fassen, weil dort das Wasser nur gekocht verwendet werden darf, ich andererseits keine Abkochmöglichkeit für fast 1.000 Personen hatte und nicht bereits während der Fahrt Ruhr- oder Typhusanfälle im Zuge haben wollte. Der jüdische Arzt, Felsentaler aus Düsseldorf, der unterwegs sehr um seine Rassegenossen bemüht war, hat mir bereits in Warschau erklärt, daß etwa 300 Juden nicht mehr marschfähig seien. Das Ausladen in Minsk konnte trotzdem mit der gewünschten Beschleunigung durchgeführt werden. Alle Juden sind auch den Weg von etwa 40 Minuten zum Ghetto marschiert. Beim Ausladen war bereits neben dem Begleitkdo. lettische Polizei eingesetzt, die nach ihren noch frischen Erfahrungen mit den russischen Juden ein entsprechend deutliches, tempobeschleunigendes Verhalten an den Tag legten. Das Ausladen war gegen 12.25 Uhr beendet. Bereits kurz nach der Ankunft im Ghetto haben dann Juden aus Düsseldorf in einer ehemaligen Wirtschaft ein Klavier entdeckt und einen Aufzug veranstaltet, der überraschen muß. Etwa 20 jüngere Leute veranstalteten Nackttänze, drei Pärchen führten vor versammelter Mannschaft einen Geschlechtsakt aus. Die Rückkehr zum Asiatismus schien demnach wenig Schwierigkeiten zu machen.
2. Stadt Minsk.
Die Stadt Minsk liegt zu 90 % in Schutt und Asche. Ziemlich unversehrt ist das Judenviertel, das freilich auch nur aus den typisch russischen Holzhäusern besteht und unbeschreiblich verdreckt ist. Erhalten sind in Minsk drei größere Bauten, das Leninhaus, Verwaltungsgebäude der Sowjets, ferner die Oper, ein ebenso geschmackloser wie im Innern in neureicher Manier überladener Bau, in welchem jetzt ein Soldatenkino untergebracht ist, und schließlich eine ehem. Offiziersschule, ein ebenfalls übler Kasten, der innen den Eindruck eines Magazins macht. Dieser Bau ist mit dem Pol.-Batl. 32, einem Batl. Letten und der S.D.- und Stapostelle belegt. Der Raum für diese Einheiten ist ganz außerordentlich beschränkt. Über die Bevölkerungszahl, die vordem 200.000 Menschen betragen haben soll, konnte ich nichts Genaues erfahren. In der Stadt existierte nur ein Geschäft ein Blumenladen, die Bevölkerung fällt der Versorgung durch die Besatzung zur Last. Aus dem Judenviertel sind, um für die aus dem Reich evakuierten Juden Platz zu schaffen, 8.000 russische Juden entfernt und von lettischer Polizei erschossen worden. Die Leitung hatte ein lettischer Offizier, welchem von den Sowjets seine Ehefrau vor seinen Augen vergewaltigt und mitsamt seinen 6 Kindern ermordet worden war. Er selbst ist von einem Gefangenentransport entflohen. Dieser 27jährige war völlig weißhaarig und sah aus wie ein ganz alter Mann. Mit den Juden ging er entsprechend um. In der Stadt Minsk wird allnächtlich die männliche Bevölkerung zusammengetrieben und bewacht. Trotzdem ereignen sich weiterhin dauernd Überfälle auf Soldaten. Tage zuvor ist ein Oberleutnant dort dadurch in die Falle gelockt worden, daß ein etwa 7jähriger Junge am Straßenrand etwas gegen den Wagen ausstreckte, als wolle er es verkaufen. Als der Offizier hielt und auf das Kind zuging, fielen zwei Schüsse, die ihn tödlich verletzten.
Wegen der Quartier- und Verpflegungsschwierigkeiten in Minsk war ich bestrebt, sobald als möglich den Rückmarsch anzutreten. Das Batl. 32 hatte selbst nur für einen Tag Verpflegung verfügbar und konnte mir für die 16 Mann nur je ½ Brot und zusammen zwei Büchsen Leberwurst abgeben.
