Menü
Chronik und Quellen
1937
Dezember 1937

Lagebericht der SD-Abteilung II/112 für das Jahr 1937

Für das Jahr 1937 erstattet die SD-Abteilung II/112 folgenden (undatierten) Lagebericht:

I. Allgemeines zur Lage im inner- und außerdeutschen Judentum

1. Deutschland

Die Gesamtlage des innerdeutschen Judentums wurde in der Berichtszeit im wesentlichen durch drei Faktoren bestimmt: durch die Auswanderung, die Auswirkungen des Peel-Berichtes und die verstärkte Einflußnahme der Staatspolizei auf die Führung des Judentums. Während in den vergangenen Jahren die in Deutschland ansässigen Juden noch sehr stark von ihren ideellen Auseinandersetzungen beansprucht und an der positiven Auswanderungsarbeit gehindert wurden, ist die Auswanderung heute unter dem Eindruck des verschärften Eingreifens der Staatspolizei im allgemeinen zum Leitgedanken aller jüdischen Organisationen geworden. Die ideellen Gegensätze, die insbesondere zwischen der Hauptorganisation der Zionisten, der Zionistischen Vereinigung für Deutschland, und derjenigen der Assimilanten im jüdischen Zentralverein bestanden, verlieren an praktischer Bedeutung.

Nicht zuletzt haben dazu das im Anfang des Jahres ausgesprochene zweimonatige Versammlungs- und Veranstaltungsverbot für alle jüdischen Organisationen und die Auflösung des „Unabhängigen Orden Bne Briss“ am 19.4.37 beigetragen, nicht minder auch die Übertragung der deutschen Judengesetzgebung auf Oberschlesien nach Ablauf des Genfer Abkommens am 17.Juli 1937 und das verschärfte Vorgehen gegen die Juden in Danzig.

Immerhin darf hieraus nicht auf ein völliges Aufhören der assimilatorischen Tätigkeit geschlossen werden. Gerade in Bayern und Schlesien zeigt sich gegenüber den schwächer werdenden Vorstößen der zionistischen Organisationen ein stetiges Anwachsen der assimilatorischen Tendenzen, das sich im wesentlichen aus dem starken Einsatz von Finanzmitteln auf seiten der Assimilanten erklärt.

Aus diesen Beispielen kann gefolgert werden, daß der Zionismus im allgemeinen wohl festes Gedankengut der minderbemittelten und zahlenmäßig stärksten jüdischen Bevölkerungsteile ist, daß dagegen die kapitalkräftigen Juden, die ihre Positionen zum Teil durch die Einschaltung in den Vierjahresplan noch verstärken konnten, natürlicherweise nach wie vor für den Assimilationsgedanken eintreten. Neue Angriffe von dieser Seite auf den Auswanderungsgedanken konnten nur durch eine planmäßige Förderung der Zionisten bei der Besetzung von Vorstandsämtern jüdischer Organisationen unterbunden werden.

Wenn es dennoch an einer einheitlichen Ausrichtung des gesamten in Deutschland ansässigen Judentums fehlt, so liegt das nicht zuletzt an dem Mangel geeigneter Führungskräfte, der sich am deutlichsten in der Arbeit der „Reichsvertretung der Juden in Deutschland“ auswirkt. Diese hat sich, obwohl sie Zentralorgan der gesamten Judenschaft ist, auch heute nach vierjähriger Tätigkeit noch nicht die vollkommene Anerkennung im Reiche erringen können. Aus der in Judenkreisen an ihr geübten Kritik geht klar hervor, daß es einigen ihrer Funktionäre trotz der kritischen Lage des Judentums in Deutschland noch an dem nötigen Verantwortungsbewußtsein und Arbeitseifer fehlt.

Gerade eine solche Bemängelung der Arbeit macht es deutlich, daß hier nur durch beständigen Eingriff in die Aufgaben der jüdischen Organisationen Wandel geschaffen werden kann, nicht um zu einer Verstärkung der Front des Judentums beizutragen, sondern nur in der Absicht, die Durchführung der sich aus der Politik des Reiches ergebenden Forderungen an die Juden zu ermöglichen.

Aus der immer stärker werdenden Zurückdrängung des Judentums in das geistige Ghetto erklärt sich seine Flucht in die Religiosität. So wiesen die Synagogen in Berlin während der jüdischen Festtage einen doppelt so starken Besuch wie im Vorjahre auf. Parallel dazu geht die immer stärker werdende Beteiligung an jüdisch-kulturellen Veranstaltungen, die mit Ausnahme der preußischen Provinz Hessen-Nassau und insbesondere des Landes Hessen auch jetzt noch im Ansteigen begriffen ist.

Die Auswanderung von etwa 24000 Personen im Jahre 1937 nach Palästina und Übersee hat sich in verschiedener Hinsicht auf die Umgestaltung des innerdeutschen Judentums ausgewirkt. So hat der Abgang zahlreicher kapitalskräftiger Juden, abgesehen von vereinzelten Ausnahmen, einen Rückgang der Steuereinnahmen zur Folge gehabt und die Kürzung der Gemeindeetats erforderlich gemacht. Dies wirkte sich insbesondere bei der jüdischen Wohlfahrtspflege aus, wird andererseits jedoch auch Ansporn zur Schaffung weiterer Auswanderungsmöglichkeiten sein.

Zweifellos befindet sich, verstärkt durch die allmähliche Ausschaltung der Juden aus der Wirtschaft, das jüdische Proletariat im Anwachsen, dessen Situation für die weitere Führung der Judenpolitik um so beachtlicher wird, als natürlicherweise auch die Spenden für das jüdische Winterhilfswerk abnehmen. Hiervon werden insbesondere die größeren Judengemeinden betroffen, die eine beständige Zuwanderung unbemittelter Juden aus der Provinz, in der infolge der Auswanderung immer mehr Gemeinden zur Auflösung kommen, zu verzeichnen haben.

Da eine Unterstützung aus reichsdeutschen Mitteln selbstverständlich nicht in Frage kommen kann, muß das für die Verwaltung notwendige Geld, das durch die Gemeinden selbst nicht mehr aufgebracht werden kann, in immer stärkerem Maße von den internationalen jüdischen Hilfsorganisationen beschafft werden. So begrüßenswert es sein mag, daß dem Reiche auf diese Weise Devisen zufließen, so gefährlich ist die hierdurch bedingte notwendige Fühlungsnahme der leitenden Männer des innerdeutschen Judentums mit den führenden außerdeutschen Judenorganisationen.

Um den auf diese Weise möglich werdenden Aufbau eines Nachrichtennetzes innerhalb Deutschlands nach Möglichkeit zu unterbinden und um gleichzeitig schon bestehende Verbindungen abzuschneiden, mußten deshalb alle Juden ausländischer Staatsangehörigkeit von den Vorstandsposten, Beamten- und Angestelltenstellungen der jüdischen Organisationen entfernt werden.

Die seelische Auswirkung dieser Lage auf das Judentum zeigt sich insbesondere in der Ehefeindlichkeit der jüdischen Jugend, ihrer geistigen und sittlichen Verwahrlosung, deren Ergebnis das zum Teil und besonders in Berlin zu bemerkende Anwachsen der unehelichen Kinder ist. Auch die Auswanderungsbestrebungen sind in der Berichtszeit unter der Einwirkung inner- und außerpolitischer Vorgänge grundlegenden Veränderungen unterworfen gewesen.

Die entscheidende Wendung innerhalb der in Deutschland ansässigen Judenschaft und des Weltjudentums bedeutete der Peel-Bericht, durch den der Ablauf des englischen Mandats in Palästina und der Plan zur Gründung eines selbständigen Juden- und Araberstaates vorgeschlagen wurde. Der am 3.VIII.37 in Zürich eröffnete Zionistenkongreß gab ein Bild von der Einstellung des zionistisch organisierten Weltjudentums zu den Plänen der englischen Regierung. Wenn auch unter dem Druck Weizmanns die Mehrheit der Abgeordneten der Teilung unter Vorbehalt einer Revision zustimmte, so kann dies doch nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Juden selbst letztlich keinen eigenen Staat wünschen, vielmehr aber unter dem englischen Protektorat mit absoluten Vollmachten ausgerüstet bleiben wollen. Den Beweis für die Unfähigkeit der Juden, einen Staat aufzubauen, der ausschließlich mit jüdischen Kräften arbeitet und aus deren Arbeit leben muß, bildet der Zustand der palästinensischen Wirtschaft. Die in der letzten Zeit aufkommenden Tendenzen - die auch gerüchteweise in der in Deutschland erscheinenden jüdischen Presse erörtert wurden - zu einer Verständigungsbereitschaft mit den Arabern, deuten jedenfalls darauf hin. In den neuesten Meldungen aus Palästina wird sogar schon von einem Staat gesprochen, in dem unter Leitung eines arabischen Königs hinsichtlich der Verwaltung und der Bevölkerungsziffer zwischen Arabern und Juden vollkommene Parität herrschen soll.

