Menü
Chronik und Quellen
1937
April 1937

Lagebericht der SD-Abteilung II/112

Für das erste Quartal 1937 gab die Abteilung II/112 des SD am 8. April 1937 folgenden Lagebericht ab:

A. I. Die Lage in sachlicher Hinsicht

In der Berichtszeit konnte die Beobachtung gemacht werden, daß die Juden in Deutschland beginnen, sich mit ihrer Lage abzufinden. Die zionistische Propaganda, die bislang das jüdisch-politische Leben beherrschte, beginnt in ihrer Wirkung nachzulassen. Die Gründe dafür liegen zunächst in der ungeklärten Lage in Palästina. Die Terrorakte arabischer Nationalisten haben den Juden die Auswanderung nach Palästina etwas verleidet. Für Ende April wird der Spruch der königlichen Kommission, die die Streitigkeiten zwischen Juden und Arabern in Palästina untersucht, erwartet. Man hofft, daß dieser Spruch der königl. Kommision normale Verhältnisse in Palästina schaffen wird. An Stelle der Propagierung der Palästinaauswanderung macht sich eine verstärkte Werbung für eine Auswanderung der Juden nach nichtpalästinensischen Ländern bemerkbar. Die soziale Lage der Juden in Deutschland ist zudem noch derart günstig, daß die meisten das Verbleiben in Deutschland einer Auswanderung vorziehen. Aufgrund dieser Tatsache macht sich neuerdings eine verstärkte Tätigkeit assimilatorischer Kreise bemerkbar an deren Spitze der „Jüdische Centralverein“ und der „Reichsbund jüdischer Frontsoldaten“ stehen.

Die Tätigkeit der jüdischen Kulturbünde, die sich besonders in den Großstädten bemerkbar macht, führt die Juden langsam in ein geistiges Ghetto, das ihm als Lebensform seit Jahrtausenden durchaus vertraut ist.

Die Hetze des New Yorker Bürgermeisters und Juden La Guardia hat in der Judenschaft in Deutschland Beunruhigung hervorgerufen, da man Vergeltungsmaßnahmen des Staates gegen die Juden in Deutschland befürchtet.

A. II. Die Lage in regionaler Hinsicht

Die Tendenz der Abwanderung der Juden in Großstädte hält auch in der Berichtszeit an. Eine Ausnahme davon machen nur Gegenden mit vorwiegend katholischer Bevölkerung. So wird aus Bayern und aus dem katholischen Ermland berichtet, daß die Juden aus den Städten auf das flache Land ziehen, da sie von der gegen den Nationalsozialismus eingestellten Landbevölkerung weitgehendst unterstützt werden.

Nürnberg, der Erscheinungsort des „Stürmers“, entwickelt sich allmählich zu einem Mittelpunkt des jüdischen Lebens. Der orthodoxe „Gruppenverband der Agudas Jisroel für Deutschland“ hat in der Berichtszeit seinen Sitz von Frankfurt a. M. nach Nürnberg verlegt.

B. I. Programmatische Veränderungen

B. II. Organisatorische Veränderungen

Am 30.12.1936 wurde die rein assimilatorische jüdische Judenorganisation „Der Ring -Bund jüdischer Jugend“ durch Verfügung des Geheimen Staatspolizeiamtes für das gesamte Reichsgebiet aufgelöst und verboten.

Im Februar 1937 hat sich die „Salo Adler-Loge“ des U.O.B.B. in Schneidemühl selbst aufgelöst.

Durch Verfügung vom 15.3.1937 hat der Reichskulturwalter Hinkel mit Zustimmung des Gestapa und des Reichsministeriums des Innern alle christlich getauften Voll- und Dreivierteljuden aus dem „Paulusbund“ - Vereinigung nichtarischer Christen ausgegliedert. Ihnen ist anheimgestellt worden, Mitglieder des jüdischen Kulturbundes zu werden. Somit können nur jüdische Mischlinge, die im Sinne des Reichsbürgergesetzes Reichsbürger sind, im Paulusbund verbleiben.

B. III. Kampfmethoden

A. Propaganda

Durch das sechswöchentliche Versammlungsverbot der jüdischen Organisationen, das am 31.1.1937 ablief, waren die jüdisch-politischen Verbände zunächst in ihrer Propaganda stark gehindert. Nach Ablauf des Verbotes setzte die jüdische Versammlungstätigkeit schlagartig wieder ein.

Die Werbung für die Jüdische Winterhilfe wurde von allen jüdischen Organisationen mit Energie betrieben. [.. .] XX. Zionistenkongress beginnt die vorbereitende Propaganda in der zionistischen Presse.

B. Finanzierung

Die zionistische Organisation verstärkt ihre Sammlung für die palästinensischen Aufbaufonds durch Aufstellung von Heimsparbüchsen. Der Leiter des zionistischen Fonds „Keren Hajessod“, Dr. Michael Traub, ist durch seine Vortragsreisen bemüht, bei den vermögenden Juden Geldspenden für Palästina zu erhalten.

