Schreiben von Staatssekretär Pfundtner an Reichskanzlei
Staatssekretär Pfundtner übersendet dem Chef der Reichskanzlei am 18. Dezember 1937 den Entwurf einer gegen jüdische Ärzte gerichteten Verordnung:
Betrifft: Ausschaltung der jüdischen Ärzte.
Auf das gefällige Schreiben vom 25. August 1937 - Rk. 13354 A. –
Lieber Herr Lammersl
Hiermit übersende ich Ihnen mit der Bitte um zunächst vertrauliche Kenntnisnahme einen vorläufigen Referentenentwurf einer Vierten Verordnung zum Reichsbürgergesetz. Zu dem Entwurf bemerke ich im allgemeinen:
Wenn der Entwurf dieser Verordnung über die in dem Vortrag des Reichsärzteführers beim Führer und Reichskanzler vom 14. Juni d. Js. allein angeschnittene Frage der Aus Schaltung jüdischer Ärzte hinausgeht und die Verdrängung der Juden aus einer Reihe weiterer Berufe vorsieht, so war hierfür die Erwägung maßgebend, daß es zweckmäßig erschien, in einer Gesamtregelung die Ausschaltung der Juden aus bestimmten Berufen auszusprechen, aus denen sie früher oder später doch ausgeschieden werden müssen. Die Einbeziehung der Rechtsanwälte und Patentanwälte in den Entwurf ist dabei, wie ich betonen möchte, ohne vorherige Fühlungnahme mit dem Reichsjustizministerium und zu dem Zweck erfolgt, von dem Standpunkt der von uns zu vertretenden Judenpolitik aus den Kreis der zu erfassenden Berufsgruppen abschließend zu umreißen.
Es ist weiter davon abgesehen worden, die Form eines besonderen Gesetzes zu wählen. Das Reichsbürgergesetz ist das Gesetz, das die Grundlage zur Ausscheidung der Juden aus Körper und Leben des Deutschen Volkes geschaffen hat. Es ist immer nur folgerichtig, wenn weitere Maßnahmen, die der Durchsetzung dieses Zieles zu dienen bestimmt sind, in der Form einer Durchführungsverordnung zu dem Reichsbürgergesetz erscheinen. Soweit durch eine solche Verordnung Gesetzesrecht - es kommt hier nur die Reichsärzteordnung und das Gesetz über Maßnahmen im ehemaligen oberschlesischen Abstimmungsgebiet in Frage - materiell abgeändert wird, dürften Bedenken nicht bestehen, insbesondere, wenn die in Aussicht genommene Verordnung die Unterschrift des Führers und Reichskanzlers erhält, was ich für notwendig halte.
Im einzelnen ist zu dem Entwurf folgendes zu sagen:
Zu § 1
Bevor das Problem der Ausschaltung der jüdischen Ärzte auf gesetzgeberischem Wege angefasst wird, müssen m. E. - und zwar durch eine verbindliche Äußerung der Reichsärztekammer - folgende Vorfragen geklärt werden:
1. a) Kann bei völliger Ausschaltung von 4 000 jüdischen Ärzten in Friedens- und Kriegszeiten eine ausreichende ärztliche Versorgung an allen Orten sichergestellt werden? Hierbei ist die Tatsache besonders zu berücksichtigen, daß die praktizierenden deutschblütigen Ärzte zur Zeit und in Zukunft durch die vielen Aufgaben, die ihnen fortgesetzt neu zugewiesen werden, schon sehr in Anspruch genommen sind.
b) Welche vorbereitenden Maßnahmen wären erforderlichenfalls zu treffen?
2. Zu welchem Termin kann, wenn die Frage zu 1 a bejaht wird, die Ausschaltung der jüdischen Ärzte ohne Gefahr erfolgen?
Sind diese Vorfragen positiv geklärt, so ist der Weg für die geplante Regelung frei.
Was die Art des Vorgehens betrifft, so empfiehlt es sich nicht, durch die in der Reichsärzteordnung vorgesehene Zurücknahme der Bestallung das Ausscheiden der jüdischen Ärzte herbeizuführen, da angesichts ihrer Zahl eine solche Belastung der Verwaltungsbehörden nicht vertretbar erscheint. Es ist daher vorgesehen, daß die Bestallungen (Approbationen) der jüdischen Ärzte kraft Gesetzes erlöschen, wie dies in § 12 des Gesetzes über Maßnahmen im ehemaligen oberschlesischen Abstimmungsgebiet vom 30. Juni 1937 (RGBl. I S. 717) auch bestimmt worden ist. Als Zeitpunkt ist vorläufig der 31. März 1938 vorgesehen. Seine endgültige Festlegung wird wesentlich auch noch davon abhängen, bis wann die notwendig werdenden Ersatzzulassungen von Krankenkassenärzten überall durchgeführt werden können. Besonderer Prüfung bedarf, ob die jüdischen Ärzte ausnahmslos ausgeschieden werden sollen. Hierbei ist zu beachten, daß in einigen Städten Deutschlands noch caritative jüdische Krankenhäuser (schätzungsweise etwa 9 bis 10 Anstalten mit rund 1500 Betten) vorhanden sind. Es besteht keine Veranlassung, solche Einrichtungen, die aus Mitteln des Judentums unterhalten werden, eingehen zu lassen und dadurch öffentliche Mittel vermehrt in Anspruch zu nehmen. Diese Anstalten sind auch unentbehrlich für die Ausbildung jüdischer Krankenpflegerinnen, deren wir weiterhin für die Pflege jüdischer Kranker ständig bedürfen, da man es deutschblütigen Pflegerinnen kaum zumuten kann, in jüdische Haushalte zur Krankenpflege zu gehen; eine Unmöglichkeit häuslicher Krankenpflege würde aber die Benutzung der öffentlichen Krankenhäuser durch Juden zur Folge haben und damit bei Pflichtversicherten eine vermehrte Inanspruchnahme der Versicherungsleistungen zugunsten der Juden mit sich bringen. Schließlich erscheint es auch bei der starken Beanspruchung der deutschblütigen Ärzte nicht vertretbar, in Bezirken, in denen - wie z. B. Berlin, Breslau, Frankfurt a/Main - Juden in größerer Zahl ihren Wohnsitz haben, diesen Ärzten auch noch die Behandlung jüdischer Kranker zuzumuten und dadurch die Zeit für die Behandlung deutschblütiger Kranker weiter zu verknappen.
