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Chronik und Quellen
1938
Juni 1938

Berichte aus Konzentrationslagern

Im Sommer 1938 verfassten zuvor ausgewanderte ehemalige Häftlinge der Konzentrationslager Buchenwald und Sachsenhausen, die im Rahmen der Verhaftungsaktion Mitte Juni 1938 verhaftet worden waren, Berichte über ihre Erlebnisse in den KZs. Diese wurden anschließend (frühestens im Herbst 1938) zu folgendem Gesamttext zusammengefasst:

Es sind Menschen, denen die Todesfurcht aus dem Blick spricht, wenn sich ihre Lippen lösen. Das Grauen schwingt in ihren Worten mit, wenn sie ihr Herz von Erlebnissen befreien, die wiederzugeben der menschlichen Sprache fast versagt ist. Es sind entlassene Häftlinge aus deutschen Konzentrationslagern. Einige von jenen wenigen, die nach Wochen oder Monaten in das Licht des Lebens zurückkehren konnten, weil sie oder ihre Angehörigen die Auswanderung in irgendein fernes Land bewerkstelligen konnten. Nachweisbare Auswanderung ist der einzige Schlüssel, der die Tore der Konzentrationslager nach außen zu öffnen vermag. Nur wenige werden dieses Schlüssels habhaft, weil die Tore der Welt fast überall für die Emigration verriegelt sind. Auch die kleinen südamerikanischen Länder verlangen heute von den Einwanderern den Nachweis größerer oder kleinerer Beträge. Also Devisen, die in Deutschland so knapp sind. Trotzdem konnte der eine und der andere Häftling durch Beschaffung der erforderlichen Einwanderungspapiere und -gelder befreit werden.

Beurlaubt - nicht entlassen!

Bei der Entlassung aus dem Konzentrationslager wird der Häftling erst außerhalb der Lagertore den Kriminalbeamten, die ihn in Empfang nehmen, übergeben. Nicht einmal diese dürfen den Boden eines Konzentrationslagers betreten. Vor jedem Blick geschützt, regieren dort allein die Totenkopfverbände der SS. Ist der Häftling in seinen Heimatort zurückgekehrt, so wird ihm ein bestimmter Termin gestellt, bis zu welchem er ausgewandert sein muss. Bis zu diesem Tage hat er sich täglich bei der Polizei zu melden. So wird er weiter, solange er deutsche Luft atmet, unter schwerstem seelischem Druck gehalten. Ist der Tag der Entlassung gekommen, so wird ihm eröffnet: »Sie sind nicht entlassen, Sie sind nur beurlaubt. Der Arm der Gestapo reicht weit! Sie dürfen niemandem das Geringste von dem erzählen, was Sie erlebt oder gesehen haben. Sie dürfen niemandem Ihren Körper zeigen! Sonst haben Sie Ihr Leben verwirkt! Unsere Auslandsorganisation ist groß und mächtig genug, um an Ihnen überall in der Welt die Strafe zu vollziehen.«

Unter diesem furchtbaren Druck befinden sich jene entlassenen Schutzhäfflinge, aus deren grauenvollen Berichten sich das folgende Bild zusammensetzt. Die Rücksicht auf sie macht größte Vorsicht bei der Verwendung und die Verwischung aller Spuren zur menschlichen Pflicht. Die Angaben, welche die einzelnen Gewährsmänner machten, sind sorgfältig auf ihre Übereinstimmung und Zuverlässigkeit verglichen und überprüft. An der Wahrheit kann kein Zweifel bestehen. Wenn jemand sich fragt, ob derartige Zustände mitten in Europa, innerhalb eines Landes von alter Kultur möglich sind, so muss ihm leider geantwortet werden, dass dieser Bericht und dass Worte überhaupt nur ein unzulängliches Bild der grauenvollen Wirklichkeit wiederzugeben vermögen. Tatsächlich spielen sich Tag um Tag Dinge ab, die selbst ein satanisches Vorstellungsvermögen sich nicht vorzustellen vermag. Um aber wenigstens einigermaßen wirklichkeitsgetreu zu sein, werden im Folgenden Ausdrücke wiedergegeben werden müssen, die der halbwegs zivilisierte Mensch nicht über seine Lippen bringt, die aber die Sprache der Konzentrationslager und ihrer Besatzung sind. „Le style c'est l'homme“ - das gilt auch hier, wiewohl die Bezeichnung »Mensch« hier verfehlt scheint.

Juni 1938

Über die deutschen Konzentrationslager ist in den ersten zwei, drei Jahren nach Errichtung des Dritten Reiches mancherlei veröffentlicht worden, was das Entsetzen der Welt erregte. Dann wurde es um diese Dinge allmählich still. Man glaubte, es habe sich um Vorkommnisse, um Ausschreitungen der ersten revolutionären Epoche des Nationalsozialismus gehandelt. Man meinte, mit der Befestigung der nationalsozialistischen Macht sei diese schlimmste Form des Terrors langsam liquidiert, man nahm an, mit den Erfolgen der Regierung Hitler nach innen und nach außen und mit ihrer Stabilisierung würden auch allmählich jene Elemente ausgemerzt sein, auf deren Schuldkonto die unmenschlichen Vorkommnisse der Jahre 1933-35 zu setzen waren. Dieser Glaube ist irrig! Dies beweist erschreckend der Sommer 1938. Vom 13. bis zum 20. Juni 1938 ergoss sich plötzlich und unvermittelt eine Welle von Verhaftungen über das ganze Reich, die in ungezählte Häuser Furcht und Entsetzen trug. Es waren Juden und Nichtjuden, die in dieser Woche Tag für Tag im frühesten Morgengrauen durch Kriminalpolizeibeamte aus ihren Betten geholt wurden. Niemand wusste, weshalb und warum. Jeder fühlte sich gefährdet. Viele wagten nicht mehr, in ihren Wohnungen zu schlafen, manche verreisten. In den ersten drei, vier Tagen der Aktion war vollkommen undurchsichtig, unter welchen Gesichtspunkten die Verhaftungen vorgenommen wurden. Erst allmählich ergab sich das Bild, dass nach einem Erlass des Reichsministers des Inneren von Ende 1937 Vorbestrafte in »Vorbeugungshaft« genommen werden können. Voraussetzung war eine Strafe schon von ganz geringer Höhe, oftmals irgendeine kleine Polizeistrafe wegen Überschreitung der Polizeistunde, ein Verkehrsdelikt oder dergleichen. Wahllos traf die Verhaftungswelle den einen wie den anderen, jedenfalls aber Menschen, die, wenn sie je etwas sich hatten zu Schulden kommen lassen, dies längst gesühnt hatten. Die »Sonderaktion Juden« wurde mit besonderer Schärfe durchgeführt, fast niemand ahnte auch nur, weshalb seine Verhaftung erfolgte, geschweige denn, welche furchtbaren Folgen sie für ihn haben würde. Über das Schicksal der Inhaftierten erfuhr man zunächst nichts. Die bange Sorge der Ungewissheit lastete auf ihren Familien. Dann sickerte allmählich durch, dass die Verhafteten erst auf die örtlichen Polizeiämter gebracht wurden, dass sie dann einen Lebenslauf niederschreiben mussten und dass es von dort weiter ging in das düstere rote Riesengebäude des Polizeipräsidiums am Alexanderplatz in Berlin, dessen Kasematten, Säle und »Bunker« sich immer dichter mit der lebenden Beute füllten. Ebenso die Polizeipräsidien anderer Großstädte. Einige wenige - sehr wenige - der Verhafteten wurden sehr bald wieder entlassen, sei es, weil sie Papiere vorweisen konnten, aus denen ihre dicht bevorstehende Auswanderung hervorging, sei es wegen besonders auffälliger körperlicher Gebrechen, z.B. einarmige oder einbeinige Kriegsverletzte; aber auch solche Körperbehinderten keineswegs ausnahmslos. Ein unheimliches Treiben, Kommen und Gehen herrschte in jenen Tagen und Nächten in dem roten Hause am Alexanderplatz. Das Rattern der mit ihrer Beute überladenen Wagen auf den Höfen nahm kein Ende. In Räumen, die für 20 oder 30 Häftlinge vorgesehen und mit Schlafpritschen ausgestattet waren, nächtigten eng zusammengepfercht hundert Mann oder mehr und harrten in höchster Nervenspannung ihres Schicksals. Nicht lange, so sollten sie es kennenlernen. Sie waren bestimmt zur Auffüllung der Konzentrationslager.

