Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens vom 3. Dezember 1938
Die Verordnung von Reichswirtschafts- und Reichsinnenministerium regelt die Zwangsveräußerung oder „Abwicklung“ von Gewerbebetrieben, von Grundeigentum, Wertpapieren, Juwelen, Schmuck und Kunstgegenständen. Zulässig ist u.a. die Einsetzung von Treuhändern. Zudem wird ein Depotzwang für Wertpapiere eingeführt. Der Verordnungstext lautet:
Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens vom 3. Dezember 1938
Auf Grund des § 1 der Zweiten Anordnung des Beauftragten für den Vierjahresplan auf Grund der Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden vom 24. November 1938 (Reichsgesetzbl. I, S. 1668) wird im Einvernehmen mit den beteiligten Reichsministern folgendes verordnet:
Artikel I
Gewerbliche Betriebe § 1
Dem Inhaber eines jüdischen Gewerbebetriebs (Dritte Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. Juni 1938 - Reichsgesetzbl. I, S. 627) kann aufgegeben werden, den Betrieb binnen einer bestimmten Frist zu veräußern oder abzuwickeln. Mit der Anordnung können Auflagen verbunden werden.
§ 2
(1) In jüdische Gewerbebetriebe, deren Inhabern nach § 1 die Veräußerung oder die Abwicklung aufgegeben worden ist, kann zur einstweiligen Fortführung des Betriebs und zur Herbeiführung der Veräußerung oder Abwicklung ein Treuhänder eingesetzt werden, insbesondere wenn der Betriebsinhaber der Anordnung innerhalb der ihm gesetzten Frist nicht nachgekommen und ein Antrag auf Verlängerung der Frist abgelehnt worden ist.
(2) Der Treuhänder ist zu allen gerichtlichen und außergerichtlichen Geschäften und Rechtshandlungen ermächtigt, die der Betrieb des betreffenden Unternehmens, seine Abwicklung oder Veräußerung erforderlich machen. Seine Ermächtigung ersetzt in diesem Rahmen jede gesetzlich erforderliche Vollmacht.
(3) Der Treuhänder hat bei seiner Tätigkeit die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns anzuwenden und steht unter staatlicher Aufsicht.
(4) Die Kosten der treuhänderischen Verwaltung trägt der Betriebsinhaber.
§3
(1) Die Verfügungen nach §§ 1 und 2 sind dem Inhaber des jüdischen Gewerbebetriebs zuzustellen.
(2) Bei Abwesenheit des Betroffenen kann die Zustellung durch Bekanntmachung im Deutschen Reichsanzeiger und Preußischen Staatsanzeiger erfolgen. In diesen Fällen gilt der Tag der Bekanntmachung als Tag der Zustellung.
§4
Mit der Zustellung der Verfügung, durch die ein Treuhänder gemäß § 2 eingesetzt wird, verliert der Inhaber des Gewerbebetriebs das Recht, über die Vermögenswerte zu verfügen, zu deren Verwaltung der Treuhänder eingesetzt ist. Er erlangt dieses Recht erst wieder, wenn die Bestellung des Treuhänders aufgehoben wird.
§5
Die Genehmigung der Veräußerung nach § 1 der Anordnung auf Grund der Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden vom 26. April 1938 (Reichsgesetzbl. I, S. 415) ist auch in den Fällen notwendig, in denen die Veräußerung angeordnet ist; das gilt auch für die Veräußerung durch einen Treuhänder.
Artikel II
Land- und forstwirtschaftliche Betriebe Grundeigentum und sonstiges Vermögen §6
Einem Juden (§ 5 der Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. November 1935 - Reichsgesetzbl. I, S. 1333) kann aufgegeben werden, seinen land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb, sein anderes land- oder forstwirtschaftliches Vermögen, sein sonstiges Grundeigentum oder andere Vermögensteile ganz oder teilweise binnen einer bestimmten Frist zu veräußern. Mit der Anordnung können Auflagen verbunden werden. Die Vorschriften der §§ 2 bis 4 gelten entsprechend.
§7
(1) Juden können Grundstücke, grundstücksgleiche Rechte und Rechte an Grundstücken nicht durch Rechtsgeschäft erwerben.
