Bericht von Joseph B. Levy über die B’nai Brith-Loge
Joseph B. Levy beschreibt die B’nai Brith-Loge in Frankfurt a. M. und deren Auflösung durch die Gestapo am 19. April 1937:
In den letzten 30 Jahren, bis 1937, war ich Mitglied des Unabhaengigen Ordens B’nai Brith, der bekanntlich seinen Ursprung in U.S.A. hat. Die Bestrebungen und die Arbeitsweise der Loge in Deutschland sind von dem Betaetigungsfeld der Loge in Amerika einigermassen verschieden. Auch in der Wahl seiner Mitglieder war der Orden in Deutschland wohl etwas staerker exklusiv als er es heute in seinem Geburtsland ist. Besonders ausgepraegt war diese Richtung in meiner Loge, einer der aeltesten Ordensniederlassungen in Deutschland, der Frankfurt-Loge. Sie ist 1887 gegruendet worden und war gerade im Begriff, ihr Jubilaeum festlich zu begehen. Die alten traditionellen Bestrebungen des Ordens wurden anerkannt selten so streng, so intensiv und extensiv befolgt wie gerade hier. Unsere Parole lautete: „Alles fuer andere, nichts fuer uns!“ Verbreitung allgemeiner und juedischer Bildung, Kunst und Wissenschaft, Selbsterziehung, Wohltun auf allen Gebieten der Caritas, Bruederlichkeit und Eintracht im engen Kreise und in der Verbreitung nach aussen, Liebe zum Vaterland, wie zum angestammten Glauben unter Ausschluss aller politischen und parteilichen Bestrebungen, alles Wahre, Schoene und Gute wurde in diesem Kreis gepflegt. So kam es auch, dass sich gerade in dieser Stadt, in dieser juedischen Gemeinde mit ihren vielfachen Zersplitterungen, Elemente aus allen Lagern zusammenfanden, um auf diesem Boden, in diesem Tempel des Friedens solche edlen Bestrebungen zu unterstuetzen und sich an ihnen zum eigenen Besten und zum Wöhle der Gesamtheit zu beteiligen. Meiner ganzen persoenlichen Veranlagung nach musste ich mich in solcher Sphaere wohl fuehlen, und so kam es, dass ich mich bald sehr aktiv an der Logenarbeit beteiligte, in vielen Ausschuessen arbeitete, um bald eine fuehrende Rolle, besonders auf den Gebieten des Wohltuns und der Bildung und Wissenschaft zu uebernehmen. So wurde ich etwa 1912, und blieb mehrere Jahre hindurch, protokollierender Sekretaer, kam auf diesem Weg in die Leitung, den sogen. Beamtenrat und konnte nun, besonders waehrend des Kriegs und der folgenden Jahre, mich an vielen Werken der Menschenliebe und der Geistesbildung aktiv beteiligen. Etwa 1928 wurde ich zum ersten Mal zum Praesidenten erwaehlt und nahm diesen leitenden Ehrenposten im Laufe der naechsten 9 Jahre fuenfmal ein.