Dorthin geht in der Woche, die am Montag, den 13. Juni, begann, Transport auf Transport ab. Irgendein Entrinnen gab es nun nicht mehr. Bei einem der Transporte, die am 17. Juni abrollten, befand sich ein Mann, der als frommer Jude während der Haff am Alexanderplatz unaufhörlich für sich gebetet hatte. Jetzt, im Augenblick des Aufbruchs, verließen ihn die Kräfte. In schwerem Herzkrampf wand er sich zuckend am Boden. Mithäftlinge wandten sich an den Polizeiaufseher und zeigten ihm den Mann, der völlig transportunfähig war, baten für ihn um einen Arzt. Der Aufseher hatte noch so viel Menschlichkeit, um bei seiner Vorgesetzten Stelle nachzufragen. Deren Bescheid aber war verneinend. Auch dieser Mann musste, von seinen Schicksalsgenossen gehoben und gestützt, hinein in das Transportauto, das die Zahl seiner Insassen kaum fassen konnte ... Dieses eine Beispiel soll für viele dienen und die Art und Form dieser Aktion illustrieren.

Die Welt hat schon manches gehört von dem Konzentrationslager Dachau und seinen Schrecken. Man weiß, dass es seit dem Umsturz in Österreich vornehmlich für Häftlinge aus Wien und Österreich überhaupt dient. Jetzt aber tauchen zwei neue Namen von Konzentrationslagern auf, von denen die Öffentlichkeit bisher wenig gehört hatte. Es sickert durch, dass die Transporte der ohne Richterspruch ihrer Freiheit Beraubten vornehmlich in Richtung nach Weimar, einst die Stätte höchster deutscher Kultur, und in die Nähe Berlins, nach Oranienburg rollen. Die beiden Namen, an denen von jetzt an unsagbare Leiden und viele, viele, Tränen haften, lauten: Buchenwald bei Weimar und Sachsenhausen bei Oranienburg.

Wenn die Zahl der Toten bei den Unruhen im Sudetengebiet vom 12. bis 17. September 1938 mit insgesamt 30 angegeben wurde, so ist die Zahl der Todesopfer während der ersten Woche in diesen beiden Konzentrationslager nicht geringer, sondern höher gewesen! Sie hat sich inzwischen von Woche zu Woche, wenn auch nicht im gleichen Tempo, unaufhörlich vermehrt und dürfte Ende August 1938 bei etwa 150 bekanntgewordenen Fällen halten. Aber keineswegs wird jeder Todesfall überhaupt bekannt. Welchen Umfang die Verhaftungsaktion vom Juni, die am 19. und 20. Juni durch zweimaligen Geheimbefehl an die Kriminalpolizei scharf abgestoppt wurde, insgesamt gehabt hat, ist authentisch nicht bekannt. Jedenfalls wurde Sachsenhausen nach den im Lager angeschlagenen Bestandsangaben auf etwa 10000 Mann aufgefüllt, und diese Zahl dürfte auch ein Maßstab für Buchenwald sein. Die dortige Zahl der Juden unter den Häftlingen wird auf 1500 bemessen, in Sachsenhausen auf etwa 1000. Hier war der Abgang durch Todesfälle nicht ganz so rapide wie in Buchenwald, wo die Zahl der jüdischen Häftlinge vornehmlich durch Tod und teils durch Entlassung auf etwa 1200 zurückgegangen sein dürfte.

Drei Mark Gebühr für die Aschenreste

Die Mitteilung des Todes an die unglücklichen Frauen oder anderen Hinterbliebenen der Opfer erfolgt wohl in der einzig dastehenden Form einer polizeilichen Benachrichtigung, die Betreffende möge sich dann und dann beim Polizeibüro einstellen, um gegen eine Gebühr von drei Mark die Aschenüberreste ihres Ehemannes in Empfang zu nehmen. Als Todesursache wird kurz »Gehirnschlag« oder »Auf der Flucht erschossen« angegeben. Was es hiermit auf sich hat, folgt weiter unten. Diese unglaubliche Bewertung menschlicher Empfindungen entspricht genau der Bewertung eines Menschenlebens durch die Herren der Konzentrationslager, diese Willensvollstrecker des Dritten Reiches. Denn Konzentrationslager bedeutet Todesstrafe ohne Ankläger und ohne Richter, langsame, qualvolle seelische und körperliche Vernichtung voll grausamer Planmäßigkeit, gegen die der Vollzug der Todesstrafe an einem Mörder durch Galgen, Beil oder elektrischen Stuhl human ist.

»Wir sind nicht human...«

In langen Zügen rollten von Tag zu Tag die Transporte, vollgepackt mit ihrer unglücklichen Beute, in die Konzentrationslager ein. Schon stehen die Henker bereit zum Empfange. Schon gibt es beim Abspringen von den Wagen ziellos und wahllos die ersten Faustschläge, Fußtritte und Flüche. Die Hölle hat ihre Opfer in Empfang genommen. Wes Geistes dieser Ort ist, daran lässt die Ansprache des Lagerkommandanten, die bald darauf folgt, keinen Zweifel: »Ihr seid hier in keinem Gefängnis, in keinem Zuchthaus - Zuchthaus und Gefängnis sind human. Wir sind nicht human!« Und schon hier fällt von den Lippen des Lagerkommandanten [von] Sachsenhausen - nach seiner Unterschrift ist der Name von Jananovsky [SS-Oberführer Hermann Baranowski (genannt »Vierkant«)] - das Leit wort, das sich wie ein roter Faden durch die nun beginnenden Tage und Wochen der Häftlinge ziehen soll, das Wort:

»Peng - und Scheißdreck wird weggeräumt!«

Peng: Das heißt ein treffsicherer Schuss des SS-Postens aus dem Karabiner, »Scheißdreck« - das bedeutet ein Menschenleben; ein entseelter Körper, der »weggeräumt« wird - und dessen angebliche Aschenreste eine Witwe gegen drei Mark Gebühr dann in Empfang nehmen kann. Immerhin, der Herzschuss aus dem Karabiner ist noch der glimpflichste Tod, den freiwillig manch einer sucht, um von der Qual erlöst zu werden, die er nicht mehr erträgt. Er ist dann »auf der Flucht erschossen«.