(2) Die Vorschriften der §§2 und 4 bis 6 der Anordnung auf Grund der Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden vom 26. April 1938 (Reichsgesetzbl. I, S. 415) gelten entsprechend.
(3) Bei der Zwangsversteigerung von Grundstücken hat das Vollstreckungsgericht Gebote zurückzuweisen, wenn Anlaß zu der Annahme besteht, daß der Bieter Jude ist.
(4) Die Zurückweisung nach Abs. 3 verliert ihre Wirkung, wenn der Bieter ihr sofort widerspricht (§ 72 Abs. 2 des Zwangsversteigerungsgesetzes) und wenn er nachweist, daß er kein Jude ist.
(5) Ist der Zurückweisung eines Gebotes nach Abs. 4 widersprochen, so soll die Entscheidung über den Zuschlag erst zwei Wochen nach dem Schluß der Versteigerung getroffen werden.
§8
(1) Die Verfügung über Grundstücke und grundstücksgleiche Rechte durch Juden bedarf zu ihrer Wirksamkeit der Genehmigung. Die Verfügung über sonstige Vermögensteile bedarf zu ihrer Wirksamkeit der Genehmigung, wenn die Veräußerung nach § 6 dieser Verordnung angeordnet ist. Das gilt auch für die Verfügung durch einen Treuhänder.
(2) Die Vorschriften des Abs. 1 gelten auch für das Verpflichtungsgeschäft.
(3) Die Vorschriften des § 1 Abs. 2 und des § 2 der Anordnung auf Grund der Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden vom 26. April 1938 (Reichsgesetzbl. I, S. 415) gelten entsprechend. Bei Verfügungen über unbewegliches Vermögen gelten auch die Vorschriften der §§ 4 bis 6 der genannten Anordnung entsprechend.
(4) Bei der Veräußerung eines Grundstücks im Wege der Zwangsversteigerung bedarf das Gebot der Genehmigung; ein Gebot, für das die erforderliche Genehmigung nicht sofort nachgewiesen wird, ist zurückzuweisen. Im Geltungsbereich des Reichsgesetzes über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung darf in den Fällen des § 81 Abs. 2 und 3 dieses Gesetzes der Zuschlag an einen anderen als den Meistbietenden nur erteilt werden, wenn dieser andere die Genehmigung beigebracht hat.
§ 9
(1) Die Genehmigung nach § 8 ersetzt die nach der Grundstücksverkehrsbekanntmachung vom 26. Januar 1937 (Reichsgesetzbl. I, S. 35), dem Gesetz über die Aufschließung von Wohnsiedlungsgebieten vom 22. September 1933 (Reichsgesetzbl. I, S. 659), der Ersten Durchführungsverordnung zum Gesetz über die Sicherung der Reichsgrenze und über Vergeltungsmaßnahmen vom 17. August 1937 (Reichsgesetzbl. I, S. 905) sowie die nach preisrechtlichen Vorschriften erforderlichen Genehmigungen.
(2) Bei der Veräußerung von land- oder forstwirtschaftlichen Betrieben oder der Bestellung eines Nießbrauchs an solchen Betrieben tritt die Genehmigung nach § 8 an Stelle der Genehmigung nach § 1 der Anordnung auf Grund der Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden vom 26. April 1938 (Reichsgesetzbl. I, S. 415).
§ 10
(1) Veräußert ein Jude ein im Gebiet der Reichshauptstadt Berlin gelegenes Grundstück, so steht der Reichshauptstadt Berlin zur Durchführung der städtebaulichen Maßnahmen des Generalbauinspektors ein Vorkaufsrecht zu.
(2) Die Vorschriften der §§ 12 und 13 der Verordnung über die Neugestaltung der Reichshauptstadt Berlin vom 5. November 1937 (Reichsgesetzbl. I, S. 1162) gelten entsprechend.
(3) Das Vorkaufsrecht besteht nicht, wenn das Reich, ein Land oder die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei an dem Rechtsgeschäft als Erwerber beteiligt sind.
Artikel III
Depotzwang für Wertpapiere § 11
(1) Juden haben binnen einer Woche nach Inkrafttreten dieser Verordnung ihre gesamten Aktien, Kuxe, festverzinslichen Werte und ähnlichen Wertpapiere in ein Depot bei einer Devisenbank einzulegen. Neu erworbene Wertpapiere sind binnen einer Woche nach dem Erwerb in ein solches Depot einzuliefern. Der Besitzer derartiger einem Juden gehöriger Wertpapiere darf die Wertpapiere nur an eine Devisenbank für Rechnung des Juden aushändigen.