Auch die „Zionistische Vereinigung für Deutschland“ hat sich eindeutig gegen die Annahme des Peel-Berichtes ausgesprochen. In einer Stellungnahme des Leiters der ZVfD heißt es, die Grundlage des Berichtes, nämlich die Behauptung, das Mandat sei unausführbar, sei falsch, damit verlören aber zugleich alle hieraus gezogenen Schlüsse ihre Bedeutung. Hierin zeigt sich ganz deutlich die grundsätzliche Abneigung gegen eine jüdische Staatengründung.

Daraus entwickelte sich bei den Auswanderungswilligen eine gewisse Palästinamüdigkeit, die noch dadurch gefördert wird, daß die englische Regierung bis März 1938 (interimistisch) nur etwa insgesamt 8000 Zertifikate, davon etwa 1300 für die jüdische Auswanderung aus Deutschland nach Palästina, bereitstellte. Äußerungen der Juden aus jüngster Zeit lassen erkennen daß auch die Auswanderung minderbemittelter Juden aufgrund dieses Sachverhaltes, wie auch aus Furcht, in die augenblicklichen Konflikte in Palästina einbezogen zu werden, im nächsten Jahr gering sein wird, wenn sie nicht sogar zum Stillstand kommt.

Daß die Auswanderung jüdischer Kapitalisten im Berichtsjahr trotz der strengen wirtschaftlichen Sicherungsmaßnahmen des Reiches sowohl nach Palästina als auch nach anderen Ländern verhältnismäßig stark war, erklärt sich aus der Existenz des Haavarasystems. Hierdurch wird es kapitalkräftigen Juden, wenn auch unter starken Verlusten, ermöglicht, durch einen Warentransfer über die „Paltreu“ (Palästina-Treuhandstelle zur Beratung der Juden in Deutschland GmbH, Berlin), das „Haavara Trust and Transfer Office, Ltd.“, Tel Aviv und die „Nemico“ (Near and Middle East Corporation, Tel Aviv) Kapital aus Deutschland nach Palästina oder dem Vorderen Orient zu verbringen.

Eine Kapitalabwanderung nach Übersee kann über die „Altreu“ (Allgemeine Treuhandstelle für die jüdische Auswanderung GmbH, Berlin) erfolgen. Hierbei handelt es sich um einen direkten Geldtransfer, wobei das zur Auswanderung bestimmte, aber begrenzte jüdische Kapital mit einem 100igen Aufschlag bei der deutschen Geld- und Diskontbank in Devisen umgewechselt wird. Der 100ige Gewinn fließt dabei dem Auswanderungsfonds der „Reichsvertretung der Juden in Deutschland“ für minderbemittelte Juden zu, die ihrerseits wiederum mit einem 100igen Aufschlag Devisen zur Förderung der Auswanderung minderbemittelter Juden erwerben kann.

Aus der oben aufgezeigten Einstellung heraus und bedingt durch die indirekt fühlbar gewordene ablehnende Stellungnahme des Reiches zur Gründung eines Judenstaates -der eine verstärkte Gegenpropaganda, Sabotage der Bestrebungen Deutschlands auf diplomatischem Wege und die Ausdehnung der Minderheitenrechte auf die Juden im Gefolge haben würde - hat sich der Gedanke der Auswanderung nach Übersee verstärkt. Hierbei konnten, unter Berücksichtigung der Devisenlage des Reiches, im Vergleich zum Vorjahr befriedigende Ergebnisse erzielt werden. Ein großes Hindernis für die Zukunft bedeutet aber die Tatsache, daß viele Länder, z. T. unter Einfluß der deutschen antijüdischen Propaganda, z.T. aber aus innerer Notwendigkeit veranlaßt, sich der jüdischen Einwanderung verschließen; andererseits muß darauf geachtet werden, nicht in denjenigen Ländern Judensiedlungen zu ermöglichen, die politisch oder wirtschaftlich für Deutschland wichtig sind, um nicht Gefahr zu laufen, mit der Zeit in diesen Ländern Zellen aktiven Widerstandes gegen eine deutschfreundliche Politik zu schaffen.

Unter diesem Eindruck entwickelt sich unter den in Deutschland ansässigen Juden eine Auswanderungsfurcht, die sich zukünftig durch verstärkte assimilatorische Tendenzen äußern kann, wenn nicht alle Möglichkeiten für die Förderung der Auswanderung erkundet und ausgenutzt werden. Der andere Teil der Juden wird versuchen - wie das bereits laufend beobachtet wird -, jetzt noch gehaltene Stellungen in der deutschen Wirtschaft auszubauen.

Unbedingte Voraussetzung für die Lösung der Judenfrage durch die Auswanderung ist aber die einmütige Ablehnung der Juden durch alle Bevölkerungsteile. Es wird deshalb erforderlich sein, daß eine stärkere und zielbewußtere Propaganda, die besonders die Landbevölkerung erfassen muß, alle Volksgenossen so erzieht, daß sich die Juden nicht wieder mit ihrer bewußten oder unbewußten Hilfe und Unterstützung wirtschaftliche Positionen aufbauen können. Das Berichtsjahr hat erwiesen, daß große Teile der Bevölkerung, ja selbst der Parteigenossenschaft, sich nicht einmal mehr um die einfachste Forderung, nämlich nicht beim Juden zu kaufen, bekümmern. Besonders stark zeigt sich diese Sabotage in streng katholischen Bezirken und bei der Anhängerschaft der bekennenden Kirche, die zum Teil aus weltanschaulichen Gründen - Lösung der Judenfrage durch die Taufe und Aufnahme der Juden in die christliche Gemeinschaft - zum Teil aber auch zum Zwecke der Stärkung der Opposition gegen den Nationalsozialismus, die Arbeit des Reiches auf dem Gebiet des Judentums zu stören versucht. Den besten Beweis für den Erfolg dieser Gegenarbeit bietet die Tatsache, daß im Gegensatz zum übrigen Reichsgebiet in Mittel- und Unterfranken, sowie in Schwaben, eine ständige Verschiebung der jüdischen Bevölkerung von den Städten in die Landgemeinden vor sich geht, weil die Juden hier, unter dem moralischen Schutz der Kirche stehend, die Maßnahmen des Reiches weniger stark zu spüren bekommen. Ein ähnlicher Vorgang ist in den katholischen Gegenden der preußischen Provinz Hessen-Nassaus und im Land Hessen zu beobachten.

Dem eigenwilligen Auftreten gewisser Teile des Judentums wurde, wie bereits angedeutet, durch Versammlungs- und Veranstaltungsverbot, durch Auflösung des „Unabhängigen Ordens Bne Briss“, der Jüdischen Telegraphenagentur (ITA) und des „Paulusbundes“ (in seiner bisherigen Form als Vereinigung aller Juden christlicher Konfession) entgegengetreten. Andererseits wurde die Judengesetzgebung aus den vergangenen Jahren durch eine Anzahl wichtiger Erlasse der Reichsministerien und der Geheimen Staatspolizei ergänzt. So wird es der am 18.10.37 vom Reichsarbeitsminister herausgegebene vertrauliche Erlaß den Juden unmöglich machen, weiterhin deutschblütige Mädchen und Frauen ausländischer Staatsangehörigkeit unter 45 Jahren in ihren Haushalten zu beschäftigen. Der immer noch möglichen Umgehung der Bestimmungen des Blutschutzgesetzes durch Schließung nicht ohne weiteres zulässiger oder unerwünschter Ehen im Ausland soll durch staatspolizeiliche Maßnahmen begegnet werden.

Von grundsätzlicher Bedeutung ist weiterhin der vom Reichs- und Preußischen Minister des Innern am 16.11.37 herausgegebene Judenpaß-Erlaß, der bestimmt, daß, von einigen Ausnahmen abgesehen, den Juden grundsätzlich nur noch Reisepässe auszustellen sind, wenn diese zur Auswanderung oder deren Vorbereitung benötigt werden.

Die ersten wirksamen Schritte zur Ausschaltung der Juden aus der deutschen Wirtschaft wurden im November 1937 unternommen, durch die Herausgabe eines Erlasses, der eine Einschränkung der Rohstoffkontingentzuteilung an Juden verfügt. Es werden aber noch zahlreiche Eingriffe erforderlich sein, um die Stellung der Juden in der deutschen Wirtschaft endgültig zu brechen und damit der politischen Opposition gleichzeitig ihren Rückhalt zu nehmen.

Durch Gesetze wurde es außerdem unmöglich gemacht, daß Emigranten und damit auch aus Deutschland emigrierte Juden in Deutschland ansässige Personen, einschließlich der Verwandten ersten Grades, beerben oder von diesen mit Schenkungen bedacht werden können.

2. Weltjudentum

Während die Vorjahre im Zeichen einzelner über die ganze Welt verbreiteter Boykottaktionen des Judentums gegen Deutschland standen, haben diese mit Ausnahme der letzten Wochen des Jahres 1937 fast ganz aufgehört. Zum Abschluß des Jahres setzten allerdings die unter Leitung Samuel Untermyrs stehende Boykottwoche in Amerika und die von dem Zionisten und Revisionisten Jabotinsky ausgehende Boykotthetze gegen Deutschland ein.

