Schreiben des Potsdamer Regierungspräsidenten an Gauleiter Kube
Der Regierungspräsident in Potsdam berichtet dem Oberpräsidenten und Gauleiter Kube am 4. Februar 1936 über seine geplante Rundverfügung zur Judenfrage:
Betrifft: Erlaß einer Rundverfügung zur Judenfrage. Ohne Erlaß.
Berichterstatter: Regierungs-Assessor Radmann
Die Judengesetzgebung hat durch den Erlaß der Durchführungs- und Ausführungsbestimmungen zu den Nürnberger Gesetzen vorläufig ihren Abschluß gefunden. Eine bis ins einzelne gehende Regelung der künftigen Behandlung der Juden ist indessen durch sie noch nicht getroffen. Eine Reihe von Landräten meines Bezirkes haben bereits vorher Berichte über örtliche Maßnahmen zur Lösung der Judenfrage vorgelegt. Sie behandeln u. a. vor allem Beschlüsse einzelner Gemeinden über den künftigen Rechtsverkehr und den Umgang ihrer Einwohner mit Juden. Ich beabsichtige mit einer im Entwurf beigefügten Rundverfügung zu den von ihnen und zu von mir beobachteten Mißständen auf dem Gebiete der öffentlichen Aufklärung über die Judenfrage Stellung zu nehmen.
Ich bitte aber mit Rücksicht auf die grundsätzliche Bedeutung der Angelegenheit, und um die Einheitlichkeit ihrer Behandlung im gesamten Gau Kurmark zu sichern, um eine Stellungnahme zu meinem Entwurf.
Ich würde es begrüßen, wenn die genehmigte Verfügung auch allen in Betracht kommenden Parteistellen des Gaus zugeleitet werden würde, denn die Beschlüsse der Gemeinden sind häufig gerade durch die Parteidienststellen veranlaßt worden.
Die in meinem Entwurf angezogene Rundverfügung vom 22. August 1935 - I Pol.g.705 geh. - hat den mir unterstellten Behörden lediglich den Geheimen Runderlaß des Herrn Reichs- und Preußischen Ministers des Innern vom 20. August 1935 - III P.3710/59 XIII g - über das Verbot von Einzelaktionen gegen Juden zur Kenntnis gebracht.
2. Als Anlage zu 1 ist folgender Entwurf zu fertigen:
Entwurf
Die Judenfrage hat durch die Nürnberger Gesetze und die zu ihnen ergangenen Durch-führungs- und Ausführungsbestimmungen ihre zunächst abschließende Regelung gefunden. Ich nehme das zum Anlaß, um unter Hinweis auf meine Rundverfügung vom 22. August 1935 - I Pol.g.705 geh. - das Verbot jeglicher Einzelaktion gegen die Juden allen beteiligten Stellen nochmals mit aller gebotenen Eindringlichkeit in Erinnerung zu bringen. Die Erfahrungen der letzen Zeit haben den geringen Wert - richtiger gesagt: den Unwert - eines Vorgehens Einzelner bei Bekämpfung des schädlichen Einflusses des Judentums gezeigt. Die Stellung der Schädlinge ist im allgemeinen unverändert geblieben. Der Jude hat dagegen seinerseits den ihm angeblich zugefügten Schaden benutzt, um unter Hinweis auf ihn Mitleid zu erregen und letzten Endes auf diese Weise für sich zu werben. Eine Reihe von Gemeinden meines Bezirks hat geglaubt, der vorhandenen, bewußten und gefühlsmäßigen Ablehnung der Juden seitens der deutschen Volksgenossen durch veröffentlichte Beschlüsse über eine Beschränkung des Rechtsverkehrs und des Umgangs ihrer Bürger mit den Juden Ausdruck geben zu müssen. Die Beschlüsse gehen häufig über die der kommunalen Verwaltung durch das Gesetz auferlegten Schranken hinaus. Sie versagen, um ein Beispiel zu nennen, den Juden etwa die Bauerlaubnis und Wohnsiedlungsgenehmigung, deren Erteilung oder Versagung in Wahrheit Sache der staatlichen Behörden ist. Ihr Bekanntwerden und ihre Veröffentlichung muß zudem - und darin sind besonders die Bedenken gegen sie zu erblicken - in jedem mit den wirklichen Verhältnissen nicht Vertrauten den Eindruck entstehen lassen, der Jude habe in Deutschland unabhängig von der Rassenschutzgesetzgebung eine dem deutschen Bürger gegenüber schwer gedrückte Stellung. Tatsächlich ist dagegen die Lebensmöglichkeit des Juden in Deutschland auch nach der neuen Gesetzgebung keineswegs beeinträchtigt. Sie haben insbesondere weiter die von ihnen erwünschte Gelegenheit, einer gewinnbringenden Tätigkeit frei nachzugehen. Die Bekanntgabe solcher Beschlüsse dient daher nur dazu, im In- und Ausland völlig irrige Ansichten über die Lage des Judentums in Deutschland aufkommen zu lassen und der Hetze des Weltjudentums gegen Deutschland willkommenen Agitationsstoff