Oktober 1936
Mit einem am 25. Oktober in Berlin geschlossenen geheimen Kooperationsvertrag zwischen Italien und dem Deutschen Reich wurde die von Mussolini so bezeichnete „Achse Berlin- Rom“ ins Leben gerufen. Diese Vereinbarung bedeutete eine Umwandlung des europäischen Bündnissystems zugunsten des NS-Regimes. Im amtlichen Kommuniqué hieß es: „Zur beiderseitigen Genugtuung ist die Übereinstimmung der Auffassungen und die Absicht der beiden Regierungen festgestellt worden, ihre gemeinsame Tätigkeit auf die Förderung des allgemeinen Friedens und Wiederaufbaus zu richten. Die beiden Regierungen haben beschlossen, zur Durchführung dieser Bestrebungen in Fühlung zu bleiben.“
Dass es dem NS-Regime allerdings kaum um eine solche „Förderung des allgemeinen Friedens“ ging, wurde unter anderem am 3. Oktober deutlich, als in Anwesenheit von Kriegsminister von Blomberg mit der „Scharnhorst“ das erste nach 1918 gebaute Schlachtschiff der deutschen Kriegsmarine in Wilhelmshaven vom Stapel lief. Der Minister betonte: „Das mächtige Schiff ist das deutsche Symbol praktischer Gleichberechtigung und völliger Wehrhoheit. Es ist ein Sinnbild wiedererweckte deutscher Seegeltung.“
Auf dem Bückeberg bei Hameln fand am 4. Oktober die diesjährige zentrale Feier zum Erntedankfest statt. Hauptprogrammpunkte waren – wie bereits im Vorjahr - eine militärische Schauübung, der Bericht des Reichsnährstandes und Reden der NS-Prominenz. Nachdem zwei Tage darauf durch Adolf Hitler das Winterhilfswerk 1936/37 eröffnet worden war, gab die Presse am 7. Oktober unter der Schlagzeile „Schmiede der Volksgemeinschaft“ das Ergebnis des vorjährigen WHWs veröffentlicht. Demnach waren 327 Millionen Reichsmark gesammelt worden; davon allein mehr als 62 Millionen durch sogenannte „Lohnspenden“, d.h. direkt vom Lohn abgezogenen Zwangsspenden. Wer sich hierauf nicht einließ, hatte mir Repressalien zu rechnen. Am 17. des Monats fand dann die erste Straßensammlung für das WHW 1936/37 statt. Als zentrale Veranstaltung der im Vormonat begonnenen reichsweiten Werbeaktion gegen das Verschwenden von Lebensmitteln durch Verderb wurde schließlich am 23. Oktober in der Kölner Messe die bis zum 8. November dauernde Ausstellung „Kampf um 1,5 Milliarden“ eröffnet. Am Vortag hatte Reichsernährungsminister Darré für nahezu alle Sorten Fleisch und Wurst Kleinhandelshöchstpreise in den größeren Städten erlassen. Diese Aktion zur Preisstabilisierung sollte vor allem dazu beitragen, die Löhne stabil, sprich niedrig halten.
Hinsichtlich der öffentlichen Medien bediente sich das Propagandaministerium offenbar des Prinzips von „Zuckerbrot und Peitsche“. Am 27. Oktober verkündete Reichssendeleiter Eugen Hadamovsky das unter dem Motto „Freude und Gemeinschaft“ stehende Winterprogramm des deutschen Rundfunks, in dem – ganz dem allgemeinen Hörerwunsch entsprechend - im Vergleich zu den beiden Vorjahren der Anteil politischer Sendungen zugunsten von Musik-Unterhaltungssendungen deutlich zurückgenommen wurde. Zuvor hatte Propagandaminister Goebbels am 11. Oktober hingegen die beiden Zeitschriften „Das innere Reich“ und „Der Querschnitt“ verboten; erstere wegen angeblicher „niederträchtiger Besudelung des Charakters Friedrich des Großen“, die zweite wegen einer „Zusammenstellung von bösartigen, intellektualistischen Verirrungen“.
Auch der Überwachungs- und Verfolgungsapparat lief weiterhin auf Hochtouren. Vor Vertreter von Fürsorgeorganisationen und der Kirchen berichtete SS-Sturmbannführer Alarich am 13. Oktober im Rahmen einer Zusammenkunft in Bielefeld über die Behandlung von „Asozialen“ im Gau Bayern, das in dieser Frage reichsweit eine Art Vorreiterrolle übernommen hatte. „Wer heute in Bayern als Hilfsbedürftiger ein Krankenhaus betritt“, so brachte der SS-Funktionär die Überwachungspraxis auf den grausamen Punkt, „ist sozusagen schon verhaftet.“ Am 1. August hatte die politische Polizei in Bayern nämlich Richtlinien herausgegeben, nach denen – in Analogie zu den sich auf die politische Ebene beziehenden Bestimmungen der „Reichstagsbrandverordnung – all jene jederzeit verhaftet werden konnten, die seitens des NS-Regimes als „Asoziale“ eingestuft wurden.
In einem internen Schreiben ordnete das Reichssicherheitshauptamt am 26. Oktober an, künftig bei Einweisungen in Konzentrationslager als Zeitangabe „bis auf Weiteres“ anzugeben, „um eine weitergehende abschreckende Wirkung zu erzielen“. In Deutschland wusste zu dieser Zeit wohl fast jeder, was mit „vorbeugender Polizeihaft“ und „Dachau“ zu verbinden war; eine Inhaftierung in einem der Konzentrationslager war längst zu einem institutionalisierten Mittel der nationalsozialistischen Machtausübung geworden.