Der Rückgang der Hetze erklärt sich einmal aus der kritischen Lage des Judentums in Deutschland, die noch durch den Judenboykott in Oberschlesien und Danzig verstärkt wurde, die das Judentum in Deutschland veranlaßte, sich zur Sicherung seiner eigenen Existenz bei den verantwortlichen Juden in Amerika für eine Änderung des Kurses einzusetzen. Zum anderen wurde durch das Vorgehen gegen die Juden in Polen, Brasilien, Rumänien usw. die Aufmerksamkeit von Deutschland abgelenkt, wodurch die Lösung der Judenfrage gleichzeitig immer mehr zu einem Zentralpunkt der Weltpolitik wurde. So begrüßenswert diese Tatsache vom weltanschaulichen und außenpolitischen Standpunkt sein mag, so hat sie doch zugleich die Schließung zahlreicher Grenzen gegen die Judeneinwanderung zur Folge gehabt. Im Hinblick auf diese Entwicklung erscheint es immer fraglicher, ob es gelingen wird, die Auswanderungsbewegung der Juden aus Deutschland im kommenden Jahr auf dem Stand von 1937 zu halten, zumal die Devisenlage des Reiches nur eine Auswanderung unter Einsatz der geringst möglichen Finanzmittel zuläßt.

Gleichzeitig scheint es aber, daß die nach außen hin beobachtete Abnahme der Aktivität des Weltjudentums zu einer Konsolidierung ausgenutzt werde mit dem Ziel, eine Vereinheitlichung der zahlreichen über die ganze Welt verteilten jüdischen Splittergruppen herbeizuführen. Als Beispiel hierfür mag die Gründung des „Comite d’Entente“ mit dem Sitz in Paris gelten, das zur Dachorganisation aller jüdischen Hilfsorganisationen, die über beachtliche Finanzmittel verfügen, ausgebaut wird. Es ist anzunehmen, daß von hier aus neue Angriffe des Weltjudentums nicht nur gegen Deutschland, sondern gegen alle nationalen Bewegungen ausgehen werden.

Die Intervention des Exekutivausschusses des jüdischen Weltkongresses anläßlich des verschärften Vorgehens gegen die Juden in Danzig beim Präsidenten des Dreier-Ausschusses des Völkerbundes und die von der englischen und französischen Gesandtschaft bei der neuen rumänischen Regierung erhobenen Vorstellungen zugunsten der Juden sind nur als Vorspiele anzusehen, die aber mit aller Klarheit erweisen, daß das Weltjudentum nicht gewillt ist, sich mit der gegenwärtigen Lage abzufinden, und daß es nach wie vor über großen Einfluß auf die Regierungen verschiedener Länder verfügt.

Zur Zentralstelle des Judentums hat sich eindeutig Amerika entwickelt, das der Sitz aller großen jüdischen Weltorganisationen und der Ausgangspunkt der antideutschen Propaganda ist. Der Auswanderungsstrom des Ostjudentums, der nur zum Teil nach Palästina abgelenkt werden konnte, hält unvermindert an und verstärkt dort das jüdische Proletariat, das die Keimzelle des Kommunismus in den USA darstellt. Abgesehen von dem bekannten Einfluß des Judentums auf die amerikanische Regierung - u. a. ist der Finanzminister Morgenthau Jude - und die Wirtschaftslenkung, erwächst Deutschland in Amerika also auf indirektem Wege über den Kommunismus eine neue Gefahrenquelle.

Die Rolle, die das Judentum Sowjetrußlands in der Gegenarbeit gegen alle nationalen Staaten und völkischen Strömungen spielt, bleibt, abgesehen von seiner direkten Mitwirkung am Ausbau des Weltbolschewismus durch die Beteiligung an der sowjetrussischen Regierung, nach wie vor ungeklärt. So wird bekannt, daß jede Arbeit für den Zionismus in Sowjetrußland mit dem Tode bestraft werde; andererseits besteht aber mit Billigung der Regierung eine Zweigstelle des internationalen „Ortverbandes“ in Moskau, der sich in den übrigen Ländern mit der Umschulung von Handwerkern für die Auswanderung beschäftigt. Auch die Rolle, die die Judenrepublik Biro-Bidschan innerhalb des Gesamtverbandes der Sowjetunion einnimmt, ist unklar, zumal absolut zuverlässige Berichte über die Lage des Judentums in Sowjetrußland nicht vorliegen.

II. Die Tätigkeit der jüdischen Organisationen in Deutschland

1. Reichsvertretung und Reichsverbände

Von einer vollen Anerkennung der „Reichsvertretung“ durch die Juden in Deutschland kann auch im Jahre 1937 noch nicht gesprochen werden. Die Ursache dieses Zustandes liegt einmal in der Arbeitsweise der Reichsvertretung und zum anderen in dem Wirken der auf das jüdische Leben in Deutschland einflußreichen religiösen Landesverbände begründet. Es mangelt immer noch an einer wirklich zielstrebigen und energievollen Arbeit dieses obersten jüdischen Gremiums. Die Sitzungen der Unterausschüsse bzw. des Präsidialausschusses erschöpften sich in der Erörterung vieler Fragen und in der Kenntnisnahme von bestehenden Mißständen, ohne daß praktische Folgerungen für ihre Abstellung gezogen worden waren.

Diese Tatsachen riefen eine wachsende Opposition gegen die Reichsvertretung hervor. Einerseits wurde diese getragen durch die „Jüdische Gemeinde zu Berlin“, andererseits kam sie aus dem Lager der „Staatszionisten“ (Kareski). Im Juli 1937 erreichte die zwischen der Reichsvertretung und der jüdischen Gemeinde zu Berlin bestehende Spannung ihren Höhepunkt, die nur durch eine bindende Erklärung der Reichsvertretung über ihre Aufgabenstellung beendet werden könnte. Die Hauptangriffe der „Staatszionisten“ richteten sich gegen die unklare Rechnungslegung der Reichsvertretung. Um alle in diesem Zusammenhang erhobenen Vorwürfe zu entkräften, schritt deshalb die Reichsvertretung zur Bildung eines fünfköpfigen Haushaltsausschusses, in den auch der Leiter der Staatszionistischen Vereinigung, Georg Kareski, in seiner Eigenschaft als zweiter Vorsitzender der „Jüdischen Gemeinde zu Berlin“ berufen wurde. Selbstverständlich war dieser „jüdische Revolutionär“ den führenden Juden der Reichsvertretung nicht genehm. Der Zusammenbruch der jüdischen „Ivria-Bank“, der Kareski als Direktor Vorstand, machte schließlich sein Weiterverbleiben in der Leitung der Jüdischen Gemeinde und in der Reichsvertretung unmöglich. Aus den Umständen, die zur Erledigung der „Ivria-Bank“ führten, war zu erkennen, daß die Ruinierung dieser Bank lediglich ein Mittel war, den unliebsamen Kareski, der im Auslande als Gestapo-Spitzel bezeichnet wird, loszuwerden.

Aus dem allgemeinen Mißtrauen der Judenschaft gegen die Reichsvertretung erklärt sich auch der Beschluß, den der Rat des „Preußischen Landesverbandes jüdischer Gemeinden“ auf seiner im Dezember 1937 in Berlin abgehaltenen Tagung faßte, an die noch außerhalb des Verbandes stehenden Landesverbände mit dem Ziel heranzutreten, einen „Verband der jüdischen Gemeinden im Deutschen Reich“ zu errichten. Dieser Vorschlag stieß bei den Süddeutschen Landesverbänden jedoch auf schärfsten Widerstand. In der Sitzung des Präsidialausschusses der Reichsvertretung am 14.12.37 gab der Vorsitzende des „Verbandes Bayerischer Israelitischer Gemeinden“, Dr. Neumeyer1, eine Erklärung ab, in der die süddeutschen Verbände diesen Versuch schärfstens mißbilligten. Der sächsiche Landesverband schloß sich dieser Erklärung an. Diese ablehnende Stellungnahme scheint sich daraus zu erklären, daß die finanziell besser gestellten Gemeindeverbände nicht gewillt sind, in noch stärkerem Maße zur Finanzierung der schlechter gestellten herangezogen zu werden. Außerdem erfahren die jüdischen Gemeinden entsprechend den verschiedenartigen Länderrechten eine unterschiedliche Behandlung, die durch die Vereinheitlichung gefährdet werden könnte.

Die wirklichen Arbeitserfolge der Reichsvertretung im Berichtsjahr sind nur sehr gering und gingen keinesfalls über die bisherigen Leistungen hinaus. Ein Hauptaugenmerk wurde auf die Lehrerbildung und Lehrmittelbeschaffung gelegt. Lehrerprüfungen für den Volksschuldienst wurden auf Initiative der Reichsvertretung abgehalten. Verschiedene Lehrbücher für die Unterklassen sind erschienen bzw. befinden sich gegenwärtig in Bearbeitung.

Bei der Etatlegung für das Jahr 1937 fällt auf, daß die vorhandenen Mittel im Vergleich zum Vorjahr um nahezu 1000 000 RM niedriger waren und verhältnismäßig gesehen in stärkerem Maße für die Betreuung der Juden im Inlande (Jugend Sport) als für die Förderung der Auswanderung verwendet wurden. Dabei wird von jüdischer Seite aus noch besonders kritisiert, daß die durchschnittlichen Ausgaben des „Hilfsvereins der deutschen Juden“ für den Einzelfall der Auswanderung mit RM 178,- um RM 56,- höher liegen als beim Palästinaamt mit RM 122,-.