»Zur roten Fahne ...«

Unter den Häftlingen heißt dies »Zur roten Fahne« gehen. Die Methoden, mit denen sie dazu gebracht werden, sind ebenso raffiniert wie abscheulich, und es gehört oft wahre Charakterstärke dazu, dieser Versuchung zu entgehen. Beispiele werden noch folgen. Ein Fall dieser Charaktergröße aber sei hier angeführt. Es ist der eines früheren Arztes in Wien, Dr. Niedermeier, der als einziger Häftling aus Österreich in Sachsenhausen interniert und Gegenstand ganz besonderer Quälereien ist. Sein »Verbrechen« besteht darin, dass er unter der Regierung Schuschnigg eine Broschüre gegen die Sterilisation2 geschrieben hat. Kaum war dieser Grund seiner Verhaf tung bekannt, als die SS-Führer von Sachsenhausen um ihn herum eine »Laube« bildeten, wie es in der Lagersprache heißt, d.h. sich dicht um ihn herumstellten, ihn auf das furchtbarste beschimpften, ihm mit Abschneiden der Geschlechtsteile drohten und ihn mit Fußtritten egalierten. Überall, wo er sich im Lager oder bei der Arbeit zeigte, machten seine Quälgeister einander auf ihn aufmerksam. Bei der Arbeit an einem Schießstand für die SS wurde er auf einen hohen Sandhügel gerufen und musste sich mit dem Gesicht zu den dort versammelten SS-Führern, mit dem Rücken zum Abhang aufstellen. Unter rohen Beschimpfungen und zur Belustigung seiner Quälgeister wurde dem Arzt ein furchtbarer Faustschlag gegen den Kehlkopf versetzt, sodass er hinten kopfüber den Hügelabhang hinunterflog. Dann wurde er wieder hinaufgerufen. Halb betäubt eilt er den Hügel hinan und muss sich in der gleichen Stellung wieder aufbauen. Ein neuer Fausthieb. Wieder stürzt er hinunter. Wieder muss er hinauf. Und so wiederholt sich dasselbe Schauspiel immer von neuem. Man nennt dies in der Lagersprache, einen Häftling »fertigmachen«. Fertig machen für die »Rote Fahne«. Diese roten Fähnchen umgeben den Arbeitsplatz der Häftlinge, sie grenzen die so genannte »neutrale Zone« ab, die kein Häftling überschreiten darf. Die SS-Posten stehen mit geladenen Karabinern bereit, um ihn »auf der Flucht« zu erschießen. Doktor Niedermeier hat trotz der besonderen Quälereien, denen er ganz speziell tagaus, tagein ausgesetzt war, den Weg zur roten Fahne, auf den man ihn zwingen wollte, nicht angetreten. Denn er hat an seine fünf Kinder gedacht. Wie mag es ihm heute ergehen? Ob er noch lebt...?

Die gleiche Standfestigkeit brachte ein anderer Leidensgenosse, ein Architekt Neubauer1 aus München, ein etwa 50-jähriger Mann, den Quälereien gegenüber nicht auf. Er zog es schließlich vor, zur Roten Fahne zu gehen und den Gnadenschuss in Empfang zu nehmen. Er war unter anderem folgender Prozedur, die gelegentlich an Häftlingen vorgenommen wird, unterworfen worden: Der betreffende Häftling muss in der Nähe der Arbeitsstätte ein tiefes Loch schaufeln und sich hineinstellen. Andere Häftlinge müssen das Loch so weit zugraben, dass nur noch sein Kopf herausschaut, wie ein Kohlkopf aus dem Felde. In dieser unbeschreiblichen Lage bedrohen ihn die SS-Männer mit ihren Revolvern, legen auf seinen Kopf an wie auf eine Zielscheibe und treiben mit seiner Hilflosigkeit und Todesfurcht ihre Scherze, bis er dann wieder ausgegraben wird.

Einkleidung

Das Leben, richtiger gesagt, das Vegetieren des Schutzhäft-lings beginnt mit dem Abgeben der Zivilsachen und der Einkleidung in die Sträflingsuniform. Die Montur, die nun sein Kleid bilden wird, wird ihm zugeworfen, ohne Rücksicht, ob sie ihm passt oder nicht. Kleine schmächtige Menschen bekommen Sachen, die für große lange bestimmt sind. Breite und dicke solche, die für schlanke schmale. Auf Leute mit Bäuchen - und die Mehrzahl der Häftlinge ist in reiferen Jahren, es sind sogar solche von über 70 darunter - hat man es besonders abgesehen. Jeder Bauch fordert die Instinkte zu quälen besonders heraus wie überhaupt jedes Gebrechen und jede Schwäche. Ein Beispiel: Ein dicker Mann hatte ein paar Hosen bekommen, die ihm viel zu eng waren und die er über dem Bauch beim besten Willen nicht zuknöpfen konnte. Schon rief man ihm zu: Wir werden dir zeigen, du Schwein, dass dir die Hose passt. Er musste mit der Hose vor einen SS-Mann treten, der auf einem Stuhl saß und ihm mit dem Stiefel gewaltsam den Bauch eintrat, während ihn von hinten andere SS-Leute festhielten.

Ein Musikdirektor aus Breslau namens Rosendorf ist durch Tritte in den Bauch elend zugrunde gegangen. Die blutigen Spuren der eisenbeschlagenen Stiefel wurden kurz vor seinem Tod von anderen Häftlingen an seinem Körper noch gesehen.

Fußtritte in den Bauch mit den schweren eisenbesetzten Stiefeln, Fußtritte ins Gesäß, so häufig, dass der Betroffene unter Schmerzen nicht mehr sitzen kann, Fußtritte in die Waden, deren rote Narben man noch nach Wochen bei Entlassenen sehen kann, Fußtritte von vorn und vor allem von hinten sind das tägliche Los des Häftlings. Fußtritte, Fußtritte. Unter Fußtritten sterben Menschen am »Gehirnschlag«. Menschen werden buchstäblich zertreten. So ist es in Sachsenhausen z.B. vorgekommen, dass ein Mann nur noch als Klumpen Fleisch am Boden lag, während ihn der SS-Blockführer anbrüllte und mit Füßen trat, er solle aufstehen, bis dessen Untergebener ihm meldete: »Die Judensau ist schon tot.«

Wie die dicken Leute, so sind auch alle, die das Unglück haben, mit einem Gebrechen behaftet zu sein, und die Älteren, weniger Beweglichen, die Zielscheibe besonderer Grausamkeit. Von älteren Menschen, die es meist im Leben zu etwas gebracht haben, wie Kaufleuten, leitenden Angestellten, Akademikern, Intellektuellen in vorgerückten Jahren wird mehr verlangt als in der strammsten Armee der Welt von einem gesunden, jungen, achtzehnjährigen Rekruten. Als »Intellektueller« zu gelten ist ein besonderes Stigma. Die Brillenträger werden besonders aufs Korn genommen. Schon bei den ersten Schlägen und Püffen gehen die Brillen meist in Scherben. Einen Ersatz dafür gibt es nicht. Der Kurzsichtige, der nun seiner Brille beraubt ist, hat dann wegen seiner Unbeholfenheit besonders zu leiden. Denn an jedem menschlichen Leiden entzünden sich die Hasstriebe der SS-Männer nur umso stärker. Ein Einäugiger verlor gleich unter den ersten Misshandlungen nach seiner Ankunft sein künstliches Auge. Alle Versuche, einen Ersatz dafür zu bekommen, waren vergeblich. Kann man sich diese qualvolle Lage vorstellen? Kann man sich die qualvolle Lage solcher Menschen vorstellen, denen gleich bei der Einkleidung zusammen mit ihrem Zivilanzug die Bruchbänder abgenommen werden, die sie wegen eines Leisten- oder Hodenbruches tragen müssen und die nun die unglaublich schwere körperliche Arbeit rücksichtslos ohne ihr Bruchband zu ertragen haben? Da war in [Sachsen]hausen ein Mann - auch dies soll nur eine einzelne Illustration [für das] Ganze sein - mit einer vom Kriege her verstümmelten Hand [- die] Tatsache, dass jemand einen Teil seiner Gesundheit und Schaffenskraft im Kriege eingebüßt hat, ist hier keineswegs ein Milderungsgrund, im Gegenteil! Der »Dank des Vaterlandes« besteht im Konzentrationslager in verschärftem Martyrium. Dem Manne mit der zerschossenen rechten Hand erging es derart schlecht, dass er sich nach wenigen Wochen krank melden musste.

