Bericht über die „bisher vom Sicherheitsdienst auf dem Gebiete der Judenfrage geleistete Arbeit“
Am 1. November 1937 berichtet SD-Mann Hagen im Rahmen einer Tagung des Sicherheitshauptamtes über die „bisher vom Sicherheitshauptamt auf dem Gebiet der Judenfrage geleistete Arbeit und die zukünftigen Aufgaben von II/112“:
Dieses Referat über geleistete und kommende Arbeit soll möglichst in allen Einzelheiten das Arbeitsprogramm festlegen, es soll vielmehr die große Linie für die Arbeit in den kommenden Monaten aufzeigen, denn, wir wollen das hier ruhig deutlich aussprechen, es hat uns bisher an der großen Linie und dem Systematischen in der Arbeit gefehlt. Gewiß ist das einesteils auf die mangelhafte personelle Besetzung der Stellen auf die O.A., den U. A. und besonders bei den Außenstellen zurückzuführen. Der Hauptgrund scheint aber doch darin zu liegen, daß über die vielen Kleinigkeiten, deren Erledigung selbstverständlich wichtig sind und erst die Wichtigkeit zur Durchführung der großen Aufgaben gibt die große Linie, die wir bei der Lösung der Judenfrage in Deutschland zu verfolgen haben, aus dem Auge verloren wurde.
Bei den vielen Kleinigkeiten denke ich insbesondere an die Rassenschandefälle, die doch leicht durch die zuständigen Polizeistellen erledigt werden können. Nur daß der SD generell sich daran zu beteiligen braucht. Sicher gibt es Fälle, in die einzugreifen wichtig ist, wenn beispielsweise ein tüchtiger kräftiger Mann sich durch Begehen von Rassenschande strafbar gemacht hat. Diesen Mann kann man sich selbstverständlich dadurch gefügig machen, daß man ihn vorerst vor der Strafe schützt und ihn unter beständigem Druck als Auskunftsperson benutzt. Wie gesagt, ist hier ein Ausnahmefall, wie sie aber selten Vorkommen. Im übrigen soll aber die Beschäftigung mit diesen Straftaten den Polizeistellen oder den Stapostellen überlassen bleiben.
Anders ist es, wenn die Rassenschande in gewissen Gebieten oder allgemein zu einem Prinzip im Kampf des Judentums gegen den NS wird. In diesem Augenblick hat selbstverständlich der SD sich mit diesem Problem zu befassen.
So und ähnlich ist mit vielen Meinungen, Nebenerscheinungen die Zeit vertan worden, und die bedeutsamen Aufgaben blieben unerledigt.
Ich möchte annehmen, daß Sachkartei und Sachkarteiarbeiten, wie sie vom SD-Haupt-amt generell für alle Stellen befohlen wurden, jetzt durchgeführt worden sind. Sollte ein O.A. oder U. A. auch diese Arbeiten aus irgendwelchen Gründen noch nicht abgeschlossen haben, bitte ich, das nachher in den vorgesehenen Kurzreferaten der OA-Referenten unter Angabe der Gründe personeller oder sachlicher Art anzuführen. Es geht jetzt nicht mehr an, daß diese Arbeiten unerledigt sind, weil wir für die Durchführung unserer zukünftigen alle Zeit beanspruchen müssen.
Wenn ich also ein kurzes Fazit aus der bisher geleisteten Arbeit ziehe, dann muß ich feststellen, daß wir überall in den Anfängen stecken geblieben sind, nirgends aber unter dauernder Verfolgung der großen Linie die wichtigen Arbeiten erledigt haben. Denn mit der 14 tägigen Berichterstattung - die ja schon von Hptstuf. Ehrlinger eingehend genug besprochen wurde - allein ist nicht unsere Arbeit getan. Vielmehr müssen wir doch diese Berichterstattung als eine kleine Nebenbeschäftigung ansehen, die das Fazit aus der 14 tägigen Arbeit bildet.
