Bericht über den „Peelbericht in seiner Auswirkung auf die Lage des Judentums in Deutschland“
Am 1. November 1937 berichtet SD-Mann Hagen im Rahmen einer Tagung des Sicherheitshauptamtes über das Thema „Der Peelbericht in seiner Auswirkung auf die Lage des Judentums in Deutschland unter besonderer Berücksichtigung der zionistischen Bewegung und die Verlagerung der Judenfrage durch die mögliche Erklärung der Juden zu Minderheiten“:
Der Peelbericht:
Der am 7. Juli 1937 von der englischen Regierung veröffentlichte Bericht der königlichen Palästinakommission, die unter dem Vorsitz von Lord Peel arbeitend den Auftrag hatte, die Ursachen festzustellen, die zu den im Jahr 1936 ausgebrochenen Unruhen in Palästina geführt hatten und Vorschläge zur Beseitigung etwaiger von der Mandatsregierung begangener Fehler zu machen, wird im allgemeinen und in seinen grundsätzlichen Feststellungen bekannt sein, so daß ich mich in diesem Zusammenhang auf eine kurze Skizzierung der Teilungsvorschläge beschränken kann.
Der Bericht schlägt vor, daß ein Judenstaat begründet werden soll, der die fruchtbaren Ebenen von Galiläa umfaßt, dessen Grenzen dann südlich des Sees Genezareth scharf nach Westen abbiegen, um von Meggido entlang der Küstenebene etwa 30 km über Jaffa hinaus nach Süden zu verlaufen. Für die Städte Haifa, Akko, Tiberias und Safed soll die britische Verwaltung für eine längere Übergangszeit aufrechterhalten werden. Ein neues britisches Mandat soll die Städte Jerusalem und Bethlehem umfassen und in einem breiten Korridor zur Hafenstadt Jaffa führen, die selbst allerdings dem arabischen Staat einverleibt werden soll. Unter das britische Mandat fallen außerdem Stadt und See Genezareth. Innerhalb dieses englischen Mandatsgebietes haben alle Bewohner gleiche Rechte und Pflichten. Als Amtssprache gilt das Englische.
Der arabische Staat wird die verbleibenden Gebiete umfassen und soll mit Transjordanien zu einem Reich zusammengeschlossen werden. Es ist bekannt, in wie starkem Maße die Juden bei dieser Lösung gegenüber den Arabern begünstigt wurden, dadurch, daß man ihnen die fruchtbarsten Ländereien zuteilte und in welchem Maße englische politische Erwägungen diesen Teilungsvorschlag bestimmten.
Die Stellungnahme der Juden zum Teilungsplan:
Trotz der eindeutigen Begünstigung der Juden im vorgeschlagenen Teilungsplan stieß der Peelbericht auf den fast einmütigen Widerstand des gesamten Weltjudentums, das zum größten Teil ganz Palästina zur Errichtung eines Judenstaates forderte, in jedem Falle aber die Einbeziehung des jüdischen Teils von Jerusalems in den vorgeschlagenen Judenstaat.
Dieser einmütigen Ablehnung des Vorschlages durch das Weltjudentum schloß sich auch die „Zionistische Vereinigung für Deutschland“ an. Dr. Friedenthal schrieb in einem Bericht an das Gestapa am 16.7.37: „Der Teilungsplan der Kommission, den die englische Regierung im allgemeinen bestätigt hat, ist für uns unannehmbar“. Und er betonte dabei, daß die Grundthese, nämlich die Undurchführbarkeit des Mandates, falsch sei und die Kommission deshalb in allen Teilen ihres Berichtes auch zu falschen Schlüssen kommen mußte. Falls der Vorschlag der englischen Regierung überhaupt eine Diskussionsgrundlage bilden sollte, müßte der jüdische Stadtteil Jerusalems zum jüdischen Staatsgebiet fallen, müßte der Negev, der Süden Palästinas, jüdisch werden und dürfte die Mandatsübergangszeit für die oben genannten Städte auf höchstens 2 Jahre bemessen sein; außerdem wendet er sich gegen die Einwanderungsbeschränkung auf 8000 Juden für die nächsten acht Monate und lehnt u. a. auch noch die Zahlung der Subvention des jüdischen Staates an den arabischen Staat ab.