Arzt oder Unmensch?

Sich krank zu melden ist freilich das größte Risiko, das der Insasse eines Konzentrationslagers eingehen kann. Wenn er es doch tut, so geschieht es in letzter Verzweiflung und mit dem Gefühl des Todes im Herzen. So war es auch bei jenem Kriegsverletzten. Die Häftlinge, die sich krank melden wollen, haben vor dem Lagerarzt anzutreten. Sie werden von ihm nicht untersucht, um ihre Krankheit festzustellen, sondern sie haben einfach ihren Namen und ihre Krankheit selbst zu melden. Der »Arzt« des Lagers Sachsenhausen steht unbewegt da und macht bei jedem einzelnen nur ein Zeichen mit dem Dau men, nach links oder nach rechts. Nach rechts, das bedeutet, dass der Patient in Behandlung kommt, nach links heißt: Schwerste Arbeit! Fast immer geht der Daumen nach links. In Sachsenhausen bedeutet dies Arbeit an dem Schießplatz, der für die SS-Truppen von den Häftlingen gebaut wird; die schwerste Arbeit überhaupt, bei der dann der »Simulant«, der sich hatte krank melden wollen, noch besonders scharf herangenommen und in seinem gesundheitlichen Zustand oft genug ins Jenseits befördert wird. Auch bei jenem Kriegsbeschädigten mit der zerschossenen Hand ging der Daumen des Arztes nach links. Kaum konnte er sich bei dem Eilmarsch von etwa einer halben Stunde bis zur Arbeitsstelle schleppen. Dort angelangt, wurde der Veteran zur schwersten Arbeit herangeholt, die es überhaupt gibt: Zum Ausroden der Stümpfe und Wurzeln gefällter Bäume. Durch Flüche, Schläge, Fußtritte immer wieder angetrieben, arbeitete der halb Ohnmächtige die qualvoll langen Stunden eines Tages, der kaum zu Ende gehen wollte. Dann wurden die schweren Baumstümpfe, die tief aus dem Erdboden gerodet worden waren, auf einen Wagen verladen. Die ganze Arbeitskolonne trat zum Rückmarsch ins Lager an, der Wagen mit seiner schweren Last an der Spitze. Er musste von Häftlingen, die davorgespannt waren, wie von Pferden gezogen werden. Und dies im schnellsten Tempo, immer vor der im Eilmarsch nachrückenden Kolonne her. Unter den menschlichen Zugtieren, die in ihren Riemen ächzten und keuchten, befand sich der Kranke mit der zerschossenen Hand. Er wurde buchstäblich mitgeschleift, seine Füße trugen ihn nicht, alle Kräfte hatten ihn verlassen. So traf der Zug im Lager ein. Nach beendeter Arbeit müssen dort vor den Blocks der Baracken alle Häftlinge in Reih und Glied antreten. In Habtacht-Stellung nahmen sie Aufstellung zum Appell. Der Mann mit der zerschossenen Hand stand in seiner Reihe. Die letzten Kräfte waren aus seinem Körper gewichen, er konnte sich nicht mehr aufrecht halten und sackte zusammen. Scharfe Befehle, Fußtritte. Er soll aufstehen. Ein letzter Versuch, sich aufzurichten. Vergeblich. Hilflos liegt er am Boden. Sinnlose Wut bei dem Vorgesetzten. Nur noch ein leises Wimmern tönt aus dem Häufchen herauf, das da am Boden liegt. Wildere Fußtritte, ganz gleich wohin sie treffen. Dann hört auch das Wimmern auf. Ein Kriegsverletzter ist beim Appell im Konzentrationslager buchstäblich zertreten worden. Es war nicht der einzige ...

»Der Dank des Vaterlandes«

Gerade die ehemaligen Frontkämpfer und Veteranen unter den jüdischen Häftlingen sind Zielscheibe des Hasses. Man will es nicht wahrhaben, dass auch Juden in Deutschlands schwerster Zeit, im Weltkrieg, in Ehren ihre Pflicht erfüllt haben. Man verfolgt sie besonders aus dem instinktiven Gefühl heraus, den schonungslosen Antisemitismus vor sich selbst rechtfertigen zu müssen, weil er doch gerade solchen Männern gegenüber sich selbst in seiner ganzen Ungerechtigkeit und Sinnlosigkeit widerlegt. Man hasst die Juden besonders, die für ihre Tapferkeit vor ihrem Feinde ausgezeichnet worden sind, man reißt ihnen schon beim Eintreffen im Lager das Eiserne Kreuz oder das Verwundetenabzeichen vom Rock, zertritt es, verhöhnt sie, beschimpft und misshandelt sie. Dass man damit gleichzeitig die deutsche Soldatenehre besudelt, wird den primitiven Folterknechten in der schwarzen SS-Uniform nicht bewusst. Ihnen fehlt jedes Verständnis dafür. Die wenigsten von diesen Burschen haben selbst den Krieg noch kennengelernt. Sie sind nur gedrillt auf die Vernichtung eines angeblichen Feindes, der sich nicht wehren kann. Aber oftmals am Abend sprechen die alten Frontsoldaten unter den Häftlingen davon, dass sie lieber noch einmal vier lange Jahre in der Hölle von Verdun oder im Trommelfeuer an der Somme verbringen würden, wo ihnen der Gegner Angesicht in Angesicht gegenüberlag, als vier Wochen im Konzentrationslager, wo der grausamste aller Feinde jeden Augenblick im Rücken der Wehrlosen lauert.

Der Steinbruch von Buchenwald

In Buchenwald bei Weimar beginnt der Tag nachts um 3 Uhr mit dem Wecken. Die Barackenbauten sind hier noch so unzulänglich, dass, nach dem Bericht entlassener Häftlinge, diese zum Schlafen in Schafställen untergebracht waren, wo sie eng zusammengepfercht auf dem Boden die Nächte verbrachten. Die Ermüdung durch die übermenschliche Arbeit war dabei so groß, dass sie trotz der Schmerzen durch die am Tag erlittenen Misshandlungen schlafen konnten. Der Dienst dauerte hier von 3 Uhr morgens ab, täglich 13 Stunden bei schwerster körperlicher Arbeit! Die schlimmste Arbeit, zu der man hier eingeteilt werden kann, ist die Arbeit im Steinbruch, zu der der Anmarschweg allein eine Stunde dauert. Die Steinbrucharbeit, das Hauen, Schleppen, Aufladen, Transportieren der Steine ist die schwerste Arbeit, die es wohl überhaupt gibt. Für Menschen, die aus intellektuellen Berufen kommen, ist sie unerträglich, führt zu baldigem Kräfteverfall und auf die Dauer zum sicheren Tod. Hieraus sind die besonders zahlreichen Todesopfer in Buchenwald leicht zu erklären. Anscheinend hat man sich den Frondienst der Juden beim Pyramidenbau in Ägypten hier zum Muster genommen. Was sich dort im Steinbruch bei Weimar schon abgespielt hat, mag der folgende, zuverlässig berichtete Vorfall nur andeuten: Ein nicht eben kräftiger Häftling in mittleren Jahren ist eben mit größter Anstrengung bemüht, einen Steinbrocken emporzuheben. Der SS-Führer, der die Aufsicht hat, ruft ihn, und der Mann schleppt sich mit dem Stein heran. Er wird angefahren: »Du Judensau willst dich vor der Arbeit drücken? Einen solch kleinen Stein hebst du auf? Gib ihn her und nimm einen größeren.« - Der Mann gibt den Stein dem SS-Führer, der ihn in beide Hände nimmt, und läuft zurück, um mit allen Kräften ei nen größeren Stein zu heben. Während er sich bückt, ist der SS-Führer von hinten an ihn herangetreten und hat ihm den Steinbrocken in seinen Händen mit solcher Wucht gegen den Nacken gestoßen, dass der Häftling lautlos auf sein Gesicht zusammenbricht.