Der Hauptgrund auch, warum SS Stubaf. Dr. Six diese Tagung einberufen hat, war der, daß wir die O.A., U.A. und Außenstellen über unser Arbeitsziel unterrichten und daß Sie uns berichten, welcher Art die Schwierigkeiten und Mängel sind, die Ihnen bei der vollen und verantwortlichen Durchführung dieser ihnen zugedachten Arbeiten entgegenstehen werden. Diesen Punkt bitte ich gleichfalls bei dem Kurzreferat zu beachten.
Die Neuordnung der Arbeitsverteilung zwischen Gestapa und SD ist Ihnen aus dem Befehl des RFSS vom 15.VII.37 und aus den Ausführungen von Hptstuf. Ehrlinger hinreichend bekannt, so daß ich auf eine Erläuterung verzichten kann. Die Stellung von II 112 ist durch diesen Befehl dahin verändert worden, daß wir die volle Verantwortung in der Bearbeitung der Judenfrage übernommen haben, wenn auch nach wie vor die gegenseitige Verständigung und Unterrichtung notwendig bleibt.
Diese Neuordnung macht erforderlich, daß sich jeder verantwortliche Referent, wie das eingehend bei dem Referat über die Judengesetzgebung dargelegt wird, mit der für eine endgültige Entscheidung notwendigen gesetzlichen und verordnungsmäßigen Handhabe vertraut macht, weil der Verkehr mit staatlichen Behörden diese Kenntnis voraussetzt.
Eine Entscheidung kann von diesen Stellen erst als endgültig anerkannt werden, wenn sie eine gesetzmäßige Grundlage hat. Früher war das eine Arbeit, die wir Gestapa überlassen haben, heute muß das von uns erledigt werden, auch wenn das Schriftstück durch die Kripostelle oder der Gestapa abgezeichnet wird, weil wir keine staatliche Behörde sind. Diese vorangestellt als die Voraussetzung für alle anderen Arbeiten.
Als Generallinie für alle Arbeit bei II112 gilt nach wie vor Zurückdrängung und Unschädlichmachung aller assimilatorischen Bestrebungen der Juden und Unterstützung jeder positiven zionistischen Arbeit zugunsten der Auswanderung. Welche Organisationen dabei einer besonderen Beachtung und Überwachung bedürfen, wird in einem besonderen Referat näher ausgeführt. Wir haben Mittel zur Erreichung dieses Zieles zur Verfügung. Eines dabei ist vor allem wichtig, daß jeder Referent die für die Bearbeitung in Frage kommenden leitenden Juden persönlich kennt. Sie haben, sollten Sie dieses bisher noch nicht getan haben, Gelegenheit dafür, indem Sie sie durch die zuständige Stapostelle vorladen lassen. Erst das bildet die Voraussetzung für ein aktives Eingreifen, um die Dinge bei den Juden in unserem Sinne zu lenken.
Es darf dabei nicht vergessen werden, daß es zwecklos ist, einen Juden von seinem Posten zu entfernen, wenn niemand aus dem zionistischen Lager ihn ersetzen kann, der die nötige Autorität und Tatkraft besitzt, um tatsächlich positive Vorarbeiten zur Förderung der Auswanderung zu liefern. Denn findet man keinen ansprechenden neuen Leiter, so wird der neue, wenn er sich auch zionistisch gibt, bald unter dem Einfluß der alten stehen und damit noch schädlicher werden, weil er nicht mehr von uns kontrolliert und verantwortlich gemacht werden kann.
Sollte in solchen Fällen tatsächlich kein in unserem Sinne ansprechender Ersatz gefunden werden, wenden Sie sich unter Mitgabe der nötigen Unterlagen an die Abteilung II 112 des SD-Hauptamtes, damit wir über das Gestapa mit der obersten Leitung der zionistischen Organisation Verbindung aufnehmen und einen tatkräftigen Zionisten ausfindig machen können. Das sind Dinge, die sich nicht übers Knie brechen lassen, aber entscheiden werden müssen, wenn wir unsere Zeit-Aufgaben bei der Lösung der Judenfrage lösen wollen.
Wir haben im SD-Hauptamt bereits diesen Weg beschritten und zur Sicherung der Arbeit von allen jüdischen Organisationen den Ausschluß der beschäftigten Juden erörtert und der Staatsangehörigkeit zu kurzfristigen Terminen je nach Dringlichkeit gefordert. Eventuell beschäftigte Juden mit sowjetischer Staatsangehörigkeit wie das beispielsweise bei der jüdischen Gemeinde Berlin der Fall war, müßten selbstverständlich fristlos entlassen werden.