In ähnlicher Weise wie die zionistische Vereinigung verhielten sich auch die übrigen in Deutschland bestehenden jüdischen Organisationen, die sich damit der allgemeinen Stellungnahme des Judentums in den anderen Ländern anschlossen. Auszunehmen sind hiervon insbesondere die „Staatszionisten“, die den Teilungsvorschlag in jeder Form ablehnen.
Der Zionistenkongreß:
Nachdem auch das englische Unter- und Oberhaus die Annahme des Peelberichtes abgelehnt hatten, trat der Zionistenkongreß vom 3.8. bis 11.8. in Zürich zusammen, um über die endgültige Stellungnahme des Judentums zu beraten.
Wenn sich auch alle Vertreter der verschiedensten politischen Strömungen innerhalb des Weltjudentums darin einig waren, daß der Vorschlag der Peelkommission in seiner gegenwärtigen Fassung von ihnen nicht angenommen werden könne, schwankt doch der Grad der Ablehnung mit der jeweiligen radikalen Einstellung der jüdischen Parteien. Während die Judenstaatspartei unter Leitung von Meir-Grossmann und die „Neue zionistische Organisation“ unter Leitung von Jabotinsky den Vorschlag mit oder ohne Revision vollkommen ablehnten, und ganz Palästina für den Judenstaat verlangten, zeigte sich die Mehrzahl der unter der geistigen Führung Weizmanns stehenden Gruppen von vornherein geneigt, grundsätzlich dem Teilungsplan zuzustimmen, wenn auch unter Forderung gewisser Zugeständnisse in Südpalästina, in bezug auf den jüdischen Teil Jerusalems und die geplanten britischen Mandatsstädte.
Trotz der in der Öffentlichkeit und den geschlossenen Sitzungen geführten heftigen Debatten wurde eindeutig klar, daß Weizmann die Angelegenheit von vornherein in der Hand hatte, weil er, wie er selbst ausführte, bestimmte Zusagen des englischen Kolonialministers Ormsby-Gore bezüglich der neuen englischen Mandate, der künftigen Überlassung von Siedlungsgebieten in Süd-Palästina und Selbständigmachung der Universitätsstadt Jerusalem hatte.
So ist es auch nicht verwunderlich, daß trotz der Protestversammlung der Judenstaatspartei gegen die Politik Weizmanns und die Stellungnahme der meisten Kongreßmitglieder, die Exekutive des Zionistenkongresses mit 300 gegen 158 Stimmen bevollmächtigt wurde, mit der englischen Regierung in Verhandlung für die vorgeschlagene Teilung des Judenstaates festzustellen.
Die Stellungnahme des Völkerbundes:
Während sich der Zionistenkongreß noch in den Debatten über die endgültige Stellungnahme zum englischen Teilungsplan befand, lag der Peelbericht auch der Mandatskommission des Völkerbundes vor, die ihn, nachdem Weizmann und Ormsby-Gore die Entscheidung des Zionistenkongresses mitgeteilt hatten, ohne eine endgültige Entscheidung zu fällen, dem Völkerbund vorlegten; allerdings mit dem Bemerken, daß die Unmöglichkeit einer Durchführung des Mandates in Palästina nicht unbedingt eingesehen werden könne. Der Völkerbund seinerseits vertagte die endgültige Entscheidung auf den Januar 1938, angeblich, um in der Zwischenzeit mit den Juden und Arabern über eventuelle Besserungsvorschläge verhandeln zu können.