Wer dort zusammenbricht, um nicht wieder aufzustehen, der wird von zwei Mann an den Füßen gepackt und, das Gesicht am Boden, ins Lager zurückgeschleift, über Stock und Stein, über scharfen Fels und harte Baumwurzeln. Wenn der Körper im Lager angelangt ist, dann ist bestimmt kein Lebensodem in ihm. Zu Tode geschleift...

Kein Wasser...

Im Juli 1938, bis in den August hinein, brütete über ganz Deutschland eine ganz ungewöhnliche Sommerhitze. Durch sie wurden die Qualen der Häftlinge noch weiter gesteigert. Buchenwald ist hoch gelegen. Wie schon gesagt, war dieses Konzentrationslager noch sehr provisorisch und ungenügend für die Masseneinquartierung eingerichtet, die es in der berüchtigten Woche vom 13. bis 18. Juni aufnehmen sollte. Das Wasser musste von unten heraufgepumpt werden. Die Wasserversorgung war äußerst mangelhaft. Das Einfachste, was jedes Lebewesen braucht, der Trunk Wasser, war den Häftlingen, die in glühender Hitze die schwerste Arbeit 13 Stunden am Tag verrichten mussten, versagt. Eine Quälerei ohnegleichen! Volle zehn Tage lang sind diese Unglücklichen überhaupt ohne Wasser gewesen! Es waren die Tage der meisten Todesfälle.

Das »Leben« im Lager

Beginnt in Buchenwald der Tag nachts um drei und dauert das Tagewerk dreizehn Stunden, so ist in Sachsenhausen das Wecken »erst« um 5.30 Uhr morgens und der Arbeitsdienst währt »nur« elf Stunden. Das Lager besteht aus 60 Blocks, die meisten dieser Holzbaracken dienen als Quartiere für die Häftlinge. Ein Konzentrationslager ist in drei weiten konzentrischen Kreisen Tag und Nacht von einer dreifachen Postenkette umgeben. Die äußerste Absperrung nach außen bildet der elektrisch geladene Stacheldraht rundum. Dazwischen befinden sich mit Maschinengewehren besetzte Türme, stets zum Feuern bereit, sowie Scheinwerfer für die Nacht, die nimmermüde im Dunkeln umherspähen und denen nicht das Geringste entgeht. Wo sich nachts das Geringste regt, dorthin konzentrieren die Scheinwerfer ihr Licht, und im nächsten Augenblick setzt das Feuer ein. Das gesamte Dasein der Insassen sowohl im Lager wie auf den Arbeitsplätzen außerhalb des Lagers vollzieht sich unter unaufhörlicher Todesdrohung der Maschinengewehre und Karabiner. Von der Zucht im Lager macht sich derjenige schwer eine Vorstellung, der sie nicht erlebt hat. Unaufhörlich finden Tag für Tag Zählkontrol-len der Häftlinge statt, die nach Blocks zusammengeschlossen sind. Zähikontrollen morgens beim Antreten, Abzählung beim Ausmarsch zur Arbeit. Scharfe Kontrolle beim Einmarsch ins Lager. Neue Zähikontrolle abends beim Appell, wenn die gesamte Mannschaft nach Blocks angetreten ist. Wehe, wenn einer fehlt, wenn irgendetwas bei der Zählung nicht stimmt! Als bei der Zählung in Buchenwald einmal etwas nicht stimmte und das Ergebnis der Abzählung gegenüber dem Sollbestand des Lagers um einen Mann abwich, mussten die Häftlinge in glühender Hitze, ausgerichtet in Reih und Glied, nach mehrfachen übereinstimmenden Angaben zwölf Stunden in Habtachtstellung verharren. Die Unglücklichen mussten so in vorgeschriebener Haltung unter der Mündung von Maschinengewehren stehen bleiben, ohne ein Glied rühren zu dürfen. Wehe dem, dem die Knie einsanken! Auch die natürlichsten menschlichen Bedürfnisse waren während der ganzen Zeit kein Grund, austreten zu dürfen. Der Schweiß lief an den Körpern herab. Die Muskeln versagten.

Es war eine Tortur unerhörter Art. In gleicher Lage standen die Insassen von Sachsenhausen, als sich einmal bei der Zählung eine Differenz von fünf Mann des Bestandes ergab, bereits anderthalb Stunden. Dann stellte sich nach mehrfach wiederholtem Abzählen heraus, dass man versehentlich eine Rotte von fünf Mann nicht mitgezählt hatte. - Ein furchtbares Warnungszeichen haben dabei die Insassen von Buchenwald ständig vor Augen: Man wird sich erinnern, dass vor längerer Zeit, Monate vor der letzten Verhaftungsaktion im Juni, zwei Häftlinge des Lagers Buchenwald den SS-Posten, der sie bei der Arbeit beaufsichtigte, erschlagen hatten und entflohen waren; dem einen gelang es, sich im Auslande in Sicherheit zu bringen, der andere wurde gefasst und hingerichtet. Inmitten des Konzentrationslagers Buchenwald ragt ein Galgen zum Himmel empor, an ihm hängt - durch Einbalsamierung erhalten - der Leichnam jenes Hingerichteten. Tagaus, tagein haben ihn die Insassen von Buchenwald vor Augen.

Zählkontrolle

Vordermann und Seitenrichtung: Das ist das A und O der Lagerordnung. Vordermann und Seitenrichtung, genaues Hintereinander und Nebeneinander der Häftlinge in Reih und Glied, das stets einen Überblick über ihre Vollständigkeit gibt. So wird angetreten im Lager und so wird zur Arbeit und von der Arbeit marschiert. Das Marschtempo ist dabei ungeheuer schnell. Es ist eher ein Laufen als ein Gehen. Ein dauerndes Laufen. Die unaufhörliche pausenlose Bewegung, die irgendeine Ermüdung nicht anerkennt, muss den Menschen, die ja meist nicht mehr jung sind, den Atem nehmen. In diesem Tempo wird auch nach 13- oder elfstündiger harter Arbeit in das Lager zurückmarschiert. Auf Erschöpfung wird keine Rücksicht genommen. Misshandlungen, Fußtritte tun das ihre. Wer Zurückbleiben würde, ist als arbeitsscheu den schweren Strafen ausgesetzt, von denen noch zu sprechen sein wird. Die Häftlinge der verschiedenen Kategorien haben an ihren Röcken Abzeichen in Form eines Winkels von verschiedener Farbe. Es gibt die politischen Häftlinge, es gibt die Gewohnheitsverbrecher und die Arbeitsscheuen. »Gewohnheitsverbrecher«, mit grünem Winkel, sind die Insassen, die wirklich einmal eine strafbare Handlung begangen, diese aber verbüßt haben, sodass sie jetzt tatsächlich nicht auf Grund eines Deliktes im Konzentrationslager sitzen. »Arbeitsscheue« ist hier die offizielle Bezeichnung für die jüdischen Häftlinge. Schon diese Bezeichnung für Leute, die von der Gestapo im Juni 1938 plötzlich aus ihrem Beruf, aus ihrem Haus, aus ihrer Familie herausgerissen worden sind, zeigt die völlige Willkür-lichlceit dieser Maßnahme. Kennzeichnend dafür ist etwa folgendes Vorkommnis: In Sachsenhausen wird kurz nach seiner Internierung ein Häftling von SS-Führern herangerufen. Er meldet sich vorschriftsmäßig, wie dies von allen Juden dort verlangt wird: »Arbeitsscheuer X. (Familienname) Y. (Vorname)«. Er wird gefragt, was er von Beruf sei, und meldet: »Seit 20 Jahren in leitender, ungekündigter Stellung bei der Firma Z. in H.« - Ein bedeutendes kaufmännisches Unternehmen. Das sind die »Arbeitsscheuen«! Sie tragen einen braunen Winkel und zur Kennzeichnung als Juden außerdem einen gelben Winkel. Beide Winkel zusammen bilden die Form des Davidssterns.

