Vermerk des Geheimen Staatspolizeiamtes zur antijüdischen Politik
Ministerbesprechung am 20. August 1935 über die nächsten Schritte in der antijüdischen Politik:
Bericht über die am 20.8.35 im Reichswirtschaftsministerium stattgehabte Besprechung über die praktische Lösung der Judenfrage.
Den Vorsitz in der Besprechung führte Reichsbankpräsident Dr. Schacht. [... ] Reichsbankpräsident Dr. Schacht eröffnete die Sitzung und führte aus, die Judenfrage finge an, die Wirtschaft zu beunruhigen, sodass er ernstlich an der Erfüllung der Aufgaben zweifeln müsse, die ihm obliegen. Diese Sachlage, so erklärte Dr. Schacht, zwinge ihn, die Chefs der übrigen Ministerien zu bitten, sich zunächst allgemein über die Absichten und Wünsche auszulassen, die sie in der Judenfrage hätten, denn der bisherige gesetzlose Zustand und das gesetzwidrige Treiben mache die Lösung der ihm obliegenden wirtschaftlichen Fragen unmöglich.
Dr. Schacht ging dann anhand einiger Fälle auf die Schwierigkeiten ein, die das bisherige Vorgehen in der Judenfrage dem wirtschaftlichen Aufbau des Reiches biete. Er wies unter anderem darauf hin, dass in einem in jüdischen Händen befindlichen Kaufhaus im Osten des Reiches ausländische Diplomaten wiederholt angepöbelt worden seien und dass gerade dieses Kaufhaus eines der besten Devisenlieferanten sei. Es sei eine unmögliche Forderung des Gauleiters Streicher, jüdische Vertreter deutscher Firmen im Ausland abzuberufen. Diesen Firmen sei es nahegelegt worden, ihre jüdischen Vertreter abzuschaffen. Dieses sei jedoch völlig unmöglich, da der gesamte Welthandel in jüdischen Händen liege, sodass mit der Beseitigung eines jüdischen Vertreters im Ausland fast immer die Auslandskundschaft dem deutschen Geschäft verloren und mit den abgebauten Vertretern zur jüdischen Konkurrenz überginge.
Sehr scharf nahm Dr. Schacht Stellung gegen die impfgegnerischen Artikel in dem von Gauleiter Streicher herausgegebenen Blatt „Volksgesundung aus Blut und Boden“, wobei er insbesondere daraufhinwies, dass die deutsche chemische Industrie durch diese Veröffentlichung einen kollossalen Verlust erlitten habe. Ausserdem sei es Wahnsinn, das Ansehen eines prominenten deutschen Gelehrten mit der erfundenen Behauptung zu schmälern, dieser Gelehrte (Dr. Robert Koch) sei mit einer Halbjüdin verheiratet gewesen. Die judengegnerischen Ausschreitungen, so bemerkte Dr. Schacht weiter, hätten auch das Geschäft der Ostpreussenmesse stark in Mitleidenschaft gezogen. Unverständlich sei ihm auch das in Leipzig erlassene Badeverbot für Juden. Wenn man von den Juden zur Messe Aufträge für die deutsche Industrie erwarte, müsse man ich[nen ] doch zumindest Gelegenheit geben, irgendwo baden zu können.
Es wird, so erklärt Dr. Schacht weiter, nicht der Kauf beim Juden, sondern auch der Verkauf an Juden verboten. Hierunter fällt auch der Verkauf von Lebensmitteln an Juden. „Ich stehe nicht an“, so erklärte Dr. Schacht weiter, „ein derartiges Vorgehen als eine Barbarei schlimmster Art zu bezeichnen“.