In gleicher Weise soll jetzt auch bei den O.A. und U.A vorgegangen werden, wozu Ihnen Hptscharf. Eichmann in seinem Referat noch nähere Angaben machen wird. Ausgenommen hiervon sind vorerst bis zur Beendigung der Saison alle innerhalb des Reichskulturbund tätigen fremdländischen Juden. Nach Abschluß der Saison wird nach Fühlungsnahme mit Reichskulturwalter Hinkel hierüber besondere Anweisung ergehen. Der Vorbereitung der notwendigen Schritte steht selbstverständlich nichts im Wege.
Der Zurückdrängung des assimilatorischen Einflusses, der sich nicht nur in den Organisationen der Assimilationsjuden, sondern auch bei den Zionisten bemerkbar macht, beabsichtigen wir die Auflösung des Jüdischen Centralvereins und des ihm angeschlossenen Kartellverbandes. Die entsprechende Vorlage wurde bereits beim RFSS gemacht, so daß in nächster Zeit die Entscheidung zu erwarten ist. Näheres hierzu wird OScharf. Dannecker in seinem Referat ausführen. Die Aktion soll in gleicher Weise durchgeführt werden wie bei der Auflösung des B’nai B’rith. Es ist also erforderlich, sich jetzt schon unauffällig die nötigen Unterlagen für diese Aktion zu beschaffen, sich über Grundstücksbesitz, Vermögen, Mitgliederverzeichnisse usw. zu informieren.
Weiter wollen wir uns in systematischer Weise an die Erfassung der Organisationsjuden machen, soweit diese Arbeit noch nicht vollständig geleistet wurde. Die nötigen Unterlagen werden Ihnen heute noch mitgegeben. Die laufende Führung der Kartei erledigen die O.A. und U.A. in Zusammenarbeit mit den Stapoleit- und Stapostellen, wie das auch noch UScharf. Flageimann in seinem Referat zur Aufstellung der Judenkartei näher ausführen wird. Auf jeden Fall müssen diese Arbeiten vor Beendigung der im nächsten Jahre stattfindenden Volkszählung abgeschlossen sein. Falls hierzu Einwände personeller Art bestehen, bitte ich diese bei dem vorgesehenen Referaten der O. A.-Referate vorzubringen.
Über diese Arbeiten hinaus aber ist es erforderlich, daß sich alle O.A., U.A. und Außenstellen mit den Verbindungen der innerdeutschen jüdischen Organisationen und wichtigen Juden nach dem Ausland und im Inland befassen. Denn konkrete hier vorliegende Angaben liefern einen Beweis dafür, daß auf diesen Wegen die Meldungen für die Greuelpropaganda im Ausland aus Deutschland herausgelangen, daß andererseits deutsche Judenorganisationen die Anlaufstellen für jüdische Terrorgruppen bilden wie für die „Alliance Israelite Universelle“ in Paris u. a. Hptscharf. Eichmann wird darüber eingehender berichten. Im Interesse der Verhinderung von Attentaten gegen den Führer und leitende Staats- und Parteipersönlichkeiten, müssen wir uns mit Nachdruck daranmachen, die in Deutschland bestehenden Anlaufstellen solcher Art festzustellen. Es ist selbstverständlich bei den diesbezüglichen Feststellungen die Abtlg II 112 im SD-Hauptamt zu unterrichten, damit einheitliche Entscheidungen von hier aus gefällt werden können.
Gerade der „Ort“-Verband käme für solche Tätigkeit in Frage. Wenn auch Ihre erstmalig angestellten Erörterungen in dieser Hinsicht ergebnislos verlaufen sind, dürfen Sie dennoch die weiteren systematischen Hauptforschungen nicht einstellen. Es kommt hierbei nicht auf einen Tag an, und es erscheint deshalb auch zweckmäßig, Sie hierbei nicht durch die Terminstellung abzuschrecken. Wir müssen aber die Gewißheit haben, daß Sie diese Frage beständig im Auge behalten und beständig gewissenhaft verfolgen.