Hygiene

Ein furchtbares Kapitel ist das des Gesundheitszustandes unter den Häftlingen. Die stark mit Soda gekochte Nahrung, die sich in neuerer Zeit wenigstens der Menge nach in Buchenwald verbessert haben soll, die suppige Form des warmen Essens und das Kommissbrot führen zu Durchfällen und Darmkatarrhen. Die Zahl der Latrinen im Lager ist völlig unzureichend. So kamen in Sachsenhausen auf tausend Juden, die dort zuerst gesondert zusammengepfercht waren, im ganzen drei Latrinen. (Von der Isolierung in Sachsenhausen wird noch zu sprechen sein.) Die verabfolgten Monturen müssen die Häftlinge tagaus, tagein tragen. In der Sonnenglut sind sie bis auf den letzten Faden durchgeschwitzt, bei Regen durchnässt. Ein Abwechseln der Kleidung gibt es nicht. Nachts dienen die Jacken als Kopfkissen. Die ihnen verabfolgten Stiefel sind oft nicht passend. In Buchenwald waren anfangs überhaupt keine Stiefel vorrätig, sodass die Häftlinge ihr leichtes, gewöhnliches Schuhwerk auf den Märschen und für die Arbeit tragen mussten. Es ging bald in Fetzen. Mit zerschunde-nen Füßen, blutenden Sohlen, oftmals mit tiefen Löchern, schleppt sich der Häftling - immer im Eiltempo und durch Misshandlungen und die Angst vorwärts gehetzt - durch sein elendes Dasein. Furchtbare Verheerung richtete die Hitze im Juli an. Mützen waren für die Tausenden von neu eingelieferten Häftlingen nicht vorhanden. Die Köpfe waren ihnen wie Zuchthäuslern kahl geschoren worden. Die Sonne war so erbarmungslos wie ihre Peiniger. Den ganzen Tag schufteten sie in dieser Glut. Furchtbare Sonnenbrände auf dem Kopf, im Gesicht, auf den Händen und Armen, waren für sehr viele die Folge. Einfettungsmittel gab es nicht. Die Haut fiel in Fetzen verbrannt herab. Die Schmerzen eines Sonnenbrandes sind furchtbar, oftmals von Fieber und Schüttelfrost begleitet. Eitrige Erscheinungen und Furunkel sind weit verbreitet. Die Folgen der Misshandlungen, der Schläge und Tritte kommen hinzu. Man sieht viele Verbände, insbesondere an den Händen, freilich Verbände, die die sonst gewohnte und übliche Hygiene vermissen lassen. In den Schlafräumen erhalten die Häftlinge lediglich Decken zur Nacht. Aber in Sachsenhausen z. B. war es in den Blocks für die Juden keineswegs immer dieselbe Decke, die der Einzelne zum Schlafen bekam. Dazu war es streng verboten, zum Schlafen die Beinkleider und Unterhosen anzubehalten. So wurden durch die wechselnden Decken infektiöse Krankheiten, Geschwüre und Furunkel von dem einen auf den anderen übertragen. Was es damit auf sich hat, sich krank zu melden und zum Arzt zu gehen, wurde schon ausgeführt. Es mag aber hier noch ein Beispiel für viele sprechen. Ein Häftling mit hohem Fieber, der sich völlig arbeitsunfähig fühlte, meldete sich krank. Der Daumen des Arztes in Sachsenhausen ging nach links, und so musste der Fiebernde mit hinausmarschieren zum Bau der Schießstände, die in Sachsenhausen den Steinbruch bei Weimar ersetzen. Hier erfand man zu seiner »Heilung«, wie Augenzeugen berichten, folgende besondere Beschäftigung: Er musste einen schweren Baumstamm, den ein kräftiger Mann allein kaum heben kann, den hohen Hügel durch den Sand hinaufschleppen bis zu dem SS-Posten, der dort in der Nähe der berüchtigten roten Fahne stand. Dann wurde der Stamm den Hügel hinunter wieder hinuntergestoßen, wieder musste er ihn hinauftragen und so immer wieder, etwa 50 Mal! Bei immer mehr versagenden Kräften eines von Fieber gepackten Menschen. Der Zweck, ihn für die rote Fahne »fertigzumachen«, d. h. die Erlösung durch einen Schuss des SS-Posten zu suchen, wurde in diesem Falle nicht erreicht. Ja, die SS hat in ihrem grausigen Reich, den Konzentrationslagern, ihre eigenen Methoden, Kranke gesund zu machen! Häufig kommen bei den Häftlingen durch die Art dieses Daseins naturgemäß sogenannte Hexenschüsse vor, diese sehr schmerzhaften, dem Rheumatismus ähnlichen Zustände in den Schultern, im Rücken und im Nacken, bei denen sich der Betroffene krümmt und nicht gerade gehen und stehen kann. Diese Ärmsten werden nicht etwa in eine Krankenstube gelegt und erhalten keinerlei Medikamente. Sie müssen sich in ihrem Zustande zum Dienst schleppen und alles mitmachen. Von hinten kommen ihre schwarzen Folterknechte und biegen sie mit Gewalt gerade! Es ist kein Wunder, dass die wenigen, die das Konzentrationslager verlassen dürfen, als an Leib und Seele gebrochene Menschen herauskommen, die meist erst monatelanger Pflege und Erholung bedürfen, wozu ihnen der Zwang zu baldiger Auswanderung kaum Zeit lässt. Ein jüdischer Schlächter aus Berlin, der, wie es sein Beruf mit sich bringt, ein leibhaftiges Bild blühenden, kraftvollen Lebens gewesen war, konnte Buchenwald schon nach wenigen Wochen als einer der Ersten zwecks Auswanderung verlassen. Er war jetzt ein Wesen, das mit tief gekrümmtem Rücken an zwei Stöcken über den Boden nicht dahinging, sondern kroch. Ein Bild elendesten Jammers. Anscheinend hatte er eine schwere Rückenverletzung durch Misshandlungen davongetragen. Er ging nach Südamerika.

