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Chronik und Quellen
1936
März 1936

Präsident des Landesfinanzamts Karlsruhe an Reichsfinanzminister

Das Landesfinanzamt Karlsruhe berichtet dem Reichsfinanzminister am 3. März 1936 über die Zusammenarbeit mit der Gestapo bei der Überwachung von Juden:

Vorgang: Erlaß vom 23.1.36 o 2011 - 5 III/o 1729 - 998II
Anlage:                1 Durchschlag des Berichts.
1 Abschrift.

Bei den meisten Finanzämtern und Hauptzollämtern meines Bezirks sind Wahrnehmungen, daß Steuerpflichtige - insbesondere nichtarische Personen - ihre Bank- oder Postscheckguthaben abheben oder ihre Wohnungseinrichtungen, Grundstücke, Maschinen u. dergl. zu verkaufen suchen und hiernach anzunehmen ist, daß sie ins Ausland flüchten wollen, nicht gemacht worden. Soweit solche Feststellungen getroffen wurden, habe ich die Ämter veranlaßt, das Geheime Staatspolizeiamt in Karlsruhe, Gartenstraße 25, und die Zollfahndungsstelle Freiburg/Breisgau hiervon zu benachrichtigen.

Die Zusammenarbeit zwischen der Geheimen Staatspolizei, den Staatspolizeistellen, Finanz- und Hauptzollämtern, der Devisenstelle und der Zollfahndungsstelle Freiburg (einschließlich Zweigstellen) bei der Überwachung von Auswanderern und auswanderungsverdächtigen Personen vollzieht sich im allgemeinen reibungslos. Den Finanzämtern und der Zollfahndungsstelle ist in einer Reihe von Fällen durch die Staatspolizeistellen (insbesondere die Paßstellen) und die Geheime Staatspolizei von auswanderungsverdächtigen Personen Kenntnis gegeben worden, sodaß die zur Sicherstellung der Steuern, insbesondere der Reichsfluchtsteuer, erforderlichen Maßnahmen getroffen werden konnten. Ein Teil der Finanzämter arbeitet auch mit verschiedenen anderen Stellen zusammen, z. B. Postämtern, Notariaten, Handelskammern, Kreisleitungen der NSDAP, Arbeitsfront, Auswanderungsberatungsstellen u. a. m.

Die steuerliche Überwachung der abwandernden nichtarischen Personen obliegt im LFA.-Bezirlc Karlsruhe insbesondere dem Steuerfahndungsdienst, soweit erforderlich unter Zuziehung des Zollfahndungsdienstes. Die bei den Finanzämtern eingehenden Mitteilungen über Auswanderer oder Auswanderungsverdächtige werden in der Regel dem Steuerfahndungsdienst zur steuerlichen Nachprüfung und Überwachung der betreffenden Steuerpflichtigen zugeleitet. Um ein möglichst enges Zusammenarbeiten zwischen StFD. und ZFD. zu erzielen, habe ich die Steuerfahndungs- und Zollfahndungsbeamten angewiesen, sich über die Maßnahmen gegen Steuerflüchtlinge, soweit irgend möglich, gegenseitig zu verständigen.

Die Zahl der nichtarischen, insbesondere der fluchtverdächtigen Personen ist in den meisten FA.-Bezirken meines Bezirks gering, sodaß umfassende Anordnungen zur vollen steuerlichen Erfassung dieser Personen für diese Bezirke bis jetzt nicht nötig wurden. Dagegen ist die Zahl derartiger Personen in den großen Städten (Mannheim, Karlsruhe, Freiburg, Heidelberg, Pforzheim) sehr erheblich.

Besonders groß ist die Zahl der nichtarischen Personen (5000) sowie der Auswanderer und auswanderungsverdächtigen Personen in Mannheim. Um diese Personen steuerlich voll zu erfassen und zu verhindern, daß sie in das Ausland flüchten können, hat das Finanzamt Mannheim-Stadt die Bearbeitung sämtlicher Reichsfluchtsteuersachen und aller mit der Auswanderung zusammenhängenden Steuer- und sonstigen Fragen bei einer besonderen Stelle - der Reichsfluchtsteuerstelle - vereinigt. Wegen der Einrichtung dieser Stelle und der Maßnahmen des FA. Mannheim-Stadt zur Überwachung der nichtarischen Personen und zur Sicherung der Reichsfluchtsteuer und sonstiger Steuern darf ich auf den in Abschrift beiliegenden Bericht dieses Amtes vom 30.11.35 0 2011/X verweisen. Die zentrale Bearbeitung der Reichsfluchtsteuer und sämtlicher mit der Auswanderung zusammenhängenden Fragen beim FA. Mannheim-Stadt hat sich sehr bewährt. Es wird dadurch erreicht, daß alle diese Arbeiten beim Finanzamt einheitlich erledigt werden und daß sich die damit befaßten Beamten gründlich einarbeiten können. Ich habe deshalb den übrigen Finanzämtern, soweit sich in ihrem Bezirk eine größere Zahl von nichtarischen Personen befindet, empfohlen, in ähnlicher Weise zu verfahren.

