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Chronik und Quellen
1938
November 1938

Bericht über Pogrom in Berlin, Frankfurt/Oder, Köln und Ostfriesland

Ein katholischer Niederländers aus Amsterdam berichtet nachdeem 14. November 1938 über seine Geschäftsreise nach Berlin und seine dortigen Beobachtungen während des Pogroms sowie die ihn in Berlin erreichenden Nachrichten aus der Umgebung von Frankfurt an der Oder und aus Köln sowie über das Konzentrationslager Sachsenhausen; ein zweiter Augenzeuge berichtet über die Ausschreitungen in Ostfriesland. Das fehlerhafte Deutsch der Berichte lässt vermuten, dass sie von Niederländern aufgezeichnet wurden:

Ein katholischer holländischer Herr, wohnhaft in Amsterdam, erzählt und ist bereit, alles, was er erzählt hat, zu beeidigen.

Mittwoch musste er für eine Geschäftsreise nach Berlin fahren, er kam am Donnerstag, 10.11., um 7 Uhr an und sah, dass in der Friedrichstraße fast alle Häuser demoliert waren. Die Waren der Läden waren alle auf die Straße geworfen. Die Unruhen dauerten bis Freitagmorgen. Die Polizei stand dabei und sah tat[en]los zu. Wenn das Personal der verschiedenen Geschäfte sich zur Arbeit begab, haben die meisten Leute den Kopf geschüttelt. Nur ein Einzelner hat gelacht. Unser Berichtgeber sagt, dass er hieraus konstatieren muss, dass die besten Anhänger Hitlers aus den 2% Souteneurs des deutschen Volkes bestehen. Während er mit seinem Geschäftsfreund im Büro war, kam eine Nachricht aus Köln, die Wohnung des Schwagers des jüdischen Geschäftsfreundes war demoliert und alle Möbel zerschlagen.

Aus einer kleinen Stadt im Oderwald. Die Wohnung des Bruders des Geschäftsfreundes vollkommen demoliert. Zehn Minuten später eine dritte Nachricht aus Frankfurt, dass ein Neffe von der Polizei gesucht wurde. Der Mann konnte zeitig flüchten. Unser Berichtgeber hat gesehen, dass man in der Kronenstraße die Schreibmaschinen aus den Fenstern geworfen hat. Pelzmäntel wurden von jungen Leuten mitgeschleppt, Kontobücher wurden in der Straße verbrannt, wobei die Polizei lächelnd zusah. Während dem Abendessen wurde die Frau des Prokuristen verhaftet. Während des Mittags erhielt die Privatsekretärin telefonisch Nachricht, dass ihr Vater verhaftet war, ihr Bruder halb totgeschlagen war und das Geschäft vollkommen demoliert. Der Vater ist inzwischen wieder freigelassen, der Bruder wurde nach Oranienburg abtransportiert.

In jedem Polizeibezirk wurden Menschen arrestiert und mit Autos per 20 und 25 Menschen weggeschleppt. Die Unruhen standen unter der Leitung von jungen Leuten von 18 bis 20 Jahren. Sie marschierten immer in Gruppen zu drei mit SA-Stiefeln und roten Krawatten. Die Leute waren nicht zufrieden, wenn die Gläser zerschlagen waren, und ruhten nicht, bis die letzte Scherbe herausgeschlagen wurde. Furchtbar hat man gestohlen. Unser Berichterstatter sah, dass man in der Straßenbahn die Schuhe, welche man gestohlen hat, zerschnitt. Sonnabend um 4 Uhr wurde er von einer jüdischen Frau besucht, die erzählte, dass die Leute zu Tode gefoltert wurden und schon sehr viele Menschen wahnsinnig geworden sind. Es gibt Leute, die vier Tage und vier Nächte herumgeirrt sind, der Zustand in Oranienburg ist furchtbar. Die Gefangenen müssen um 3 Uhr morgens aufstehen und um ½4. anfangen mit Arbeiten. Zum Frühstück bekommen sie ein schwarzes Stück Brot und eine Tasse Kaffee. Um 12 Uhr bekommen sie einen Teller Suppe. Am Abend wieder ein Stück schwarzes Brot. Wenn die Menschen zu wenig gearbeitet haben, werden sie in die Steingrube gebracht. Einer der SA-Leute, der die Aufsicht hat, warf seine Peitsche hinein in die Steingrube, und wenn der Gefangene herunterging, um die Peitsche zurückzuholen, hat er einfach mit Dynamit die Steine gesprengt, und der Mann wurde unter den Steintrümmern getötet. Auch Kinder von zwölf Jahren haben geholfen, die Läden zu plündern, dass man Fässer mit Benzin in die Synagogen geschleppt hat, ist allgemein bekannt. In Berlin ist kein einziger Laden übrig geblieben, selbst die kleinsten und ärmlichsten Geschäfte [wurden zerstört]. Das »Handelsblad« hat geschrieben, dass die Menschen sind wie Ratten in der Falle, dieses Beispiel ist falsch. Von einer Ratte in der Falle weiß man, dass sie innerhalb einer Stunde kaputt ist. Juden foltert man weiter. Die kleinen Plätze hat unser Berichterstatter den Eindruck bekommen, dass die jungen Leute für jede Zertrümmerung eine Prämie bekamen. Desto bösartiger sie waren, desto mehr wurden sie von der Parteileitung gefeiert.

Man kann mit Zehntausenden schätzen, die verhaftet worden sind. Wie viele Menschen Selbstmord begangen haben, ist überhaupt nicht zu übersehen.

Wenn unser Berichterstatter Berlin verließ, hörte er Gerüchte, dass die Regierung der Stadt den Plan hegte, dass man den Juden noch Waren liefern konnte. Ein arischer Herr, der Frontkämpfer war, hat unserem Berichterstatter mitgeteilt, dass [sich] die Feinde des Krieges nicht so grausam und zynisch gegenübergestanden haben.

Zweiter Berichterstatter. Aus Ostfriesland. In verschiedenen Dörfern und kleinen Städten hat man auf Juden mit Gewehren und Revolvern geschossen. Viele Juden sind ermordet, andere haben furchtbare Wunden bekommen. Unser Berichterstatter hat gesehen, wie man einen Jungen von 19 Jahren, der Verdiener seiner Mutter war, ins Wasser geworfen hat, der Junge konnte aber schwimmen, und als er wieder am Ufer heraufkroch, hat man ihn bewusstlos geschlagen, aufs neue ins Wasser getreten, bis er ertrank. Unser Berichtgeber hat viele Fälle von Misshandlungen gesehen. Wenn die Synagoge brannte, mussten die Juden im Pyjama vorbeimarschieren und schmutzige Lieder singen. In Viehwagen wurden die Leute nach den Konzentrationslagern gebracht. Ein Schochet von 76 Jahren, der pensioniert war, wurde seiner Pension beraubt, man hat den Mann in ein großes Hühnerhaus eingeschlossen und durch das Städtchen geführt. Nur RM 1- hat man ihm gelassen. Auch in diesen Dörfern und kleinen Städtchen wurden alle Wohnungen demoliert. In einigen Plätzen hat man die jüdischen Lehrer gezwungen, die Thorarollen selbst in Brand zu stecken. Die Juden wissen genau, wer die Anfaller gewesen sind. Aberjeder [hat] Angst, die Namen der Täter, sogar der eigenen Frau, zu nennen.

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