Isolierung

Die Isolierungshaft für die jüdischen Häftlinge der Juni-Aktion war eine Besonderheit des Lagers Sachsenhausen, deren Beschreibung zur Vervollständigung des Gesamtbildes gehört. Ist ein Konzentrationslager an sich schon von der Außenwelt hermetisch abgeschlossen, so kamen die jüdischen Häftlinge innerhalb des Lagers Sachsenhausen noch in eine besondere Isolierungshaft, durch die sie wiederum von dem gesamten übrigen Lager streng abgesondert waren. Diese Isolierungshaft währte mit all ihren gesteigerten Schrecken etwa sechs Wochen. Während in Buchenwald die jüdischen mit den übrigen Insassen ohne besondere Trennung zusammenkamen, während sie dort ihr Geld und was sie sonst bei der Verhaftung bei sich hatten, behalten und zu kleinen Einkäufen verwenden konnten, gab es all dies in Sachsenhausen nicht. Erst nach Ablauf der sechs Wochen konnten dort die jüdischen Häftlinge zu ihrem eigenen Gelde kommen oder sich Geld schicken lassen und so durch Einkäufe in der Kantine ihre Kost etwas verbessern. Hierbei ist zu bemerken, dass von jeder Summe ein gewisser Prozentsatz von der Lagerverwaltung abgezogen und für die Kosten der Rückfahrt nach der Entlassung zurückbehalten wird. So müssen die unfreiwilligen Gäste sogar ihre Fahrtkosten selber tragen. Aus Buchenwald kamen auch schon etwa 14 Tage nach der Verhaftung die ersten Lebenszeichen der Inhaftierten; sie durften dort wenigstens in dem streng vorgeschriebenen Rahmen an ihre Angehörigen schreiben - natürlich, dass es ihnen gut gehe und dass man doch für ihre schnelle Auswanderung sorgen möge - sowie Post empfangen. Dadurch wurde der Name Buchenwald schneller bekannt, während Sachsenhausen in undurchdringliches Dunkel gehüllt blieb. Denn während der ganzen sechs Wochen der Isolierung gab es dort für die jüdischen Häftlinge auch nicht die geringste Verbindung mit der Außenwelt. Diese etwa tausend Menschen mussten in Holzbaracken nächtigen, die nicht annähernd für eine solche Zahl eingerichtet waren. Sie mussten eng aneinandergepresst auf dem Boden schlafen, ihre Häftlingsjacke als Kopfkissen. Der Raum zwischen ihren Baracken, innerhalb dessen sie antreten mussten und sich aufhalten konnten, war sehr eng und durch Drahtverhaue abgetrennt. Rauchen, dieser einzige Trost für viele, war unmöglich, da sie kein Geld hatten, etwas zu kaufen. Wenn sie am Sonntag sich in ihren wenigen freien Stunden dicht bei dicht auf diesem engen Platz zwischen ihren Baracken aufhielten, konnten sie jenseits der Absperrung gelegentlich den berühmtesten Insassen des Lagers Sachsenhausen sehen: Den Pfarrer Niemöller. Er befindet sich dort als Einziger in Einzelhaft, ging langsam im Kreise, eine Zigarre rauchend, spazieren. Während der Isolierungshaft konnten diese Unglücklichen auch nicht einmal eine der wenigen Zeitungen kaufen, die im Konzentrationslager zugelassen sind. Sie besaßen nicht das kleinste Stückchen Papier, wenn sie ihre Notdurft verrichten mussten. Alles war ihnen abgenommen, selbst die Taschentücher. Sie waren nicht im Stande, den herabströmenden Schweiß bei der Arbeit abzuwischen. Sie bekamen keine Feldflasche, um sich in der glühenden Hitze zur Arbeit Wasser mitzunehmen. So waren sie den gleichen erbarmungslosen Qualen des Durstes ausgesetzt wie ihre Leidensgenossen in Buchenwald.

Die Vorgesetzten

Wer aber sind die Vollstrecker dieses unmenschlichen Systems im Dritten Reich? Bei der bedingungslos harten Disziplin der SS ist es der Lagerkommandant, der den Ton angibt und dessen Willen zu entsprechen sich alles bemüht, was ihm untergeben ist. Der Ton, den er angibt, ist mit dem einen Wort charakterisiert, das schon zitiert wurde: »Peng - Scheißdreck wird weggeräumt«. Jede Rohheit, jede Brutalität gilt hier als Verdienst, und jeder versucht zu zeigen, dass Unmenschlichkeit seine Stärke ist. Die eigentlichen direkten Vorgesetzten der Häftlinge sind die Blockführer, SS-Männer, die in dieser Formation einen unteren Rang einnehmen. An der Spitze jedes Blocks steht ein Blockführer. Furchtbare Gesellen! Doch gibt es auch hier Nuancen. Es gibt Blockführer, die zwar erbarmungslos hart, aber dennoch gerecht sind, und es gibt andere, die ihre dunkelsten Triebe an den Häftlingen austoben. Was hierbei möglich ist, wird sich auch nach dem bisher Geschilderten keine menschliche Fantasie so leicht ausmalen können. Es soll ein Beispiel aus der Isolierungshaft in Sachsenhausen für das ganze System sprechen. Eines Nachts wurden die Insassen eines dieser Blocks aus dem Schlaf gejagt. Es wurde ihnen befohlen, sich anzuziehen und in Stiefeln im schnellsten Lauf aus dem Schlafraum durch eine kleine, schmale Tür in den nebenan befindlichen Essraum zu eilen. Ein Häftling, ein 70-jähriger Mann, musste quer vor der Tür liegen bleiben. Alle übrigen 150 Mann mussten über ihn wegrennen. An der Tür stand der Blockführer und teilte an die sich in dichten Knäueln durchdrängenden Häftlinge Fußtritte und Faustschläge aus. Unter ihren Stiefeln aber lag der 70-Jährige. Jedem Blockführer steht ein Block-Ältester zur Seite, der selbst ein Häftling und aus deren Schar vom Blockführer ausgewählt ist. Auch er hat Befehlsgewalt. Auch er darf schlagen und tut es meistens. Diese Block-Ältesten, die meist schon lange im Lager sind, haben den Drang, nach oben angenehm aufzufallen, in der Hoffnung, ihr eigenes Los dadurch zu erleichtern und vielleicht sogar ihre Entlassung zu beschleunigen. Es befinden sich unter ihnen meist politische Häftlinge. Durch besondere Rohheit und Gemeinheit zeichnet sich in Sachsenhausen ein ehemaliger Kommunist namens Hauer aus. Aus den Reihen der Sträflinge werden ferner die Vorarbeiter ausgewählt, die draußen, bei der Außenarbeit, die Aufsicht führen. Auch sie haben Misshandlungsrecht. Die Verlockung, durch Denunziationen und Brutalität das eigene Los zu verbessern, ist ein Umstand, dem die wenigsten charakterlich gewachsen sind. Erwähnenswert ist eine Strafe, die ein Block-Ältester während der Isolierung in Sachsenhausen für einen Häftling - es war ein Sänger aus Berlin - aussann: Dieser musste sechs Nächte während des heißen Sommers und bei geschlossenen Fenstern auf der Latrine schlafen! Ein andermal wurden die 150 Insassen der Baracke im Speiseraum mehrere Stunden bei geschlossenen Fenstern in größter Hitze in Reih und Glied aufgestellt und mussten unaufhörlich anstrengende Freiübungen machen, bis sie völlig durchnässt und zu Tode erschöpft waren. Dies nach der schweren Tagesarbeit! Vereinzelt werden auch jüdische Häftlinge als Vorarbeiter, Vorgesetzte ihrer eigenen Glaubensgenossen verwandt. Dies sind meistens Subjekte, die sich durch minderwertige Charakteranlagen hierfür eignen. Hier soll ein Name aus Sachsenhausen angeprangert werden: Ein gewisser Julius Woyda. Bei diesen Blockältesten und Vorarbeitern sind übrigens Durchstechereien an der Tagesordnung. Geldspenden werden von den Häftlingen erpresst.