Der Voranschlag für das Haushaltsjahr 1938 wurde mit RM 4 341 800,- festgesetzt und damit um RM 10000 niedriger als im Berichtsjahr gehalten. Während davon RM 1 541 800 aus Mitteln im Reiche aufgebracht werden sollen, wird das Aufkommen aus dem Auslande mit RM 2 800 000 eingeschätzt.

Im einzelnen sieht der Voranschlag folgende Aufwendungen vor:

Wirschaftshilfe           ca. RM       1000000
Wanderung                     "             1327400
Wohlfahrt                         "               482400
Erziehung und Bildung   "               719000
Jugend und Sport           "               95000
Kulturbehörde               "                 50000

                                                 RM 3 673 800

Der Restbetrag ist wahrscheinlich für die Berufsumschichtung und die Verwaltungskosten eingesetzt. Der „Zentralausschuß für Hilfe und Aufbau“, der auf ein fünfjähriges Bestehen zurückblickt, kann als die Finanzierungsorganisation der Reichsvertretung angesprochen werden. Seine Gesamtleistungen seit 1933, die sich jedoch - wie oben aufgezeigt - im Berichtsjahr etwas verschoben haben, waren in Zahlen ausgedrückt folgende:

Wanderungswesen: Aufwand RM 4 500000,- --- Finanzierung der Auswanderung von ca. 70 000 Juden (ca. 50% der jüdischen Gesamtauswanderung)
Berufsumschichtung und -ausbildung: Aufwand RM 3 000000,- --- Es wurden 15 000 Juden umgeschult.
Betreuung des jüd. Schul- und Erziehungswesen: Aufwand RM 2 750 000,- --- 170 jüdische Schulen, 1300 jüdische Lehrkräfte, 23 000 jüdische Schüler
Wirtschaftshilfe Aufwand RM 1 000 000,-
Jüd. Wohlfahrtspflege: Aufwand RM 1 750 000,- --- 80000 Betreute
Aufwand in Prozenten:
       Wirtschaftshilfe 8%
       Wohlfahrt 13%
       Schulwerk 21%
       Umschichtung 23%
       Wanderung 35%

Einer weiteren Untergliederung der Reichsvertretung, der „Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland“, obliegt die Durchführung der Jüdischen Winterhilfe JWH. Ihre Gesamtleistungen im Winter 1936/37 betrugen 3 630355,63 RM gegenüber 3 644000 RM in den Jahren 1935/36. 83 761 Betreute im Winter 1935/36 stehen 82 818 Unterstützungsbedürftigen aus dem Jahre 1936/37 gegenüber. Im Winter 1936/37 waren 11641 oder nahezu 1/6 aller Unterstützten über 67 Jahre alt. Die scheinbare Verringerung der Unterstützungsbedürftigen bedeutet unter Berücksichtigung des Abganges durch die Auswanderung und die natürliche Verminderung eine wesentliche Erhöhung der Bedürftigen. Das Aufkommen in den Endmonaten 1937 lag unter desjenigen des entsprechenden Zeitabschnittes von 1936/37. Das bedeutet eine schärfere Heranziehung der jüdischen Kapitalisten bzw. der vermögenden Gemeinden. Einzelne Gebiete, wie z.B. Pommern, wurden zu jüdischen Notstandsgebieten erklärt. In Ludwigshafen a. Rh. wurde sogar die Weiterführung der Pfundspende in den Sommermonaten notwendig.

Das Problem der Erfassung der nichtorganisierten jüdischen Jugend beschäftigte besonders den Leiter des „Reichsausschusses der jüdischen Jugendverbände“, den Zionisten Dr. Hans Friedenthal. Er versuchte in einer Denkschrift die unbedingte Notwendigkeit der Zusammenfassung zu beweisen und warf in diesem Zusammenhang Fragen wie Uniformierung der jüdischen Jugend, Erweiterung des Jugendherbergswerkes u. a. auf. Tatsächlich ist nur ein kleiner Teil der jüdischen Jugendlichen in Deutschland organisiert. Eine absolute Müdigkeit in den Jugendbünden, die oft schon Diskussionen unter dem Gesichtspunkt „Ende der Bünde“ hervorrief, ist unverkennbar.

Seit Mitte 1937 sind im „Reichsausschuß der jüdischen Jugendverbände“ alle jüdischen Jugendorganisationen zusammengefaßt, nachdem als letzte die staatszionistische jüdisch- nationale Jugend „Herzlia“ beigetreten ist. Im November 1937 kam es endlich zu einer Einigung zwischen dem „Reichsausschuß der jüdischen Sportverbände“ und den jüdischen Sportverbänden in Bayern. Seitdem ist nunmehr der gesamte jüdische Sport in Deutschland nach außen hin einheitlich zusammengefaßt. Ebenfalls im November 1937 wurde ein „Oberstes Schiedsgericht“ eingesetzt, das die Regelung von sportlichen Streitfragen im jüdischen Sport vorzunehmen hat.

Interessant ist eine Vereinbarung unter den angeschlossenen Sportbünden, wonach ein Mitglied, das aus „jüdisch-weltanschaulichen Gründen“ dem an seinem Wohnort bestehenden Verein nicht beitreten will, als Gast Sport treiben kann. Damit erweist sich also die Annahme von der Existenz eines jüdisch-ideellen Unterschiedes zwischen dem Sportbund „Makkabi“ (Zionisten) und dem Sportbund „Schild“ (Assimilanten-RjFr) als richtig-

An 128 Orten sind insgesamt 64070 Juden in den dem „Reichsverband der jüdischen Kulturbünde“ angeschlossenen sogenannten „Kulturbünden“ zusammengefaßt, die neben den Synagogengemeinden ein beachtliches Zentrum jüdischen Eigenlebens bilden. Durch die am 19.4.37 erfolgte Beschlagnahmung zahlreicher Logenhäuser des U.O.B.B., die dem Kulturbund als Veranstaltungsort dienten, entstand eine Raumknappheit, die im Laufe des Jahres fast überall wieder behoben werden konnte, so daß seiner Tätigkeit keine Schranken gesetzt sind. Um die Durchführung des laufenden Winterprogrammes nicht unmöglich zu machen, wurde im Kulturbund zunächst von der Ausgliederung der Ausländer abgesehen.

2. Die zionistischen Organisationen

Innerhalb der „Zionistischen Vereinigung für Deutschland“ waren im Jahre 1937 noch die Nachwirkungen der Unruhen des Jahres 1936 in Palästina auf die Auswanderungssendungen zu spüren. Sowohl der Peel-Bericht als auch der XX. Zionistenkongreß im August 1937 brachte für die Juden in Palästina noch keine endgültige Einschneidung, was sich naturgemäß auf die in Deutschland lebenden zionistisch eingestellten Juden in der Abnahme der Auswanderungslust nach Palästina auswirkte. Das Trachten dieser Juden war daher zwangsläufig darauf gerichtet, auf alle Fälle vorerst ihre wirtschaftlichen Positionen in Deutschland auszubauen und die Entscheidung in Palästina abzuwarten.

Diese Einstellung der Zionisten in Deutschland zur Auswanderung nach Palästina wurde noch durch eine Verordnung der englischen Mandatsregierung verstärkt, der zufolge für die Zeit vom 1.10.1937 bis 31.3.1938 insgesamt nur 8000 Zertifikate freigegeben wurden. Die Zahl der Zertifikate Gruppe C, nämlich für die unbemittelten handwerklich und landwirtschaftlich umgeschulten Juden beträgt laut dieser Verordnung 2 380. Hiervon entfallen auf Deutschland lediglich 17%. Abzüglich einer Reserve von 180 Zertifikaten für die palästinensische Regierung können demnach in der genannten Zeitspanne lediglich 375 unbemittelte Juden aus Deutschland nach Palästina auswandern.

Trotzdem versuchte die Zionistische Organisation durch Entfaltung einer regen Propaganda in der Presse und in Versammlungen die Zahl ihrer Mitglieder, die im Juli 1937 rund 90000 betrug, zu halten. Wenn dennoch in einigen Gebieten (Bayern, Württemberg, Baden, Sachsen, Thüringen) eine rückwärtige Bewegung in der Beteiligung an zionistischen Versammlungen zu verzeichnen war, erklärt sich das zum Teil durch die bereits einleitend näher dargelegte Auswanderungsfurcht und die damit in diesen Gebieten verbundene wachsende Tätigkeit der Assimilanten, die aber als vorübergehende Erscheinung anzusehen ist.