„Die antisemitischen Ausschreitungen haben nicht nur zu zahlreichen Zahlungseinstellungen jüdischer Geschäfte geführt, sondern auch die Entlassung der arischen Belegschaft in geradezu beängstigender Weise zur Folge gehabt. Die deutsche Arbeitsfront hat sogar denjenigen Arbeitern, die beim Juden billiger zu kaufen wagten, mit dem Verlust ihrer Arbeitsplätze gedroht. Diese Judenkampagne greift jetzt auch auf die Warenhäuser über, ganz gleich ob sich diese in jüdischen oder arischen Händen befinden. Hier kann man nicht mehr von einem Kampf über Weltanschauungen sprechen, sondern hier hegen lediglich die krassen Konkurrenzabsichten der NS-Hago vor.“ Dr. Schacht führte weiter aus, dass im Gegensatz zu den bestehenden Anordnungen des Reiches die Gemeindebehörden dazu übergingen, an jüdische Firmen weder Aufträge zu erteilen, noch bei ihnen Einkäufe zu tätigen. In Riesa hätten die lokalen Gemeindebehörden den Befehl an ihre Beamten erlassen, nicht mehr in jüdischen Geschäften zu kaufen, widrigenfalls mit den strengsten Disziplinarstrafen gegen sie vorgegangen würde. Ein derartiges Vorgehen sei jedoch geradezu grotesk, wenn man bedenke, dass Zentralstellen des Reiches, insbesondere die Reichsbahnverwaltung, fortlaufend mit jüdischen Firmen Geschäfte tätige, da vornehmlich der Holzhandel fast ausschliesslich in jüdischen Händen läge.
Bei den Auswirkungen derartiger [anti]jüdischer Massnahmen auf das Ausland hob Dr. Schacht hervor, dass französische Abnehmer einen der Firma Salamander erteilten grossen Auftrag rückgängig gemacht hätten. Auch sei es so gut wie unmöglich, in Südafrika deutsche Waren abzusetzen. In sehr zahlreichen Fällen sei es vorgekommen, dass ausländische Einkäufer in die Tschechei weitergereist seien, weil ihnen die antijüdischen Plakate in Deutschland nicht behagt hätten. Englische Kurgäste hätten in grösser Zahl wegen der Judenkampagne deutsche Badeorte verlassen, und eine grosse amerikanische Einkaufszentrale habe kürzlich ihren Sitz von Berlin nach Prag verlegt.
Die Wirkung der antisemitischen Welle auf die Wirtschaft sei katastrophal. Auch die Verhandlungen, die das Reich mit dem Ausland unmittelbar führe, seien hierdurch wesentlich erschwert. Der Export baue sich heute nur noch zu einem geringen Teil auf der Privatinitiative des einzelnen Kaufmanns auf, da sich das Reichswirtschaftsministerium wegen der Devisenlage fast in allen Fällen direkt eingeschaltet habe. Die von unverantwortlicher Seite veranlassten Ausschreitungen führten dazu, dass das Ausland es ablehne, mit Vertretern des Reiches selbst zu verhandeln. Auch Gefälligkeiten des Auslands, insbesondere Vorlieferungen, Kontraktsänderungen und Warenumtausche seien durch die Judenkampagne ausserordentlich bedroht. Bei den Handelsvertragsverhandlungen mit Südamerika seien die Minister von 4 Staaten Juden, die unter Hinweis auf die in Deutschland herrschenden Zustände sich auf weitere Verhandlungen nicht hätten einlassen wollen. In Polen liege der gesamte Handel in jüdischen Händen. Die bevorstehenden Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten würden bei der Stimmung, die durch die antisemitischen Ausschreitungen in Amerika hervorgerufen worden sei, höchstwahrscheinlich scheitern. Er, Dr. Schacht, müsse es sich daher Vorbehalten, die Personen, die diese Ausschreitungen inszeniert hätten, für diese Wirkungen verantwortlich zu machen.