Erwähnenswert ist die teilweise Verwendung österreichischer Formationen unter den Wachmannschaften in Buchenwald wie in Sachsenhausen. Nach Buchenwald wurde teilweise österreichische SA, nach Sachsenhausen ein österreichischer SS-Sturm versetzt. Es war dies eine Strafversetzung wegen in Wien begangener Disziplinwidrigkeiten. Die Österreicher hatten in Sachsenhausen Strafdienst, d. h., sie wurden den ganzen Tag beschäftigt und hatten abends keinerlei Ausgang, sondern mussten immer im Lager bleiben. Man kann sich die Wut dieser Männer vorstellen. Man kann sich aber auch unschwer vorstellen, wie sie diese Wut an den ihnen wehrlos ausgelieferten Häftlingen in der unmenschlichsten Weise abreagierten.

Lagerstrafen

All dies - die Demütigungen und Erniedrigungen, die Strapazen und Qualen, die Fußtritte und Misshandlungen -, all dies sind keineswegs Strafen im eigentlichen Sinne, sondern sozusagen das tägliche Brot des Häftlingsdaseins. Auch der »Sport«, wie es in der Lagersprache heißt, ist in diesem Sinne keine eigentliche Strafe. Die schwere Arbeit draußen, meist Erdbewegungen mit dem Spaten u. ä., vollzieht sich unter den scharfen Blicken der Vorarbeiter und unter der Beobachtung der bewaffneten SS-Posten. Dazu kommen häufige Besuche der höheren SS-Führer. Der Häftling muss ohne Nachlassen unaufhörlich arbeiten. Schwer arbeiten! Das Mittagessen wird während der Arbeit oft rasch im Stehen genossen. Der Häftling mag so erschöpft, so elend sein, wie er will - wehe, wenn er Spuren der Erschöpfung zeigt! Sie werden schwer geahndet. Er darf seiner Erschöpfung nie nachgeben, denn immer ist eine grausame Hand griffbereit hinter ihm. Erschöpfung wird als Gehorsamsverweigerung betrachtet. Zur Belebung des Arbeitswillens eines Erschöpften dient - Sport. »Sport« ist z. B. Folgendes: Der Häftling muss einen kleinen, kurzen Stock in die Erde bohren und oben mit der rechten Hand anfassen. Ohne ihn loszulassen, muss er sich in seitlich gebückter Haltung wie ein Kreisel immer im Kreise um diesen Stock herumbewegen. Stöße ermuntern ihn hierbei. Er rotiert um das Stückchen so lange im Kreise, bis ihn die Sinne verlassen. Oder ein anderer Sport: Am Gipfel eines Abhanges muss der Häftling sich lang auf den Boden legen und sich den Abhang hinunterrollen, durch Sand oder Lehm, über Wurzeln und Steine hinweg. Unten angekommen, muss er sich in der gleichen Lage den Abhang wieder hinaufrollen, und dieser »Sport« wird fortgesetzt, bis er »fertig« ist. Aus diesen zwei Beispielen mag man erkennen, wie schöpferisch die Fantasie auf sportlichem Gebiet im Konzentrationslager sein kann.

Bunker, Galgen und »Fünfundzwanzig vorm Arsch«

Das alles, wie gesagt, sind nicht die eigentlichen, offiziellen Lagerstrafen. Diese bringen erst die eigentliche Steigerung. Die Angst, das Entsetzen vor ihnen steht hinter allem, was der Häftling erlebt und erleidet. Der »Bunker« ist das Arrest. Einzelarrest. Aber der Bunker ist nicht die Form einer Einzelhaft, wie man sie sonst kennt: Die kahle Zelle mit Pritsche zum Schlafen und Schemel zum Sitzen. Im Bunker muss der Arrestant die Zeit von morgens Vi 5 bis abends 9 Uhr, also vom Wecken bis zum Zapfenstreich, stehend verbringen! Kann man sich vorstellen, was es bedeutet, 16 Vi Stunden in der Zelle stehend zu verbringen? Um dann nachts mit schmerzenden Gliedern, auf der Erde kauernd, den Schlaf der Erschöpfung zu suchen? Und doch wird der Bunker noch als die mildeste Strafe empfunden. Furchtbarer ist der »Galgen«, eine Strafe, die besonders bei jüdischen Häftlingen angewandt wird. Wer das langsam erlöschende Wimmern der am Galgen Hängenden jemals vernommen hat, wird es nie vergessen. Die Strafe wird so exekutiert, dass dem Häftling die Arme im Handgelenk am Rücken, etwa über dem Kreuz, fest zusammengeschnürt werden; und so wird er an einem dicken Pfahl aufgehängt. Die Schmerzen sind unvorstellbar und werden nur durch Eintreten der Bewusstlosigkeit beendet.

»25 vorm Arsch« - so heißt in der Lagersprache, in der Mundart der Lagerkommandanten und SS-Standartenführer, die fürchterlichste und gefürchteteste aller Strafen. Sie bedeutet: Das Opfer wird, mit dem Rücken nach oben, fest über einen Bock geschnallt und bekommt 25 Stockhiebe auf das Gesäß. Wenn diese Strafe exekutiert wird, ist die gesamte Belegschaft des Lagers blockweise in Reih und Glied angetreten. Die Häftlinge sehen nur den schweren, dicken Stock - in Buchenwald wird sogar ein sogenannter Ochsenziemer verwandt - hoch über den Köpfen in einer kreisenden Bewegung schwingen und dann auf das Opfer niedersausen. Beijedem Schlage kreist der Stock einmal in der Luft, um zum stärksten Schwünge auszuholen. Es sind die kräftigsten, größten SS-Männer, die zu diesem Amt befohlen werden, und sie lösen während der Exekution einander ab, damit die Wucht der Schläge keineswegs nachlässt. - So sieht man das Folterinstrument in Bewegung, aber zu hören ist kein Laut. Denn der geringste Laut, den der Gepeinigte von sich gibt, hat einen weiteren Schlag mehr zur Folge.

Diese Strafe wird verhängt für angebliche Verstöße gegen die Disziplin im Lager, für Widersetzlichkeit, Widerspruch, Verweigerung des Gehorsams bei Befehlen. Es wird selbstverständlich keinen einzigen Häftling geben, dem es je einfallen könnte, den geringsten Widerstand zu leisten oder dem auch unmenschlichsten Befehl den Gehorsam zu verweigern. Gewiss nicht mit Absicht und Willen. Der Häftling ist wehrlos, jeder Willkür preisgegeben. Jeder Wille, jede eigene menschliche Regung in ihm ist gebrochen und unterdrückt. Er wird alles tun, was irgend in seinen Kräften liegt, um sein unglückliches Los nicht noch zu verschärfen und grausamste Strafen auf sich herabzurufen. Trotzdem wird die Prügelstrafe verhängt.

In den furchtbaren Junitagen 1938 wurde unter den ersten Transporten ein gewisser Bartsch aus Breslau in Sachsenhausen eingeliefert. Gleich beim »Empfang« gab er - in noch völliger Unkenntnis der tatsächlichen Gesetze des Lagerlebens -auf irgendeine Frage irgendeine Antwort, die ihm sofort als Widersetzlichkeit ausgelegt wurde. Noch am ersten Tage seines Lageraufenthaltes wurde die Strafe von 25 Stockhieben an ihm vollzogen. Als er vom Block ohnmächtig abgeschnallt worden war, hatte der Unglückliche - die Sprache verloren. Als dann irgendwelche Fragen an ihn gerichtet wurden und er die Antwort darauf schuldig blieb, war die Folge, dass ihm für den nächsten Tag nochmals 25 Stockhiebe wegen Widersetzlichkeit zudiktiert wurden. Wiederum sausten mit erbarmungsloser Gewalt 25 Hiebe auf den gemarterten, blutenden Körper des Stummen. Der Tod war seine Erlösung.

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