Der Fall Frankfurter, von dem aus erwiesenermaßen Fäden nach Deutschland, z.B. nach dem Bankhaus Arnold und dem großen Wirtschaftskonzern Unilever führen (Eichmann wird hierzu näheres ausführen) und das bereits einmal auf Henlein verübte aber gescheiterte Attentat, erlegen uns die Pflicht auf, gerade hier, wo die Juden in Deutschland und ihre Organisationen als Anlaufstationen für Terror- und Nachrichtenorganisationen dienen, in verstärktem Maße hellhörig zu sein.
Alle für das Bestehen einer festen Spionage-, Nachrichten- oder Terrororganisation sprechenden Tatsachen, wobei ich zur besonderen Beachtung die Wehr- und Spionageorganisation der Juden, die Hagana, über die Eichmann ausführlicher berichten wird, nenne, sind an die Abtlg. II112 zu melden.
Aus diesen hier nur kurz gestreiften Tatsachen entspringen für uns zweierlei Aufgaben:
1. Für das Inland in Zusammenarbeit mit II 23 genaue Feststellungen über die gleichzeitige Tätigkeit einflußreicher Juden in deutschen Wirtschaftsorganisationen und in jüd. Nachrichtenorganisationen zu machen.
2. In Zusammenarbeit mit den zuständigen Abteilungen bei II 2 Feststellungen zu treffen, inwieweit in jüdischen oder nicht jüdischen Kulturinstituten, -Vereinigungen usw. tätigen Juden oder Judenmischlinge zur Nachrichtenarbeit oder zum Ausland Verbindung unterhalten.
3. In bezug auf das Ausland: Alle jüdischen Organisationen besonders, auch die des Auslandes, personell in ihrer Tätigkeit und in ihren Verbindungen zum In- und Ausland laufend zu verfolgen und zu erfassen.
Welche Organisationen dafür insbesondere in Frage kommen, wird Ihnen Hptscharf. Eichmann noch näher darlegen, im übrigen muß aber von allen O. A. und U. A. erwartet werden, daß sie sich im Laufe der nächsten Monate ein genaues Bild über die zu den an ihr O.A.- und U.A.- Referat angrenzendes Land befindlichen in Frage kommenden Organisationen der Juden ein Bild machen können. Dazu kommt, daß man die dort sich entwickelnden antisemitischen Strömungen und Organisationen genau beachtet und sich hier nach Möglichkeit durch V-Männer Verbindungen schafft. Es muß dann als nächstes versucht werden, über solche V-Männer Verbindungen zu den ausländ, jüd. Organisationen herzustellen. Wie diese Arbeit im einzelnen auszuführen ist, muß der jeweiligen Lage überlassen bleiben. Hergestellt werden müssen diese Beziehungen jedoch, wie sie auch bei den innerdeutschen Organisationen bestehen sollen, - ganz gleich, welche Widerstände dabei zu überwinden sind. Uber die reinen tatsächlichen Voraussetzungen zu dieser Arbeit informieren Sie sich in der jüdischen Inland- und Auslandpresse, die laufend über die in Frage kommenden Organisationen und Personen berichten.
Wenn ich also noch einmal in großen Zügen zusammenfassen darf:
1. Unsere vordringlichste Aufgabe ist die Unschädlichmachung jeder jüdischen Assimilation, Förderung der Auswanderung mit allen Mitteln.
2. Feststellung der innerdeutschen Nachrichtenwege der Juden und der nach dem Ausland führenden sowie feststehenden Nachrichtenorganisationen wie Hagana usw.
3. Beständige Zusammenarbeit mit II 2.
Die von mir aufgezeigten Arbeiten werden uns in den nächsten Monaten voll in Anspruch nehmen. Und ich darf hoffen, daß die maßvollen und den Verhältnissen angepaßten Terminstellungen eingehalten werden, damit eine ordnungsgemäße Arbeitserledigung gewährleistet ist. Bei der Erfüllung der großen Aufgaben werden selbstverständlich keine Termine gestellt. Ich darf mich aber hoffentlich darauf verlassen, daß niemand diese aus den Augen verliert und sie dauernd verfolgt.