Dachau
Über den Transport nach und die Ankunft in Dachau berichtet der 18-jährige Willi Hirschfeld aus Bonn (Später: Willy Field):
„Dann wurden wir abgeholt und in einen Güterzug gesteckt. Wir wussten ja gar nicht wohin, wo und was? Und dann sind wir mit dem Zug gefahren und gefahren, wir hörten das Geräusch vom Zug. Und mitten in der Nacht sind wir irgendwo angekommen. Wir wussten nicht, wo es war, das war München. Die Scheinwerfer haben alles erleuchtet, sie haben die Türen aufgemacht. In jedem Güterwagen waren 40/50 Leute. Auf einmal hat da die ganze SS gestanden, auf jeder Seite, und mit dem Gewehrkolben auf uns draufgeschlagen. Wir sind irgendwie gelaufen, es war mitten in der Nacht. Auf einmal sehe ich ein großes Tor, ein Eisentor, da habe ich gewusst, wir waren im Konzentrationslager Dachau. Auf dem Tor stand geschrieben: ARBEIT MACHT FREI. Man hat uns nackt ausgezogen, alles weggenommen, was wir gehabt haben. Man hat uns mit kaltem Wasser abgespritzt, damit wir sauber sein sollten. Wir wurden alle rasiert, überall. Dann gab man uns die Konzentrationslager-Uniform, die ähnelte einem Schlafanzug, blau-weiß gestreift. Jeder hat eine Nummer bekommen. Meine Nummer, die weiß ich heute noch, war 28.411. Es war sehr kalt, es war schließlich November. Wir hatten ja keine warme Kleidung wie Pullover oder Schuhe gehabt. Wir wurden dann in Hütten eingesperrt. Für mich war es einfach schrecklich. Ich kann es nicht in Worte fassen, wie schlimm es war. Jede Nacht haben wir Schüsse gehört, diejenigen, die das nicht mehr aushalten konnten, sind einfach in den elektrischen Stacheldraht gelaufen. Jeden Abend hingen an dem Zaun ca. 6-7 Menschen. Sie waren so hilflos gegenüber ihrer Lage.
Ich kann mich noch ganz genau erinnern, dass wir jeden Morgen und Abend gezählt wurden. Wir standen immer in 100er Gruppen. Wenn nur einer fehlte, mussten wir so lange da stehen, bis derjenige gefunden wurde. Viele sind so gestorben, man hat ja nicht zu essen oder zu trinken bekommen, und es war auch sehr kalt. Wir jungen Leute haben uns immer nach außen gestellt, damit die Älteren sich an uns lehnen konnten. Wir mussten wegen einem Mann, der geflüchtet ist, zwei Tage und eine Nacht stehen bleiben, in Eiseskälte. In dieser Zeit sind 60 Menschen gestorben.“
Die Zahl der Selbstmorde am elektrischen Stacheldraht mag zu hoch angesetzt sein, aber sie spiegelt die große tägliche Not eines jungen Menschen wider und enthält insofern vielleicht keine statistische, aber doch eine seelische Wahrheit. Wenn neueste Forschungen, die sich auf die Auswertung von Archivmaterial stützen, zu dem Ergebnis kommen, dass damals in Dachau in wenigen Wochen mindestens 185 Personen ums Leben kamen, so bestätigt das auch den Wahrheitsgehalt der Erinnerungen von Willi Hirschfeld.
Eines jedenfalls wird deutlich: Die Ankunft in Dachau bedeutete den Eintritt in eine bisher nicht geahnte Hölle der Erniedrigung und Gewalt. Bereits das Aufnahmezeremoniell war von einer bewusst demütigenden Unmenschlichkeit und Grausamkeit, so dass die Betroffenen sie als unauslöschlichen Schock erlebten.