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Chronik und Quellen
1935
Dezember 1935

Boykott jüdischer Geschichte in Radeberg

Boykott jüdischer Geschichte in Radeberg

Die Stadt Radeberg berichtet dem Sächsischen Staatsminister für Wirtschaft und Arbeit am 14. Dezember 1935 über den Boykott jüdischer Geschäfte:

Betr.: Jüdische Geschäfte in Radeberg.

Auf die Verordnung vom 7. Dezember 1935 berichte ich unter Rückgabe der beiden Eingaben des Rechtsanwalts Dr. Neumark aus Dresden an das Reichswirtschaftsministerium auf Grund meiner Unterlagen und insbesondere der polizeilichen Ermittlungen folgendes: Die in der Eingabe vom 11. September 1935 angeführten Auftraggeber Franz Schaefer (Geschäftsinhaberin ist die Ehefrau Rosa Schaefer geb. Ikenberg), Franz Hofstein, Martin (nicht Max) Liegner und Franz Herzfeld sind die Inhaber der hier allgemein bekannten und an der Hauptstraße liegenden vier jüdischen Geschäfte.

In der Nacht zum 20. Juli 1935 sind die Schaufenster dieser vier Geschäfte und der Fußsteig davor mit einer Farbe aus Schlemmkreide und Wasserglas mit den Worten „Jude!“ und „Rasseschänder“ bemalt worden. Die Geschäftsinhaberin Rosa Schaefer geb. Ikenberg hat dies früh in der sechsten Stunde der Polizei angezeigt und als Täter den hier Pulsnitzer Straße 28 wohnhaften, am 11. März 1911 in Breslau geborenen Drogisten Rudolf Dauster bezeichnet. Den Namen des Täters hat sie von dem hiesigen Wachtmann des Deutschen Schutz- und Sicherheitsdienstes Max Anders erfahren. Bei seiner Vernehmung hat Dauster zugegeben, ohne irgendeinen Auftrag und lediglich aus eigener Überzeugung als Antisemit die Tat ausgeführt zu haben. Dauster ist kein Mitglied der NSDAP. Er befand sich vom Oktober 1933 bis 1934 im Arbeitsdienst. Dauster ist von mir persönlich am 27. Juli 1935 an Amtsstelle nachdrücklichst verwarnt worden.

In der Nacht zum 26. Juli sind nochmals Schaufenster dieser jüdischen Geschäfte und die Fußsteige vor den Ladentüren mit dem Wort „Jude“ bemalt worden. Die polizeilichen Ermittlungen nach den Tätern waren aber erfolglos.

Von der Ortsgruppe Radeberg der NSDAP ist mit meiner Genehmigung am 17. August 1935 ein größerer Aushangkasten zum Aushang der Zeitschrift „Der Stürmer“ am Rathaus angebracht worden. Der Kasten enthält die Aufschriften: „Der Jude siegt mit der Lüge und stirbt mit der Wahrheit. Wer beim Juden kauft, ist ein Volksverräter“. In einem kleinen Teil dieses Kastens sind auch eine zeitlang ohne eine besondere Überschrift, wie etwa „Schandecke“, Fotografien der vier jüdischen Geschäfte durch die Partei ausgehangen worden. Es trifft auch zu, daß einige Male Käufer beim Verlassen eines der vier jüdischen Geschäfte fotografiert und die Bilder in dem genannten Kasten ausgehangen worden sind. Einen Anlaß zu einem polizeilichen Einschreiten dagegen habe ich nicht finden können.

Es entspricht auch den Tatsachen, daß von der Ortsgruppenleitung der NSDAP, an die Parteimitglieder und von der hiesigen Leitung der Deutschen Arbeitsfront an ihre Gefolgschaftsmitglieder Zettel des Inhalts verteilt worden sind, daß Judengeschäfte unbedingt zu meiden sind. Auch ich habe meinen Beamten, Angestellten und Arbeitern verboten, in jüdischen Geschäften zu kaufen. Ich halte das Verbot auch heute noch aufrecht. Andererseits ist es aber unwahr, wenn behauptet wird, daß vor diesen Geschäften regelmäßig Posten stehen oder gestanden haben, um die Käufer abzuschrecken.

Auf Grund eines Rundschreibens der Kreisleitung Dresden der NSDAP, vom 6.8.1935, wonach alle antijüdische Propaganda durch Zettelankleben, Plakate und Transparente zu verschwinden habe, ist auch hier alles unterlassen worden, was gegen diese Anordnung und die der Regierungsstellen verstoßen hätte.

Nach den Unterlagen des hiesigen Finanzamtes haben die fraglichen vier Geschäfte in den vergangenen Monaten folgende Umsätze erzielt:

                                    Schaefer       Hofstein     Liegner         Herzfeld

April 1935                    11.579 RM       12.529 RM   1.778 RM     1.515 RM
Mai                              10.992             13.637           1.296            1.790
Juni                              11.431            12.328           1.860           1 930
Juli                                8.951             10.473           1.248           1.400
Aug.                              8.312             10.455              938           1.047
Sept.                             4.945                4.686             410              430
Okt.                               6.627               7.591             593              502
Nov.                             8.125                8.200              675              530.

Aus diesen Umsatzbeträgen geht hervor, daß diese ihre Höhe nach in den Monaten Juli und August etwas niedriger sind als in den Vormonaten, daß aber die Angabe des Dr. Neumark, die Umsätze seien um V} zurückgegangen, stark übertrieben ist. Daß die Umsätze im Monat September noch weiter gesunken sind, kann nicht auf irgendwelche Boykottmaßnahmen zurückgeführt werden, die tatsächlich nicht stattgefunden haben.

Nicht unerwähnt will ich lassen, daß der jüdische Kaufmann Martin Liegner am 24. September ds. Js. wegen staatsfeindlicher Einstellung in Schutzhaft genommen werden mußte und sich auf Anordnung des Geheimen Staatspolizeiamtes für Sachsen in Dresden bis 8. November 1935 im Konzentrationslager Sachsenburg befand.

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