Daß jedoch die Oppositionsbewegung innerhalb der zionistischen Organisationen nicht erstickt ist, zeigen folgende Sätze aus einer Rede des Juden Scherek2, die dieser anläßlich eines Tanzabends mit Palästinawerbung in Baden-Baden am 5.IV.1937 aussprach:

„Nur mit Hilfe von England können wir Deutschland überrumpeln. Mit dem Hammer werden wir Deutschland zertrümmern. Ich betone immer und immer wieder, nur mit England ist eine solche Tat möglich. Unsere Hoffnung ist heute so groß. Die größten Feinde sind die, die in Berlin sitzen. Man gibt uns hier keine Zeit zum sprechen, man schiebt uns so schnell wie möglich ab. Das Salz muß aufgekauft werden, um den Vier jahresplan zu versalzen. Wenn wir nicht dumm sind, müssen wir die Schlacht gewinnen. Die Landwirtschaft steht heute 75% schlechter da als je zuvor. Wenn das nicht gelingt, müssen wir andere Mittel und Wege finden, um sie auf die Knie nieder zu zwingen.“

Der „Staatszionistischen Vereinigung“, die bisher stets Beziehungen zur „Neuzionistischen Organisation“ ableugnete, konnte in den letzten Tagen des Jahres 1937 ein enges Zusammenarbeiten mit dieser Greuel- und Boykottzentrale gegen Deutschland nachgewiesen werden. Der Stand dieser Organisation verringerte sich im Berichtsabschnitt von 2000 auf 1000 Mitglieder. Dieser Rückgang wurde durch leichtfertige Finanztransaktionen des Leiters der Staatszionistischen Vereinigung, Bankdirektor G. Kareski, und die in diesem Zusammenhang aus jüdischen Kreisen kommenden Angriffe gegen die Neuzionistische Vereinigung hervorgerufen. Kareski hält sich nach einer Palästinareise, die er in den Monaten Oktober und November unternahm und auf der er den schärfsten Angriffen ausgesetzt war, bis zur endgültigen Durchführung der Liquidation der „Ivria-Bank“ in der Schweiz auf. Um eine Tätigkeit im Auslande zu unterbinden, die den Interessen des Reiches abträglich sein könnte, wurden seiner Familie die Pässe abgenommen.

3. Die assimilatorischen Organisationen

Unter verstärktem Druck setzte sich auch bei den sogenannten assimilatorischen Gruppen allgemein die Erkenntnis durch, daß ein Verbleiben der Juden in Deutschland nur noch von absehbarer Dauer sein kann. Man schritt deshalb zur Propagierung des Gedankens der jüdischen Gruppenwanderung und -Siedlung; diese Bemühungen sollen dem Zweck dienen, Juden aus Deutschland in kleinen geschlossenen Gemeinschaften in überseeischen Ländern anzusiedeln, um die zivilisatorischen Errungenschaften zu erhalten.

Unter diesem Blickpunkt ist auch die im September 1937 erfolgte Neugründung der Jüdischen Landarbeit GmbH (ILA) zu sehen, einer Schöpfung des „Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten“, der mit ihrer Gründung im Jahre 1924 den Zweck verfolgte, rein jüdische Siedlungen in Deutschland zu errichten.

Heute sind als Träger der ILA eingetragen 1. die „Reichsvertretung der Juden in Deutschland“, 2. die Berliner Jüdische Gemeinde, 3. der „Hilfsverein der Juden in Deutschland“, 4. der „Jüdische Centralverein“ und 5. der „Reichsbund jüdischer Frontsoldaten“. Wie schon bei der ersten Gründung wurde der Leiter des „Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten“, Dr. Löwenstein, zum Aufsichtsratsvorsitzenden der ILA ernannt. Es wird in der Zukunft nötig ein, schärfsten Druck auf diese Neugründung auszuüben, wenn überhaupt praktische Auswanderungserfolge erzielt werden sollen, denn alle bisher aus diesem Lager kommenden Versuche dienten lediglich dazu, den Nachweis für die Existenzberechtigung der tragenden Gruppen zu erbringen.

Die praktische Arbeit wurde vom „Reichsbund jüdischer Frontsoldaten“ zusammen mit seinem Sportbund „Schild“ durch die Herausgabe von Fragebogen begonnen, um die für die Auswanderung in Frage kommenden Juden ausfindig zu machen. Interessant ist es, daß das gesetzestreue Judentum den Gedanken jüdischer Gruppensiedlung aufgenommen hat und seine Arbeit ebenfalls mit der Herausgabe von Fragebogen begann.

Um der sehr starken deutsch-jüdischen Tendenz des jüdischen Frontkämpferbundes ihre Wirkung auf die jüdische Bevölkerung zu nehmen, wurde die Betätigung des „Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten“ durch Erlaß des Reichsführers SS und Chefs der Deutschen Polizei im Reichsministerium des Innern vom 9.10.36 ausschließlich auf die Betreuung jüdischer Kriegsopfer beschränkt. Durch diesen Erlaß wurde eine starke Entlastung der NS-Kriegsopferversorgung herbeigeführt, zumal sich der „Frontkämpferbund“ sowohl in der Bundesleitung als auch in den Landesverbänden bzw. Ortsgruppen Spezialisten für die Fragen des Kriegsopferrechtes herangezogen hat.

Unter Berücksichtigung dieser Verhältnisse und der Tatsache, daß der „Reichsbund jüdischer Frontsoldaten“ seine Befugnisse im allgemeinen nicht überschritten hat, wurde ihm stillschweigend die Abhaltung eines monatlich einmal stattfindenden Zusammentreffens, an dem auch die Nichtkriegsbeschädigten teilnehmen können, zugestanden, damit die Unterstützung der Kriegsopfer sichergestellt ist und eine finanzielle Belastung des Reiches unterbleibt. Trotzdem darf nicht übersehen werden, daß die jüdisch-politische Haltung seiner Mitglieder weiterhin deutsch-jüdisch ist, so daß eine genaue Überwachung seiner Tätigkeit auch weiterhin erforderlich wird.

Der stärksten organisatorischen Stütze des assimilatorisch eingestellten Judentums, dem Jüdischen Centralverein (CV), wurde ein Veranstaltungsverbot auferlegt. Dieses Vorgehen wirkte sich dahin aus, daß er seine Hauptaufgabe heute in der Wirtschaftsbetreuung der Juden sieht. Seine Geschäftsstellen sind auf das ganze Reich verteilt und stehen allen Juden, auch Nichtmitgliedern, zur Beratung offen. Daß der CV trotz dieser Beschränkung von seinen assimilatorischen Absichten nicht abgegangen ist, beweist die Tatsache, daß die Syndici des CV den Ratsuchenden zum Teil Auskünfte erteilten, die indirekt auf die Erhaltung der Existenz in Deutschland als tragbar erscheinen zu lassen, erfolgen in den Beratungsstunden auch häufig Hinweise auf die schlechten Verhältnisse zu anderen Ländern.

Das Schwergewicht im jüdischen Sport lag auch im Jahre 1937 im Sportbund „Schild“ des „Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten“, und es gelang ihm, trotz der Abwanderung vieler Jugendlicher seine Mitgliederzahl von 21 000 durch die intensive Bearbeitung der Schulentlassenen zu halten. In allen Sportarten herrschte rege Tätigkeit. So wurde wie alljährlich auch im Jahre 1937u. a. der Schild-Reichsmeister ausgetragen, und seit Mitte des Jahres 1937 wurden sogar Gemeinschaftsspiele mit dem zionistischen Sportbund „Makkabi“ durchgeführt.

Die Versammlungstätigkeit der Vereinigung für das religiös-liberale Judentum ruht auch in der Berichtszeit fast gänzlich. Bei der Überprüfung des Mitgliederbestandes ergaben sich Doppelmitgliedschaften mit dem CV, dem „Reichsbund jüdischer Frontsoldaten“ und den Mitgliedern der aufgelösten U.O.B.B.-Logen. Die geringe Mitgliederzahl der Vereinigung und die praktische Bedeutungslosigkeit der Organisation ließen aber ein Vorgehen mit dem Ziele der Auflösung als unnötig erscheinen. Nach außen trat der Verein lediglich durch die Beteiligung von sieben Mitgliedern an der IV. Weltkonferenz der „World Union for Progressive Judaism“ vom 2.-6.7.1937 in Amsterdam, auf der hauptsächlich Religionsprobleme und Organisationsfragen erörtert wurden, in Erscheinung.

Aufgrund eines Erlasses des Geheimen Staatspolizeiamtes vom 30.12.36 erfolgte im Januar 1937 die reibungslos verlaufende Auflösung des assimilatorisch eingestellten Jugendbundes „Ring-Bund jüdischer Jugend“, in dem in etwa 80 Untergruppen nahezu 3500 jüdische Jugendliche organisiert waren. Nur in einem einzigen Falle bildete sich eine Nachfolgeorganisation, die sofort durch die zuständige Staatspolizeistelle aufgelöst wurde.

Die Mitgliedschaft zur „Vereinigung 1937 - vorläufige Reichsbürger nicht reindeutschblütiger Abstammung“ (ehemals Paulusbund) wurde durch Erlaß des Geheimen Staatspolizeiamtes vom 18.5.37 geregelt. Er bestimmt, daß zukünftig nur noch reichsbürgerfähige jüdische Mischlinge ersten und zweiten Grades Mitglieder der „Vereinigung 1937 - vorläufige Reichsbürger nicht reindeutschblütiger Abstammung“ werden können. Den ausgeschiedenen Volljuden wurde der Eintritt in den jüdischen Kulturbund anheimgestellt. Da diese jedoch nicht zur jüdischen Religionsgemeinschaft zurückkehren wollen, versuchten sie, eine neue Organisation ins leben zu rufen, die die Volljuden christlicher Konfession zusammenschließen sollte. So bemühte sich beispielsweise der jüdische Rechtsanwalt Luft, Berlin, um die Gründung einer „Notgemeinschaft der Juden christlicher Religion“. Dem Vorschlag wurde nicht nähergetreten, da einerseits ein derartiger Zusammenschluß unerwünscht ist und es zum anderen im Interesse des Staates liegt, diese Volljuden trotz ihrer christlichen Konfession zur jüdischen Rassegemeinschaft zurückzuführen.

