Arbeitsanweisungen für das SD-Sachgebiet II/112
Im Dezember 1937 ergehen folgende Arbeitsanweisungen für das SD-Sachgebiet II/112:[1]
Eine der wesentlichsten Aufgaben des Sicherheitsdienstes in der Judenfrage besteht aufgrund des Erlasses C.d.S. vom 1.7.37 in der Unterdrückung aller assimilatorischen und in der Förderung aller auf Auswanderung hin zielenden Bestrebungen im Judentum.
Nachdem die Stellung gegen die mögliche Gründung des Judenstaates bezogen ist, verändert sich die Aufgabe von II 112 insofern, als auch die Zionisten, die ja den Judenstaat erstreben, keine Förderung mehr erhalten. - Diese Änderung der Taktik trägt streng internen Charakter und darf auf keinen Fall den Juden zur Kenntnis kommen. - Es kommt jetzt einzig und allein darauf an, das in Deutschland ansässige Judentum zu der Überzeugung zu bringen, daß sein einziger Ausweg die Auswanderung ist. Zur Sicherung der Durchführung dieser Aufgabe werden nachfolgend nochmals alle bereits anläßlich der Arbeitstagung vom 1.11.37 erteilten Arbeitsanweisungen wiedergegeben.
I. Entfernung von Juden ausländischer Staatsangehörigkeit und Staatenloser aus den Vorständen der jüdisch-politischen Organisationen.
1. In Zusammenarbeit mit den örtlichen Staatspolizeistellen sind die ersten und zweiten Vorsitzenden sämtlicher im Oberabschnitts- bzw. Unterabschnittsgebiet bestehenden jüdischen Organisationen (orthodoxe, assimilatorische, zionistische und die Hilfs- und Unterstützungs-Organisationen) vorzuladen. Es ist ihnen die Auflage zu machen, umgehend die Personalien der von ihnen beschäftigten Funktionäre (Vorstand oder Mitarbeiterstab) ausländischer Staatsangehörigkeit und Staatenloser einzureichen.
2. Es ist den ersten und zweiten Vorsitzenden zu eröffenen, sie hätten die ausländischen Staatsangehörigen und die Staatenlosen bis zum 31.12.1937 aus ihren Diensten zu entlassen.
3. Die Vorsitzenden der betroffenen jüdischen Organisationen sind anzuhalten, bis auf weiteres monatlich über folgende Punkte Bericht zu erstatten:
a) daß sich in ihrer Organisation kein Jude ausländischer Staatsangehörigkeit mehr als Funktionär oder besoldeter Mitarbeiter befindet,
b) über Wohnsitz und Tätigkeit der aus ihrer Stellung entlassenen Juden bis zu ihrer endgültigen Auswanderung aus Deutschland.
4. Nach Durchführung dieser Punkte ist in geeigneter Weise festzustellen, inwieweit die betroffenen jüdischen Organisationen oder deren Vorstandsmitglieder noch mit den Entlassenen in Verbindung stehen und ob sie zu irgendwelchen, der Auswanderung abträglichen, Dienstleistungen herangezogen werden.
5. Derartige Vernehmungen und die Vorladungen hierzu erfolgen durch die für die Exekutive zuständige Geheime Staatspolizei. Die zuständigen Sachbearbeiter des Sicherheitsdienstes nehmen an den aufgrund der Anweisungen vorgenommenen Vernehmungen teil.
6. Die ausgeschiedenen ausländischen Juden sind ebenfalls genauestens zu überwachen; falls sie beabsichtigen sollten, nicht auszuwandern, ist bei dem geringsten Anlaß Ausweisungsbefehl zu erwirken.
7. Die gesetzliche Grundlage zu diesem Vorgehen bietet der § 1 der Verordnung des Herrn Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat vom 28.2.1933.
8. Sollte es sich als notwendig erweisen, daß Juden ausländischer Staatsangehörigkeit infolge ihrer Tätigkeit in der Auswanderungsarbeit als unersetzlich in ihren Stellen verbleiben müssen, ist, um ein Stocken der Auswanderung zu verhindern, unter genauester Darlegung des Tatbestandes an das SD-Hauptamt zu berichten. Die endgültige Entscheidung über ein Verbleiben dieser Juden fällt das SD-Hauptamt im Einvernehmen mit dem Geheimen Staatspolizeiamt.
9. Ausgenommen sind von der Aktion:
a) alle dem „Reichsverband der jüdischen Kulturbünde“ angeschlossenen Vereinigungen und die jüdische Presse (hierzu ergeht Sonderanweisung),
b) die bestehenden Verbände von Juden ausländischer Staatsangehörigkeit, soweit sie landsmannschaftlichen Charakter haben, da sie unter Minderheitenrecht fallen (Beispiel: Verband polnischer Juden).