Das Ergebnis der Jüdischen Winterhilfe ist für die Juden außerordentlich befriedigend. Die Abschlußberichte stehen noch aus. Aber schon jetzt kann gesagt werden, daß Sach- und Geldspenden in einer solchen Höhe eingingen, daß jüdische Erwerbslose durch die Jüdische Winterhilfe mehr erhielten, als sie in Palästina durch ihrer Hände Arbeit verdient hätten.

C. Zersetzung

B. IV. Beziehungen zu anderen Gegnern

a.1.cc) Kirche

Die Haltung der Kirche beider Konfessionen, die dem Judentum aus weltanschaulichen Gründen freundlich gegenüberstehen, zeigt deutlich ihre Auswirkungen. Wie bereits erwähnt, findet der Jude heute auf dem flachen Lande die vollste Unterstützung der klerikal verhetzten, katholischen Landbevölkerung. In der Berichtszeit wurde mehrfach festgestellt, daß Geistliche in ihren Kanzelreden die Juden als auserwähltes Volk hervorheben und somit direkt zu ihrer Unterstützung auffordern.

a.2.aa) Linksbewegung

Es konnte festgestellt werden, daß jüdische Geschäftsreisende mit besonderer Vorliebe ehemalige marxistische Funktionäre und Parteigänger aufsuchen, da sie von diesen weitgehendste wirtschaftliche Unterstützung erhoffen.

a.2.cc) Rechtsbewegung

Rechtsoppositionell eingestellte Einzelpersonen wie Großgrundbesitzer, Adelige und Offiziere der Wehrmacht lassen auch heute noch ihre Vermögen durch jüdische Bankhäuser verwalten und tätigen mit Vorliebe Geschäfte mit jüdischen Firmen.

B. V. Verhältnis zu den einzelnen Lebensgebieten

a) Kulturelles Leben

Die Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Kulturleben ist durch Reichsgesetzgebung einheitlich geregelt und durchgeführt. Demgegenüber fallen die als Ausnahmen zugelassenen Juden im deutschen Kulturleben, wie z. B. der Staatsoperndirigent Leo Blech, doppelt auf und geben in der Bevölkerung Anlaß zu Kritik.

b) Gemeinschaftsleben

Die Blutschutzgesetze werden nach wie vor von den Juden mißachtet und übertreten. Die Zahl der festgestellten Fälle von Rassenschande zeigt noch keine Abnahme dieser Verbrechen.

c) Wirtschaftsleben

Der Einfluß der Juden im Wirtschaftsleben ist nach wie vor außerordentlich groß. Die jüdischen Firmen spüren nur in einzelnen Fällen die Auswirkung der antisemitischen Propaganda der NSDAP. Demgegenüber konnte festgestellt werden, daß jüd. Großfirmen ihre Umsätze gegenüber 1933 verdoppeln konnten. In einzelnen Wirtschaftszweigen wie Vieh- und Lederhandel, sind die Juden nach wie vor führend. Die bisherigen Maßnahmen des Reichsnährstandes zur Ausschaltung der Juden aus dem Viehhandel haben noch zu keinem endgültigen Erfolg geführt. Die arischen Viehhändler verfügen nicht über das notwendige Kapital, um den Juden Konkurrenz machen zu können. Es kann jedoch erwartet werden, daß der Ausbau der Viehverwertungsgenossenschaften des Reichsnährstandes diesen Mißstand beseitigen wird.

Besonders bedenklich ist die Tätigkeit der jüd. Firmen für die deutsche Aufrüstung und den Ausbau der Landesverteidigung. So baut beispielsweise z. Zt. eine jüd. Tiefbaufirma aus Kassel geheime Befestigungsanlagen am Rhein, ein Marinedock und eine Schleuse in Wilhelmshaven und Kasernen in Idar-Oberstein.

B. VI. Verhältnis zum Ausland

Der Reiseverkehr der Juden ins Ausland, besonders nach Belgien, Holland und der Tschechoslowakei, nimmt zu. Begründet werden diese Reisen als Geschäfts- und Informationsreisen.

C. Sonstiges

I. Gegnerarbeit anderer Gruppen (Antisemitismus)

Die antisemitische Propaganda der NSDAP ist z. Zt. fast ganz eingeschlafen. Lediglich nach der Hetzrede des New Yorker Bürgermeisters La Guardia erschienen in der ns. Presse längere antijüdische Artikel.

Schuld an diesem Stillstand hat besonders die ungenügende Ausbildung der Parteiredner. So hatte z.B. in Danzig eine großangelegte antijüdische Propagandaaktion der Partei keinen Erfolg, weil die Redner völlig unsachlich und unvorbereitet zu ihren Vorträgen erschienen.

Baum wird geladen...