Da begann auch fuer diesen edlen Wirkungskreis am 30. Januar 1933 die Krise hereinzubrechen. Es kann als bekannt vorausgesetzt werden, dass sowohl im Faschismus, wie im Nationalsozialismus das Freimaurertum wegen seiner Ausdehnung ueber die ganze Welt und wegen seiner ausgesprochen pazifistischen Ideale heftig befehdet wird und der Ausrottung verfallen ist. Nun hat zwar der U.O.B.B. (in Amerika J.O.B.B. genannt) gar nichts mit Freimaurerei zu tun und steht dieser weit aelteren Bewegung in keiner Weise nahe. Der Name „Loge“ jedoch fuehrte dazu, den U.O.B.B. der Freimaurerei zu verdaechtigen bezw. zu beschuldigen. So kam es, dass bald nach der Machtergreifung Hitlers auch die juedischen Logen vorlaeufig geschlossen wurden oder vorsichtshalber ihren Betrieb einstellten, bis nach einigen Monaten (man sprach damals vom Eingreifen der amerikanischen Mutterloge, die die Beschuldigung der internationalen Verschwoerung zurueckwies) die Logentaetigkeit wieder aufgenommen werden konnte. Allerdings in stark beschraenktem Masse, denn alle Versammlungen und Zusammenkuenfte, besonders alle Vortraege, mussten bei der „Geheimen Staats-Polizei“ (Gestapo) angemeldet werden. Vortraege und Referate mussten im Wortlaut vorgelegt und durften nach Genehmigung (nach etwa 14 Tagen) nur streng nach dem Manuskript gehalten werden. Das war natuerlich nur selten von unseren Rednern zu verlangen, denn sie wurden meistens nicht honoriert. Auch war es nicht jedermanns Geschmack, sich erstens an das geschriebene Wort zu klammern und zweitens sich von den meist anwesenden Gestapo-Beamten kontrollieren und gelegentlich auch stoeren zu lassen. Es war ueberdies verboten, hebraeische Zitate zu bringen, wiederum eine Erschwerung in der Behandlung von grossenteils religioesen und religions- und bibelwissenschaftlichen Stoffen, die in unserem Kreis beliebt und bevorzugt waren und den Inhalt unserer Vortraege und Besprechungen bildeten. So wurde bald auf diese bisherigen Themen unserer Logen-Abende verzichtet und man begnuegte sich mit Diskussionen ueber angemeldete Themen, Schriften, Buecher und mit Rezitationen oder mit musikalischen Darbietungen. Selbst diese letzteren wurden oft von der Zensur der Gestapo gestrichen, besonders, wenn es sich um „arische“ Autoren handelte (wie oben bereits ausgefuehrt). Dennoch waren unsere Zusammenkuenfte besser als frueher besucht, denn sie waren den Bruedern und Schwestern doch ein schwacher Ersatz fuer die entbehrten Theater, Konzerte und andere Abendunterhaltungen. Auch war man gluecklich, mit Freunden, Gesinnungs- und Leidgenossen ein gemuetliches Stuendchen verleben zu koennen. - Die humanitaere Taetigkeit der Loge vervielfaeltigte sich jedoch von Tag zu Tag. Die steigende Not und Arbeitslosigkeit aller juedischen Kaufleute, Gewerbetreibenden, Kuenstler, Aerzte und Rechtsanwaelte griff sogar in unsere Kreise empfindlich ein. Unsere alte Parole, einst unser Stolz, uneigennuetzig nur anderen zu helfen, konnte nicht mehr gewahrt bleiben. Einst zahlungsfaehige Helfer wurden Notleidende und Unterstuetzte. Der materielle Abstieg der ehemals potenten und hilfsbereiten Mitglieder - nur solche waren ja grundsaetzlich aufgenommen worden - wurde immer deutlicher sichtbar, und die zunehmende Auswanderung verminderte die Zahl unserer Brueder, so dass 1937 von unseren einst 600 Mitgliedern nur noch etwa die Haelffe uebrig geblieben war. Meine Taetigkeit als Praesident und Mentor, welche Aemter ich in den letzten Jahren abwechselnd bekleidete, bestand daher groesstenteils in der Caritas ausserhalb und innerhalb der Loge, und ich tat einen tiefen Blick in die durch Hass und Verfolgung entstandene Not. Hier helfend eingreifen zu koennen, entsprach meinem Wunsch und beglueckte mich so sehr, dass ich trotz aller Warnungen meiner Frau und meiner naechsten Freunde das schwere, verantwortungsvolle und - vielleicht - Gefahr bringende Amt der Logenfuehrung immer wieder annahm, zumal bei der stetigen Abwanderung der Intellektuellen ein fuehlbarer Mangel an geeigneten Persoenlichkeiten eintrat. Die Warnungen waren leider berechtigt, denn meine Bereitwilligkeit, verbunden mit einem starken Bewusstsein der Verantwortung fuer die notwendige und richtige Weiterfuehrung einer so alten, im ganzen Orden geachteten Loge, wurde mir persoenlich zum Verhaengnis, als ploetzlich, „schlagartig“ - wie es der Brauch im nationalsozialistischen Staat - das Unglueck ueber unsere Vereinigung hereinbrach.
