Lagebericht der SD-Abteilung II/112
Für das zweite Quartal 1937 gibt die Abteilung II/112 des SD am 6. Juli 1937 folgenden Lagebericht ab:
Das Judentum in Deutschland stand in der Berichtszeit völlig unter dem Eindruck der Lage in Palästina und der Gegenmaßnahmen des Staates gegen die Greuelhetze des Auslandsjudentums, der Auflösung des U.O.B.B. und des zweitmonatigen Versammlungsverbotes.
Der Schwebezustand in Palästina datiert seit April 1936, dem Ausbruch der arabischen Unruhen. England als Mandatsmacht hat es geschickt verstanden, Juden und Araber gegeneinander auszuspielen, obgleich es der palästinensischen Verwaltung ein leichtes gewesen wäre, den arabischen Aufstand in wenigen Tagen zu unterdrücken. Die schließlich eingesetzte Königliche Kommission führte monatelang Erhebungen in Palästina durch und legte ihre Meinung über eine endgültige Gestaltung des Landes in einem Bericht, dem Peel-Bericht, nieder. Der Inhalt dieses Berichtes wurde als geheim bezeichnet. Noch ehe der Kommissionsbericht fertiggestellt war und der englischen Regierung vorlag, setzten im April 1937 in der jüdischen Presse Gerüchte über eine geplante Teilung des Landes in arabische und jüdische Kantone ein. Zweifellos war die nun folgende heftige Diskussion von der englischen Regierung selbst angeregt. Man wollte zunächst feststellen, wie die Juden sich zu einer wesentlichen Verkleinerung des von ihnen beanspruchten Landes stellen würden. Die Teilung des Landes wird von den Juden wie von den Arabern auf das schärfste abgelehnt. Trotzdem sind sicher die Führer beider Parteien bereit, eine Kompromißlösung zu finden. Dieses dürfte unter Umständen zu einer Zersplitterung des Araber- und Judentums führen, da auf beiden Seiten extreme nationalistische Gruppen vorhanden sind, die eine Kompromißlösung niemals annehmen werden.
Der Kommissionsbericht wird der Öffentlichkeit am 8.7.1937 übergeben werden. Für den 31.7.37 ist der Zusammentritt der Mandatskommission des Völkerbundes in Genf vorgesehen, die über das Schicksal Palästinas entscheiden soll. Der für Anfang August nach Zürich einberufene Zionistenkongreß bildet das Forum, vor dem das Weltjudentum seine Pläne für die Schaffung eines Judenstaates erörtern wird. Palästina ist heute nicht mehr die Angelegenheit einer jüdischen Partei, des Zionismus, sondern heiligste Sache der Weltjudenheit. Der Zionismus bildet dabei nur die Organisation des Aufbaues des Landes, über den sich die verschiedenen Gruppen nicht einig sind.
Die Unruhen in Palästina, die dauernde Verringerung der Einwanderungszertifikate durch die Mandatsregierung und die Schwierigkeiten des Transfers haben die Auswanderung der Juden aus Deutschland nach Palästina weiterhin absinken lassen. Dazu kommt noch, daß die Lebensverhältnisse in Palästina für den zivilisierten Juden aus Deutschland alles andere als glänzend sind. Die Juden beginnen sich langsam mit ihrem Schicksal in Deutschland abzufinden. Diese Tatsache wird auch deutlich durch die Wirkung der staatlichen Verbotsmaßnahmen, wie die Auflösung des U. O.B.B. und das Versammlungsverbot. Die Auflösung der Logen des U.O.B.B. zerstörte den Juden zum Teil ihre kulturellen Zentren, zu denen die Logenhäuser geworden waren. Das zweimonatige Versammlungsverbot, das zum Teil so scharf gehandhabt wurde, daß ein Betätigungsverbot daraus wurde, verlagerte den Schwerpunkt des jüdischen Lebens in die religiösen Gruppen und die Synagogen. Es wurde lediglich als eine empfindliche Störung empfunden, ohne daß das Judentum daraus irgendwelche Konsequenzen gezogen hätte. Das Echo, das diese staatlichen Maßnahmen im Ausland fand, zeigt, daß das internationale Judentum erkannte, daß der NS-Staat sich nicht länger ungestraft von La Guardia und Genossen provozieren läßt.