3. Russische Kriegsgefangene.
Bereits auf der Anfahrt nach Minsk waren uns unterwegs von den Soldaten und Bahnhofsbediensteten wahre Schauergeschichten über die russischen Kriegsgefangenen erzählt worden. Obwohl diese Dinge mit dem Transport an sich nichts zu tun haben, will ich sie des Interesses halber doch erwähnen. Es wurde erzählt, daß die Gefangenen sich selbst anfielen und auffräßen. Durch zwei selbst festgestellte Fälle mußten wir uns von der Richtigkeit dieser Erzählungen überzeugen lassen. Einmal wurde ein von den Bewachungsmannschaften eines Gefangenentransportes wegen Fluchtversuchs angeschossener Mann von den anderen sofort seiner Kleidung beraubt. Sodann wurde ihm mit einer Glasscherbe der Leib aufgeschnitten, Leber und Lunge herausgerissen und von den Mitgefangenen verschlungen. Am Güterbahnhof Minsk spielte sich an der Nachbarrampe folgender Vorfall ab: Von drei Gefangenen wurde einer gegen den Wachtposten aufsässig, als dieser ihn zur Arbeit antrieb. Der Posten schoß dem Mann in den Kopf, die Schädeldecke zerbarst. Die beiden Mitgefangenen stürzten sich sofort darauf und fraßen das heraustretende Gehirn. Schließlich konnten wir an einem Haufen von mehreren Hunderten von Leichen rassiger Gefangener, die hinter dem Güterbahnhof Minsk lagen, feststellen, daß auch hier entweder die Schädel zertrümmert, die Leiber aufgerissen oder Stücke aus dem Gesäß herausgeschnitten worden waren. Diese Leichen wurden später von Gefangenen verladen, wobei sie herumgeschmissen wurden wie Tierkadaver und um die paar Hemdfetzen, die einzelne och anhatten, wiederum eine Auseinandersetzung zwischen den Gefangenen erfolgte. Nach diesen Wahrnehmungen war es wie eine Erlösung zu beobachten, mit welcher Liebe und Sorgfalt die deutschen Gräber hergerichtet sind.
4 Rückfahrt des Transportkommandos.
Da auf russischem Gebiet noch keine Planzüge verkehren, war das Begleitkommando darauf angewiesen, die nächstbeste Fahrgelegenheit wahrzunehmen. Eine solche Gelegenheit sollte dadurch gegeben sein, daß gegen 17.30 Uhr ein Postzug nach Warschau ginge, an den für das Kommando ein Personenwagen angehängt werden sollte. Ein Personenwagen war dann jedoch nicht verfügbar. Stattdessen erhielt das Kdo. einen Packwagen älterer Art, der immerhin mit einem eisernen Ofen ausgestattet war. Es wurden Holz und Kohle besorgt und aus Brettern wenigstens Sitzgelegenheiten provisorisch zusammengeschlagen. Als wir bis gegen 20.30 Uhr vergeblich auf die Abfahrt des Postzuges gewartet hatten - in der Zwischenzeit war das Kdo. mit dem Packwagen reichlich umherrangiert worden -, wurde mitgeteilt, daß der Leerzug, in welchem morgens die Juden angekommen waren, noch am gleichen Abend nach Warschau - Berlin abgeschickt werden solle. Es wurde also umgestiegen, leider in die 3. Klasse, da inzwischen der Waggon, der auf der Hinfahrt benutzt worden war, seiner Wasserkannen, Glühbirnen sowie eines Teiles der Polster beraubt worden war und außerdem auch die Heizleitungen eingefroren waren. Das Kdo. belegte den ersten Wagen hinter der Lo[k]. Zahlreiche Wehrmachtsangehörige sprachen um Erlaubnis zum Mitfahren vor. Einige von ihnen waren von der Front kommend schon seit dem 3.11. unterwegs und hatten ihre 7 Reisetage längst überschritten. Dies war am 14.11.
