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Chronik und Quellen
1938
Oktober 1938

Ausweisung aus Wuppertal

Nach dem 13. November 1938 berichtet der 27-jährige polnische Staatsbürger Moritz Kupfermann aus Wuppertal-Barmen über seine am 28. Oktober erfolgte Ausweisung nach Bentschen (Zbaszyn):

Am 28. Oktober war ich in Elberfeld, wo ich geschäftlich zu tun hatte. Ich ging dann zur Fremdenpolizei, um meinen Aufenthalt, der am t. November ablief, verlängern zu lassen, um meine Auswanderung nach Nordamerika weiter betreiben zu können. Der Beamte kam nach fünf Minuten zurück und schickte mich in Begleitung eines anderen Beamten angeblich zum Polizeipräsidenten. Ich wurde aber ins Polizeigefängnis gebracht. Der Gefängnisbeamte erklärte: »Sie kommen in Abschiebungshaft.« Bei der Kontrolle auf Waffen und Geld durfte ich RM 45- behalten, auch rauchen durfte ich. Ich wurde in eine Zelle gesperrt und bat den Beamten, meine Eltern zu verständigen. Nach einer Stunde waren schon zehn Polen in der Zelle. Erst dann wurden die Personalien aufgenommen. Die Pässe wurden einbehalten.

In Elberfeld waren etwa 200 Polen verhaftet, Männer, Frauen und Kinder. Nach etwa zwei Stunden kam in unsere Zelle ein Beamter mit Formularen, in denen ungefähr stand, dass man sich damit einverstanden erklärte, abgeschoben zu werden, dass einem das Recht der Beschwerde innerhalb 14 Tagen zusteht, wodurch die sofortige Abschiebung aber nicht aufgehoben werde. Alle waren sich einig, zu verneinen. Ich sagte als Letzter auch nein, da ich am 15. November nach Stuttgart zum amerikanischen Konsulat vorgeladen war. Nach einer Viertelstunde kam der Oberkommissar mit noch drei Herren, die versuchten, Druck auszuüben. Unsere Antwort war wieder nein. Darauf entfernten sich die Beamten mit den Worten: »Wir werden es euch schon so zeigen.« Die Frauen wurden dann von den Männern getrennt, sie erhielten ihre Pässe zurück und wurden entlassen. Es wurde ihnen gesagt, dass die Männer gegen 7 Uhr abgeschoben würden. Sie könnten ihnen Kleidung usw. bringen.

Die Männer wurden dann noch einmal einzeln aufgenommen, und es wurde gesagt, dass es nach Polen ginge, wir erfuhren aber nicht, wohin. In Omnibussen, die scharf bewacht waren, ging es dann zum Bahnhof. Dort traf ich meinen Vater und meinen Bruder. Je 40 kamen dann in einen Dritte-Klasse-Wagen. Von den Beamten wurden wir anständig behandelt. Jeder Wagen bekam Wurstbrote und eine große Kanne Kaffee. Die Wagen wurden dann verschlossen. Auf den Stationen, durch die wir fuhren, durfte kein Fenster geöffnet werden. Es ging über Hannover, Berlin, Frankfurt an der Oder nach Neu-Bentschen. Dort wurden wir ausgeladen und in einen polnischen Zug gesetzt. Vorher war noch Geldkontrolle, wobei die Beamten aber sehr großzügig waren. Ich durfte z. B. RM 42 - behalten, ein anderer dagegen musste von RM 530.-RM 520 - abgeben. Dann fuhren wir nach Alt-Bentschen (Zbaszyn).

Auf dem Weg von Neu- nach Alt-Bentschen sahen wir auf der Landstraße etwa tausend Menschen, unter ihnen Greise, junge Kinder, Kinderwagen usw. Das war der Transport aus Hamburg, der um 5 Uhr morgens an der polnischen Grenze angekommen und zu Fuß weitergeschickt war. Diese Menschen waren von den polnischen Grenzbeamten mit aufgepflanztem Bajonett empfangen worden, und als sie zurückgehen wollten, wurden sie von der deutschen Schutzpolizei und SS mit Kolben zurückgestoßen mit den Worten: »Ihr könnt ruhig gehen, die sind doch zu feige, zu schießen.« Dann gaben die polnischen Beamten den Befehl, sich hinzulegen, und alle mussten sich auf die verregnete Landstraße werfen. Es wurden drei Schreckschüsse abgegeben, und dann wurden doch alle durchgelassen.