In manchen Laendern des Reichs, zuerst in Bayern, aber auch an einzelnen Orten Preus-sens, waren bereits frueher die juedischen Logen geschlossen, ihre Taetigkeit verboten und ihr Besitz beschlagnahmt worden. Wir aber fuehlten uns, mit den geschilderten Einschraenkungen, gewissermassen sicher, so dass ich das Jubilaeum der Loge festlich vorzubereiten begann. Da - es war nach meiner Erinnerung Anfang Februar 1937 - erschienen eines Montag Morgens gegen 7 Uhr in meiner Wohnung zwei Herren, liessen sich von der erschrockenen Hausangestellten an mein Schlafzimmer fuehren und weckten mich mit starken Schlaegen gegen die Tuer. Ich kleidete mich notduerftig an und fragte nach dem Grunde dieser Stoerung. Die Herren, bei aller Strenge uebrigens hoeflich, stellten sich als Beamte der Gestapo vor, liessen sich in mein Arbeitszimmer fuehren und fragten mich nach den etwa vorhandenen Logenakten und anderen auf die Loge bezueglichen Papiere, Buechern, Geldern u.s.w. Ich konnte ihnen nur wenig Material geben, da, wie ich ihnen sagte, die Logenakten fast ausschliesslich im Buero in unserem Logengebaeude verblieben. Ich lieferte also meine Aktenmappe mit wenig Inhalt, sowie einige Schriften und Buecher aus. Die Herren nahmen eine bedeutungslose „Haussuchung“, hauptsaechlich in meinem Buecherschrank und meinem Schreibtisch vor, besonders nach Auslandskorrespondenz suchend und die wenige vorhandene fluechtig lesend. Sie erlaubten mir, mein Morgengebet zu verrichten und zu fruehstuecken, und dann fuehrte man mich, oder umgekehrt ich die Herren, da sie sich als ortsfremd bekannten, in das nicht ferne Logenhaus. Als ich die Vermutung aussprach, dass das Haus noch geschlossen sei, eroeffneten mir die Herren, dass hier die Durchsuchung schon um 5 Uhr morgens begonnen habe, und wirklich war es fuer mich beim Eintreffen ein erschreckender Anblick, dass das Haus bereits von fremden Leuten wimmelte, die eine radikale Bestandsaufnahme veranstalteten, alle beweglichen Gegenstaende, besonders Schreibtische, Tische, Stuehle und Schreibmaschinen, sammelten, alle Schraenke aufbrachen und so das einst so wohnliche Heim bald in ein scheussliches Wirrwarr versetzten. An aufgestellten Wachen und Posten vorbei wurde ich in eines der Clubzimmer gefuehrt, wo ein kleiner Gerichtshof (3-4 Herren) auf mich wartete und mich vernahm. Wenn ich geglaubt hatte, nun ueber den Betrieb der Loge, deren Tendenzen, Taetigkeit, Mitglieder u.s.w. befragt zu werden, so wurde ich bald eines ändern belehrt. Nach ganz kurzer Aufnahme meiner Personalien und meiner Stellung in der Loge wurde lediglich kurz und buendig nach dem Vermoegen der Loge gefragt, worin dieses bestehe und wo sich vor allem das Barvermoegen befinde. Meine Auskunft ueber diese finanziellen Fragen konnte natuerlich nicht befriedigend sein, da diese Dinge nicht in mein Ressort fielen. Ich verwies nach dieser Richtung auf den Schatzmeister und den Finanzsekretaer, die allein genaue Angaben darueber machen koennten. Doch war man damit noch nicht zufrieden, denn man wollte offenbar gern recht bald genau wissen, was an Barvermoegen zu erwarten und zu ergattern sei. So gab ich eine oberflaechliche Zusammenstellung der Vermoegensverhaeltnisse der Loge, die ein großes wertvolles Grundstueck an einer der bedeutendsten Verkehrsstrassen der Stadt besass, im Wert von etwa 750 000 - Mark, und ein wunderschoenes Versammlungshaus mit grossen Saelen und Clubraeumen, mit einer umfangreichen Bibliothek, mit schoener Moebelausstattung und wertvollen Originalgemaelden, Aquarellen und Zeichnungen, ferner in den oberen Stockwerken zwei grosse Mietwohnungen. Das Haus war durch Hypotheken nicht stark belastet, und eines der kleinen, dazu gehoerigen Nachbargrundstuecke war kurz vorher an den „Rundfunk“ verkauft worden. Auf die wiederholten barschen Fragen: „Wo ist das Geld? Wo haben Sie es versteckt?“ konnte ich den Herren wahrlich keine ihnen genuegende Antwort geben. Ihre Verdaechtigungen Hessen mich kalt.
