Erinnerungen an das Pogrom in Köln
C.B. berichtete 1983:
„In der kritischen Zeit wohnte ich in Köln-Ehrenfeld, Körnerstraße 7. Zufällig kam ich in der Stammstraße an dem Bahnhof Köln-Ehrenfeld vorbei, als der Gepäckwagen mit dem Sarg des in Paris erschossenen deutschen Diplomaten vom Rath vorbeifuhr. Die Türe stand offen, so daß ich den von Blumen umgebenen Sarg sehen konnte. Ich hatte von der Tat in der Zeitung gelesen. Bei dem Anblick des Sarges beschlich mich ein ungutes Gefühl. Ich sagte mir instinktiv, daß die Tat Folgen haben werde. Die Ereignisse, die nun folgten, sollten mir Recht geben. Ich drückte meine Vermutung auch gegenüber Bekannten aus.
In der Körnerstraße, fast am Subbelrath, stand früher eine Synagoge. Sie stand nicht direkt an der Straße, sondern etwas zurück. Direkt an der Könerstraße stand das Haus des jüdischen Kantors. Beide Gebäude wurden durch Brand zerstört. Der jüdische Kantor und seine Familie konnten nichts mehr aus den Flammen retten. Mitleidige Geschäftsleute haben ihnen Wäsche, Kleidungsstücke und Lebensmittel geschenkt, weil sie mittellos waren. Nach einiger Zeit betrat ich die zerstörte Synagoge. Es roch vernehmlich nach Brand. Verkohlte Sachen lagen herum. Ich nahm ein beschädigtes Buch, das auf dem Boden lag, mit nach Hause.
Auf der Venloer Straße waren einige jüdische Geschäfte. Sie waren geplündert. Die Schreiben waren eingeschlagen. Ich erinnere mich noch an die „Sparsame Hausfrau". Der Laden war zertrümmert. Lehrlinge hatten durch die Zerstörung ihre Lehrstelle verloren. Ein Mann riet ihnen, zum Arbeitsamt zu gehen. Ich kam an der Kirche St. Joseph vorbei. Der Küster schloß eilends den Haupteingang auf der Venloer Straße. Man konnte ja nicht wissen, was noch geschehen konnte. Auf der Venloer Straße war das jüdische Geschäft Hartoch. Es verkaufte Bettwaren. Es blieb verschont. Im Schaufenster des geschlossenen Geschäftes hing ein großes Plakat: „In der Arisierung begriffen". Dadurch blieb es von der Plünderung verschont. Ich kannte die Familie Hartoch. Der Sohn war Rechtsanwalt in Köln. Ihn hatte man im Gerichtsgebäude am Reichenspergerplatz ins Gesicht geschlagen, weil er Jude war. Die Familie Hartoch hatte Glück. Ihr gelang die Ausreise nach den USA. Als ich zur Ecke Venloer Straße/ Körnerstraße kam, stand auf der Venloer Straße, stand auf einem Lastkraftwagen eine riesige Kiste. Sie war seefest. Eine Menschenmenge bestaunte die Kiste. Unter ihr befand sich auch die Familie Hartoch. Der Sohn war schon vorher abgereist.
Auf der Venloer Straße befand sich die Metzgerei Rosenthal, früher Lippemeier. Vor ihr standen schon früher Boykottposten. Einer meiner Vettern hatte schräg gegenüber eine Metzgerei. Leute kamen zu ihm und fragten, was mein Vetter ihnen gebe, wenn sie weiter den Laden blockieren würden. Er lehnte ab. Es gab auch noch solche Leute.
An der Ecke Kreuzgasse war ein Geschäft, das früher feine Glas- und Porzellanwaren führte. Als ich daran vorbeikam, luden Leute der Müllabfuhr die Trümmer auf. Welche Werte sind dort zerstört worden. Auf der Schildergasse war das Schuhhaus Speyer. Auch das hatte man geplündert. Stiefel und Schuhe lagen auf der Straße. Passanten nahmen sie mit.
Auf der Venloer Straße begegneten mir an der Kirche St. Joseph drei Männer, die mit Latten bewaffnet waren. Mir wurde es unheimlich. Später erfuhr ich von der Zerstörung der Synagoge in der Roonstraße. Einer der Täter soll gesagt haben, was man nicht alles anrichten könne, wenn die Polizei einen in Ruhe lasse. Welch ein Gemütsmensch!“