Zusammenfassend muß zur allgemeinen Lage gesagt werden, daß die Berichtszeit eine weitere Klärung und Abgrenzung des Verhältnisses zwischen Deutschen und Juden brachte, vor allem in der Rechtssprechung kommt dies zum Ausdruck, daß aber die wirtschaftliche Lage und die Zahl der Juden in Deutschland sich kaum geändert hat.
Am 15.5.37 ging das oberschlesische Minderheitenabkommen zu Ende. Nach Ablauf der zweimonatigen Schutzfrist treten ab 15.7.37 alle bisher erlassenen Judengesetze auch für Westoberschlesien in Kraft. Größere Abwanderungen von Juden aus dem Abstimmungsgebiet fanden nicht statt. Dies dürfte mit darin seinen Grund haben, daß die Lage in polnisch Oberschlesien gegenüber der im deutschen Teil wesentlich schlechter ist. Im übrigen Reichsgebiet zeigte sich, bedingt durch die Verschlechterung der Lage der Juden auf dem Lande, eine umfangreiche Abwanderung in die Großstädte. Auffallend ist die starke Abwanderung aus Ostpreußen und demgegenüber die Zusammenballung des Judentums in Danzig. Dort ist, trotz der laufenden Durch- bzw. Abwanderung eine jährliche Zunahme von etwa 500 Juden zu verzeichnen. Erwähnenswert ist noch der starke Zuzug von Juden nach Nürnberg-Fürth, welches allmählich bei gleichbleibender Zuwanderung zu einem Judenzentrum Süddeutschlands wird.
Wegen staatsfeindlicher Umtriebe wurde am 19.4.37 der Unabhängige Orden B’nei B’rith im ganzen Reich aufgelöst und sein gesamtes Vermögen beschlagnahmt. Eine Ausnahme bildeten lediglich die durch das Minderheitenabkommen geschützten Logen in Beuthen, Gleiwitz und Ratibor. Eine endgültige Feststellung des Gesamtvermögens konnte bis jetzt noch nicht getroffen werden, jedoch steht fest, daß an Bargeld und Effekten mehr als eine Million Reichsmark beschlagnahmt wurden; dazu kommen noch die aus dem Verkauf des unbeweglichen Vermögens erlösten Summen. Dem „Paulusbund“, Vereinigung nichtarischer Christen, wurde die einstweilige Umbenennung in „Vereinigung 1937 - vorläufige Reichsbürger nicht reindeutschblütiger Abstammung“ durch Reichskulturwalter Hinkel zur Auflage gemacht. Da er demnach nur noch reichsbürgerfähige jüdische Mischlinge als Mitglieder aufnehmen darf, erlitt der Bund naturgemäß einen starken Mitgliederrückgang. Mancherorts sah sich auch die Staatspolizei gezwungen, Ortsgruppen des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten wegen Umgehung des einschneidenden Betätigungsverbotes vom November 1936 aufzulösen, da dieselben in Geselligkeitsvereinen weiterhin versuchten, kameradschaftlichen Zusammenhalt unter ihren Mitgliedern zu pflegen.
Nach Ablauf des Versammlungsverbotes konnte in allen Teilen des Reiches eine verstärkte jüdische Versammlungstätigkeit festgestellt werden. Die Zionistische Vereinigung für Deutschland ließ den Palästinapropagandafilm „Hatikwah“ (Die Hoffnung) in allen ihren größeren Ortsgruppen vorführen. Bemerkenswert ist ferner, daß in letzter Zeit zionistische Redner in Berücksichtigung der augenblicklichen Lage in Palästina auch für eine Judenauswanderung nach außerpalästinensischen Ländern Propaganda machen.
Anfang Mai 1937 führte der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten seine Zeitschrift „Der Schild“ auf das bis 1933 gepflegte DIN-Format zurück und senkte gleichzeitig ihren Preis wesentlich. Durch diese Maßnahme will der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten seine Zeitschrift weiten jüdischen Kreisen zugänglich machen und so die von ihm vertretene Haltung vorwärtstragen. Bis jetzt erreichte er eine Abonnentenzunahme von ca. 1 000.