Das ganze Verhoer, das sich also in der Hauptsache um den zu beschlagnahmenden Besitz drehte, dauerte infolgedessen nur etwa eine halbe Stunde. Es verlief im ganzen in ruhigen, anstaendigen Formen. Nach seiner Beendigung wurde ich in den grossen Festsaal verwiesen, wo ich mit gemischten Gefuehlen eine ganze Zahl von Leidensgenossen, Praesidenten, Expraesidenten und anderen Beamten der eigenen und der zwei anderen Frankfurter Logen begruessen durfte, deren Domizil sich gleichfalls in unserem Gebaeude befunden hatte. Diese Begruessung konnte allerdings nur in einem Blick bestehen, da jedes Gespraech von den Aufsichtsbeamten, mehr oder weniger freundlichen, nicht uniformierten S.S.-Leuten und Beamten der Gestapo, verboten wurde. Auch das Rauchen wurde mit dem Hinweis auf Feuergefahr untersagt, waehrend manche, besonders die juengeren Aufseher eine Cigarette nach der anderen anzuendeten, sich dabei auf Baenken und Stuehlen raekelnd und uns aeltere Herren offenbar verspottend. Der Saal war und wurde uebrigens trotz vorhandenem Heizmaterial und trotz Anwesenheit des angestellten Heizers nicht geheizt, so dass wir empfindlich froren und uns durch Bewegung zu erwaermen suchten. Meine bescheidene Frage an den leitenden Beamten, ob wir nunmehr nicht nach Hause gehen koennten, da ja doch die Akten der Loge zur Verfuegung staenden und wir selbst jederzeit befragt werden koennten, wurde verneint. Es war augenscheinlich mit unserer Vernehmung und der ganzen Aktion auch eine gewisse Strafmassnahme verbunden, und ich sollte persoenlich darueber noch recht drastisch eines besseren belehrt werden.
Schon um 9 Uhr morgens etwa rief mich der Oberfuehrer des Untersuchungsstabs zu sich und ueberreichte mir feierlich das Aufloesungsdekret. Es war vom Ministerium des Innern (Himmler) ausgestellt und vom Regierungspraesidenten unterzeichnet. Es war an mich als derzeitigen Praesidenten der Frankfurt-Loge adressiert und enthielt unter Hinweis auf das entsprechende „Recht“ die Entscheidung, dass die Loge und der U.O.B.B. „staatsfeindliche Bestrebungen“ verfolgt und unterstuetzt haetten, darum aufgeloest wuerden, dass unser gesamtes Vermoegen bis auf weitere Verfuegung beschlagnahmt sei und wir unter Androhung schwerster Strafen keinerlei aehnliche Vereinigung gruenden oder ihr angehoeren und keine Zusammenkuenfte mehr veranstalten duerften. Der Aktions-fuehrer forderte mich auf, dieses Dekret mit meiner Unterschrift zu versehen. Ich verweigerte dies, da ich unmoeglich anerkennen koenne, jemals staatsfeindliche Bestrebungen verfolgt oder unterstuetzt zu haben. Erst nach der Versicherung, dass ich mit meiner Unterschrift nur den Empfang des Dekrets bescheinige, Unterzeichnete ich das Todesurteil meiner, der Frankfurt-Loge. Es war einer der schmerzlichsten Augenblicke meines Lebens.