Die Abfahrt von Minsk erfolgte schließlich um 22.30 Uhr. Sehr bald war festzustellen, daß dieser Leerzug natürlich überall zweitrangig, besser gesagt letztrangig abgefertigt wurde. In Wolkowirsk, wohin 262 km Strecke zurückzulegen sind, kam der Zug am nächsten Tage, dem 15.11. um 23.00 Uhr an, um erst am 16.11. um 7.15 Uhr von dort angelassen zu werden. Am gleichen Tage folgte in Czeremcha ein weiterer Aufenthalt von 10.50-20.30 Uhr = 9 Std. 40 Minuten. Für die anschließende 78 km lange Strecke nach Bialystok wurden dann 4 Std. 10 Minuten benötigt. In Bialystok sollte der Zug wieder bis zum darauffolgenden 18.11. liegenbleiben. Daher entschloß ich mich, mit dem um 4-54 Uhr täglich von Bialystok nach Königsberg/Pr. fahrenden Eilzug weiterzufahren. Die Ankunft in Königsberg erfolgte um 10.43 Uhr. Ab Königsberg wurde die Fahrt 11m 12.39 Uhr fortgesetzt. In Berlin, wo der Zug um 22.30 eintreffen sollte, wurde der letzte Zug Richtung Westen verpaßt, so daß die Weiterfahrt am 18.11. um 8.33 Uhr ab Berlin erfolgte. Für die Nacht konnten die Männer in der Unterkunft Chausseestr. schlafen. Die Ankunft in Düsseldorf erfolgte mit einstündiger Verspätung am 18.11. um 20.38 Uhr. Damit waren 3476 km zurückgelegt.
4. Erfahrungen
a) Die Marschverpflegung muß bei solchen weiten Transporten auf mehr als nur drei Tage ausgegeben werden. Zusätzlich ist ein angemessenes Quantum Alkohol erforderlich.
b) Die Männer müssen je zwei Decken mitführen. Kochgeschirre müssen mitgegeben werden.
c) Falls nicht dienstlich verfügbar, müssen die Männer möglichst Spirituskocher mitnehmen.
d) An wärmender Bekleidung sind Ohrenschützer und wollene Fingerhandschuhe erforderlich. Für die Posten, die während der Halte am Zuge stehen müssen, werden Filzstiefel erbeten. Zwei Paar würden für ein solches Kommando ausreichen.
e) Die Bewaffnung erscheint angesichts der noch recht unsicheren Verhältnisse mit Karabinern und je 30 Schuß nicht ausreichend. 2-4 M.P.’s oder 2 l.Mg’s sind wünschenswert. Wenn nicht vorhanden, wird vorgeschlagen, den Kommandos Handgranaten mitzugeben. Die Männer müssen Stahlhelme mitnehmen.
f) Ferner sind Handscheinwerfer erforderlich. Die Wagen der Begleitkdo’s befinden sich in der Mitte der Züge. Bei Halten ist es nicht immer möglich, Männer so weit nach hinten zu entsenden, daß das Zugende übersehen werden kann. Solche Streifen erreichen bei der Weiterfahrt den Begleitwaggon nicht. Auch für die an den vorderen Zugteil entsandten Männer ist es gefahrvoll, auf den anfahrenden Zug aufzusteigen, wenn der Begleitwaggon bis in ihre Höhe gelangt ist. Dies muß fast immer vom Bahnkörper aus, also ohne jeden Bahnsteig pp. erfolgen. Für den Fall von Plünderungsversuchen sind auch Leuchtpistolen nötig. Schließlich müssen Reservebatterien für Taschenlampen und für den Begleitwaggon selbst Kerzen als Notbeleuchtung mitgeführt werden.
g) Die Unterstützung durch Wehrmachtsstellen, besonders im Punkte Verpflegung, war sehr gut. Besonders hervorzuheben aber ist die Tätigkeit der Schwestern des Roten Kreuzes, die zu jeder Tages- und Nachtzeit zur Stelle waren und dem Kdo. mehrfach sehr gut über die Verpflegungslücken hinweggeholfen haben.
5. Das von der 1. Komp. gestellte Kdo. hat sich sehr gut geführt. Die Männer waren frisch und gleichbleibend diensteifrig. Zwischenfälle oder Krankmeldungen sind nicht vorgekommen.