4. Die Organisationen der Orthodoxie

Ebenso wie die übrigen Organisationen des Judentums in Deutschland hat sich die rein religiöse Organisation „Agudas Jisroel“, deren Hauptsitz im März 1937 von Frankfurt/M. nach Nürnberg verlegt wurde, mit dem Auswanderungsgedanken befaßt. Während sie den Palästinateilungsplan ablehnte, propagierte sie gleichzeitig den Auswanderungs-Fonds „Keren Hajischuw“, und den „Schmitto-Fonds“. (Im Schmittojahr 5698 = 1937/38 ist es den toratreuen Juden verboten, Arbeiten, die nicht unbedingt lebensnotwendig sind, zu verrichten. Der so entstehende Lohn- bzw. Ertragsausfall soll durch den Schmittofonds ausgeglichen werden).

Von einschneidender Bedeutung bezüglich der Auswanderungsfrage war zweifellos die vom 31.10.-3.11.37 in Paris abgehaltene Konferenz der westeuropäischen Landesorganisationen der „Agudas Jisroel“, in deren Mittelpunkt die Frage der Wanderung stand. Die Konferenz kam zu dem Schluß, daß die Frage der Auswanderung nach außerpalästinensischen Ländern in Anbetracht der gespannten Lage in Palästina eine der brennendsten sei. Insbesondere wurde hervorgehoben, daß die Schaffung religiöser Zentren in den Einwanderungsländern nur durch die Gruppenwanderung und Gruppensiedlung gewährleistet sei. Zur praktischen Durchführung der Wanderung wurde deshalb beschlossen, in London ein eigenes Auswanderungsamt der Agudas Jisroel zu errichten.

Aus einem Brief der Generalexekutive der „Agudas Jisroel“, London, an den führenden Agudisten, Rabbiner Dr. Ehrmann3, Frankfurt a. M., geht hervor, daß sich die Agudas als eine ihrer vordringlichsten Aufgaben auch die Unterbringung thoratreuer Juden aus Deutschland in überseeischen Ländern zum Ziel gesetzt hat. Darüber hinaus ist die Schaffung eines „Agudas-Passes“ geplant, mit dem die Auswandernden bei der Landesorganisation ihres neuen Wohnlandes eingeführt werden sollen.

Im Juni 1937 beging die „Agudas Jisroel“-Weltorganisation in Amsterdam ihr 25 jähriges Bestehen mit einer Jubiläumsveranstaltung, auf der wieder einmal das Zusammengehen zwischen der „Agudas Jisroel“ und dem zionistischen „Misrachi“ gefordert wurde. Die III. Kanessio Gedaulo (Weltkonferenz) der Agudas tagte vom 18.-23.8.37 in Marienbad (CSR). Sie faßte lediglich Beschlüsse religiöser Natur.

3. Der Unabhängige Orden B’nai B’rith (Bne Briss)

Als Gegenmaßnahme der Reichsregierung gegen die Reden des Greuel- und Boykotthetzers La Guardia im Frühjahr 1937 erfolgte am 19.4.1937 auf Weisung des Führers die zwangsweise Auflösung des deutschen Destriktes des Unabhängigen Orden „B’nai B’rith“ und aller ihm angeschlossenen Tochter- und Nebenorganisationen. Neben der „Großloge VIII für Deutschland“ wurden von dieser Maßnahme 97 Logen und 53 Schwestervereinigungen betroffen, deren Vermögen eingezogen wurde. Ausgenommen waren hiervon lediglich die drei in Oppeln, Gleiwitz und Ratibor bestehenden Logen, die erst nach Ablauf des deutsch-polnischen Minderheitenabkommens und der Schutzfrist am 15.7.37 zur Auflösung gebracht werden konnten. Bei der Beschlagnahme der Vermögensbestände ergab sich jedoch, daß ein Großteil in der Zwischenzeit über die Grenze geschafft worden war.

In vielen Fällen war die Verwaltung der Vermögensbestände und Sachwerte derart unübersichtlich, daß Fachmänner für die Abwicklung eingesetzt werden mußten. Das eingezogene Vermögen beträgt etwa 3 000000 RM. Genaue Zahlenangaben liegen jedoch nicht vor, da die Besitzverhältnisse und Hypothekenbelastungen oft vollkommen durcheinandergehen und sehr verworren sind. Häufig hatten auch die Logen in den zurückliegenden Jahren schon Vermögensbestände an die jüdischen Gemeinden überschrieben. Die Beschlagnahme dieser Vermögensbestände und ihre Einziehung erfolgte aufgrund des Erlasses vom 18.12.1937, der feststellte, daß „alle dem U.O.B.B. ähnlich gearteten jüdischen Organisationen volks- und staatsfeindlich gewesen sind“.

Das beschlagnahmte Aktenmaterial förderte weitverzweigte internationale Verbindungen mit den ausländischen Distrikten des U.O.B.B. bzw. mit ausländischen jüdischen Hilfsorganisationen zutage. Besonders auffallend war in diesem Zusammenhang die Verbindung zum tschechoslowakischen Distrikt. Zur nichtjüdischen Freimaurerei waren mit Ausnahme verschiedener Doppelmitgliedschaften keine direkten Verbindungen festzustellen. Erwähnenswert sind aber die äußerst zahlreichen Doppelmitgliedschaften zum Odd Fellow Orden. Nur in vereinzelten Fällen konnten Verbindungen zu direkten in- und ausländischen Staatsgegnern festgestellt werden.

Ritualmäßiges Arbeiten war in den U. O.B.B-Logen schon seit der Machtübernahme vermieden bzw. auf das geringste Maß beschränkt worden. In der caritativen Arbeit beschränkte sich der U. O. B. B. auf die Unterstützung der für die Juden in Deutschland tätigen Wohlfahrts- und Hilfsorganisationen. Unter seiner direkten Leitung standen lediglich zwei eigene Kinderheime. Für die Mitglieder der Logen bestanden Sterbe- und Unterstützungskassen, die Schutz und Hilfe in Notzeiten gewähren sollten. Irgendwelche Versuche, Nachfolgeorganisationen aufzuziehen, waren nicht festzustellen.

Im ganzen gesehen, war die Auflösung des U.O.B.B. und die Beschlagnahme seiner Logenhäuser ein schwerer moralischer Schlag für die Judenschaft in Deutschland, da ihr durch diese Maßnahmen viele Versammlungsräume aus der Hand genommen wurden, wodurch die Teilnahme an Unterhaltungsabenden und sonstigen Veranstaltungen oft unmöglich gemacht wurde. Gleichzeitig wurde damit aber die bedeutungsvollste Verbindung zum außerdeutschen Judentum abgeschnitten, dessen finanziell und geistig einflußreichste, stärkste Vertreter gerade in den U. O.B. B.-Logen zusammengeschlossen sind.

6. Der Stand der Auswanderung und Statistik

Infolge der Ausrichtung aller jüdischen Organisationen auf die Auswanderung gelang es im Jahre 1937 24000 Juden zur Abwanderung aus Deutschland zu bringen. Hiervon sind:

mittellose Auswanderer                                     10600
Kapitalisten
mit einem Vermögen über RM 50 000,-             2000
mit einem Vermögen von L        1 000,-           1400
mit einem Vermögen unter RM 8 000,-         10000         insg. 13400.

Unter Zugrundelegung eines Durchschnittsvermögens von RM 50000,-, 12000 (1L = RM 12,-) bzw. 5 000,- hat sich das jüdische Vermögen und damit der deutsche Kapitalmarkt um mindestens rund 170000000,- RM im Jahre 1937 verringert.

Hieraus geht also hervor, daß trotz aller Devisenschwierigkeiten im Vergleich zu den Jahren 1935/36 eine unverhältnismäßig hohe Anzahl jüdischer Kapitalisten an der Gesamtauswanderung im Berichtsjahre beteiligt war. Diese Tatsache, die sich allein aus der Existenz des schon anfänglich erläuterten Haavara-Systems erklären läßt ist auch nicht ohne Einwirkung auf die Etatgestaltung der jüdischen Gemeinden geblieben. So erklärte der Direktor der Jüdischen Gemeinde in Berlin, daß durch die besonders starke Abwanderung bemittelter Juden im Jahre 1937 eine erhebliche Schwächung des Steuereinkommens der Jüdischen Gemeinde Berlin zu verzeichnen sei, die es notwendig mache, stärker als bisher auf die Unterstützung der internationalen Hilfsorganisationen zurückzugreifen. Diese Tatsache ist um so beachtlicher, als, wie bereits erwähnt wurde, nach dem Stand vom 31.111.37 38226 jüdische Familien unterstützt werden mußten, von denen wiederum bereits 19 775 Familien mit rund 42 800 Personen von der öffentlichen Fürsorge betreut wurden. Zudem beläuft sich die Zahl der jüdischen Erwerbslosen nach dem Stand vom 31.111.37 auf 34 500 Personen; dies bedeutet trotz der Abwanderung gegenüber den Zahlen aus dem Jahre 1933 eine Zunahme um 839.