(2) Soweit zu Gunsten von Juden Wertpapiere bereits im Depot bei einer Devisenbank liegen oder Schuldbuchforderungen eingetragen sind oder bei einer Verwaltungsstelle Auslosungsscheine hinterlegt sind, auf Grund deren Vorzugsrenten gewährt werden, haben die Juden unverzüglich der Bank, der Schuldenverwaltung oder der Verwaltungsstelle durch eine schriftliche Erklärung ihre Eigenschaft als Juden anzuzeigen. Im Falle des Abs. 1 Satz 3 muß diese Erklärung gegenüber dem Besitzer abgegeben werden.
(3) Die Depots und die Schuldbuchkonten sind als jüdisch zu kennzeichnen.
§ 12
Verfügungen über die in ein jüdisches Depot eingelegten Wertpapiere sowie Auslieferungen von Wertpapieren aus solchen Depots bedürfen der Genehmigung des Reichswirtschaftsministers oder der von ihm beauftragten Stelle.
§ 13
Die Vorschriften der §§ 11 und 12 gelten nicht für Juden ausländischer Staatsangehörigkeit.
Artikel IV
Juwelen, Schmuck- und Kunstgegenstände
§ 14
(1) Juden ist es verboten, Gegenstände aus Gold, Platin oder Silber sowie Edelsteine und Perlen zu erwerben, zu verpfänden oder freihändig zu veräußern. Solche Gegenstände dürfen, abgesehen von der Verwertung eines bei Inkrafttreten dieser Verordnung zu Gunsten eines nichtjüdischen Pfandgläubigers bereits bestehenden Pfandrechts aus jüdischem Besitz, nur von den vom Reich eingerichteten öffentlichen Ankaufsstellen erworben werden. Das gleiche gilt für sonstige Schmuck- und Kunstgegenstände, soweit der Preis für den einzelnen Gegenstand 1000 Reichsmark übersteigt.
(2) Die Vorschrift des Abs. 1 gilt nicht für Juden ausländischer Staatsangehörigkeit. Artikel V
Allgemeine Vorschriften
§ 15
(1) Die Genehmigung zur Veräußerung jüdischer Gewerbebetriebe, jüdischen Grundbesitzes oder sonstiger jüdischer Vermögensteile kann unter Auflagen erteilt werden, die auch in Geldleistungen des Erwerbers zu Gunsten des Reichs bestehen können.
(2) Die Genehmigungen der im Abs. 1 genannten Art können auch mit der Maßgabe erteilt werden, daß dem jüdischen Veräußerer an Stelle des ganzen oder eines Teiles des im Veräußerungsvertrag vorgesehenen Entgelts Schuldverschreibungen des Deutschen Reichs zugeteilt oder Schuldbuchforderungen in das Reichsschuldbuch eingetragen werden.
§ 16
Die im Artikel II für Juden getroffenen Bestimmungen erstrecken sich auch auf Gewerbebetriebe sowie auf Vereine, Stiftungen, Anstalten und sonstige Unternehmen, die nicht Gewerbebetriebe sind, soweit sie nach der Dritten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. Juni 1938 (Reichsgesetzbl. I, S. 627) als jüdisch gelten.
§17
(1) Für die Verfügungen nach den Vorschriften der Artikel I und II sind, vorbehaltlich der besonderen Bestimmungen im Abs. 3 und 4, die höheren Verwaltungsbehörden zuständig. Die höheren Verwaltungsbehörden führen auch die Aufsicht über die eingesetzten Treuhänder.
(2) Welche Behörden höhere Verwaltungsbehörden im Sinne dieser Verordnung sind, bestimmt sich nach § 6 der Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden vom 26. April 1938 (Reichsgesetzbl. I, S. 414) mit der Maßgabe, daß
in Anhalt
das Anhaitische Staatsministerium, Abteilung Wirtschaft,
in Baden
der Badische Finanz- und Wirtschaftsminister,
in Württemberg
der Württembergische Wirtschaftsminister,
in Österreich
der Reichskommissar für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich oder die von ihm beauftragten Stellen,
in den sudetendeutschen Gebieten
die Regierungspräsidenten
zuständig sind.