Dr. Schacht gab dann seine persönliche Einstellung dahin kund, dass er der Meinung sei, die Grundsätze des Nationalsozialistischen Programms seien durchaus richtig und müssten auf alle Fälle durchgeführt werden. „Ich habe“, so erklärte Dr. Schacht, „30 Jahre lang mit Juden gelebt und habe ihnen 30 Jahre lang das Geld abgenommen, nicht aber umgekehrt. Die jetzigen Methoden sind jedoch untragbar. In das herrschende Durcheinander muss ein System hineinkommen und ehe nicht dieses System praktisch durchgeführt wird, habe alles andere zu unterbleiben.“
Dr. Schacht bat sodann die anwesenden Vertreter der zuständigen Ressorts ihre Wünsche bekanntzugeben und ihm darzulegen, wie sie sich eine gesetzliche Regelung der Judenfrage dächten, damit diese Frage sobald wie möglich durch eine Verordnung der Reichsregierung geklärt werden könne.
Reichsminister Dr. Frick erklärte, die Judenfrage werde langsam aber sicher auf völlig legalem Wege gelöst werden - und zwar werde diese im Sinne des Parteiprogramms erfolgen dahingehend, dass der jüdische Fremdkörper restlos aus dem deutschen Volk ausgeschieden werde. Die Judenfrage könne aber durch wilde Einzelaktionen niemals gelöst werden, denn durch solche Massnahmen werde lediglich der Erfolg der nationalsozialistischen Aufbauarbeit verzögert. Reichsminister Dr. Frick erklärte sodann, dass der Führer durch den Stellvertreter des Führers angeordnet habe, dass Einzelaktionen gegen Juden von Mitgliedern der NSDAP und ihrer Gliederungen unter allen Umständen zu unterbleiben hätten. Demonstrationen gegen Juden möchten zwar im Einzelfall berechtigt sein, jedoch bestehe hierbei die grosse Gefahr, dass dunkle Elemente die Oberhand gewännen und dass sich dann Dinge zutrügen, die die Partei nicht gewollt habe und die sie niemals verantworten könne. Er habe daher einen Erlass an alle Länderregierungen und die Geheime Staatspolizei vorbereitet, nach welchem jede Einzelhandlung gegen Juden zu unterbleiben habe und wonach derjenige, der an einer solchen Handlung teilnehme oder zu ihr auffordert, als Provokateur und Rebell betrachtet werde. Gegen derartige Elemente sei rücksichtslos vorzugehen, und Ungesetzlichkeiten seien mit den schärfsten polizeilichen Mitteln zu verhindern. Ausser den Ausschreitungen gebe es zur Zeit auch andere antijüdische Boykottmassnahmen. Auch diese müssten tunlichst unterbunden werden. Es seien auch bereits Gesetze in Vorbereitung, die das Überhandnehmen des jüdischen Einflusses einzudämmen geeignet seien. So stehe das Rassegesetz unmittelbar vor dem Abschluss und weitere Massnahmen, über die er sich an dieser Stelle nicht näher auslassen wolle, ständen bevor.
Zu der Vergebung von Aufträgen von Behörden an Juden bemerkte Dr. Frick, dass der Grundsatz der Parität von Ariern und Nichtariern auf dem Gebiet der Wirtschaft in der Praxis derartig oft durchbrochen worden sei, dass eine Neuregelung dieser Frage erfolgen müsse. Auch in der Wirtschaft müsse langsam aber doch organisch und folgerichtig die Macht des Judentums zurückgedrängt werden, wie dies auf dem Gebiet der Beamtenschaft und der Kunst bereits erfolgt sei. Er vermöge daher der Auffassung des Reichsbankpräsidenten nicht zuzustimmen, dass es eine Judenfrage auf dem Gebiet der Wirtschaft nicht geben dürfe. Die Eindämmung des jüdischen Einflusses in der Wirtschaft müsse jedoch auf legalem Wege erfolgen.