10. Vollzugsmeldung über die Aktion ist mit ausführlichem Bericht bis 1.2.38 an das SD-Hauptamt zu erstatten.
II. Säuberung der jüdischen Organisationen von assimilatorisch eingestellten Elementen
1. Zur Gewährleistung der einheitlichen Ausrichtung der in Deutschland ansässigen Juden auf die Auswanderung ist es erforderlich, die an leitenden Stellen arbeitenden Assimi-lanten aus den
a) jüdisch-politischen Organisationen,
b) den Gemeindevertretungen und Kulturbünden
c) den rein jüdischen Schulen und jüdischen Lehrhäusern und
d) den Lehrgütern und Umschulungsstätten
durch Einflußnahme auf die jeweils verantwortlichen Stellen auszuschalten und durch geeignete, von Juden vorzuschlagende und vorher eingehend zu überprüfende Personen zu ersetzen.
2. Jede Vortragstätigkeit assimilatorisch eingestellter Elemente ist zu unterbinden.
3. Die verantwortlichen Schriftleiter der jüdischen Zeitungen sind laufend auf die Notwendigkeit ihrer Propagandatätigkeit für die Auswanderung hinzuweisen.
4. Die Vorstandsmitglieder aller jüdisch-politischen Organisationen sind von Zeit zu Zeit bei den Stapoleit- oder Stapostellen vorzuladen, um über die von ihnen geleistete Arbeit Bericht zu erstatten. Falls es erforderlich ist, sind sie aufzufordern, einen schriftlichen Bericht einzureichen.
5. In allen Fällen, in denen auf die dem „Reichsverband der jüdischen Kulturbünde in Deutschland“ angehörenden Organisationen Einfluß genommen werden soll, muß zuvor das Einverständnis des Beauftragten des Staatskommissars Hinkel beim jeweiligen Reichspropagandaamt eingeholt werden.
III. Feststellung nachrichtendienstlicher Tätigkeit der Juden zwischen jüdischen innerdeutschen und jüdischen ausländischen Organisationen
Zur Aufrechterhaltung der Verbindung zwischen ihren einzelnen Länderorganisationen und der jeweiligen Spitze verfügen die Juden über ein eigenes Nachrichtensystem.
1. Alle Juden, die solcher Tätigkeit verdächtig werden (häufige Auslandsreisen, Treffen mit ausländischen Juden usw.) oder deren Zugehörigkeit zur „Hagana“ bekannt ist, sind zu überwachen. Feststellungen hierüber sind an das SD-Hauptamt, Abteilung II 112, zu berichten.
2. Die bisher bereits bekannten Mitglieder der „Hagana“ werden vom SD-Hauptamt überwacht. Bei Reisen der Hagana-Mitglieder im Reichsgebiet werden die zuständigen Oberabschnitte jeweils zur Beobachtung herangezogen. Wechsel des Wohnsitzes wird ebenfalls mitgeteilt.
Die beteiligten O. A. sind für die Überwachung dieser Juden verantwortlich. Dabei sind die von den Juden besuchten Personen zu erfassen und dem SD-Hauptamt nach Beendigung der Reise zu melden.
3. In diese hierfür erforderliche Überprüfung sind selbstverständlich nicht nur die organisierten, sondern auch die nichtorganisierten, an wichtigen Stellen beschäftigten Juden einzubeziehen. Sollte die Arbeit auf das Gebiet von II 2 oder III 2 übergreifen, ist mit den entsprechenden Sachbearbeitern eine Verständigung über die Bearbeitung herbeizuführen. Im Falle der Wohnsitzänderung ist der O.A. für die weitere Überwachung der im Zusammenhang mit den Hagana-Mitgliedern bekanntgewordenen Personen verantwortlich, worüber weiterhin an das SD-Hauptamt zu berichten ist.
IV. Aufstellung der Spitzenkartei der organisierten Juden
1.Bei der Aufstellung bzw. Weiterführung der Spitzenkartei der organisierten Juden muß außer zu den Stapoleit- und Stapostellen die Verbindung zu folgenden Stellen hergestellt werden, die zum Teil bereits über gute Unterlagen verfügen:
a) Rassepolitisches Amt der NSDAP,
b) NS-Lehrerbund,
c) Einwohnermeldeamt,
d) Deutsche Arbeitsfront,
e) Statistische Ämter,
f) örtliche Parteistellen und sonstige Stellen, die sich mit der karteimäßigen Erfassung der Juden befaßt haben.
