Vermerk der Reichskanzlei (Legionsrat von Stutterheim)
Legationsrat von Stutterheim berichtet am 2. Juni 1934 über ein Gespräch mit Leo Löwenstein, dem Vorsitzenden des Reichsbunds jüdischer Frontsoldaten:
Der Bundesvorsitzende des Reichsverbands Jüdischer Frontsoldaten e. V. [richtig: Reichsbund jüdischer Frontsoldaten] suchte mich verabredungsgemäss gestern Vormittag auf, um mir in längeren Ausführungen die allgemeine Einstellung und die Ziele des Reichsverbands Jüdischer Frontsoldaten darzulegen und daran eine Reihe von Wünschen zu knüpfen, die er dem Herrn Staatssekretär erneut zu unterbreiten habe.
Herr Dr. Löwenstein führte aus, dass der Reichsbund mit Einschluss der ihm angegliederten Jugendorganisation etwa 45-50.000 Mitglieder habe, mithin unter Zuzählung der Familienmitglieder der Bundesangehörigen einen immerhin recht beachtlichen Teil der jüdischen Bevölkerung Deutschlands darstelle. Grundsatz des Reichsbundes, und zwar nicht erst neuerdings, sondern schon seit Jahren, wäre die uneingeschränkte nationale Einstellung und entschiedene Ablehnung jeder internationalen Verknüpfung und vor allen Dingen auch jeder Verbindung mit den Zielen der zionistischen Bewegung. Hauptgrundsatz wäre ferner die wehrhafte Ertüchtigung der Jugend und die Verwurzelung der Bundesangehörigen mit dem deutschen Boden. Dabei sei zu betonen, dass der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten von sich aus in keiner Weise eine Vermischung mit der arischen Bevölkerung anstrebe, sondern durchaus und geschlossen unter sich bleiben wolle, dabei aber zu seinem Teil in unbedingter Anerkennung der Ziele des nationalsozialistischen Staates für das deutsche Vaterland zu leben und zu wirken entschlossen sei.
Er, Dr. Löwenstein, sei überzeugt, dass sich gerade in dem jetzigen Staate die von dem Reichsbund jüdischer Frontsoldaten verfolgten Ziele besser und reiner erreichen Hessen, als in dem marxistischen Staate der Judenherrschaft, welch letzterer von dem Reichsbund jüdischer Frontsoldaten schon immer mit Entschiedenheit abgelehnt [worden] wäre.
Die konkreten Wünsche, die, von dieser Grundlage ausgehend, vom Reichsbund jüdischer Frontsoldaten geltend zu machen seien, wären folgende:
1. werde gebeten, dem Reichsbund jüdischer Frontsoldaten zu gestatten, die Angehörigen seiner Jugendorganisation in geschlossenen Arbeitsdienstlägern in derselben Weise an dem freiwilligen Arbeitsdienst teilnehmen zu lassen, wie das bei den nichtjüdischen jungen Männern geschehe.
2. werde um die Erlaubnis ersucht, die jüdische Jugend im Rahmen des jüdischen Sportverbandes, der dem Reichsbund jüdischer Frontsoldaten angegliedert sei, im Sinne einer wehrhaften Ertüchtigung auszubilden und zu erziehen.
3. gehe der Wunsch dahin, dass dem Reichsbund gestattet werde, in derselben Weise, wie dies bereits in der Nähe von Kottbus geschehen sei, seine Angehörigen anzusiedeln. In der Nähe von Kottbus habe der Reichsbund schon vor Jahren aus jüdischem Besitz ein grösseres Gut erworben und dort einige seiner Mitglieder auf Gärtnerei-Betrieben von durchschnittlich 10 Morgen Grösse angesiedelt und zwar mit einem Erfolge, der als durchaus gut bezeichnet werden könnte. Der Reichsbund beabsichtige, in diesem Sinne weiter zu siedeln und zwar auf Grund und Boden, den er aus jüdischem Besitz zu erwerben gedenke.
Neben diesen 3 Hauptwünschen stünden noch 2 weitere:
einmal derjenige, dass, wenn auch nicht gleich, so doch späterhin, den Juden wieder der Dienst im Heere gestattet werde, wobei gar nicht begehrt werde, dass jüdische Soldaten auch in Offiziersstellen einrückten. Es komme dem Reichsbund vielmehr lediglich darauf an, dass die jungen Leute jüdischer Religion und Rasse auch im Reichsheer zur Wehrhaftigkeit erzogen würden.
Weiterhin - und das sei ein Wunsch, der sich vielleicht schon früher verwirklichen lasse -sei dem Reichsbund sehr daran gelegen, dass Juden Mitglieder des Reichsluftschutzbundes werden könnten.
Herr Dr. Löwenstein überreichte sodann Abschrift einer am 6. Mai 1933 an den Herrn Reichskanzler gerichteten Eingabe, die sich bisher noch nicht bei den hiesigen Akten befand, sowie einen Aufsatz über die Erfindung der Schallmessung aus dem 7. Heft der Heerestechnik von 1928, aus dem sich ergibt, dass Herr Dr. Löwenstein Erfinder und Einführer der Schallmessung im Heere während des Krieges gewesen ist.
Ich habe Herrn Dr. Löwenstein erwidert, dass ich den Herrn Staatssekretär von seinen Darlegungen in Kenntnis setzen würde. Ich halte es indessen nicht für wahrscheinlich, dass der Herr Staatssekretär in der Lage sei, den ausgesprochenen konkreten Wünschen näher zu treten. Dabei habe ich Herrn Dr. Löwenstein darauf aufmerksam gemacht, dass es zum mindesten sehr zweifelhaft sei, ob die amtliche oder öffentliche Behandlung der von ihm angeschnittenen Fragen im gegenwärtigen Zeitpunkte im Interesse des Reichsbundes selbst und seiner Ziele wirklich empfehlenswert wäre. Herr Dr. Löwenstein erklärte, für letztere Gedanken durchaus Verständnis zu haben, bat aber doch, den Herrn Staatssekretär von seinem Vortrage des näheren unterrichten zu wollen.