Unverständlich sei es ihm, wie man durch Pressenotizen die Chemische Industrie derartig schädigen könne. Dieses seien Vorgänge, die ein vernünftiger Mensch nicht verstände. Auch der Führer habe sich gegen ein solches Vorgehen scharf ausgesprochen. Was die Badeverbote anbelange, so sei es schwer, diese Frage generell zu regeln. In einer internationalen Handelsstadt wie Leipzig sei ein Badeverbot für Juden bestimmt nicht am Platz. Das Anbringen von Tafeln mit dem Inhalt: „Juden sind hier unerwünscht“ oder „Juden betreten diesen Ort auf eigene Gefahr“ könne nur im engsten Einvernehmen mit der Partei geregelt werden. Er werde sich daher dieserhalb an den Führer wenden, um hier Klärung zu schaffen. Würde der Staat in diesem Fall rücksichtslos die Beseitigung der Tafeln fordern, so würde dies einen unlösbaren Widerspruch zur Partei hervorrufen, der bei der Einheit von Staat und Partei unmöglich sei. In dieser Frage müsse daher engstes Einvernehmen mit den Parteidienststellen herrschen.
Staatsminister Gauleiter Wagner erklärte, es gebe nur eine Meinung darüber, dass das, was in der letzten Zeit auf dem Gebiet der Judenfrage im Reich vorgekommen sei, für die Zukunft unmöglich sein müsse. Die Judenfrage, die in der Idee des Nationalsozialismus von jeher eine Hauptrolle gespielt habe, müsse gelöst werden. Der Grund für die Ausschreitungen in letzter Zeit liege darin, dass in der Behandlung der Judenfrage nicht nur zwischen Partei und Staat eine Divergenz bestanden habe, sondern dass selbst in den einzelnen Ressorts im Reiche widersprechende Meinungen vertreten seien. Die Volksgenossen hätten es durchaus gebilligt, dass die Juden aus der Beamtenschaft, aus dem Gebiet der Kunst und von den Hochschulen entfernt worden seien. Damit sei es jedoch nicht allein getan. Die Partei verlange daher, dass auch auf dem Wirtschaftsgebiet die Lösung der Judenfrage vorwärts getrieben werde. Da sich jedoch auf diesem Gebiet bisher sichtbare Erfolge nicht gezeigt hätten, hätten die Volksgenossen zur Selbsthilfe gegriffen. Der Reichsbankpräsident habe recht, wenn er erklärte, dass die Lösung dieser Frage auf rechtmässige Weise erfolgen müsse. Der Gesetzgeber müsse der Meinung des Volkes Rechnung tragen. Tue er dies nicht, so wären illegale Handlungen die unabwendbare Folge. Bisher seien von der Partei und dem Reich in Bezug auf die Judenfrage lediglich negative Momente, d. h. das Verbot von Ausschreitungen, hervorgehoben worden. Diese negative Tätigkeit reiche jedoch für die Zukunft nicht aus. Das Reichskabinett müsse sich vielmehr darüber schlüssig werden, was auf dem Gebiet der Judenfrage geschehen könne, und was zweckmässiger Weise geschehen müsse. Wenn die Öffentlichkeit sehe, dass auf diesem Gebiet überhaupt etwas in Angriff genommen werde, so würden die Ausschreitungen alsbald aufhören. Falsch sei es aber, wenn die Legislative solange warte, wie dies jetzt geschehen sei, denn dann untergrabe sie die Autorität des Staates. Notwendig sei es daher, dass die Gesetzgebung der Entwicklung vorgreife. Er schlage daher vor:
1) dafür zu sorgen, dass dem Juden die Möglichkeiten genommen würden, neue Geschäfte zu eröffnen,
2) der öffentlichen Hand aufzugeben, ihre Aufträge vorzugsweise an Volksgenossen zu vergeben,
3) Deutsche Geschäfte bei der Devisenzuteilung gegenüber jüdischen Geschäften zu bevorzugen.
