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Chronik und Quellen
1938
September 1938

September 1938

Am 5. September begann unter dem Motto „Großdeutschland“ in Nürnberg der alljährliche NSDAP-Reichsparteitag „mit dem traditionellen Führerempfang im Rathaus. Einen Tag später wurden aus diesem Anlass der Straßenbauingenieur Fritz Todt, der Automobilkonstrukteur Ferdinand Porsche sowie die Flugzeugkonstrukteure Willy Messerschmitt und Ernst Heinkel mit 1937 als Ersatz für Nobelpreise gestifteten „Nationalpreisen“ ausgezeichnet. Am 12. September ging der Reichsparteitag dann mit einer Hitler-Rede zu Ende, in der er unmissverständlich das Selbstbestimmungsrecht für die Sudetendeutschen forderte.

Das war Öl ins Feuer, denn in der Tschechoslowakei spitzte sich die Lage im Verlauf des Monats ohnehin dramatisch zu. In verschiedenen Städten der sudetendeutschen Gebiete kam es am 11. zu teilweise gewaltsamen Demonstrationen mit Schusswaffengebrauch von Anhängern der Sudetendeutschen Partei (SdP); so demonstrierten allein vor Schloss Petersburg rund 5.000 SdP-Anhänger. Wegen zahlreicher Zusammenstöße zwischen deren Anhängern und der Polizei wurde seitens der tschechischen Regierung zwei Tage später über Teile des Sudetenlandes das Standrecht verhängt, das für die Schuldigen an einem Aufruhr die Todesstrafe vorsah. Daraufhin richtet der Politische Ausschuss der SdP am Abend des 13. an die Prager Regierung ein auf sechs Stunden befristetes Ultimatum und forderte die Aufhebung des Standrechts sowie den Rückzug der Staatspolizei aus den sudetendeutschen Gebieten. Als Ministerpräsident Milan Hodza stattdessen seinerseits verlangte, die SdP solle ihre Anhänger zur Ruhe ermahnen, erklärte die wiederum nach Ablauf des Ultimatums den Abbruch der Verhandlungen. Tags darauf weitete die tschechische Seite das Standrecht über drei, am 15. dann nochmals über fünf weitere sudetendeutsche Bezirke aus.

Angesichts der alarmierenden Ereignisse trafen der britische Premierminister Neville Chamberlain und Adolf Hitler am 15. in Berchtesgaden zusammen, wo sie rund zweieinhalb Stunden über die Lösung der Sudetenfrage konferierten, während Konrad Henlein als der Führer der SdP am gleichen Tag über den Wiener Rundfunk zum Anschluss des Sudetenlands an das Deutsche Reich aufrief. Wiederum einen Tag später erklärte die tschechoslowakische Regierung daraufhin die SdP und ihre Ordnerorganisation Freiwilliger Selbstschutz (FS) für aufgelöst. Der - ebenso wie die anderen führenden Persönlichkeiten der SdP - ins Deutsche Reich geflohene Henlein wurde nun polizeilich gesucht, was ihn aber nicht davon abhielt, am 17. September auf deutschem Boden mit der Aufstellung eines bis zu 15.000 Mann starken Sudetendeutschen Freikorps zu beginnen, was ihm umso leichter fiel, als allein bis zum 19. September nach offiziellen deutschen Angaben bereits 102.000 Sudetendeutsche die Reichsgrenze überschritten haben sollten.

Am gleichen Tag wurde die tschechische Position entscheidend geschwächt, als die Regierungen in Paris und London ein Memorandum billigten, dass die Tschechoslowakei zur Abtretung des Sudetenlandes aufforderte. Dessen Regierung lehnte dieses Ansinnen wiederum einen Tag später ab, weil sie darin eine „freiwillige und völlige Verstümmelung des Staates“ sah. Als die britische Regierung daraufhin drohte, die Tschechen bei einem eventuellen deutschen Einmarsch im Stich zu lassen, sahen sich diese dann am 21. September doch gezwungen, „schmerzerfüllt“ zuzustimmen.

Die Ereignisse überschlugen sich weiter: Nachdem Chamberlain sich am 22. September auf dessen Einladung hin in Godesberg erneut mit Hitler getroffen hatte, wobei Letzterer ultimativ die Übernahme der sudetendeutsche Gebiete zum 1. Oktober gefordert hatte, unterzeichnete der tschechische Staatspräsident Benes am Abend des folgenden Tages den Mobilmachungsbefehl für die tschechischen Streitkräfte und lehnte am 25. September das deutsche Ultimatum ab. Am nächsten Tag erklärte Hitler dann auf einer Kundgebung vor rund 20.000 Zuhörern im Berliner Sportpalast, dass seine Geduld in dieser Frage endgültig am Ende sei, wobei er heuchlerisch betonte, dass es sich hierbei „um die letzte territoriale Forderung“ handele, die er in Europa zu stellen habe.