Sonnabend, den 29. Oktober, um ½8 Uhr kamen wir in Alt-Bentschen an. Es war eine Zollkontrolle angekündigt, die aber wohl wegen des zu großen Durcheinanders nicht stattfand. Im Bahnhof von Alt-Bentschen stand bereits ein Zug aus Nürnberg, der eine Stunde vorher angekommen, aber noch verschlossen war. Diese Menschen wurden erst Sonnabend abend um 6 Uhr herausgelassen.

In Alt-Bentschen sollen zuerst 11000 Menschen gewesen sein, und zwar aus Berlin, Düsseldorf, Wuppertal, Remscheid, Stuttgart, Dortmund, Essen, Duisburg, Hamburg, Hannover, Köln und vereinzelte Wiener. Ein Teil, der genügend Geldmittel hatte, konnte zunächst ins Land Weiterreisen. Es blieben etwa 6000 zurück. In Posen wurde aber am Montag, den 31. Oktober, ein Zug aus Alt-Bentschen, der Weiterreisen wollte, festgehalten. In Posen sollen dann etwa 4000 Menschen gewesen sein.

Hilfe war nicht da, weil Polen angeblich nicht unterrichtet war über die deutsche Aktion. Wir wurden alle auf einen großen Platz geführt. Nachmittags gegen 5 Uhr hieß es, man müsste sich registrieren lassen und angeben, wo man Verwandte in Polen hätte, da man wahrscheinlich am nächsten Tage schon dorthin fahren könnte.

Es waren dann sechs polnische Beamte zum Aufnehmen der Personalien da. Der Ansturm war aber so heftig, dass der Tisch mit den Beamten umfiel, und es wurde nicht weiter auf genommen. Die Bevölkerung war sehr mitfühlend. Sie brachte Stroh, und jeder versuchte, etwas Stroh zu bekommen, um in den Pferdebaracken zu schlafen. Der Rest, der nicht in die Baracken hineinging, blieb in den Wartesälen des Bahnhofs oder in der Bahnhofshalle. Sonntag, Montag und Montagnacht wurde weiter registriert, auch dann war noch keine Hilfe da, und wir versuchten, selbst etwas Ordnung zu schaffen.

Montagmorgen hieß es, heute kommen Leute mit Kindern und alte Leute weg zu ihren Verwandten. Diese wurden noch einmal aufgerufen und mussten gegen 2 Uhr den Bahnhof verlassen, um ihre Fahrkarten in Empfang zu nehmen, da sie gegen 4 Uhr abfahren sollten. Um ½4. Uhr wurde aus Warschau telefoniert, dass alles in Alt-Bentschen bleiben müsste.

Die Bevölkerung war sehr hilfsbereit und hat auch Flüchtlinge aufgenommen, teilweise ohne Bezahlung und für geringe Vergütung. Das Jüdische Hilfscomite hat dann auch dafür bezahlt. Ich fand bei einer Dame mit meinem Vater und meinem Bruder ein Zimmer.

Die Bevölkerung ist sehr deutschfeindlich. Nur in einer Wirtschaft war fast immer der deutsche Sender angestellt. Auch die polnischen Beamten waren anständig, aber böse darüber, dass kein Polnisch gesprochen wurde.

Bis Sonnabend, den 13. November, waren sieben Leute gestorben, darunter ein junges Mädchen von 19 Jahren. Zwei Kinder wurden geboren.

Berichterstatter: Moritz Kupfermann aus Wuppertal-Barmen, Werlestraße 18, z. Zt. Amsterdam, Plantage Badlaan 19, bei Dillenberger. Polnischer Staatsbürger, 27 Jahre alt

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