Tagebucheintrag von Willy Cohn
Der Historiker Willy Cohn berichtet am 25. August 1935 über die Situation eines in einer „Mischehe“ lebenden Bekannten:
Breslau, Sonntag. Gestern Vormittag eine Stunde an Kleemann; ich habe gestern am Tage sehr viel liegen müssen, so geschwächt war ich. - Am Vormittag Trudi Post dictiert, Briefe an beide Jungens. - Von Wölfl kam auch befriedigende Nachricht. Er ist wie immer fleißig.
Mit Trudi zur Post gegangen, vorher Barbier, dann mit Trudi auf einer Bank gesessen und über Bücher gesprochen. - Am Nachmittag bis um 6 Uhr gelegen und a[uch] die Jüdische Rundschau gelesen. Herzerhebend die Berichte vom Zionistenkongreß. Unter den Diplomaten, die dem Kongress beigewohnt haben, war selbstverständlich Deutschland nicht vertreten. Besonders verständnisvoll die Rede des Schweizer Nationalrats, der den Freiheitskampf der Juden mit dem der Deutschen verglich! - Und in welch’ schreiendem Gegensatz dazu stehen die Berichte aus Deutschland. Überall neue Beschimpfungen unseres Volkes und Abschnürung jeglichen Lebensraums. -
Wenn es in Deutschland immer noch Juden gibt, die kein Ehrgefühl haben, dies zu empfinden, weil sie noch ein bißchen Einnahmen haben, so ist das gewiß eine Schande!
Am Abend mit Trudi spazierengegangen. Erst am Sauerbrunn gesessen; dann meinen früheren Kollegen Lebeck getroffen samt Frau. - Was diese Leute und deren Kinder aus zustehen haben, die in einer rassischen Mischehe leben, geht noch über unser Schicksal. Weil er eine judenstämmige Frau hat, darf er selbst in den Unterklassen keinen Deutschunterricht geben. - Er rechnet auch damit, daß, wenn die jüdischen Schüler von der Schule entfernt werden, auch er abgebaut werden wird. - Seine Kinder wissen gar nicht, wohin sie gehören, und ihnen ist ja jede Zukunftsmöglichkeit abgeschnitten. Er selbst wird von allen Seiten bespitzelt.
Wieviel Schicksale sind auf diese Weise vernichtet worden! - All das ist unmenschlich!
Gegen 10 Uhr waren wir zu Hause. Gut geschlafen, trotzdem bin ich früh immer sehr schlapp. - Heute mache ich noch eine Führung durch das Jüdische Museum.