(3) Soweit es sich um landwirtschaftliches Vermögen handelt, tritt an die Stelle der höheren Verwaltungsbehörde in Preußen der Oberpräsident (Landeskulturabteilung), in den außerpreußischen Ländern die obere Siedlungsbehörde. Soweit es sich um forstwirtschaftliches Vermögen handelt, tritt an die Stelle der höheren Verwaltungsbehörde die höhere Forstbehörde.
§18
(1) Örtlich zuständig ist,
1. wenn die Verfügung einen Betrieb, ein Grundstück oder ein grundstücksgleiches Recht betrifft, diejenige Behörde, in deren Bezirk der Betrieb oder das Grundstück belegen ist,
2. wenn die Verfügung sonstige Vermögensteile betrifft, diejenige Behörde, in deren Bezirk der jüdische Eigentümer oder Verfügungsberechtigte seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat.
(2) In Zweifelsfällen wird die zuständige Behörde durch den Reichswirtschaftsminister bestimmt.
§ 19
Gegen Verfügungen auf Grund dieser Verordnung steht dem Betroffenen binnen zwei Wochen nach Bekanntgabe der Verfügung an ihn die Beschwerde an den Reichswirtschaftsminister zu. Die Entscheidung des Reichswirtschaftsministers kann nicht angefochten werden.
§ 20
(1) Soweit es sich um landwirtschaftliches Vermögen handelt, tritt in den Fällen des § 18 Abs. 2 und des § 19 an Stelle des Reichswirtschaftsministers der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft, soweit es sich um forstwirtschaftliches Vermögen handelt, der Reichsforstmeister.
(2) Soweit es sich um Betriebe des Landhandels und der Be- und Verarbeiter landwirtschaftlicher Erzeugnisse handelt (Reichsnährstandshandel, Reichsnährstandsindustrie, Reichsnährstandshandwerk im Sinne des § 1 der Dritten Verordnung über den vorläufigen Aufbau des Reichsnährstandes vom 16. Februar 1934 - Reichsgesetzbl. I, S. 100 -und der dazu ergangenen Nachträge), trifft der Reichswirtschaftsminister die Entscheidungen nach § 18 Abs. 2 und § 19 im Einvernehmen mit dem Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft, soweit es sich um Bearbeiter- und Verteilerbetriebe der Forst- und Holzwirtschaff im Sinne der Verordnung über die Errichtung, Übernahme und Erweiterung forst- und holzwirtschaftlicher Bearbeiter- und Verteilerbetriebe vom 28. Februar 1938 (Reichsgesetzbl. I, S. 231) handelt, im Einvernehmen mit dem Reichsforstmeister.
§ 21
(1) Verfügungen der höheren Verwaltungsbehörde, durch die ein Jude fremder Staatsangehörigkeit betroffen wird, sollen nur mit Zustimmung des Reichswirtschaftsministers ergehen.
(2) Das gleiche gilt für Verfügungen der im § 17 Abs. 3 genannten Behörden, durch die ein Jude fremder Staatsangehörigkeit betroffen wird. Die erforderliche Zustimmung erteilen in diesen Fällen der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft oder der Reichsforstmeister im Einvernehmen mit dem Reichswirtschaftsminister.
§ 22
Soweit die Vorschriften dieser Verordnung in den sudetendeutschen Gebieten nicht unmittelbar angewendet werden können, sind sie sinngemäß anzuwenden.
§ 23
(1) Wer den Vorschriften der §§ 4,6 Satz 3, §§ 8,11 Abs. 1 und 2, §§ 12 und 14 zuwiderhandelt, wird nach § 8 der Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden vom 26. April 1938 (Reichsgesetzbl. I, S. 414) bestraft.
(2) Nach dieser Vorschrift wird auch bestraft, wer vorsätzlich Vermögenswerte erwirbt, über die entgegen den Vorschriften der §§ 4 oder 6 Satz 3 verfügt wird.
§ 24
Diese Verordnung tritt mit dem Tage der Verkündung in Kraft.
Berlin, den 3. Dezember 1938.
Der Reichswirtschaftsminister Walther Funk
Der Reichsminister des Innern Frick