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Chronik und Quellen
1936
Juli 1936

Schreiben des Gesundheitsamtes Hagenow an Staatsministerium für Medizinalangelegenheiten

Amtsarzt Wilhelm Dopheide aus Hagenow rechtfertigt vor dem Mecklenburgischen Staatsministerium am 30. Juli 1936 seinen Boykott des Dr. Hans Sommerfeld:

Etwa Mitte Juni 1935 kam ein Volksgenosse zu mir mit der Bitte, ihn für das Heer zu untersuchen bzw. zu durchleuchten. Es wurde ihm erklärt, daß es nicht möglich sei, da das Gesundheitsamt noch keinen Röntgenapparat besitze. Er möge sich an die zuständige Stelle wenden und dort anfragen, ob er eine Röntgenaufnahme machen lassen könne. Nach etwa 30 Minuten kam er wieder: „Mein Arzt hat mir gesagt, das müsse hier gemacht werden, das sei auch sonst so gewesen.“ Auf den nochmaligen Hinweis hin, daß es lediglich aus technischen Gründen nicht ginge, antwortete er: „Aber mein Arzt hat es doch gesagt.“ „Wer ist denn das?“ „Dr. Sommerfeld.“ - „Soo. Wissen Sie übrigens, daß Dr. Sommerf. ein jüdischer Arzt ist? Ich wollte es Ihnen nur sagen, da sie ja zum Militär wollen.“ - Am folgenden Morgen rief Dr. S. ganz erregt bei mir an: „Wie kommen Sie dazu, so etwas zu sagen??“ „Ich bin als Nationalsozialist verpflichtet, meine Volksgenossen aufzuklären.“ „Das ist Boykottieren. Ich bin so schon geschädigt genug. Sie scheinen nicht zu wissen, daß ich Schwerkriegsbeschädigter bin.“ - „Nein, das habe ich allerdings nicht gewußt. Ich will Ihnen aber auf Grund dessen den Gefallen tun und in Zukunft es den Leuten nicht mehr ganz so deutlich sagen. Genügt Ihnen das? - „Ja.“ -

In der Folgezeit habe ich wiederholt als Vertrauensarzt der Krankenkassen des Kreises Hagenow feststellen müssen, daß auffallend viele Volksgenossen sich von Dr. S. behandeln ließen und habe die Gelegenheit benutzt, diese Leute darauf hinzuweisen, daß Dr. S. ein nichtdeutscher Arzt sei, in allen Fällen, in denen ich es glaubte verantworten zu können. Wenn z. B. ein Kranker mit dem Abzeichen der DAF kam, habe ich ihn gefragt, ob er mit diesem Abzeichen zum Arzt gegangen sei. Wenn er dann „Ja“ sagte, habe ich ihn gefragt, ob er glaube, daß das Abzeichen mit dem Hakenkreuz in das Haus eines jüdischen Arztes passe. Oder als eine Hebamme meines Bezirkes sich von Dr. S. von Zwillingen entbinden ließ, habe ich sie ganz unumwunden gefragt, ob es ihrer Ansicht nach passen könne, daß der jüdische Arzt in ein Haus käme, in dem die Kinder einer Organisation angehören, die den Namen des Führers trägt. (Eins der Kinder hat m.W. eine Freistelle in Neukloster.) Oder wenn Angehörige der FLJ. von Dr. S. kamen, habe ich als H. J.-Arzt es für meine Pflicht gehalten, den Kameraden zu sagen, daß Dr. S. ein Jude ist.

Stets aber habe ich betont, daß es jedem Einzelnen freistünde, sich den Arzt zu suchen, den er wolle. Nur müsse er sich über die Folgen klar sein, besonders, wenn er einer der Gliederungen der Partei angehöre; ich hielte es aber für meine Pflicht, ihn darauf aufmerksam zu machen, daß Dr. S. kein deutscher Arzt sei.

Auch habe ich gelegentlich einer erweiterten Mitgliederversammlung der Partei in Hagenow über Erb- und Rassenpflege im Dritten Reich gesprochen und - nach Rücksprachen mit dem Kreisleiter, damit mir nicht der Vorwurf einer Einzelaktion gemacht würde - u. a. auch über die Nürnberger Gesetze gesprochen: Jude ist, wer... Für uns Nationalsozialisten bleibt ein Jude stets ein Jude, mag er nun katholisch oder evangelisch getauft sein. Immer habe ich betont, daß ich diese Aufklärung gäbe als Parteigenosse oder H.J.-Arzt oder Amtswalter der Partei.

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