Am 28. September, dem Tag, an dem Hitlers Ultimatum auslief, stoppte er jedoch die Angriffsvorbereitungen und lud Frankreich, Italien und Großbritannien zu einer Konferenz über die Sudetenfrage für den nächsten Tag nach München ein, wo dann in der Nacht zum 30. September das „Münchner Abkommen“ über die Abtretung des Sudetenlandes an das Deutsche Reich unterzeichnet wurde. Diesem Vertrag stimmte die tschechische Regierung zwar noch am gleichen Tag zu, richtete gleichzeitig aber einen Protest an die Welt, weil der Beschluss einseitig und ohne ihre Teilnahme zustande gekommen sei. Mit dem Abkommen verlor die Tschechoslowakei fast 29.000 Quadratkilometer Boden mit rund 3,7 Millionen Bewohnern.

Premierminister Neville Chamberlain hingegen wurde bei seiner Ankunft in London umjubelt, als er erklärte, dass die Ergebnisse von München, die immerhin das Selbstbestimmungsrecht der Völker missachteten, den Frieden bringen würden. Gegenüber dem „Völkischen Beobachter“ brachte er seine Überzeugung zum Ausdruck, durch das Abkommen eine „Verbindung“ zwischen Großbritannien und dem Deutschen Reich hergestellt zu haben, „die für die zukünftigen Beziehungen unserer Länder sich als sehr nützlich erweisen“ werde.

Die deutsche Bevölkerung atmete auf, weil die unmittelbare Kriegsgefahr gebannt schien. Wie unmittelbar ein militärischer Konflikt bevorstand, war an verschiedenen weiteren Zeichen ablesbar. So erklärte Reichsernährungsminister Richard Walther Darré am 9. September auf dem Reichsparteitag, das Deutsche Reich habe ausreichende Brotgetreidevorräte für zwei Jahre – wohl um die Bevölkerung mit Blick auf die katastrophale Versorgungssituation im ersten Weltkrieg zu beruhigen. Und am 28. September, dem Tag, an dem das deutsche Ultimatum auslief, erließ das Hauptamt der Sicherheitspolizei im Innenministerium angesichts eines eventuell unmittelbar bevorstehenden Krieges eine Verordnung über die Behandlung der in der „A-Kartei“ erfassten angeblichen „Staatsfeinde“ im Mobilmachungsfall. Diese Kartei war seitens des Geheimen Staatspolizeiamtes (Gestapa) am 7. Juli des Jahres eingerichtet worden, um im Kriegsfall gezielt gegen den sich aus Regimegegnern zusammensetzenden Personenkreis schnell und gezielt vorgehen zu können.

Angesichts der dramatischen Ereignisse um das Sudetenland dürfte die Fünfte Verordnung zum Reichsbürgergesetz, die am 27. September erging, vom Großteil der Bevölkerung hingegen weitgehend unbemerkt geblieben sein.

Verdrängung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung

In diesem Monat wurde einer weiteren Berufsgruppe mit einem Schlag ihre gesamte Existenzgrundlage entzogen. Am 27. September bestimmte die „5. Verordnung zum Reichsbürgergesetz“, dass sämtliche an deutschen Gerichten zugelassenen jüdischen Rechtsanwälte zum 30. November 1938 auszuscheiden hatten. So wie aus jüdischen Ärzten „Krankenbehandler“ geworden waren, wurden aus den Juristen nunmehr „Konsulenten“, die künftig ausschließlich jüdische Mandanten vertreten durften.

Einen Tag später traf es die Krankenschwestern und Krankenpfleger, denn nach der „1. Verordnung über die berufsmäßige Ausübung der Krankenpflege“ vom 28. September durften jüdische Pflegekräfte künftig nur noch für jüdische Patienten bzw. in jüdischen Anstalten arbeiten. Das betraf auch ihre Ausbildung, die ebenfalls ausschließlich an jüdischen Krankenpflegeschulen erfolgen durfte, während die wiederum für „Personen deutschen oder artverwandten Blutes“ natürlich verschlossen blieben.

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