Um aber ein Bild von der tatsächlichen Verminderung der Judenschaft in Deutschland zu erhalten, muß zu dem Abgang der 24 000 Auswanderer noch eine Abnahme von 5500 - um 1500 Personen mehr als in den Jahren 1933/36 - hinzugerechnet werden, die sich aus der natürlichen Verminderung ergibt. Die Gesamtverminderung beträgt also 29 500 Juden. Damit wurde der Stand des Vorjahres, das unter ungleich günstigen finanziellen Bedingungen stand, erreicht.

Unter Abrechnung dieser Verminderung beläuft sich die Gesamtzahl der am 3l.XII. 1937 in Deutschland ansässigen Konfessionsjuden auf 363 000. Durch die erwähnten Tatsachen verschieben sich die Zahlen der jüdischen Altersgruppen in Deutschland wie folgt:

0-20 Jahre                              15%
20-45 Jahre                             30,8%
von 45 Jahren aufwärts     53,7%.

Die hieraus ersichtliche Vergreisung der Judenschaft in Deutschland wird mit zunehmender Auswanderung ansteigen und damit in steigendem Maße zur Lösung des Judenproblems in Deutschland beitragen.

Der Hauptauswanderungsstrom ging im Jahre 1937 außer nach Palästina vorwiegend nach Nord-Amerika (etwa 6058 Personen), Argentinien, Columbien, Uruguay und Süd-Afrika. Während die Einwanderung nach Nordamerika und Süd-Afrika lediglich aufgrund der sogenannten „Verwandtennachforderungen“ (die in diese Länder bereits ausgewanderten Juden fordern ihre noch in Deutschland ansässigen Verwandten zur Einwanderung über ihre zuständigen Regierungsstellen an) vor sich ging, wurde die Auswanderung der Juden nach den übrigen außereuropäischen Staaten (ohne Palästina) durch die Vermittlungsarbeit des Wanderungsdezernates der „Reichsvertretung der Juden in Deutschland“ und durch den „Hilfsverein der Juden in Deutschland“ ermöglicht.

Um die die Auswanderung der Juden aus Deutschland hemmenden Einwanderungsbeschränkungen, die in diesem Jahre in verschiedenen Aufnahmeländern, u.a. in Mexiko und Brasilien, erlassen wurden, zu überbrücken, wurde von den Juden in Deutschland eine „Zentralstelle für die Auswanderung“ geschaffen. Diese Zentralstelle hat die Aufgabe, angesichts des starken Auswanderungsbedürfnisses und der nur beschränkt vorhandenen Auswanderungsmöglichkeiten alle jüdischen Organisationen in Deutschland anzuspannen, um alle sich bietenden Auswanderungsmöglichkeiten voll auszunutzen und neue zu erschließen.

In der Praxis wirkt sich diese Neugründung jetzt insofern günstig aus, als in dieser Zentralstelle sämtliche jüdisch-politischen Gruppen in Deutschland durch Delegierte vertreten sind, einschließlich der bisher nicht beteiligten „Agudas Jisroel“, der „Staatszionistischen Vereinigung“ und des „Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten“.

Da fast alle Einwanderungsländer von den aus Deutschland auswandernden mittellosen Juden zumindest einen landwirtschaftlichen oder handwerklichen Ausbildungsnachweis fordern, bevor überhaupt die Einwanderungsgenehmigung erteilt wird, wurde die Zahl der jüdischen Umschulungslager zur weiteren Förderung der Abwanderung mittelloser Juden im Laufe des Jahres 1937 auf 62 erhöht, in denen jeweils etwa 3400 Juden in Kursen auf handwerkliche oder landwirtschaftliche Berufe umgeschult werden können. Während sich die Anzahl der nach der Berufsausbildung nach den Ländern außerhalb Palästinas ausgewanderten Juden im Vergleich zum Jahre 1936 mit 700 Personen um 25 auf 725 erhöhte, nahm die Anzahl der auf diesem Wege nach Palästina ausgewanderten von 1542 auf 894 um 648 Personen ab.

Um weitere Rückwirkungen der schon anfänglich näher dargelegten Lage in Palästina usw. auf die Auswanderung zu vermeiden, wurde die jüdische Presse in Deutschland veranlaßt, gegen tendenziöse Meldungen der internationalen Presse über neue Einwanderungserschwerungen Stellung zu nehmen. In der gleichen Absicht untersagte der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda der jüdischen Presse die Kommentierung des Vorgehens der rumänischen Regierung gegen die Juden.

III. Die Tätigkeit des Weltjudentums

Die Hauptzentren jüdisch-politischer Aktivität liegen nach wie vor in Paris, London und New York.

1. Paris

Im Jahre 1937 hat sich das Judentum in dem „Comite d’Entente“ mit dem Sitz in Paris eine neue große Organisation geschaffen, deren Existenz bisher geheimgehalten wurde. Sie wurde auf Anregung des im November 1937 verstorbenen Finanzjuden F. M.Warburg, New York, gegründet, angeblich mit dem Ziel der Vereinheitlichung der interterritorialen jüdischen Hilfsorganisationen. In Wirklichkeit ist dieses Comite aber die Dachorganisation einer Reihe großer jüdischer Finanzzentralen, wie beispielsweise das „American Joint Distribution Commitee“, „American Joint Reconstruction Foundation“, „Refuge Economic Corporation“, „Corporation“, „Jewish Colonisation Association“, „Hias-Ica Emigration Association“ u.ä. Es ist dies der erste groß angelegte Versuch, jüdische Großfinanzorganisationen zu einem schlagfertigen Instrument unter einheitlicher Leitung auszubauen und eine Auswirkung des auf dem jüdischen Weltkongreß 1935 gefaßten Beschlusses, das Judentum organisatorisch zu konsolidieren und einheitlich auszurichten. Die Leitung dieser Organisation setzt sich vorwiegend aus Juden amerikanischer Staatsangehörigkeit zusammen.

Als Präsident amtiert M. Gottschalk, Brüssel, als zweiter Vorsitzender der amerikanische Staatsangehörige Bernhard Kahn, der Direktor des europäischen Zweiges des „Joint Distribution Commitee“, und schließlich als dritter Vorsitzender der französische Staatsangehörige Generaldirektor Louis Ungel, der Delegierte der „Jewish Colonisation Association“ (JCA). Die in Deutschland ansässige Judenschaft ist durch je einen Delegierten der „Reichsvertretung der Juden in Deutschland“ und des „Hilfsvereins der Juden in Deutschland“ im Komitee vertreten.

Dieser Organisation muß deshalb von deutscher Seite aus größte Beobachtung zuteil werden, weil die Auswanderungsorganisationen in Deutschland insofern von ihm abhängig sind, als ihnen von den dem „Comite d’Entente“ unterstellten jüdischen Finanzorganisationen bedeutende Mittel zur Förderung der Auswanderung zur Verfügung gestellt werden. Im Jahre 1937 betrug die Zuwendung dieser Organisationen RM 3 300000,- auf die im Interesse des Reiches nicht verzichtet werden kann; zum anderen besteht aber die Möglichkeit, daß neben der politischen Beeinflussung des Judentums in Deutschland durch diese organistorische Zusammenballung in Paris ein jüdischer Fonds geschaffen wird, der, zur Boykottierung des nationalsozialistischen Staates eingesetzt, eine ungeheure Gefahr darstellt.

2. London

In London betätigte sich auch im Berichtsjahr die Spitzenorganisation der britischen Juden, die „Anglo Jewish Association“, der der „Board of Deputies of British Jews“, in dem sowohl jüdische Unter- als Oberhausabgeordnete zusammengeschlossen sind, angegliedert ist. Gewissermaßen als Auswärtiges Amt des Weltjudentums wirkt das ihm unterstellte „Joint Foreign Commitee“, dessen Hauptaufgabe in der Überwachung der Lage der Juden in allen Ländern besteht, um gegebenenfalls in Zusammenarbeit mit dem Hohen Kommissar für Flüchtlingshilfe beim Völkerbund geeignete Hilfsmaßnahmen zu beschließen. Dieses Komitee gewinnt noch dadurch an Bedeutung, daß es sämtliche im Ausland befindlichen jüdischen Emigrantenorganisationen kontrolliert, wie „The German Jewish Emigration Council“, London, das „Comite des Refugies“, London, „The Central British Fund for German Jewry“, London, das „Comite National de Secours aux Refugies Allemagne“ u. a. Während sich also nun die jüdische Finanzzentrale in Europa in Paris befindet, werden die politischen Arbeiten des Judentums in London durch Einwirkung auf die englische Regierung erledigt.

3. New York

Das dritte und zugleich größte Zentrum jüdisch-politischer Aktivität ist New York, das durch den anhaltenden Zustrom aus dem Ostjudentum eine beständige Erweiterung erfährt. Auf diesem Boden gedeihen die Greuel- und Boykottorganisationen gegen Deutschland wie die „Non Sectarian Anti-Nazi-League“ und die „Anti-Defamation League“, deren Leiter der amerikanische Staatsbürger und jüdische Rechtsanwalt Samuel Untermyr ist. Von hier aus wird auch die Tätigkeit der europäischen Greuel- und Boykottorganisationen gegen Deutschland wie z.B. die der „Weltliga zur Bekämpfung des Antisemitismus“ in Paris, des „Comite des Rassemblements Mondiales contre le Racisme et l’Antisemitisme“, der „Federation des Emigres d’Allemagne“, Paris, u. a. gelenkt.