Beim FA. Freiburg-Stadt ist im Dezember 1935 ebenfalls eine besondere Stelle für die Bearbeitung der Reichsfluchtsteuer und der mit der Auswanderung nichtarischer Personen verbundenen Fragen geschaffen worden, die mit einer Reihe sonstiger Stellen (Paßstellen, Polizeidirektion, Geheime Staatspolizei, Kriminalpolizei, Zollfahndungsstelle, Kreisleitung der NSDAP, Arbeitsfront, Grundbuchamt usw.) eng zusammenarbeitet. Die Paßstelle bei der Polizeidirektion Freiburg hat Ende November und Anfang Dezember 1935 durch die Polizeibeamten schlagartig die Geltung des Reisepasses sämtlicher in Freiburg wohnhafter Nichtarier auf das Inland beschränken lassen. Dies geschah durch Einzug und Sicherstellung der Pässe oder durch Streichung des Auslandsvermerkes. Durch diese Maßnahmen wurde es ungefähr 1000 Nichtariern unmöglich gemacht, ungehindert nach dem Ausland zu entkommen, dorthin ihr Vermögen zu bringen, oder dort ihr vorher in das Ausland verschobenes Vermögen zu verwalten, ohne daß es zur Kenntnis der Steuerbehörde kam.

Für die Nichtarier, die aus irgendwelchen Gründen (Exporttätigkeit, Reisetätigkeit, familiäre und verwandschaftliche Besuche bei Erkrankungs- oder Todesfällen usw.) nach dem Ausland reisen wollen und deshalb beim Paßamt wegen Ausdehnung des Inlandspasses auf das Ausland vorstellig werden, ist vor Erteilung der Genehmigung zur Auslandsreise die Beibringung einer Unbedenklichkeitsbescheinigung durch das FA. Freiburg-Stadt vereinbart worden. Durch das Bekanntwerden der Zuteilung eines Auslandspasses ist dem Finanzamt die Möglichkeit gegeben, Auskunft über den Zweck der Auslandsreise zu erlangen oder selbst Schlüsse zu ziehen, was der Steuerpflichtige im Ausland tun könnte. Das FA. (Freiburg-Stadt) hat die Unbedenklichkeitsbescheinigung ohne weiteres nur in denjenigen Fällen erteilt, in denen es sich um geringere Einkünfte und Vermögen sowie um steuerehrliche Personen handelte, von denen angenommen werden kann, daß ihre Veranlagungen in Ordnung gehen, und die keine Steuerrückstände hatten. In allen anderen Fällen ist die Erteilung der Unbedenklichkeitsbescheinigung von der Sicherstellung etwa fällig werdender Reichsfluchtsteuer, gegebenenfalls auch sonstiger Steuern, abhängig gemacht worden. Insbesondere bei den Pflichtigen mit großen Vermögen oder bei den als steuerunehrlich bekannten Personen oder solchen Steuerpflichtigen, die für ihre ganze Familie einen Auslandspaß beantragt haben, oder deren Vermögen flüssig angelegt ist, hat das Finanzamt Hinterlegung oder Sicherstellung eines Teils ihrer Vermögenswerte verlangt.

Die Zentralstelle für Reichsfluchtsteuer beim Finanzamt Freiburg-Stadt hat auch die Aufgabe, innerhalb des Finanzamts alle steuerlich zu erfassenden und auszuwertenden Fälle bis zu ihrem Abschluß zu überwachen und, soweit erforderlich, selbst zu bearbeiten.

In ähnlicher Weise verfahren die übrigen größeren Ämter.

Die Hauptzollämter, Bezirkszollkommissare und die Zollfahndungsstelle (nebst Zweigstellen) beteiligen sich, wenn auch in geringerem Umfang, ebenfalls an der Überwachung der Auswanderer und auswanderungsverdächtigen Personen. Sie arbeiten hierbei vielfach (außer mit den FÄ. und dem Steuerfahndungsdienst) eng mit den Bezirksämtern, der Gendarmerie und der Geheimen Staatspolizei zusammen. Da ein Eingreifen des Zollfahndungsdienstes in der Regel nur oder erst dann erfolgt, wenn flüssiges Vermögen erworben, bei Banken angelegt und nach Grenzorten umdisponiert wird oder in sonstiger Weise Devisen- und Zollvergehen in Frage kommen, ist eine stärkere Belastung des Zollfahndungsdienstes durch diese Tätigkeit bis jetzt nicht eingetreten.