Inzwischen waren auch alle anderen Funktionaere und Beamten unserer eigenen und der zwei Schwesterlogen, sowie der drei Frauenvereinigungen erschienen und zum Teil sehr unfreundlich vernommen worden. Trotz des Sprechverbots erfuhr ich von den mitanwesenden Freunden, dass diese zum Teil schon um 6 Uhr morgens und von sehr groben und unfreundlichen Personen verhaftet waren, wobei Beschimpfungen, Beleidigungen und Verdaechtigungen ihnen ins Gesicht geschleudert wurden. Den erhofften Erfolg hatten die Haussuchungen natuerlich nicht; doch wurden allerhand Wertgegenstaende kurzerhand mitgenommen und konfisziert. Der Saal fuellte sich. Die Stimmung im Haus verschlechterte sich zusehends, je mehr die Zeit vorrueckte und das Resultat offenbar materiell nicht befriedigt hatte - man hatte uns fuer reicher gehalten! - Nun verlegte man sich auf persoenliche Verdaechtigungen und Quaelereien verschiedener Art. So wurde einer meiner Freunde beschuldigt, zu einer angeblich „arischen“ Angestellten unmoralische Beziehungen gehabt zu haben. Auf seinen Wunsch wurde diese Dame herbeigeholt - das Resultat der genauen Untersuchung, die mit allen Schikanen, Kreuz- und Querfragen gefuehrt wurde, war nicht dem Wunsch des Untersuchenden entsprechend: es bestanden keinerlei persoenliche oder gar unsittliche Beziehungen zwischen dem Chef und der Angestellten, die obendrein eine Juedin war. - Ein anderer, ein bekannter Maler und Graphiker, wurde bei dem „schrecklichen“ Verbrechen ertappt, zum Zeitvertreib kleine Skizzen zu entwerfen. Der Aufsichtsbeamte glaubte, selbst karikiert worden zu sein, und stellte den ehrenwerten Mann wie einen Schulbuben an die Wand, befahl ihm auch, hingefallene Papierstuecke vom Boden aufzuheben und den Saal mit einem Besen zu reinigen.
Ich selbst blieb bis etwa 2 Uhr nachmittags unbehelligt. Dann ploetzlich wurde ich zu einer besonderen Vernehmung aufgerufen. Ein ganz sachlich handelnder Beamter befragte mich ueber einen Frankfurter Verein „Gesellschaft der Freunde“, der angeblich mit der Loge zusammenhaengen sollte. Natuerlich glaubte man mit dieser Begruendung, wenn sie sich bewaehrt haette, auch diesen Haus- und Vereinsbesitz konfiszieren zu koennen. Die Fragen nach einem Zusammenhang der beiden Korporationen verneinte ich nach bester Kenntnis ganz entschieden. Der Verein hatte mit der Loge und dem Orden ganz und gar nichts zu tun. Was ich ueberdies von ihm wusste, war nur sehr wenig. Meines Wissens hatte er ausschliesslich juedische Mitglieder und verfolgte nur gesellschaftliche Zwecke. Die Zusammenkuenfte seiner Mitglieder waren, so hatte ich gehoert, nur dem Kartenspiel gewidmet. Das teilte ich dem Untersuchenden mit, konnte ihm aber auf seinen Wunsch nur ein einziges Mitglied namhaft machen, dessen Zugehoerigkeit zu dem besagten Verein ich zufaellig durch den Herrn selbst einmal erfahren hatte, da er auch zu meinen Logenbruedern gehoerte. - Mit dieser knappen Auskunft war man wiederum offenbar nicht zufrieden, und nach etwa einer Stunde wurde ich nochmals und zwar dieses Mal vor einen groesseren Gerichtshof geladen. Er bestand aus mehreren aelteren und juengeren Beamten und S.S.-Leuten. Waehrend die Aelteren und Vernuenftigeren sich bei meiner auch jetzt negativen Auskunft scheinbar beruhigten, bekamen nun zwei Juengere die Oberhand. Es war leicht zu beobachten, dass ueberhaupt waehrend der ganzen Aktion die ruhigeren, vornehmeren, aelteren Beamten die juengeren Draufgaenger fuerchteten. Jetzt begann fuer mich ein 2- bis 3-stuendiges Martyrium. Ich lernte zum ersten Mal in drastischer Form die Untersuchungsmethoden des „Dritten Reiches“ und die grausame, qualvolle Art des Verfahrens gegen meist unschuldige, selten schuldige Verfolgte kennen. Was ich auch von meiner belanglosen und unklaren Kenntnis genannter Vereinigung vorbrachte - es wurde mir nichts geglaubt, weil man nichts glauben