Ihre gemeinsame Hauptaufgabe im Jahre 1937 bestand in der Vortragung des Angriffes gegen das NS-Deutschland über die marxistisch-pazifistischen und insbesondere über die konfessionellen Gegner. So wurden die Katholiken und Protestanten der ganzen Welt aufgefordert, den Kampf gegen Deutschland zu intensivieren und ihn gemeinsam mit dem Judentum auszutragen. Unter dem Schlagwort „Kampf gegen den Rassenwahn“ war die Unzahl der jüdischen Organisationen in New York und Paris bemüht, die Erfassung aller Gegner des nationalsozialistischen Deutschland durchzuführen. Aufgrund dieser Propagandatätigkeit, deren geistige Urheber Samuel Untermyr, der Rabbiner Stephen Wise und der Bürgermeister von New York, der Halbjude La Guardia, waren, konnten in den Vereinigten Staaten im Jahre 1937 allein 150000 Mitglieder des „Deutsch-amerikanischen Kulturbundes“ für die „Anti-Nazi-Aktion“ gewonnen werden.

Diese jüdisch-politischen Organisationen bedienten sich offenbar der großen Anzahl der im Deutschen Reich lebenden und von den jüdisch-politischen Organisationen Deutschlands als Beamte oder Angestellte beschäftigten Juden ausländischer Staatsangehörigkeit zur Nachrichtenübermittlung aus dem Reichsgebiet. Die deshalb angestellten Ermittlungen ergaben, daß mit wenigen Ausnahmen jede jüdisch-politische Organisation in Deutschland eine verhältnismäßig große Anzahl Juden ausländischer Staatsangehörigkeit bzw. staatenloser Juden beschäftigte. In Berlin allein betrug die Zahl der im Beamten- oder Angestelltenverhältnis stehenden ausländischen Juden 343; darunter befanden sich 8 Juden sowjetrussischer Staatsangehörigkeit, von denen der eine als Geschäftsführer des „Ortverbandes“ alljährliche Gelegenheit hatte, Nachrichten mit dem Vertreter Sowjetrußlands auf dem Pariser Kongreß der „Ort-Union“ auszutauschen.

IV. Das Judentum in Danzig

1. Die Sonderstellung der Danziger Judenschaft

Die Juden in Danzig nehmen sowohl in bezug auf das Reich als auch auf das übrige Ausland eine Sonderstellung ein. Ohne der Rassengesetzgebung des Reiches zu unterstehen, werden sie doch durch die fortschreitende Durchdringung des Staatsapparates durch die NSDAP ihren Auswirkungen unterworfen. Andererseits jedoch stehen die stark vertretenen Ostjuden polnischer Staatsangehörigkeit unter dem Schutz der polnischen diplomatischen Vertretung. Zahlenmäßig gesehen sind allein von den 8087 zum 1.12.1937 polizeilich gemeldeten Juden ausländischer Staatsangehörigkeit, 6419 polnische Staatsangehörige. Die sich aus diesen Verhältnissen ergebenden Spannungen werden noch dadurch verstärkt, daß die alteingesessenen Judenfamilien dem Zivilisationskreis der assimilatorischen Judenheit in Deutschland angeschlossen sind.

Zu der allein schon durch die zivilisatorischen Gegensätze bedingten Spaltung des Judentums tritt seine politische Zersplitterung. Einschließlich der kulturellen Vereinigungen zählt die Danziger Judenschaft, die auf 16000 Personen geschätzt wird, etwa 60 Vereinigungen, die Gelegenheit haben, sich auf den verschiedenartigsten Gebieten zu bekämpfen.

2. Die jüdischen Organisationen und Parteien

Zum Repräsentanten aller jüdischen Vereinigungen hat sich unter dem Druck des Nationalsozialismus die Synagogen-Gemeinde herausgebildet, so daß sie jetzt in ihrer Stellung mit derjenigen „Reichsvertretung der Juden in Deutschland“ vergleichbar ist. Während das kulturelle Leben seine Pflege im „Jüdischen Kulturbund“, im „Jüdischen Klub“ und im „Ostjüdischen Verein“ findet, deren Mitglieder zumeist vermögende Juden sind, hat das jüdisch-politische Leben seine Hauptstütze in den zionistischen Organistionen, deren Mitglieder sich zum überwiegenden Teil aus Ostjuden rekrutieren. Dies geht schon allein daraus hervor, daß Jiddisch die offizielle Versammlungssprache ist. Als stärkster zionistischer Verband ist der jüdisch-sozialistische „Klub für das arbeitende Palästina“ oder auch „Arlosoroff-Klub“ zu nennen, dessen Mitglieder aus dem jüdischen Proletariat kommen.

Die politischen Parteien innerhalb der Synagogen-Gemeinde Danzigs sind die „Religiös-liberale Partei“, die ostjüdisch-zionistisch orientierte „Jüdische Volkspartei“ und die „Agudas Jisroel“, die sich zahlenmäßig etwa wie 7:7:1 verhalten. Unter dem augenblicklich durch die NSDAP auf die Judenschaft ausgeübten Druck zeigt sich aber eine immer stärkere Zusammenballung der Judenschaft unter Außerachtlassung aller politischen Gegensätzlichkeiten.

Um das Bild der Danziger Judenschaft vollständig zu machen, dürfen die ständischen Gliederungen, nämlich die „Vereinigung jüdischer Arbeitnehmer“ und der „Verein selbständiger jüdischer Gewerbetreibender und Handwerker der Freien Stadt Danzig“, nicht unerwähnt bleiben, die die organisatorischen Stützen der Juden in der Danziger Wirtschaft sind.

3. Die Aktion der NSDAP gegen die Juden

Die von ihnen vertretenen finanziellen Interessen sind nicht unbedeutend, wenn man bedenkt, daß allein der Holz- und Getreidehandel bzw. -export unverändert zu 80-90% in jüdischen Händen liegt. Auch der Einzelhandel wird in starkem Maße durch die Juden beherrscht.

Gerade diese starke Position der Judenschaft innerhalb der Wirtschaft gab der NSDAP und damit gleichzeitig dem Senat der Freien Stadt Veranlassung zu einem verschärften Vorgehen gegen die Juden, das schließlich in den letzten Tagen des Oktobers von einigen Teilen der Danziger Bevölkerung - wobei auch lettische und polnische jüdische Staatsangehörige vertreten waren - zu einem aktiven Vorgehen gegen den jüdischen Einzelhandel ausgenutzt wurde.

Obwohl Gauleiter Förster mit seiner Rede vom 23.11.37 sofort von diesen Ausschreitungen im Namen der Partei abrückte, blieben die Folgen nicht aus, die erst die schwierige Lage der Regierung gegenüber den Juden in Danzig im richtigen Licht erkennen lassen. Während auf der einen Seite eine sofortige Intervention der polnischen Regierung zugunsten der bei den Ausschreitungen betroffenen jüdisch-polnischen Staatsangehörigen erfolgte und der Exekutivausschuß des jüdischen Weltkongresses sich durch zwei Memoranden beim Präsidenten der Dreierkommission für die Juden Danzigs verwendete, drohten die großen, zumeist in jüdischem Besitz befindlichen Exporthäuser mit einer Verlegung ihrer Geschäfte nach Gdingen. Da bei einer Verwirklichung dieser Drohung nicht nur der gesamte Hafenbetrieb Danzigs lahmgelegt, sondern zugleich die polnischen Interessen gegen Danzig unterstützt würden, ist von einem weiteren Vorgehen des Senats vorerst abgesehen worden.

4. Der Auswanderungsgedanke

Trotzdem hatte aber dieser Ausbruch den Erfolg, daß sich die Juden in immer stärkerem Maße mit der Auswanderung befassen. Zu diesem Zweck mit den internationalen Hilfsorganisationen geführte Verhandlungen führten zu folgendem Ergebnis:

Gleichstellung der Danziger Juden mit den Juden aus Deutschland, d. h. bevorzugte Behandlung;
Förderung der Rückwanderung des ostjüdischen Proletariats mit Hilfe der internationalen Fonds nach Polen;
Planmäßige Auswanderung von Kapitalisten und Handwerkern nach überseeischen Ländern.

Als Finanzvermittlungsinstitut trat der „Hilfsverein für jüdische Emigration in Danzig“, eine Unterorganisation der Hias-Ica, in Tätigkeit. Wenn auch das Ostjudentum die Rückwanderung nach Polen ablehnt, so wird doch deutlich erkennbar, daß auch die Danziger Judenschaft ihren einzigen Ausweg in der Auswanderung sieht, die sich allerdings in der bereits erwähnten Weise schädlich für die Danziger Wirtschaft auswirken kann, wenn nicht Gesetze oder Erlasse den Abfluß des Kapitals rechtzeitig unterbinden.

Baum wird geladen...