Es sei selbstverständlich, dass die gesamte Lösung dieser Frage nicht auf einmal erfolgen könne, aber die Volksgenossen müssten wenigstens sehen, dass man bemüht sei, Schritt für Schritt vorwärts zu kommen. Die Partei erkläre sich bereit, in allen Fragen mitzuarbeiten, die geeignet seien, den jüdischen Einfluss, sei es auch nur in kleinen Abschnitten, auf dem Gebiet der Wirtschaft einzudämmen. Die Partei wünsche, dass das Reich die absolute Führung in dieser Frage übernehme, und wenn das Reich den Ansatz hierzu mache, werde es die vollste Unterstützung der Partei finden.
Dr. Schacht begrüsste diese Vorschläge und nahm zur Kenntnis, dass die Partei in Wirtschaftsfragen keinen Druck ausüben wolle. Zu dem Vorschlag zu 1) wies er darauf hin, dass praktisch neue Geschäfte von Juden kaum eröffnet worden seien, und dass der Vorschlag zu 2) in der Praxis bereits durchgeführt werde. Bezüglich der bevorzugten Devisenzuteilung an arische Geschäfte machte Dr. Schacht jedoch Bedenken geltend, dass nach seinen Erfahrungen der Jude die meisten und billigsten Devisen hereinbringe und arische Geschäfte den Devisenschwindel genau so verständen wie die Juden. Er erklärte sich jedoch bereit, die Vorschläge zu 1) und 2) einer gesetzlichen Regelung zu unterziehen.
Finanzminister Popitz wies sodann auf die „Stürmer“-Hetze bezüglich der Staatlichen Lotterieeinnehmer hin und erklärte, dass die Preussisch-Süddeutsche Klassenlotterie bei ihren Einnehmern die Bestimmungen des Berufsbeamtengesetzes restlos zur Durchführung gebracht habe. Von 650 jüdischen Lotterieeinnehmern seien heute lediglich 16 noch im Amt. Das Vorgehen des „Stürmer“ sei daher nicht nur völlig unberechtigt, son dern ausserdem geeignet, eine nicht unwesentliche Einnahmequelle des Staates zu verstopfen. Minister Popitz wandte sich sodann gegen die Boykottmassnahmen, die in Preussischen Staatsbädern getroffen worden seien und die zu einer Abwanderung insbesondere der jüdischen und ausländischen Badegäste geführt haben. Er macht dann darauf aufmerksam, dass der Judenboykott auch die Staatsfinanzen insofern erheblich beeinflusse, als bei jüdischen Geschäften der Umsatz erheblich zurückgegangen sei, sodass die Geschäfte nicht mehr in der Lage wären, ihre Steuern und Abgaben zu zahlen. Er verwahrte sich dann gegen das generelle Anbringen von Schildern wie „Juden sind hier unerwünscht“ und „Das Betreten des Ortes erfolgt auf eigene Gefahr“. Derartige Schilder seien kindisch, wenn in dem betreffenden Ort bereits Juden ansässig seien. Hier müsse bald eine klare Regelung erfolgen.
