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Chronik und Quellen
1935
August 1935

Lagebericht des SD-Hauptamtes J 1/6 (Juden)

Die Lage der Juden hat, vom Standort des Gegners gesehen, im letzten Halbjahr keine wesentliche Änderung erfahren. Allgemein ist eine andauernde Abwanderung von Mitgliedern der Assimilanten-Organisation zu den Zionisten festzustellen. Man wird allerdings nicht fehlgehen, wenn man bei einem großen Teil Konjunkturgründe vermutet. Andererseits hat die Gruppe der nationaldeutschen Juden (Naumann-Gruppe) seit der Verkündung des Wehrgesetzes eine rege Betriebsamkeit entfaltet, die umso genauer im Auge behalten werden muß, als unzweifelhaft von dort viele Fäden zu Frontkämpfern in verschiedenen Ministerien führen. Besonders bei Stahlhelm-Mitgliedern fanden die Naumann-Leute häufig Entgegenkommen. Wie weit dieser Gruppe von Juden schon der Einbruch in die Wehrmacht gelingen wird, hängt allein nur noch von den Entscheidungen des Prüfungsausschusses der Wehrmacht ab.

Die Arbeit der zionistischen Gruppen hat in der Berichtszeit eine wesentliche Stärkung erfahren. Die verstärkten antisemitischen Maßnahmen der letzten Wochen brachten ebenfalls einen erhöhten Einfluß der zionistischen Gruppe auf die deutschen Juden. Der Verlauf des bevorstehenden Zionistenkongresses in Luzern wird darüber entscheiden, ob die zionistischen Gruppen Deutschlands in der Lage sind, gemäß ihren Versprechungen eine wesentlich höhere Anzahl von Auswanderer-Zertifikaten für deutsche Juden zu erhalten.

In diesem Zusammenhang verdienen die Bemühungen des Geheimen Staatspolizeiamtes um Schaffung von geschlossenen Umschulungslagern für Juden zum Zwecke ihrer landwirtschaftlichen Ausbildung für Palästina Beachtung. Sie würden eine fast doppelt so starke Auswanderung jungen Juden nach Palästina ermöglichen.

Eine geschlossene Inangriffnahme des Judenproblems ist solange kaum möglich, als eindeutige Gesetze fehlen. Dadurch entstand der Boden für die immer wieder verurteilten Einzelaktionen. Das Volk, das auf der einen Seite gemäß seiner nationalsozialistischen Weltanschauung die Juden aus Deutschland verdrängt sehen will, findet auf der anderen Seite bei den verantwortlichen Stellen keinerlei Aktivität, daß der persönliche Lebenswandel mancher höheren Parteifunktionäre und ihrer Angehörigen nicht immer die vom einfachen Pg. geforderte Form in seinem Verhältnis zum Juden und zum jüdischen Geschäft zeigt, ist eine leider schon wiederholt erwiesene Tatsache.

Die Rechtsunsicherheit im deutsch-jüdischen Verhältnis gibt verschiedenen Gegnern des Staates Gelegenheit zu einer die Staatsautorität systematisch unterwühlenden Tätigkeit. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an die Rechtsunsicherheit in der Frage der Mischehen und der Rassenschande. Standesbeamte, die nach ihrem Gewissen handelten und solche Eheschließungen abweisen, werden oft von den ordentlichen Gerichten zum Vollzug gezwungen. Andererseits können Standesbeamte, die die nationalsozialistische Weltanschauung bewußt brüskieren wollen, sich dabei auf offizielle Erlasse stützen.

Die Lösung der Judenfrage durch Terrorakte wird von allen maßgeblichen Stellen verurteilt. Um diese Terrorakte, soweit sie von Nationalsozialisten aus ihrer inneren Überzeugung begangen werden, für die Zukunft wirksam zu verhindern oder, wenn es sich um versteckte Aktionen feindlicher Gruppen handelt, diese eindeutig als solche beweisen zu können, wäre es nötig, daß baldmöglichst

1. in die Behandlung der Judenfrage bei den einzelnen Ministerien eine einheitliche Linie kommt,

2. wirksame Gesetze erlassen werden, die dem Volk zeigen, daß die Judenfrage von oben geregelt wird. Solche Gesetze wären:

a) Gesetz über Staatsangehörigkeit,
b) Gesetz über Bodenerwerb,
c) Gesetz über jüdischen Zuzug,
d) Gesetz, um Juden und mit Juden Arbeitende vom Versicherungsschutz auszuschließen,
e) Gesetz zur Kenntlichmachung arischer Geschäfte und Unternehmungen.

Die endgültige Abwanderung der Juden kann durch eine stärkere Unterscheidung in der Behandlung von Assimilanten und Zionisten noch gefördert werden. Damit wird zugleich der Weltboykott der Juden durch das Fernbleiben der Zionisten am wirksamsten bekämpft.

Allgemein kann man feststellen, daß die Notwendigkeit zur Abwanderung der deutschen Juden in der Berichtszeit wesentlich stärker ins Bewußtsein gebracht wurde. Dieser vorbereitete Boden müßte durch die oben erwähnten und ähnliche Gesetze jetzt voll in Arbeit genommen werden.

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