Dagegen ist der Steuerfahndungsdienst durch derartige Arbeiten sehr stark in Anspruch genommen, zum Teil außerordentlich überlastet, insbesondere in Mannheim.

Von den Wahrnehmungen und Anregungen der Ämter dürften noch folgende von Interesse sein:

a) Exporteure. In letzter Zeit machen die Juden in zahlreichen Fällen geltend, daß sie zu Exportzwecken nach dem Ausland reisen müßten. Die Ermittlungen haben ergeben, daß es sich bei den angeblichen Exporteuren häufig um Personen handelte, die bisher überhaupt keinen Export oder nur ganz geringe Exportgeschäfte betrieben haben. Bei anderen Exporteuren ist aufgefallen, dass sie erhebliche Außenstände im Ausland haben; übermäßig große Zahlungsfristen gewähren usw., sodaß der Verdacht nicht von der Hand zu weisen ist, daß es sich hier um Kapitalverschiebungen in das Ausland handelt. Z. Zt. schweben Verhandlungen eines Finanzamts mit der zuständigen Reichsbankstelle mit dem Ziele, einen Weg zu suchen, der es ermöglicht, diese Kapitalverschiebungen rechtzeitig aufzudecken. Das Amt, das diese Wahrnehmungen gemacht hat, hält es für zweckmäßig, die Exportvalutaerklärungen, die bei der Reichsbank eingereicht werden, eingehender als bisher nachzuprüfen, und insbesondere auch die Zahlungsfristen mit den allgemein in den einzelnen Branchen üblichen Kreditfristen zu vergleichen und bei erheblichen Fristüberschreitungen die Exporteure auf die Ablieferungspflicht für ihre Devisen hinzuweisen. Wenn die Exporteure hierbei Schwierigkeiten machen, dürfe dies ein hinreichender Grund sein, einen Sicherheitsbescheid zu erlassen.

b) Bankguthaben usw. Es ist wiederholt vorgekommen, daß nichtarische Personen kurz vor ihrer Auswanderung erhebliche Bankguthaben abgehoben haben. Nach Auffassung des Amtes, in dessen Bezirk diese Beobachtung gemacht wurde, sollte ein Weg gefunden werden, der es ermöglicht, die Banken zu verpflichten, in solchen Fällen das Finanzamt umgehend zu benachrichtigen. Vielleicht könne der Bankenkommissar in dieser Hinsicht allgemeine Anweisungen an die Banken geben.

c) Kauf von ausländischen Wertpapieren. In letzter Zeit mehren sich die Fälle, daß nichtarische Personen ihre Kapitalien in ausländischen Wertpapieren anlegen. Diese Tatsache dürfte darauf zurückzuführen sein, daß die ausländischen Wertpapiere, im Gegensatz zu den deutschen, im Ausland zu günstigeren Kurswerten flüssig gemacht werden können.

d) Rückkauf von Versicherungen. Es wurde in zahlreichen Fällen festgestellt, daß nichtarische Personen kurz vor ihrer Auswanderung ihre im Inland abgeschlossenen Versicherungen zurückkaufen. Es sollte ein Weg gefunden werden, der es ermöglicht, die Versicherungsunternehmen zu verpflichten, vor Auszahlung der Versicherungssumme an nichtarische Versicherungsnehmer dem Finanzamt Mitteilung zu machen.

e) Entziehung von Auslandspässen. Um eine Flucht nichtarischer Personen zu verhindern, sollte nach Auffassung eines Amtes dringend dahin gewirkt werden, daß allen diesen Personen die Auslandspässe entzogen werden, so weit es sich nicht um Personen handelt, die häufig in das Ausland reisen müssen, um volkswirtschaftlich erwünschte und fruchtbringende Geschäfte abzuschließen.

f) Zurückhaltung großer Geldbeträge durch nichtarische Personen. Ein Finanzamt hat in zwei Fällen bei der steuerlichen Nachprüfung nichtarischer Personen festgestellt, daß diese Personen ungeachtet des Zinsverlustes längere Zeit größere Summen Bargeld im Safe der Bank liegen hatten, offensichtlich in der Absicht, im Notfall sofort flüssiges Geld zur Hand zu haben.

Ein Durchschlag des Berichts ist angeschlossen.

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