2. Die bei der Erörterung zu beachtenden Punkte sind auch auf dem anliegenden Personalfragebogen verzeichnet (Anlage 1).
3. Für „reichswichtige“, „oberabschnittswichtige“ und „unterabschnittswichtige“ Juden gelten folgende Definitionen:
a) Reichswichtig sind:
aa) alle jene Juden, die auf das jüdisch-politische Leben durch Sitz und Stimme in jüdischen Verbänden und Vereinen bedeutenden Einfluß ausüben
bb) alle jene Juden, die durch direkten Einfluß oder durch ihre Verbindungen bedeutende Einwirkung auf das kulturelle Leben, Gemeinschaftsleben und materielle Leben des deutschen Volkes nehmen,
cc) alle jene Juden, die unter dem Verdacht einer nachrichtendienstlichen Tätigkeit stehen,
dd) Juden, die sich zur Vortragung des Angriffes gegen das nationals. Deutschland konfessioneller Gegner und der Linksbewegung bedienen.
b) Oberabschnittswichtig sind:
aa) alle jene Juden, die durch Sitz oder Stimme Einfluß auf das jüdisch-politische Leben in den jüdischen Landesverbänden nehmen,
bb) alle jene Juden, welche auf die Lebensgebiete des deutschen Volkes einen nicht mehr als reichswichtig zu bezeichnenden Einfluß nehmen, trotzdem aber in der Lage sind, den Lebensnerv des deutschen Volkes in empfindlicher Weise zu stören.
c) Unterabschnittswichtig sind:
alle übrigen Juden, die in jüdischen Organisationen einen Posten bekleiden oder bekleidet haben, im jüdisch-politischen Leben oder in sonstiger Weise hervorgetreten sind oder hervortreten, oder die Möglichkeit haben, ihren Einfluß in Lebensgebieten des deutschen Volkes geltend zu machen.
4. Im Falle festgestellter Reichswichtigkeit ist durch den O. A. mit dem zu erstattenden Bericht eine Karte für die Spitzenkartei des SD-Hauptamtes mitzuübersenden. Bei festgestellter Oberabschnittswichtigkeit gilt für den zuständigen U. A. an den O. A. zu erstattenden Bericht sinngemäß dasselbe. Die Oberabschnitte überprüfen ihrerseits die von den U. A. angelegte Spitzenkartei der unterabschnittswichtigen Juden.
5. Die laufenden Veränderungen sind anhand der bei den Stapoleit- bzw. Stapostellen vierteljährlich von den jüdischen Organisationen eingehenden Mitgliederlisten in der Spitzenkartei nachzutragen.
Das Gestapa hat die Stapoleit- und Stapostellen anzuweisen, die Listen sofort nach Eingang den Oberabschnitten zuzuleiten, die ihrerseits für die Weiterleitung an die Unterabschnitte verantwortlich sind.
V. Beschaffung aller Judengesetze und der auf dem Gebiete des Judentums seit 1933 erlassenen ministeriellen, staatspolizeilichen und sonstigen Verordnungen
1. Alle in anliegender Aufstellung genannten Judengesetze und die auf dem Gebiete des Judentums ergangenen Verordnungen sind zu beschaffen (Anlage 2 a u. 2 b).
2. Sollten sich Abschriften der V. O. im einzelnen auch nicht über die Stapoleit- bzw. Stapostellen beschaffen lassen, wird um Mitteilung an das SD-Hauptamt gebeten, das für die abschriftliche Übersendung Sorge tragen wird.
VI. Bearbeitung und Auswertung der jüdischen Presse
Um laufend über die Bewegungen und geistigen Strömungen im Judentum unterrichtet zu sein, haben die O.A. und U.A. regelmäßig zu lesen:
1) die CV-Zeitung,
2) die „Jüdische Rundschau“,
3) die im O. A.- oder U. A.-Gebiet erscheinenden Synagogen- und Gemeindeblätter,
4) den „Schild“, Organ des „Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten“ und des „Sportbundes Schild“,
5) eine jüdische Zeitschrift für das Judentum in Deutschland,
6) die wichtigsten Zeitungen aus den an das O. A.-Gebiet angrenzenden Staaten und die wichtigsten Zeitschriften der in dem betreffenden ausländischen Staatsgebiet bestehenden jüdischen und antisemitischen Organisationen.
Diese Zeitungen und Zeitschriften sind nicht nur zu lesen, sondern intensiv auszuwerten. Neben der im Rahmen der Auswertung erfolgenden sachkarteimäßigen Erfassung und Akten- (VA, PA, Sachakten)-Erfassung hat die Erörterung zu gehen. Das Ergebnis der Auswertung kann auch übersichtsmäßig in den Lageberichten Anwendung finden.