Immerhin darf man annehmen, daß es sich bei dieser Verschiebung der endgültigen Entscheidung lediglich um ein taktisches Manöver handelt, da England, dessen Einfluß im Völkerbund bekanntlich entscheidend ist, auf keinen Fall auf die Durchführung der vorgeschlagenen Teilung, wenn auch vielleicht in einer zugunsten der jüdischen Bevölkerung abgeänderten Form, verzichten wird.
Die deutsche Stellungnahme zum Judenstaatsprojekt:
Wir müssen also trotz dieser aufgeschobenen Entscheidung früher oder später mit der Möglichkeit der Errichtung eines Judenstaates in Palästina rechnen. In diesem Falle tritt aber das gesamte Judenproblem in Deutschland in ein vollkommen neues Stadium, weil anzunehmen ist, daß die Juden in den verschiedenen Ländern nach Anerkennung ihres Staates durch den Völkerbund zu Minderheiten erklärt werden, - übrigens völkerrechtlich ein einmaliger Fall - die nicht mehr den ordentlichen Gesetzen des deutschen Rei ches unterliegen, sondern den vom Völkerbund proklamierten und oft mißbrauchten Minderheitenrechten.
Das bedeutet also, daß die Juden in Deutschland das Recht auf eine freie kulturelle und politische Tätigkeit innerhalb des Reichsgebietes hätten und ihrer zahlenmäßigen Stärke entsprechend sogar eine politische Vertretung bei der Regierung verlangen könnten, um die Möglichkeit zur Verteidigung der ihnen durch das Minderheitenrecht garantierten kulturellen und politischen Freizügigkeit zu haben.
Gleichzeitig würde damit die Durchführung der deutschen Judengesetzgebung in erheblichem Maße erschwert, wenn nicht völlig unterbunden werden, weil die Juden als nationale Minderheit innerhalb des deutschen Reiches Beschwerderecht beim Völkerbund hätten, das ihnen sicher nicht verwehrt werden würde, zumal ja England die Schaffung dieses Judenstaates selbst in Vorschlag gebracht hat, weil es sich von diesem eine erhebliche Stärkung und Unterstützung seiner Politik im vorderen Orient verspricht.
Zu den innerpolitischen Schwierigkeiten, die nach einer Proklamation des Judenstaates auftreten würden, träten erhebliche außenpolitische hinzu. Denn es ist als selbstverständlich anzunehmen, daß der Judenstaat über seine diplomatischen Vertretungen bei den verschiedenen Regierungen die Intensivierung des jüdischen Boykottes und der Verleumdungskampagne gegen den nationalsozialistischen Staat betreiben würde. Aus diesen Erwägungen heraus hat auch das Auswärtige Amt seine Stellungnahme gegenüber der Gründung eines Judenstaates geändert und ist jetzt mit allen Mitteln bemüht, seine Konstituierung zu verhindern.
Angesichts dieses Tatbestandes erwächst für uns die Aufgabe, alle nur vorhandenen Möglichkeiten auszunutzen, um die Judenauswanderung zu fördern. Das bedeutet also: schärfstes Vorgehen gegen alle assimilatorischen Bestrebungen des Judentums und stärkste Förderung aller positiv arbeitenden zionistischen Organisationen. Unter diesen Gesichtspunkten sind auch die in den folgenden Referaten gegebenen Anweisungen zu beachten.
Es wird deshalb tunlich sein, insbesondere den „Staatszionisten“ Bewegungsfreiheit zu lassen, weil diese durch ihre radikale Einstellung gegen das Assimilantentum die besten Helfer in unseren Auswanderungsbestrebungen sind. Wie uns der Leiter der Staatszionisten Kareski versicherte, ist es ihm bereits gelungen, zwei illegale Transporte mit 20 bzw. 150 Angehörigen der Staatszionisten nach Palästina zu bringen, und er beabsichtigt, noch weitere Transporte ohne Zertifikatszuteilung nach Palästina zu schicken. Dabei verfolgen die Staatszionisten die Absicht, die innere Opposition in Palästina gegen die laue zionistische Politik zu verstärken.