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Chronik und Quellen
1933
März 1933

Bericht über den Überfall von SS und SA auf jüdische Juristen in Köln

Der Kölner Rechtsanwalt Dr. Wilhelm Koll fasste Augenzeugenberichte zu den Ereignissen am 31. März 1933 am Reichenspergerplatz in Köln in einem Protokoll zusammen:

„Gegen 10 1/4 Uhr verließ ich mit meinem Sozius Ernst Falk das Justizgebäude. Im Treppenhause kam uns eine Schar junger Burschen entgegen, die sich im Treppenhause verteilten. Ein Parteiabzeichen habe ich nur bei einem gesehen, die übrigen trugen keine Abzeichen oder nur Sportabzeichen. Wir kamen ungestört aus dem Gebäude heraus. Vor der Türe standen 2 oder 3 SA-Leute in Uniform. Wir fuhren mit dem Auto zur Sedanstraße und stellten fest, daß einige hundert Meter vom Justizgebäude entfernt ein Trupp von ca. 60 - 80 SS-Leuten Aufstellung genommen hatte und dort wartete.

Soweit meine eigenen persönlichen Feststellungen. (Nachträglich erfuhr ich noch von verschiedenen zuverlässigen Zeugen, daß es sich bei der in das Justizgebäude eingedrungenen Schar junger Burschen um SA-Leute gehandelt habe, die am Vortage Befehl erhalten hatte, an diesem Morgen in Zivil anzutreten. Das stimmt mit meiner eigenen Feststellung überein, daß es sich nicht um eine gemischte Menschenmenge, sondern eine offensichtlich einheitliche Schar von dem Aussehen handelte, das einer SA-Truppe eigen ist.)

Von verschiedenen absolut zuverlässigen Persönlichkeiten habe ich über den weiteren Hergang folgendes erfahren:

Die im amtlichen Bericht als größere Menschenmenge bezeichneten Burschen verteilten sich in den Gängen mit dem Rufe „Juden heraus". Die SS-Leute besetzten daraufhin sämtliche Ausgänge des Gebäudes, so daß niemand herauskommen konnte. Sie drangen in alle Zimmer ein und beschauten jeden im Gebäude Anwesenden auf seine Rassenzugehörigkeit. Jeder, der auch nur irgendwie jüdisch aussah, ob amtierender Richter, Rechtsanwalt, Referendar oder sonstiger Beamter, auch anwesendes Publikum wurde von den SS-Leuten in den Plenarsaal des OLG verbracht. Alle, bei denen jüdische Abstammung festgestellt wurde, wurden dort festgehalten. Zu den Festgenommenen gehörte auch z.B. Senatspräsident Forschbach, der nach Feststellung seiner arischen Abstammung freigelassen wurde und seinerseits andere z.B. den Aktuar Windelen als Arier legitimieren konnte.

Die Festgenommenen wurden im allgemeinen in Ruhe und ohne besondere Tätlichkeiten abgeführt. Mehrere jüdische Anwälte, z.B. RA Cappel und Heidenheim, wurden durch die Gänge geschleift und mißhandelt. Ein blonder arischer Referendar, der sich um das Schicksal eines verhafteten Kollegen kümmerte und die Äußerung fallen ließ: „Das sind doch nur Zivilisten", erhielt nicht unerhebliche blutige Kopfverletzungen. Auch weitere Tätlichkeiten leichterer Art sollen vorgefallen sein, jedoch habe ich darüber noch nichts Genaueres feststellen können. Die SS-Leute waren im Besitz von Listen, in denen Richter (unter Angabe der Nummer ihres Dienstzimmers) und Anwälte aufgeführt waren, gegen die sich die Maßnahmen insbesondere richten sollten. Verschiedene Amvälte, die am Gericht nicht angetroffen wurden, wurden von SA oder SS aus ihren Büros geholt und zum Justizgebäude geschafft und den übrigen Verhafteten zugesellt, z.B. Justizrat A. Cohen, RA Hans Callmann, dessen Bruder Rudolf eigentlich gesucht wurde und RA Haas, der als einziger Anwalt des OLG festgenommerz wurde. JR A. Cahen II wurde mehrfach vergeblich gesucht und schließlich verhaftete man an seiner Stelle einen zufällig im gleichen Hause wohnenden Herrn Cohn.

Zum Schluß durchsuchte man noch einmal das ganze Gebäude, wobei man auch hinter die Richtertische und in Robenschränke etc. schaute.

Die im Plenarsaal Verhafteten wurden darauf in zwei Bereitschaftswagen der Polizei und in einem Wagen der Städtischen Müllabfuhr, von dem man die Mülltonnen entfernt hatte, verladen. Auf dem Müllwagen mußten die prominentesten Richter und Anwälte zusammengepfercht stehen, darunter: Oberlandesgerichtsrat Professor Goldschmied, Oberlandesgerichtsrat Kurt Wolf und die Rechtsanwälte JR Cohen, Callmann und Haas. Es befand sich dabei auch ein älterer jüdischer Kaufmann. Der Transport ging in langsamer Fahrt durch die Stadt, am Dom vorbei und über die Hohe Straße zum Polizeipräsidium. Dort wurden die Verhafteten sofort freigelassen. Das Polizeipräsidium hatte vorher auf Anruf den Bescheid erteilt, daß gemäß Anordnung von Berlin nicht eingeschritten werden könne. Ein Polizeibeamter aus dem Revier am Reichenspergerplatz wurde, als er den Eindringlingen entgegengetreten war, mit Beschimpfungen zurückgewiesen. Auch die nationalsozialistischen Anwälte, die Zeugen dieser Vorfälle waren, waren beschämt. Eine Ausnahme machte der seit kurzer Zeit am Oberlandesgericht zugelassene Rechtsanwalt Pfleiderer, der seiner Freude darüber Ausdruck gab, daß er zweien seiner früheren Richterkollegen, von denen der eine ein besonders tüchtiger und beliebter Richter, der andere RA am OLG ist, eins auswischen könne."

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