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Chronik und Quellen
1937
Dezember 1937

Verwaltungsbericht des Vorstandes der Jüdischen Gemeinde Berlin

Der Vorstand der Berliner Jüdischen Gemeinde berichtet am 20. Dezember über Berufsausbildung und Umschulungsmaßnahmen im Jahr 1937:

A. Berufsumschichtung

Die Berufsumschichtungsstelle betreut neben eingehender Beratungstätigkeit die Umschulungslehrgänge für Erwachsene und die Ausbildungslehrgänge für Jugendliche und sorgt für die Einrichtung dieser Lehrgänge sowie die Planung und Bearbeitung neuer Vorhaben.

Das Ziel, das durch die Umschichtung angestrebt wird, ist fast ausschließlich Auswanderung nach Palästina und nach Uebersee. Um dieses Ziel zu fördern, sind im Jahre 1937 erstmalig laufend Verhandlungen mit dem Hilfsverein der Juden in Deutschland und dem Palästina-Amt ausgeführt worden, durch die erreicht wurde, daß bisher annähernd 50 % der Teilnehmer nach beendeter Umschichtung auswandern konnten. Dem gleichen Ziel der Förderung der Auswanderung dient die Verpflichtung der Teilnehmer an den Lehrgängen, notfalls mit finanzieller Unterstützung der Gemeinde, mindestens eine Fremdsprache zu erlernen. Damit die für eine Betätigung im Ausland notwendigen Fähigkeiten erlangt werden, mußte das im Jahre 1937 verstärkt beobachtete Bestreben der Ratsuchenden nach besonderer .Kurzausbildung regelmäßig abgelehnt werden. Diese Einstellung hat ihren Lohn gefunden: Die Umschichtler, die nach beendeter Ausbildung zur Auswanderung gelangt sind, haben sich nach den bisherigen Feststellungen mit dem neuen Beruf im Ausland durchweg eine Existenz verschaffen können.

Die Berufsumschichtungsstelle sorgt erforderlichenfalls auch für die Finanzierung der Ausbildung. Sie wird in Form von Ausbildungszuschüssen, Ernährungsbeihilfen, Fahrgeldzuschüssen und Arbeitskleidung darlehnsweise bewilligt, sofern die Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers und seiner Familie die Bedürftigkeit erweist und eine derartige Unterstützung rechtfertigt.

Das gesamte Ausbildungswerk der Gemeinde untersteht der „Leitung der technischen Lehrgänge“ in Verbindung mit einem Sachverständigenbeirat aus Handwerkerkreisen.

a) Berufsumschichtung für Männer.

Zu Anfang des Jahres 1937 bestanden folgende Lehrgänge der Jüdischen Gemeinde:

1. Umschulungslehrgang für Metallbearbeitung Bln.-Siemensstadt, Nonnendamm 4 (Maschinenschlosser) mit 30 Ausbildungsplätzen,
2. Umschulungslehrgang für Holzbearbeitung ebendort (Tischler) mit 25 Ausbildungsplätzen,
3. Umschulungslehrgang für Bau- und Siedlungsarbeiten, Fruchtstr. 74 (Maurer) mit 30 Ausbildungsplätzen,
4. Umschulungslehrgang in der Friedhofsgärtnerei Weißensee.

Im Laufe des Jahres 1937 wurde ein weiterer Lehrgang im Schmelzschweißen, Melchiorstr. 30 mit 40 Ausbildungsplätzen eröffnet.

Der Lehrgang in der Friedhofsgärtnerei, in den nur von den zuständigen Organisationen empfohlene Teilnehmer aufgenommen werden, dient im allgemeinen als Uebergang zu einer intensiven landwirtschaftlichen Schulung in anderen Ausbildungsstellen für die Vorbereitung zur Auswanderung nach Palästina.

Im Gegensatz zu den übrigen Lehrgängen ist in dem neu errichteten Umschulungslehrgang für Schmelzschweißer auch älteren Menschen (etwa 35-45 Jahre) Gelegenheit zur Umschichtung im Handwerk gegeben. Die Ausbildungszeit beträgt hier nur 9 Monate gegenüber iV2 Jahren in den anderen Lehrgängen.

Für die Ausbildung der Kursusteilnehmer standen am Ende des Berichtsjahres insgesamt 6 Handwerksmeister, 7 Gesellen und 5 Lehrkräfte für theoretischen Unterricht zur Verfügung.

Neben der Ausbildung in den genannten gemeindeeigenen Umschulungslehrgängen wurde Umschichtlern Gelegenheit gegeben, sich bei Zwischenmeistern, in Industriebetrieben usw. anzulernen (z.B.: Zuschneiden von Herrenwäsche und Berufskleidung, Taschen- und Futtermacher, Bügler, Gürtelherstellung und dergleichen, Stricker, Wirker, Seifensieder, Tabletteure usw.). Ebenso wurden Umschichtler Privatschulen zugewiesen, wo sie Gelegenheit hatten, sich u. a. in Dekorieren, Plakat- und Reklamezeichnen, Modezeichnen, Photographie auszubilden. Endlich sei erwähnt, daß zur Ausbildung von Kantoren im Benehmen mit einer jüdischen privaten Musikschule ein Beth Hachasanim eingerichtet worden ist, dem laufend Schüler zugewiesen werden.