wollte. Ich muesse diesen Verein kennen. Ich sei einer der aeltesten im Logenkreise, sei ein alter Beamter der juedischen Gemeinde, wohne seit mehr als vier Jahrzehnten am Orte, alle meine Angaben seien luegenhaft, falsch, ungenuegend. Ich verschweige die mir nur allzu bekannte Wahrheit. Ich muesse mehr wissen, sowohl ueber die Zwecke des Vereins, wie ueber seine Mitglieder - kurz, ich sei ein Luegner! Ich verwies auf meine Position in der Gemeinde und in der Schule, auf meine fuehrende Stellung in der Loge und in vielen Vereinen und Verbaenden, auf meine Unbestraftheit, auf meine Ehrbarkeit, bot meinen Eid an - alles half nichts. „Was ist schon ein Judeneid?!“ wurde mir frech entgegnet, was ich freilich ganz energisch zurueckwies mit den Worten: „Ich nehme fuer mich die volle Wahrhaftigkeit meines Eides in Anspruch.“ Aber alles half nichts. Man glaubte mir angeblich nicht: man wolle schon die ganze Wahrheit erfahren, und wenn es nach meiner Verhaftung und Verbringung ins Zellengefaengnis waere. Ich sagte, alles, was ich mehr von diesem Verein sagen wuerde, koenne von mir nur erdichtet werden, da ich das Heim der „Gesellschaft der Freunde“ nur von aussen kenne und nie betreten habe. Uebrigens sei ja das Haus in der naechsten Naehe, man koenne es schnell aufsuchen und alles Wissenswerte dort leicht erfahren. Das geschah nicht - ein Beweis dafuer, dass es jetzt nur noch auf meine Drangsalierung abgesehen war. Man wurde immer erregter, bedrohte mich wiederholt mit strengeren Massnahmen, stellte mich stundenlang mit dem Gesicht zur Wand, ohne dass ich diese zu meiner Stuetze auch nur beruehren durfte. Bei einem Versuch schlug man meine Hand frech herunter. Ich bemerkte, dass ich 67 Jahre alt sei und erst kuerzlich einen schweren Autounfall ueberstanden habe. „Daran sind Sie gewiss selbst schuld gewesen!“ war die bloede, gefuehlsrohe Antwort. Jede Viertelstunde kam einer der Quaelgeister an mich heran mit der haemischen Frage, ob ich immer noch nicht mehr wisse. Einmal kam dieser Bursche aus dem Saal und behauptete mit erhobener Stimme, unter meinen Freunden da drinnen seien mehrere, die bestaetigt haetten, mich schon oft in der „Gesellschaft der Freunde“ gesehen zu haben. Ich haette dort oft Skat gespielt. Ich erwiderte ihm, diese Leute seien offenbare Luegner. Darauf erfolgte natuerlich keine Antwort und ebenso selbstverstaendlich keine Konfrontierung mit diesen angeblichen Zeugen.
Nach fast 3 Stunden solcher Quaelerei und mittelalterlichen Untersuchungsmethoden schien man doch endlich die Hoffnung aufzugeben und entliess mich - ich war nahe daran, meine Kraefte zu verlieren und einer Ohnmacht nahe - in den grossen Saal. - In diesem hatte inzwischen unter der Anfuehrung einiger der frechsten Luemmel unter den „Beamten“ ein foermliches Schreckensregiment Platz gegriffen, dessen Ausbrueche ich bereits durch die Saaltuere vernommen hatte. Die verhafteten Herren (meist 50-60 jaeh-rig) wurden in Reih und Glied geordnet und mussten soldatisch marschieren und exerzieren (natuerlich aus Mitgefuehl, damit sie in dem kalten Saal nicht frieren!). Dabei fielen die groeblichsten Beleidigungen und Beschimpfungen, wenn einer der immerhin bejahrten Herren ein wenig nachliess; nur Herzkranke wurden zeitweise beruecksichtigt, jedoch erst dann, wenn ein anwesender Arzt, einer der Verhafteten, auf sein Ehrenwort die Notwendigkeit der Schonung bestaetigte. Ich versuchte nach meiner Rueckkehr in den Saal, an den Marschuebungen teilzunehmen. Einer der aelteren Aufsichtsbeamten jedoch bemerkte, wie schwer es mir wurde, und erlaubte mir gnaedig, mich niederzusetzen. Da aber versagten auch schon meine Kraefte, und ich erlitt einen heftigen Nervenzusammenbruch. Endlich, etwa 7 Uhr abends, wurden wir unter nochmaliger Verwarnung vor der Fortsetzung jedweder Logen-aehnlichen Zusammenkuenfte und Taetigkeit entlassen.
