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Chronik und Quellen
1935
Oktober 1935

Vermerk über das Gesetz zur Einschränkung der wirtschaftlichen Betätigung von Juden

Staatssekretär Stuckart unterrichtet Reichsinnenminister Frick am 9. Oktober 1935 über das geplante Gesetz zur Einschränkung der wirtschaftlichen Betätigung von Juden:

Minister gehorsamst auf dem Dienstwege.

In der Anlage lege ich den überarbeiteten Entwurf eines Gesetzes zur Ordnung wirtschaftlicher Betätigung von Juden vor.

Auf die Hinzufügung des Abs. 2 in § 1 wird vom Reichswirtschaftsministerium, Propagandaministerium und vom Werberat der Deutschen Wirtschaft besonders Wert gelegt. Es soll damit erreicht werden, daß die im Abs. 1 des § 1 vorgesehene Kennzeichnung wirklich die einzige ist. Alle drei Stellen befürchten, daß, wenn die Möglichkeit zu weiterer Kennzeichnung nicht ausgeschlossen wird, in einzelnen Gauen noch eine weitere Kennzeichnung beibehalten würde, so daß die Kennzeichnungen von Seiten des Staates und die Kennzeichnung von Seiten der Partei möglicherweise wieder auseinander klafften. Eine wirkliche Beruhigung der Gemüter und der Wirtschaft verspricht man sich nur dann, wenn es nur noch die im Gesetz vorgeschriebene Kennzeichnungsmöglichkeit gibt.

Artikel II ist neu hinzugekommen. Von der Tätigkeit als Detektiv sollen Juden deswegen ausgeschlossen werden, weil erfahrungsgemäß über Auskunfteien Spionage getrieben werden kann. Daß Juden nicht mehr gewerbsmäßig Ehevermittler sein können, ergibt sich schon aus dem Verbot der Eheschließung zwischen Juden und Ariern. Das Bewachungsgewerbe soll den Juden versagt werden, um zu verhindern, daß sie sich auf diesem Umwege unter Umständen Hunderte von bewaffneten Männern halten. Der Wandergewerbeschein soll Juden versagt werden können, um die häufig mit dem Hausieren verbundene agitatorische Tätigkeit der Juden einzuschränken. Andererseits soll den Juden die Möglichkeit des Handelns im Umherziehen nicht vollkommen unterbunden werden, weil anderenfalls ihnen eine weitere Betätigungsmöglichkeit weggenommen würde. Artikel III - bisher Artikel II - ist ebenfalls neu gefaßt. Die inhaltliche Änderung besteht darin, daß der jüdische Betriebsführer oder der Jude, der mit der Stellvertretung des Führers des Betriebs betraut ist, einen Eid am 1. Mai mitleisten soll. Es besteht m. E. kein innerer Anlaß, den in erster Linie eine Verpflichtung enthaltenden Eid dem jüdischen Betriebsführer nicht abzunehmen. Wenn im Ernstfall Juden eingezogen werden sollten, so habe ich keinen Zweifel, daß sie als deutsche Staatsangehörige dann ebenfalls einen Fahneneid leisten müßten. Die nunmehr in Artikel III getroffene Regelung besteht darin, daß der jüdische Betriebsführer als Vorsitzender des Vertrauensrates den Eid den Vertrauensmännern nicht abnehmen kann, sondern daß dieser Eid entweder dem Treuhänder der Arbeit oder einer von diesem beauftragten Person gegenüber abzulegen ist, daß aber der jüdische Betriebsführer, der ja nach wie vor dem Vertrauensrat angehört, diesen Eid mitleisten muß. In dem Artikel IV „Niederlassung von Juden“ ist, um eine Umgehung des Aufenthaltsverbots unmöglich zu machen, aufgenommen worden, daß Juden auch die Begründung einer gewerblichen Niederlassung in Gemeinden unter 20 000 Einwohnern verboten ist. Satz 2 des § 8 stellt keine sachliche Änderung dar, sondern führt nur die technisch richtige Bezeichnung der Staatsbehörden ein, die Ausnahmen zulassen können.

Schließlich ist unter den Schlußvorschriften des Artikels V § 12 neu hinzugekommen. Er ermächtigt den Reichswirtschaftsminister, im Einvernehmen mit dem Reichsminister des Innern usw. die Richtlinien für alle wirtschaftlichen Unternehmungen zu bestimmen, nach denen diese als jüdisch oder nichtjüdisch anzusehen sind, gez. Stuckart

9.10.1935

Entwurf eines Gesetzes zur Ordnung wirtschaftlicher Betätigung von Juden.

Vom....................

Die Reichsregierung hat das folgende Gesetz beschlossen, das hiermit verkündet wird: Artikel I

Kennzeichnung von Einzelhandelsgeschäften.

§1

(1) Einzelhandelsgeschäffe, die im Eigentum oder unter der tatsächlichen Leitung von Juden stehen, sind als solche zu kennzeichnen. Die Kennzeichnung hat durch einen Zusatz bei der Firma oder bei dem Namen des Gewerbetreibenden in hebräischer Schrift im inländischen Geschäftsverkehr zu erfolgen.