Die Gesamtbesucherzahl der Berufsumschichtungsstelle für Männer betrug im Jahre 1937- 3 927- Zur neuen Berufsausbildung konnten 316 Personen untergebracht werden. Der Kreis der Ratsuchenden setzte sich mehr als früher aus älteren Jahrgängen zusammen: waren im Jahre 1936 nur 22 % der Männer über 35 Jahre alt, so gehörten im Jahre 1937 38 % der Männer diesen Altersstufen an.

b) Berufsumschichtung für Frauen:

In der Berufsumschichtung für Frauen bestanden 1937 als Lehrgänge unter der Trägerschaft der Jüdischen Gemeinde: 5 Umschulungslehrgänge für Schneiderei, 2 für Putz und 1 für Frisieren. Daneben wurden die bestehenden jüdischen Privatschulen zur Ausbildung in Schneiderei und Putz ständig beschickt. Den weiteren Bedarf an Ausbildungsmöglichkeiten in anderen Berufszweigen suchte die Umschichtungsstelle dadurch zu decken, daß sie Anlernstellen beschaffte und den bestehenden Privatschulen Anregungen zur Erweiterung ihres Aufgabenkreises gab, denen in gewissem Umfange auch entsprochen wurde. Hierbei handelt es sich u. a. um Konfektions- und Konfektionsteilberufe, Wäschenäherei, Lampenschirmherstellung, Fototechnik, Entflecken und Kunststopfen. Ferner wurden in größerem Umfange Auswanderungswillige in Privatkursen für Kosmetik, Manicure, Pedicure, Massage, Heilgymnastik, Säuglings- und Kleinkindergymnastik untergebracht, sowie kaufmännische Nachschulungen für den In- und Auslandsbedarf durchgeführt.

Die Gesamtbesucherzahl der Berufsumschichtungsstelle für Frauen belief sich im Berichtsjahr auf 1654. Zur neuen Berufsausbildung konnten 332 Personen untergebracht werden. Auch hier ist der Prozentsatz der älteren Jahrgänge gestiegen. Von den Frauen, die die Stelle in Anspruch genommen haben, waren im Jahre 1937 45 % über 35 Jahre alt gegen nur 38 % im Jahre 1936.

B. Berufsfürsorge

Eine Berufsberatung und Lehrstellenvermittlung für Jugendliche ist seit der am 1.1.1937 erfolgten Uebernahme der gesamten Berufsberatung und Lehrstellenvermittlung auf die öffentlichen Arbeitsämter bei der Jüdischen Gemeinde nicht mehr vorhanden. Die Tätigkeit der Berufsfürsorgestelle erstreckt sich seit dieser Zeit im wesentlichen auf Einweisung in jüdische Ausbildungsstätten, Auskunftserteilung über Lehrlingsfragen und Entgegennahme von Anträgen auf Bewilligung von Ausbildungsdarlehen.

Da die Unterbringungsmöglichkeiten in Einzellehrstellen, insbesondere für Jungen, stark verringert worden sind, war es notwendig, vermehrte Kollektivausbildungsstätten zu schaffen. Dieser Notwendigkeit wurde im Jahre 1937 Rechnung getragen: Es kommen seither in Betracht:

a) Für die Unterbringung der Jungen die gemeindeeigenen Lehrwerkstätten, die zum Teil zusammen mit den von der Umschichtungsstelle eingerichteten Umschulungslehrgängen für Erwachsene unterhalten werden, nämlich Lehrwerkstätten für Bauschlosser, Maschinenschlosser, Tischler, Maurer, ferner die Lehrwerkstätten der Gesellschaft „Ort“ für Mechaniker, Elektrotechniker, Gas- und Wasserinstallateure (Klempner), sowie Lehrwerkstätten der jüdischen Organisationen im Reich, Chemieschule, Handelsschule, Zeichenschulen und Lehrerbildungsanstalten.

b) Für die Unterbringung der Mädchen: Haushaltungsschulen und Heime zur hauswirtschaftlichen Ausbildung, Krankenhäuser und Säuglingsheime zur Ausbildung als Krankenschwester, Säuglingsschwester, Säuglingspflegerin, der Lehrgang der Jüdischen Kinderhilfe zur Ausbildung als Kinderpflegerin, der gemeindeeigene Lehrgang zur Ausbildung für die Erziehungsarbeit, das jüdische Kindergärtnerinnenseminar, Lehrerbildungsanstalten, Chemieschule, Handelsschule, Zeichenschulen.

c) Außerdem für Jungen und Mädchen: Die Unterbringung in Lehrgütern sowie im Rahmen der Jugendalijah und in mittleren Hachscharahstellen in Gemeinschaft mit den Bünden.

Die Anzahl der Fälle, in denen die Gemeinde für diese Unterbringung in Kollektivausbildungsstätten infolge von Bedürftigkeit Zuschüsse gewähren mußte, war im Berichtsjahr erheblich. Es handelt sich hierbei nicht nur um die Uebernahme der reinen Ausbildungskosten (Schulgelder, Unterhaltskosten in geschlossener Ausbildung), sondern auch um die Gewährung von Lehrlingsbeihilfen, Fahrgeldern und Arbeitskleidung.

Aufgesucht wurde die Berufsfürsorgestelle im Berichtsjahr von 3 252 Jungen und 1633 Mädchen. Zuschußbewilligungen wurden ausgesprochen für 354 Jungen und 247 Mädchen.

C. Arbeitsnachweis

Der Arbeitsnachweis der Gemeinde mußte nach der Uebernahme auf die öffentlichen Arbeitsämter jegliche Vermittlungstätigkeit einstellen. Es findet lediglich noch eine Vermittlung von Auslandsstellen statt, die nach jeweiliger vorheriger Genehmigung durch das Landesarbeitsamt in der jüdischen Presse angezeigt werden. Es ist zu hoffen, daß sich diese im Jahre 1937 aufgenommene, die Auswanderung fördernde Tätigkeit günstig entwickeln wird.

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