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Chronik und Quellen
1938
November 1938

Erinnerungen an das Pogrom in Köln

Die 1907 geborene Ärztin T. Sch. erzählte 1986 in einem Interview:

„Ich habe ja in der Nacht auf den 10. November schon Verletzte gehabt. Da lief das Krankenhaus voll mit Flüchtlingen. Jener 10. November. Sehen Sie mal nach, ich kriege jetzt noch eine Gänsehaut. Wissen Sie, wie wir geheißen haben? Das Jüdden-Asyl. Die Ehrenfelder sind haufenweise gekommen. Ich hatte in der Nacht schon Verletzte. Ich war schon verheiratet und sie haben meinem Mann erlaubt, dass er in meinen zwei Zimmern mitwohnte, denn ich konnte nicht raus, ich wurde gebraucht. Ich war noch ein Judenbehandler, der noch eine gewisse Autorität hatte. Ich musste da sein, weil die ganzen jungen Ärzte auch nicht mehr Judenbehandler waren, die durften ohne mich nichts tun. Da haben sie gesagt, der Chef muss da mit herein. Ich hatte das Telefon immer sofort gehört, und da bin ich wieder herauf, und wir hatten das Gefühl, da kommt etwas, wie wir hörten, da in der Pariser Botschaft, hat dieser Grünspan den vom Rath erschossen. Da habe ich ihn geweckt und habe ihm gesagt, es geht los. Am Morgen waren dann so viele angekommen, die gar nicht krank waren, die Flüchtlinge waren. Wir wussten gar nicht, wo wir sie unterbringen sollten, wir haben sie dann alle unten in die Badeanstalt gesteckt. Dann habe ich versucht, meine Mutter anzurufen, die hatte noch ein jüdisches Dienstmädchen und einen blinden alten Mann. Da unser Telefon natürlich dauernd besetzt war, habe ich mir eine Minute Zeit genommen und bin in die Ottostraße an die Telefonzelle, um meine Eltern anzurufen. Da stand eine Frau, und in der Telefonzelle stand ein Arbeiter, der hat mich sofort hereingenommen, vor der Frau, und hat gesagt, komm rein, mach deinen Anruf. Der muss gewusst haben, wer ich war. Dann habe ich meiner Mutter gesagt, es geht los mit dem Pogrom, komme sofort mit der Klara und meinem Vater in mein Zimmer, da ist es sicherer. Die wussten noch von nichts. Später sind sie dann doch gekommen, ich weiß nicht, es muss ihnen der Seifensieder aufgegangen sein, dass es todgefährlich sei. Den Vater, den habe ich sofort in ein Krankenbett gesteckt, der war wirklich schon sehr abfällig und krank. Aber die Klara und meine Mutter und der Vater von Plato und noch eine Tante von Plato, die waren alle in meinen zwei Zimmern. Es gab doch für die nichts zu essen. Wir hatten die Leute, aber nichts zu essen. Also bin ich wieder raus auf die Straße, gegenüber war so ein Kolonialladen, da habe ich irgendwas gekauft. Und da fragte der Verkäufer, kannst du nicht noch ein paar junge Hühnchen gebrauchen? Der hatte noch Eier, das gab's doch schon gar nicht mehr! Da hat der mir eine Tüte noch mit Eiern gegeben. Der muss auch gewusst haben, wer ich war. Ich war zu der Zeit wohl bekannt in Ehrenfeld. (...) Was ich nicht 100 %ig sagen kann, aber selbst noch von Lepehne gehört habe: Wir hatten im Asyl, als es schon weit in den Hitler reinging, ein Opfer von einem Flugzeugunfall.

Das war der Sohn von einem ganz hohen SS-Flugoffizier, die violetten Uniformen, das Feinste vom Feinen. Der ist mit einem Kollegen von seinem Vater, der ein hohes Tier war, von der Luft-SS in einem Flugzeug gefahren. Der Vater hatte gesagt, du darfst nicht, aber das Kind ist mit einem Kollegen von diesem Vater runtergefallen, verunglückt. Der Erwachsene ist in die Lindenburg gebracht worden, er war auch, scheint's, entsetzlich schwer verletzt, und das Kind war schwer verletzt und wurde zu uns gebracht. (Da war der Willi Dreyfuß noch in Köln.) Und der hatte eine Milzruptur, Blut in der Bauchhöhle, die Milz ist rausgenommen worden. Es war ein süßer Junge, und der ist gesund geworden. Jeden Tag kamen hohe Fliegeroffiziere, kamen alle anmarschiert. Das Kind war süß und ist anständig behandelt worden, was kann das Kind dafür, dass der Vater ein SS-Mann war?

Angeblich ist dieser Vater zum Polizeipräsident gegangen, die wussten doch, wann die Aktionen losgingen. 10. November. Und da hat er gesagt, im Asyl darf nichts passieren. Ist nichts passiert. Es ist kein Mob reingekommen; unsere Polizei ist, es war ja ein ganzer Block, um den rumgegangen, die ganze Zeit. Unsere Polizei war am Ehrenfeldgürtel, und die haben alle das Asyl geliebt. Und es ist kein einziger, weder SS-Mann noch andere Dreckspätze reingekommen, und sie haben keinen von unseren Doktoren rausgeholt. In allen jüdischen Krankenhäusern sind die Doktoren rausgeholt worden. Es ist keinem von denen was passiert. Also das, finde ich, ist schon eine tolle Sache.“

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