Aus allen diesen Erwägungen heraus sieht der Entwurf vor, daß Ausnahmen von dem Erlöschen der Bestallung bei jüdischen Ärzten zugestanden werden können. Um sicherzustellen, daß diese jüdischen Ärzte auch tatsächlich ausschließlich für den jüdischen Teil der Bevölkerung zur Verfügung stehen, ist neben der Widerruflichkeit der Ausnahmegenehmigung und der Zulässigkeit bestimmter Auflagen auch das unter Strafe gestellte Verbot der Behandlung deutscher Staatsangehöriger deutschen oder artverwandten Blutes vorgesehen, soweit nicht die allgemeinen Strafvorschriften eine Pflicht zur ärztlichen Hilfeleistung vorschreiben.
Absatz 4 von § 1 ist durch die augenblickliche Fassung der Reichsärzteordnung geboten. Absatz 5 soll eine vereinfachte Herbeiführung der notwendigen Änderungen der Reichsärzteordnung sicherstellen.
Zu § 2
Bei den Zahnärzten und Tierärzten taucht das Problem einer Mangellage bei dem Ausscheiden der Juden nicht auf. Nach Mitteilung der Zahnärztekammer gibt es unter den vorhandenen 16 217 Zahnärzten 606 Juden; unter den 8 500 bis 9 000 Tierärzten finden sich nur 78 Juden.
Einer Änderung der Reichstierärzteordnung bedarf es im Gegensatz zur Reichsärzteordnung nicht. Eine Reichszahnärzteordnung ist noch nicht erlassen; die Prüfungsordnung für die Zahnärzte kann ohne besondere Ermächtigung im Rahmen unserer eigenen Zuständigkeit jederzeit abgeändert werden.
Zu § 3
Bei den jüdischen nichtapprobierten Zahnbehandlern, Heilpraktikern und Hebammen erschien es, um das Problem der Kurierfreiheit nicht durch eine auf einem gänzlich anderen Gebiet liegende Regelung anzuschneiden, nicht erwünscht, den Ausschluß der Juden aus diesen Berufsgruppen herbeizuführen, ganz abgesehen davon, dass der Anteil der Juden an diesen Berufen unbedeutend ist. Es genügt in diesem Falle das Behandlungsverbot deutschblütiger Personen.
Zu § 4
Wie bereits betont, ist die Einbeziehung der Rechtsanwälte und Patentanwälte zunächst ohne Fühlungnahme mit dem Reichsjustizministerium erfolgt. Es ist mit Sicherheit zu erwarten, daß die Anwaltschaft den Ausschluß der Juden aus ihren Reihen fordern wird, wenn sie aus dem Beruf des Arztes, Zahnarztes und Tierarztes ausgeschaltet werden.
Zu §§ 5 und 6
Die vorgesehenen Bestimmungen entsprechen dem bisherigen Recht, wie sie in § 2 und § 4 der Zweiten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 21. Dezember 1935 (RGBl. I S. 1524) enthalten sind.
Zu § 7
Die Bestimmung, daß die auf Grund von § 4 der Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz ausscheidenden jüdischen Beamten als Ruhegehalt die vollen zuletzt bezogenen Dienstbezüge bis zur Erreichung der Altersgrenze erhalten, hat erhebliche Gegenvorstellungen der deutschblütigen Beamten hervorgerufen, die im Gegensatz zu den Juden bei vorzeitigem Ausscheiden aus dem Amt nur ihre Pensionsbezüge erhalten. Diese Regelung war seinerzeit wesentlich aus außenpolitischen Erwägungen getroffen worden, die heute wohl nicht mehr zutreffen dürften. Auch aus finanziellen Erwägungen erscheint es geboten, die Besserstellung der jüdischen Beamten nunmehr aufzuheben. Entsprechendes gilt in bezug auf die jüdischen Beamten, die nach § 2 Nr. 1 des Gesetzes über Maßnahmen im ehemaligen oberschlesischen Abstimmungsgebiet mit Ablauf des 31. August 1937 unter Beibehaltung ihrer vollen bisher bezogenen Dienstbezüge in den Ruhestand getreten sind. Einer ausdrücklichen Abänderung des Gesetzes über Maßnahmen im ehemaligen oberschlesischen Abstimmungsgebiet bedarf es nicht, da die Vorschriften, auf die Satz 2 in Nr. 1 von § 2 a. a. O. Bezug nimmt, durch Absatz 1 von § 7 des Entwurfs aufgehoben worden sind, so daß damit die Bezugnahme in dieser Vorschrift ohne weiteres entfällt.
An dem Entwurf sind das Auswärtige Amt, der Reichsfinanzminister, der Reichserziehungsminister, der Reichsarbeitsminister und auch der Reichskriegsminister wesentlich interessiert. Bevor ich den Entwurf weiter bearbeiten lasse, lege ich Wert darauf, mich über seine Grundsätze zunächst mit Ihnen auszusprechen. Ich bitte Sie, einen diesbezüglichen Zeitpunkt mit mir zu vereinbaren.
Heil Hitler!