Reichsjustizminister Dr. Gürtner erklärte, dass das Rassegesetz bald verkündet würde. Die Lösung werde darin gefunden werden, dass bei der beabsichtigten Eheschliessung zwischen einem Juden und einem Arier die jüdische Rasse als ein Ehehindernis anzusehen sei. Diese Regelung sollte auf Voll- und Halbjuden Anwendung finden. Auch Reichsminister Dr. Gürtner wies darauf hin, dass dem jetzigen gesetzlosen Treiben durch die Verkündung eines Gesetzes eine Grenze gezogen werden müsse. Bedauerlich sei es, dass die Staatsautorität bereits soweit untergraben sei, dass massgebliche Äusserungen führender Persönlichkeiten von nachgeordneten Dienststellen lediglich als auf dem Papier stehend bezeichnet würden, während jeder glaube berechtigt zu sein, den wahren Sinn des gesetzgeberischen Befehls nach eigenem Ermessen auszulegen. „Es gibt“, so erklärte Reichsminister Dr. Gürtner, „keinen Befehl, von dem geglaubt wird, dass hinter ihm der absolute Ernst des Gebotes steht.“ Hier müsse unbedingt Abänderung geschaffen werden. Staatssekretär von Bülow bat dringend darum, von einer Veröffentlichung des von Reichsminister Dr. Frick bekanntgegebenen Erlasses in der Presse Abstand zu nehmen. Denn dieser Erlass würde von dem Weltjudentum als ein Erfolg gewertet werden. Unzuträglichkeiten hätten sich auch bei der Anbringung des Schildes „Deutsches Geschäft“ ergeben, denn hierbei sei die Frage aufgetaucht, wie man sich ausländischen Geschäftsinhabern [gegenüber] zu verhalten habe. Eine Benachteiligung ausländischer Geschäftsinhaber widerspreche in den meisten Fällen internationalen Abmachungen und habe schwere Nachteile für deutsche Geschäfte im Ausland zur Folge. Staatssekretär von Bülow wies ferner daraufhin, dass die Ausschreitungen in zahlreichen Fällen Ausländer getroffen haben, die nicht einmal Juden gewesen seien. Derartige Vorkommnisse seien geeignet, den Erfolg der Olympiade in Frage zu stellen. Er gab daher zu erwägen, ob insbesondere die Anbringung von judenfeindlichen Schildern im Hinblick auf die Olympiade nicht dahin geregelt werden könnte, dass derartige Schilder an den Orten, an denen sich Olympiapublikum aufhalte, verboten würden.
Der Vertreter des Verkehrsministeriums wies daraufhin, dass die judenfeindlichen Aktionen einen grossen Ausfall an Einnahmen auf dem Gebiet des Verkehrs mit sich gebracht hätten. So seien die Einnahmen gegenüber dem Jahr 1934 um 7 % zurückgegangen. Die Schiffahrtsgesellschaften hätten bis jetzt allein eine Mindereinnahme von 1½ Millionen Dollar zu verbuchen.
Staatssekretär Krohn machte darauf aufmerksam, dass sich der Boykott auch auf die Arbeiterschaft auswirke. Insbesondere seien bereits jetzt durch den jüdischen Geschäftsrückgang zahlreiche Arbeiterentlassungen zu verzeichnen gewesen. Nach dem Gesetz zur Regelung der nationalen Arbeit seien Juden heute noch als Betriebsführer zugelassen. Bei dieser Regelung werde es auch verbleiben. Allerdings sei es unmöglich, dass die arische Belegschaft dem jüdischen Betriebsführer gegenüber das Treuegelöbnis ablege. Insoweit werde daher in der nächsten Zeit eine Änderung des Gesetzes erfolgen.
Staatssekretär Backe wies daraufhin, daß gerade auf den Gebieten, auf denen ein Warenmangel herrsche, Juden mit Leichtigkeit ausgeschaltet werden könnten und auch ausgeschaltet werden würden. Er halte es jedoch für bedenklich, eine derartige Massnahme öffentlich zu regeln, schlage vielmehr vor, diese Angelegenheit stillschweigend in dem von ihm vorgetragenen Sinn durchzuführen.
Der Vertreter des Propagandaministers Min. Direktor Haegert erklärte, daß die antisemitische Welle durch das freche Auftreten der Juden hervorgerufen worden sei, die es sich angemasst hätten, sogar die Frau eines Reichsministers auf dem Kurfürstendamm anzupöbeln. Auch er sei der Auffassung, daß gewaltsame Einzelaktionen unterbleiben müssten. Er bäte jedoch den Begriff dieser Einzelaktion nicht allzu sehr auszudehnen, vielmehr diejenigen Aktionen als statthaft zuzulassen, die aus politisch-propagandistischen Gründen erforderlich wären. Im übrigen gab er seine Meinung dahin kund, daß die Ausschreitungen ausarten würden, wenn die Volksgenossen sehen, daß die Regierung auf dem Gebiet der Judenfrage jetzt die Initiative ergreife.
