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Chronik und Quellen
1938
März 1938

März 1938

Auf Einladung von Reichsleiter Alfred Rosenberg kamen am 7. März die Vertreter der ausländischen Presse ins Berliner Hotel „Adlon“ zusammen, wo ihnen Reichspressechef Otto Dietrich dann die Aufgabe der Presse im nationalsozialistischen Staat erläuterte und dazu aufrief, die „politische Hetze“ als „Friedenssabotage“ zu bekämpfen.

Das geschah sicherlich nicht zuletzt mit Blick auf das herausragende Ereignis des Monats: In den Morgenstunden des 12. März rückten deutsche Truppen - angeblich aufgrund einer Bitte der provisorischen österreichischen Regierung - ohne auf Widerstand zu stoßen nach Österreich ein, wo sie von großen Teilen der Bevölkerung mit Jubel begrüßt wurden. Auf einer Großkundgebung am Abend in Linz sprach Hitler von nicht weniger als der „Vorsehung“: „Wenn die Vorsehung mich einst aus dieser Stadt hinaus zur Führung des Reiches berief, dann muss sie mir damit einen Auftrag erteilt haben, und es kann nur ein Auftrag gewesen sein, meine teure Heimat dem Deutschen Reich wiederzugeben.“ Am folgenden Tag wurde das Gesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich erlassen, wiederum zwei Tage später der Nationalsozialist Arthur Seyß-Inquart zum Reichsstatthalter ernannt. Hitler erklärte im Rahmen einer Kundgebung auf dem Wiener Heldenplatz, er könne vor der Geschichte „den Eintritt meiner Heimat in das Deutsche Reich melden“. Am 16. März kehrte der „Führer“ dann nach Berlin zurück, wo er von Propagandaminister Joseph Goebbels begrüßt wurde. Auf Anordnung von Erziehungsministers Bernhard Rust hatten die Kinder im Reichsgebiet zur Feier des Tages schulfrei. Am 18. März ordnete Hitler schließlich für den 10. April die Durchführung einer Volksabstimmung und die Wahl zum nunmehr „Großdeutschen“ Reichstag an. Den Wahlkampf hierzu eröffnete Goebbels am 22. mit einer Massenkundgebung im Berliner Sportpalast. Hitler seinerseits erklärte drei Tage später in Königsberg: „Es wird eine heilige Wahl sein, und ganz Deutschland soll sich dazu bekennen.“

Auch sonst schien es aufwärts zu gehen. Am 24. März ging mit der „Wilhelm Gustloff“ das erste deutsche KdF-Schiff mit rund 1.500 Passagieren auf seine zweitägige Jungfernreise. Bereits fünf Tage später wurde der zweite KdF-Dampfer in Hamburg in Anwesenheit Hitlers auf den Namen „Robert Ley“ getauft. Die Schiffe, so Hitler, seien Symbole im Kampf gegen „jene Elemente, die früher als asozial und klassenspaltend angesehen werden konnten“. Das NS-Regime bemühe sich, den „Volksgenossen“ all das zugänglich zu machen, „was früher Vorrecht einer begrenzten Lebens- und Volksschicht“ gewesen sei. Bei so viel positiven Nahrichten dürfte es kaum aufgefallen sein, dass im Rahmen der fünften Reichsstraßensammlung des Deutschen Winterhilfswerks (WHW) 1937/38 ab dem 5. März Soldatenfiguren aus Porzellan verkauft wurden – in indirekter Hinweis auf kommendes Geschehnisse?

Die Kirchen sahen sich dagegen weiterhin permanenter Überwachung und Verfolgung ausgesetzt. Am 2. März wurde Pastor Martin Niemöller in Berlin zu sieben Monaten Festungshaft und 2.000 RM Geldstrafe verurteilt und, weil die Strafe bereits durch die Untersuchungshaft abgegolten war, anschließend direkt in ein Konzentrationslager überführt. Knapp zwei Wochen später ließ die vorläufige Leitung der Deutschen Evangelischen Kirche am 13. März eine Kanzelankündigung zum Prozess gegen Niemöller verbreiten. Darin hieß es, dass das, was man gegen ihn unternehme, geschehe, „damit endlich die Stimme der Kirche in Deutschland zum Schweigen kommt und damit endlich der Widerstand gegen die Zerstörung und Auflösung der Kirche erlahmt“.