In den naechsten Tagen hatte ich noch oefter telefonische Rueckfragen ueber den Verbleib einiger Akten und aehnlicher fuer die Scheinuntersuchung notwendigen Schriften zu beantworten, was sich noch bis zum Herbst erstreckte. Meine letzte persoenliche Vernehmung war am juedischen Neujahrsfeste, wovon man mich trotz meines Protests unter Hinweis auf die Heiligkeit des hoechsten Feiertags nicht befreite. Auch diese Untersuchung galt wie die erste lediglich dem zu raubenden Logenbesitz, den Haeusern und dem Vermoegen, und niemand anders wurde ausser mir damit behelligt, als unser Finanzsekretaer. Von da ab aber habe ich von unserem ehemaligen praechtigen Logenheim nichts mehr vernommen. Die Gebaeude blieben scheinbar lange unbenutzt. Wahrscheinlich machte die Besitzergreifung durch die Uebernahme der Hypothek (der Glaeubiger wohnte in der Schweiz) einige Schwierigkeiten. Das Emblem der Loge ueber dem Eingang wurde einige Monate spaeter durch den Steinmetz abgehauen. Was aus unserer kostbaren Bibliothek, den Bildern und Kunstgegenstaenden geworden ist, wurde nicht bekannt. Natuerlich ging es unseren zwei Schwesterlogen in Frankfurt und saemtlichen deutschen Logen nicht anders. Auch sie und ihre Frauenvereinigungen wurden ihres Besitzes enteignet, manchmal sogar unter mehrtaegiger Freiheitsberaubung der Praesidenten und anderen Beamten. Die Damen-Vorsitzenden wurden ohne Ruecksicht gleichfalls gepeinigt und belaestigt, besonders die Leiterin unserer Logenschwestern, die, weil sie den Geldbesitz ueber ihr eigenes Postscheck-Konto hatte fuehren lassen, sogar ein betraechtliches eigenes Vermoegen einbuesste, trotzdem sie natuerlich genau Buch gefuehrt hatte. Zu bedauern waren auch die Angestellten der Loge, der Kastellan des Hauses, ein Nichtjude, und unsere Sekretaerin, eine Juedin. Beide verloren mit der Aufloesung und Schliessung der Loge urploetzlich ihre langjaehrige Stellung, ihre Einkommen und ihre Altersversorgung. Alles das waere im frueheren Deutschland mit seiner ausgezeichneten Fuersorge fuer das Alter und die Invaliditaet, vor allem auch bei einer so achtbaren Vereinigung nicht moeglich gewesen. Schwer lastete besonders auf mir als dem einst Verantwortlichen die Sorge um unsere Witwen und Waisen, die bis dahin von uns eine monatliche Rente bis zur Hoehe vollkommener Versorgung bezogen hatten. All meine und meiner Freunde Bemuehungen nach dieser Richtung hatten nur den schwachen Erfolg, dass wir aus anderen Quellen fuer etwa ein Jahr ueber die Aufloesung der Loge hinaus den Armen mit einem kleinen Teilbetrag ihrer frueheren Bezuege helfen konnten. Dann sind sie der juedischen oder allgemeinen Armenfuersorge anheimgefallen, und so leiden die Angehoerigen und Hinterbliebenen einst wohl situierter Logenbrueder jetzt bittere Not.
Dass unsere Freundesschar gar nicht mehr Zusammenkommen durfte und alle frueher so engen Beziehungen aufgeloest wurden, schmerzte uns ebenfalls sehr. Aber alle Zusammenkuenfte, selbst solche aus religioesen Gruenden, waren ausserhalb der Synagogen verboten und, wenn nicht ausnahmsweise besonders genehmigt, mit Gefahr, mindestens mit laengerer Freiheitsberaubung verbunden. So endete ein Vereinsleben, wie es wert- und wirkungsvoller nicht vorstellbar ist, durch die rohe Gewalt, die Gier nach fremdem Besitz, Zerstoerungswut und Menschenhass.