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Chronik und Quellen
1937
Mai 1937

Artikel über Massenemigration und Reichsfluchtsteuer

Am 16. Mai 1937 berichtet die „Frankfurter Zeitung“ über die infolge der jüdischen Massenemigration gestiegenen Einnahmen aus der Reichsfluchtsteuer:

Der Ertrag der Reichsfluchtsteuer. Vom Abschreckungsmittel zur Einnahmequelle.

In diesen Tagen erscheint Heft II des Jahrgangs 1937 der „ Wirtschaftskurve“. Wir entnehmen dem Heft den folgenden Beitrag, der sich mit den Erträgen und dem im Laufe der Jahre gewandelten Charakter der Reichsfluchtsteuer befaßt. Die Schriftleitung.

Die Reichsfluchtsteuer war ursprünglich in der Notverordnung vom 8. Dezember 1931 als ein fiskalisches Abschreckungsmittel gegen Kapitalflucht geschaffen worden. Sie hat sich aber im Laufe der Jahre, obwohl dies von Haus aus gar nicht ihr Zweck war, für das Reich zu einer ziemlich ergiebigen Einnahmequelle entwickelt. Nach den Absichten, die bei ihrer Einführung maßgebend waren, sollte die Fluchtsteuer die legale Verbringung von Vermögen ins Ausland nicht verhindern, sie sollte sie aber in steuerlicher Beziehung „unrentabel“ machen; wer seinen Wohnsitz verlegen wollte, um etwa in einer ausländischen Steueroase dem Zugriff des deutschen Finanzamts zu entgehen, sollte der Hoffnung beraubt werden, damit wirklich ein Geschäft machen zu können. Die Verordnung verbot deshalb ursprünglich weder die Verlegung des Wohnsitzes ins Ausland noch die Mitnahme des Vermögens, sie bestimmte aber, daß jeder Reichsangehörige, der seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland aufgab, um ins Ausland überzusiedeln, ein Viertel seines Vermögens als „Fluchtsteuer“ zu entrichten hatte, sofern er mehr als 200 000 Reichsmark Vermögen oder jährlich mehr als 20 000 Reichsmark Einkommen hatte; die Steuerpflicht trat unabhängig davon ein, ob das Vermögen ins Ausland mitgenommen wurde oder nicht.

Wenn man aus den verhältnismäßig geringen Erträgen, die die Fluchtsteuer in der ersten Zeit ihres Bestehens erbrachte, einen Schluß ziehen darf, dann scheint sie damals die beabsichtigte abschreckende Wirkung einigermaßen erzielt zu haben. Da sie auch die Personen erfaßte, die schon vor dem Erlaß der Verordnung, seit dem 1. Januar 1931, ins Ausland gegangen waren, gab es zunächst einiges an Steuer nachzuholen, aber im Laufe des ganzen Jahres 1932 blieb der monatliche Steuerertrag im Durchschnitt unter 100000 Reichsmark. Erst vom Jahre 1933 an begann sich die Ergiebigkeit der Steuer allmählich zu heben. Dafür dürften vor allem zwei Gründe maßgebend sein: zunächst die strengere Kontrolle der Grenzen und die Ueberwachung des Geldverkehrs mit dem Ausland, die sich im Laufe der Zeit zur vollen Devisenbewirtschaftung ausbildete, verbunden mit einer schärferen Praxis der Finanzbehörden, zum anderen die vom Jahre 1933 an in stärkerem Maße beginnende jüdische Auswanderung ins Ausland. Die Tabelle zeigt für jedes Rechnungsjahr die Entwicklung der Steuer nach Kalendervierteljahren.

Bis Anfang 1933 blieb der Steuerertrag fast in jedem Quartal unter 1 Million Reichsmark, von 1933 an wurde dann ein Niveau von 4 bis 6 Millionen Reichsmark im Kalendervierteljahr erreicht. Die scharfe Spitze im Jahre 1934/35 ist durch eine „außergewöhnliche Einnahme“ von 16 Millionen Reichsmark im August 1934 verursacht worden, die mit der Auswanderung einer besonders wohlhabenden jüdischen Familie zusammenhing. In das Jahr 1934 fällt auch eine Aenderung der Steuergesetzgebung, die geeignet war, ihre Ergiebigkeit zu erhöhen: Die Freigrenze für das Vermögen wurde von 200 000 auf 50 000 Reichsmark herabgesetzt, außerdem wurde der Kreis des steuerpflichtigen Vermögens, das von der Fluchtsteuer betroffen wird, durch Einbeziehung sonst vermögenssteuerfreier Gegenstände erweitert. Ein zweiter steiler Aufstieg des Ertrags der Fluchtsteuer begann 1935, zum Teil wohl auch im Zusammenhang mit der stärkeren Auswanderung jüdischer Kreise nach der Nürnberger Gesetzgebung. Vom Herbst 1935 an lag das durchschnittliche Aufkommen der Steuer in jedem Kalendervierteljahr auf einer Höhe von etwa 15 bis 16 Millionen Reichsmark. Das Rechnungsjahr 1935/36 schloß so mit einem Steuerertrag von 45,3 Millionen Reichsmark, nachdem das vorangegangene Jahr 38,1 und, wenn man die einmalige Sondereinnahme absetzt, 22,1 Millionen Reichsmark erbracht hatte. Das Rechnungsjahr 1936/37, dessen Ergebnis jetzt ebenfalls vorliegt, weist ein Gesamtaufkommen von 69,9 Millionen Reichsmark auf. Insgesamt hat bis Ende März 1937 die Reichsfluchtsteuer fast 174 Millionen Reichsmark eingebracht.

Die Reichsfluchtsteuer 1931 bis 1937 (in Millionen RM.)

Rechnungs-   April/Juni   Juli/Sept.   Okt./Dez.   Jan./März   Insgesamt
    jahr

1931/32             -              -             0565           1363         1938
1932/33          0689          0116        0005            0129         0938
1933/34          2425          5498        5710            3970       17602
1934/35          6344        21471*)     5 533           4771       38120
1935/36          2934          4651        22881         14872       45337
1936/37         15221         18781      15971         18938       69911

zusammen                                                                        173846

*) Darunter RM 16 Mill. „außergewöhnliche Einnahme“.

Da die Fluchtsteuer ein Viertel des erfaßbaren Vermögens beträgt, läßt sich für die ganze Dauer ihres Bestehens, also seit Ende 1931, ein steuerpflichtiger Vermögensbetrag von ungefähr 680 Millionen Reichsmark errechnen. Das bedeutet jedoch nicht, daß etwa Werte in dieser Größenordnung oder auch nur drei Viertel davon, also etwa eine halbe Milliarde, ins Ausland gebracht worden wären und mit ihrem vollen Gewicht die deutsche Devisenbilanz belastet hätten. Denn die Steuerschuld entsteht ja nicht aus der Uebertragung von Vermögen, sondern aus der Verlegung des Wohnsitzes ins Ausland. Da die Transferierungsmöglichkeiten gerade seit dem Aufstieg der Steuer zu stärkerer Ergiebigkeit stark beschränkt waren, dürfte, etwa von Hausrat abgesehen, nur ein geringer Teil der erwähnten Summe tatsächlich ins Ausland übertragen worden sein.

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