Verdrängung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung

Der Prozess der wirtschaftlichen Zurückdrängung der jüdischen Bevölkerung wurde gleich zu Monatsbeginn massiv verstärkt, indem das Reichswirtschaftsministerium in einem geheimen Erlass zum 1. März endgültig die Vergabe öffentlicher Aufträge an jüdische Firmen untersagte. Damit wurde ihnen der Zugang zu eigentlich unverzichtbaren Auftraggebern dauerhaft verschlossen.

Auch in einzelnen Branchen sahen sich jüdisch geführte Unternehmen mehr und mehr vom totalen Ausschluss bedroht. So verbot das am 18. März erlassene neue Waffengesetz, dass Angehörigen der NSDAP und ihrer Verbände den Waffenbesitz massiv erleichterte, zugleich Juden oder jüdisch geführten Betrieben die Herstellung, Bearbeitung oder Instandsetzung von Schusswaffen oder Munition sowie den Handel mit Waffen.

Auch von Ehrungen und Würdigungen wurde der jüdische Teil der Bevölkerung offiziell ausgeschlossen. Am 22. März erließ der Reichserziehungsminister Richtlinien, in denen vorgeschrieben wurde, dass vor jeder Verleihung der Würde eines Ehrendoktors, akademischen Ehrensenators, Ehrenbürgers oder Ehrenmitgliedes sorgfältig zu prüfen sei, „ob der Kandidat und sein Ehegatte rein arischen Blutes“ seien.

Zwei Tage später untersagte der Reichsinnenminister Juden die Benutzung staatlicher Archive, die sie künftig ausschließlich zu „familiengeschichtlichen Zwecken und zur Erforschung des jüdischen Volkstums“ aufsuchen durften. In solchen Ausnahmefällen war genau darauf zu achten, dass „dem jüdischen Archivbenutzer“ ausschließlich jenes Material vorgelegt wurde, das für den „Feststellungs- oder Forschungszweck“ als unentbehrlich galt. Damit wurde zahlreichen jüdischen Forscher*innen ein wesentlicher Teil ihrer Arbeitsgrundlage entzogen.

Auch jüdische Verbände blieben vor neuen empfindlichen Schlägen nicht verschont. Per „Durchführungsverordnung zum Grundsteuergesetz“ wurde ihnen am 29. März rückwirkend ab 1. Januar 1938 die Befreiung von der Grundsteuer entzogen.

Im März wirkten sich auch außenpolitische Ereignisse direkt und indirekt auf die jüdische Bevölkerung im Reichsgebiet aus. Der mit großem propagandistischem Aufwand gefeierte „Anschluss“ Österreichs hatte unter anderem zur Folge, dass mit dem 13. März rund 190.000 weitere Jüdinnen und Juden unter unmittelbare NS- Herrschaft gerieten. Das beeinflusste deren Perspektiven massiv und veranlasste viele von ihnen zu Fluchtversuchen v.a. über die deutsche Westgrenze.

Am 31. März 1938 erließ die polnische Regierung das allgemein formulierte, faktisch jedoch gegen Juden gerichtete „Gesetz über den Entzug der Staatsbürgerschaft“, das es ermöglichen sollte, Staatsangehörige, die seit mehr als fünf Jahre im Ausland lebten, auszubürgern. Zu diesem Zeitpunkt werden wohl eher wenige der im Reichsgebiet lebenden „Ostjuden“ mit polnischer Staatsbürgerschaft geahnt haben, was für fatale Folgen dieses Gesetz im Herbst des Jahres für sie haben würde.

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