Einen breiten Raum in der Erörterung nahm sodann die Frage ein, ob es einzelnen Gemeinden gestattet sei, antisemitische Plakate dann anzubringen, wenn eine derartige Anordnung von den verantwortlichen Organen der betr. Gemeinden erlassen werde. Hier standen die Auffassungen des Reichsfinanzministeriums, Verkehrsministeriums und des Reichsjustizministeriums auf der einen Seite, der der Partei auf der anderen Seite gegenüber. Während die Vertreter der Reichsbehörden darauf hinwiesen, daß die Richtlinien der Judenpolitik unter Berücksichtigung des Führerprinzips allein vom Reiche bestimmt werden dürften, machte Gauleiter Wagner darauf aufmerksam, daß es mit der nat.soz. Idee unvereinbar sei, wenn man den berechtigten antisemitischen Standpunkt einzelner Gemeinden unterdrücken würde. Nach längerer Aussprache wurde eine Einigung dahin erzielt, daß das Reich selbstverständlich ein antijüdisches Vorgehen einzelner Gemeinden nicht hindern werde, wenn dieses in der allgemeinen Zielrichtung liege.
Zum Schluß ergriff SS-Gruppenführer Heydrich das Wort und führte aus, daß die Geheime Staatspolizei bei dem jetzigen Zustand immer der Leidtragende gewesen sei, daß sie gegebenenfalls gehalten gewesen sei, gegen Parteigenossen vorgehen zu müssen. Ein derartiger Zustand lasse sich jedoch praktisch dann bereinigen, wenn man zwei grundlegende Dinge berücksichtigt:
1.) Gesetzgeberische Massnahmen des Staates, die das Ziel, den Einfluss der Juden restlos auszurotten, Schritt für Schritt nach Weisung des Führers näher brächten und
2.) eine umfangreiche politische und weltanschauliche Schulung und Erziehung der Partei- und Volksgenossen auf dem Gebiet der Judenfrage in Verbindung mit eiserner Parteidisziplin.
Aus der Erfahrung der Politischen Polizei als Nachrichtensammelstelle für die zuständigen Reichsressorts regte SS-Gruppenführer Heydrich sodann an,
1.) über das Verbot der Mischehen hinaus auch die Rassenschande strafrechtlich zu ahnden,
2.) in der Erkenntnis der Tatsache, daß Grund und Boden nur den Volksgenossen zur Verfügung stehe, den Erwerb und die Pachtung von Grund und Boden von Juden zu verbieten.
3.) Eine gesetzliche Regelung über die Rechte der Volksgenossen und Staatsbürger unter Anwendung eines Ausnahmerechts für die Juden alsbald zu verkünden.
4.) Die Freizügigkeit der Juden soweit aufzuheben, als ihnen tunlichst der Zuzug in die Grosstädte untersagt werde.
Ob und inwieweit diese Vorschläge praktisch durchführbar wären, müsse, so erklärte Gruppenführer Heydrich, selbstverständlich den zuständigen Ressorts überlassen bleiben. Reichsbankpräsident Dr. Schacht begrüsste diese Ausführungen und erklärte, daß er Punkt 1 bis 3 vollinhaltlich zustimme und einer gesetzlichen Regelung unterziehen werde, daß er jedoch Punkt 4, falls er praktisch auf ein Getto hinauslaufe, für bedenklich halte, die Zuzugssperre für die Grosstadt jedoch grundsätzlich billige.
Gegen 18.30 Uhr schloss Reichsbankpräsident Dr. Schacht die Besprechung mit dem Hinweis, daß weitere Besprechungen zur Durchführung der praktischen Regelung der angeschnittenen Fragen demnächst folgen würden.