zu geben. Ich kann infolgedessen förmliche und grundsätzliche Gemeindebeschlüsse über die künftige Behandlung der Juden nicht gutheißen und verbiete es den Gemeinden meines Bezirks mit sofortiger Wirkung, ohne meine ausdrückliche vorher eingeholte Genehmigung noch Beschlüsse zur Judenfrage zu fassen. Das soll eine notwendig gewordene Lösung von Einzelfragen natürlich nicht ausschließen. Ich bin mir zum Beispiel der Unzuträglichkeiten, die sich aus einer Benutzung gemeindlicher Badeanstalten durch Juden ergeben können, bewußt. Ich ersuche aber, entsprechend dem Vorgesagten in solchen Fällen vor einer Beschlußfassung mit eingehendem Bericht meine Zustimmung einzuholen. Eine überflüssige und vermeidbare Veröffentlichung etwa genehmigter Beschlüsse hat zu unterbleiben. Die antideutsche Propaganda des Judentums zwingt mich auch - ich wende mich dabei insbesondere an die Gemeinden mit starkem Fremdenbesuch -, vor der gebräuchlich gewordenen Aufstellung von Tafeln usw. mit aufklärendem Inhalt über die Judenfrage an Straßen und Plätzen mit großem Verkehr zu warnen. Der Deutschland besuchende Ausländer ist vorher einer ständigen und schrankenlosen antideutschen Hetze durch die Judenpresse ausgesetzt gewesen, er glaubt vielfach in der öffentlichen Ausstellung der aufklärenden Schriften und Schilder ein Zeichen einer, nach seinen Begriffen „intoleranten“ Gesinnung sehen zu müssen. Die antideutsche Propaganda wertet das geschickt aus und die vermeintlichen Erfolge der Aufklärungsarbeit im deutschen Volke treten, im Großen gesehen, gegenüber der Einbuße an deutschfreundlicher Gesinnung im Auslande zurück. Es wird sich nach meiner Anschauung weiter, abgesehen von der Rücksicht auf den Fremdenverkehr, verbieten, Anschlagstafeln mit aufklärendem Inhalt, die notwendigerweise oft sehr unerfreuliches Material aus dem Geschlechtsleben enthalten müssen, in unmittelbarer Nähe von Schulen und sonst von der Jugend viel besuchten Orten aufzustellen. Die Jugend wird dadurch in einer sicherlich ungewollten, aber doch schädlichen Nebenwirkung sehr unerwünschterweise zu Eindrücken gelangen, die sich in der Entwickelungszeit nur ungünstig auswirken können.
Die Anbringung von Schildern mit bedenklichem Inhalt, wie etwa: „Das Betreten des Or tes ist für Juden mit Lebensgefahr verbunden“, hat, wie schon wiederholt in Einzelfällen bekannt gegeben worden ist, selbstverständlich zu unterbleiben.
Der im Sinne vorstehender Weisungen richtigen Behandlung der Judenfrage kommt gerade im laufenden Jahre wegen der Olympiade eine auf das Aeußerste gesteigerte Bedeutung zu und zwar gerade im Regierungsbezirk Potsdam, in welchem sich nicht nur das olympische Dorf befindet, sondern welcher auch sonst ausflugsweise stark von Angehörigen aller Nationen aufgesucht werden wird. Unter den fremdländischen Besuchern befinden sich nicht nur Juden, sondern vor allem auch zahlreiche Nichtjuden, die, wenn sie auch nicht gerade Judenfreunde, so doch jedenfalls keine grundsätzlichen Gegner sind und die der deutschen Rassengesetzgebung vorerst noch verständnislos gegenüberstehen. Die Gefühle aller dieser fremdländischen Teilnehmer und Besucher der olympischen Spiele dürfen schon aus Gründen der Höflichkeit gegenüber den Gästen Deutschlands nicht durch außenpolitisch aufreizend wirkende Plakate, Anschläge und Boykottmaßnahmen verletzt werden. Allgemein und grundsätzlich bleibt stets zu beachten, daß die Judenfrage, soweit sie nicht bereits im Sinne des nunmehr im Aufbau befindlichen Dritten Reiches gesetzlich geregelt ist, nicht durch mehr oder weniger ungesetzliche Kampfmittel entscheidend und bleibend gelöst werden kann, sondern allein durch erzieherische Einwirkung auf die deutschen Volksgenossen und durch die als Folge dieser Einwirkung zunehmend geübte Selbstzucht und Zurückhaltung aller deutschen Volksgenossen gegenüber den Juden. Alle erzieherischen Maßnahmen in diesem Sinne müssen sich in den Grenzen halten, bei deren Ueberschreitung sie aufhören, erzieherische Einwirkung auf die deutschen Volksgenossen zu bedeuten, und vielmehr anfangen, unzulässiger Zwang zu sein, der sich öffentlich und mehr oder weniger unmittelbar gegen die Juden richtet.