Es konnte festgestellt werden, daß die Reichsvertretung der Juden in Deutschland ein immer größeres Sammelbecken des assimilatorischen Judentums geworden ist und ihre Arbeit daher zwangsläufig den Auswanderungsbestrebungen zuwiderlaufen muß. Dadurch erwuchs der Reichsvertretung in der Staatszionistischen Vereinigung, deren Leiter der Bankdirektor Georg Kareski ist, ein starker Gegner. Derartige Auswanderungshemmungen sind aber auch nicht im Sinne der staatlichen Bestrebungen zur Ausschaltung des Judentums. Es wird daher für die nächste Zeit eine Umbildung der Reichsvertretung unter staatlichem Druck vorgenommen werden.
Nach wie vor ist der Aufenthalt der Juden sowohl in persönlicher Hinsicht als auch in geschäftlicher in den vorwiegend katholischen Gebieten des Reiches wie in Bayern, im Rheinland und in Schlesien, bedingt durch die tolerante Einstellung der katholischen Geistlichkeit ein gleichbleibend guter. Dasselbe gilt auch für alle jene Gebiete, in denen der Bekenntnisfront erhöhte Bedeutung zukommt.
Einen weiteren Schritt zur Ausschaltung des Judentums aus dem kulturellen Leben stellt die Verordnung des Reichserziehungsminsters vom 15.4.37 dar, welche Staatsangehörige Juden von der Doktorpromotion ausschließt.
Immer noch werden zahlreiche Juden wegen Vergehens gegen die Nürnberger Rassenschutzgesetze abgeurteilt.
Während der jüdische Einfluß auf das kulturelle und Gemeinschaftsleben des deutschen Volkes durch die bereits erlassenen Gesetze weitgehendst zurückgedrängt werden konnte, ist durch das Fehlen gesetzlicher Verordnungen zur Ausschaltung der Juden aus dem materiellen Leben der Einfluß dieses Gegners auf diesem Lebensgebiet nach wie vor ein ungeheuer großer. Die bereits mehrfach berichtete Feststellung, daß die jüdischen Unternehmen vielfach ihre Umsätze im Vergleich zu früheren Jahren verdoppeln und verdreifachen konnten, trifft nach wie vor zu.
Es konnte in der letzten Zeit die Wahrnehmung gemacht werden, daß das internationale Judentum in verstärktem Maße an der Arbeit ist USA zu einer schlagkräftigen jüdischen Metropole auszubauen, von wo aus es seinen Angriff gegen seine Gegner vortragen wird.
Einer der übelsten Greuel- und Boykotthetzer gegen Deutschland ist der Vorsitzende der Exekutive des Jüdischen Weltkongresses, der in Amerika lebende Rabbiner Stefan Wise1. Er ist einer der eifrigsten Agitatoren für den Ausbau dieser neuen jüdischen Plattform in Amerika. Auf seine Initiative ist der Beschluß des Jüdischen Weltkongresses, eine Zentralstelle zur Bekämpfung des Antisemitismus zu schaffen, zurückzuführen. Die vorbereitenden Besprechungen und Arbeiten für die Gründung dieser Organisation fanden vor einigen Wochen in Wien statt.
Im Rahmen dieses Programms wurde vom amerikanischen Judentum auch der bisher in Deutschland tätige bekannte zionistische Funktionär Rabbiner Dr. Prinz2 abberufen. Das Resümee seiner Rede anläßlich des ihm von der ZVfD abgehaltenen Abschiedsabends am
26.6.37 war ein Aufzeigen der Erkenntnis, daß das amerikanische Judentum gesammelt werden müsse zum Wohl der in Europa lebenden Juden und eingespannt werden müsse im Kampf um die Existenz der Juden in der ganzen Welt. Dieses Judenreservoire aufzurütteln und zu sammeln, sei eine seiner zukünftigen Aufgaben.
In der Zeit vom 12.5. - 14.5.1937 fand in München die zweite Jahrestagung des Reichsinstituts für Geschichte des Neueren Deutschlands, Abteilung Judenfrage statt.