(2) Andere Kennzeichnungen, durch welche Einzelhandelsgeschäfte unmittelbar oder mittelbar als jüdisch oder nichtjüdisch bezeichnet werden, sind verboten.

(3) In Zweifelsfällen entscheidet die höhere Verwaltungsbehörde, auf Beschwerde der Reichswirtschaftsminister im Einvernehmen mit dem Reichsminister des Innern und den im Einzelfalle beteiligten Reichsministern.

§2

(1) Kommt der Inhaber, bei juristischen Personen der gesetzliche Vertreter, der Pflicht zur Kennzeichnung (§1) trotz polizeilicher Aufforderung nicht nach, so wird er mit Geldstrafe belegt.

(2) Die Polizei kann auf seine Kosten die Kennzeichnung vornehmen lassen.

(3) Wer eine polizeiliche angebrachte Kennzeichnung entfernt, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahr und mit Geldstrafe oder mit einer dieser Strafen bestraft.

Artikel II

Änderungen der Gewerbeordnung.

§3

(1) Juden ist die Ausübung folgender Gewerbe verboten:

a) der Auskunftserteilung über Vermögensverhältnisse oder persönliche Angelegenheiten,
b) der Ehevermittlung, es sei denn, dass es sich um jüdische Ehen handelt.

(2) Juden ist die Erlaubnis zur Ausübung des Bewachungsgewerbes zu versagen.

(3) Juden kann die Erteilung des Wandergewerbescheines versagt werden.

§4

Entsprechend der für andere Gewerbetreibende geltenden Verpflichtung haben auch Aktiengesellschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung unter den Voraussetzungen des § 15a Abs. 1 der Gewerbeordnung ihre Firma am Eingange ihrer Geschäftsräume in deutlich lesbarer Schrift anzubringen.

§5

Der Reichswirtschaftsminister wird ermächtigt, die Gewerbeordnung gemäss diesen Änderungen neu zu fassen.

Artikel III

Abnahme des Gelöbnisses der Vertrauensmänner.

§6

Das feierliche Gelöbnis der Vertrauensmänner (§ 10 Abs. 1 des Gesetzes zur Ordnung der nationalen Arbeit vom 20. Januar 1934 - Reichsgesetzbl. I S. 45 - und § 8 Abs. 1 des Gesetzes zur Ordnung der Arbeit in öffentlichen Verwaltungen und Betrieben vom 23. März 1934 - Reichsgesetzbl. I S. 220 -) kann nicht gegenüber einem Juden abgelegt werden.

§7

Ist der Führer des Betriebes Jude, ohne mit seiner Stellvertretung eine Person deutschen oder artverwandten Blutes betraut zu haben, oder ist mit der Stellvertretung des Führers des Betriebes ein Jude betraut, so hat der Treuhänder der Arbeit das Gelöbnis des Vertrauensrates selbst abzunehmen oder durch eine von ihm beauftragte Person abnehmen zu lassen.

Artikel IV

Niederlassung von Juden.

§8

Der Zuzug von Juden zur Begründung eines Wohnsitzes oder zum dauernden Aufenthalt in Gemeinden unter 20000 Einwohnern ist verboten; das gleiche gilt für die Begründung einer gewerblichen Niederlassung. Ausnahmen kann die in § 33 Abs. 1 der Ersten Durchführungsverordnung zur Deutschen Gemeindeordnung vom 22. März 1935 (Reichsge-setzbl. I S. 393) bestimmte Staatsbehörde zulassen.

Artikel V

Schlussvorschriften

§9

Bei Zweifeln darüber, ob eine Person Jude ist, entscheidet die höhere Verwaltungsbehörde.

§10

Befreiungen von den Bestimmungen dieses Gesetzes kann in den Fällen der Artikel I und II der Reichswirtschaftsminister im Einvernehmen mit dem Reichsminister des Innern, in den Fällen des Artikels III der Reichsarbeitsminister im Einvernehmen mit dem Reichsminister des Innern erteilen.

§11

Zwischenstaatliche Verträge bleiben unberührt.

§12

Der Reichswirtschaftsminister wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Reichsminister des Innern und den im Einzelfall beteiligten Reichsministern die Richtlinien zu bestimmen, nach denen wirtschaftliche Unternehmen als jüdisch oder nichtjüdisch anzusehen sind.

§13

Der Reichswirtschaftsminister erlässt die sonst zur Durchführung und Ergänzung erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu Artikel I und II im Einvernehmen mit dem Reichsminister des Innern, zu Artikel III im Einvernehmen mit dem Reichsarbeitsminister.

§14

Das Gesetz tritt am 1. Januar 1936 in Kraft mit Ausnahme des Artikels IV, der am Tag nach der Verkündigung in Kraft tritt.

Berlin, den ..........

Der Führer und Reichskanzler
Der Reichsminister des Innern
Der Reichswirtschaftsminister
Der Reichsarbeitsminister

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