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Chronik und Quellen
1934
April 1934

Artikel in der „Frankfurter Zeitung“

Am 28. März 1934 berichtet die Frankfurter Zeitung über die fortschreitende Verdrängung der Juden aus der Wirtschaft:

Nichtarier in der Wirtschaft - Strömungen und ihre Grenzen

Seit dem Herbst des Jahres 1933 zeichnet sich in der Gesetzgebung des nationalsozialistischen Staates auf dem Gebiet der Rassenfragen eine bestimmte Linienführung ab. Bei den Beamten, bei den Berufen, die beamtenähnlichen Charakter tragen, bei Angestellten und Arbeitern im Bereich staatlicher, kommunaler und sonstiger öffentlicher Unternehmungen, im Gebiet der kulturellen Berufe (wie z. B. der Presse und der künstlerischen Betätigung) und endlich für die früheren sogenannten „freien Berufe“, der Rechtsanwälte und der zu Kassen zugelassenen Aerzte, findet der Arierparagraph grundsätzlich Anwendung. Die Regelung ist im einzelnen nicht immer formell gleich getroffen worden; bei den Anwälten z. B. bestimmten objektive und objektiv leicht feststellbare Merkmale über die Möglichkeit der Berufsausübung durch Nichtarier; an anderen Stellen wird von Fall zu Fall entschieden. Ueberall aber ist die Grundtendenz gleichartig: sie besteht darin, daß eine im ganzen ziemlich umfangreiche Gruppe von Berufen wegen der besonderen Bedeutung, die ihnen der neue Staat für den politischen und weltanschaulichen Aufbau des Volkes beilegt, Nichtariern im Prinzip verschlossen sein soll. In allen solchen Fällen sind mehr oder minder zahlreiche Ausnahmen gemacht worden, Ausnahmen, die freilich fast durchweg deshalb vorübergehenden Charakter tragen, weil die in ihren Aemtern und Berufen Verbliebenen in der ganz überwiegenden Mehrzahl wegen ihrer langjährigen Tätigkeit im Amte oder als Frontkämpfer zugelassen wurden. Beide Kategorien werden nach und nach aussterben. Junge Nichtarier können ihre Lebensaufgabe in diesen Richtungen nicht mehr suchen.

Da die Nichtarier z. B. in den freien und künstlerischen Berufen stark vertreten waren, sind verhältnismäßig viele von ihnen durch die Neuregelung betroffen worden; andere, vor allem manche Aerzte, stehen noch heute vor der beträchtlichen Schwierigkeit, daß sich bei ihnen angesichts gewisser Standesvorschriften die gesetzliche Zulassung praktisch doch nicht als Gleichstellung mit ihren arischen Kollegen auswirkt. Wie dem auch sein mag - materiell (von der ideellen Seite der Sache soll hier nicht die Rede sein) ist es von ausschlaggebender Bedeutung für die Entwicklung des Rassenproblems in Deutschland, ob und inwieweit den Nichtariern überhaupt Gebiete freier Berufsausübung-„frei“ im Sinne der Gleichstellung mit jedem anderen Staatsangehörigen - verbleiben.

In diesem Punkte ist in den letzten Monaten die Stellungnahme der Reichsregierung und der beteiligten Ministerien immer wieder dahin gegangen, daß das Gebiet der freien Wirtschaft nicht in den Bereich des Arierparagraphen fallen solle. Schon im September 1933 hat der Reichswirtschaftsminister sich in einem Schreiben an den Industrie- und Handelstag gegen die Boykottierung nichtarischer Firmen gewandt. Im November hat der Reichsarbeitsminister die Treuhänder darauf aufmerksam gemacht, daß auch den nichtarischen Arbeitnehmern der Schutz der Regierung zustehe; in diesem Schreiben hat er sich nicht nur nochmals auf den Reichswirtschaftsminister und auf den preußischen Minister des Innern, sondern auch auf die ausdrückliche Feststellung des Reichsministers für Volksaufklärung und Propaganda berufen, daß für Juden keinerlei Ausnahmegesetze auf wirtschaftlichem Gebiete bestünden. Seit Beginn des Jahres hat sich der Reichsinnenminister dreimal (in einem Aufsatz, in einem Schreiben an die Behörden und in einer Rede vor den Diplomaten) gegen die Ausdehnung der Grundsätze der Rassengesetzgebung auf die Wirtschaft gewandt; in dem Schreiben an die obersten Behörden heißt es, es sei nicht angebracht, ja sogar bedenklich, wenn die Grundsätze des sogenannten Arierparagraphen im Reichsgesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums, der vielfach als Vorbild wirkte, auf Gebiete ausgedehnt würden, für die sie überhaupt nicht bestimmt seien; dies gelte insbesondere, wie die nationalsozialistische Regierung immer wieder hervorgehoben habe, von der freien Wirtschaft; er bitte, Uebergriffen auf diesem Gebiet mit aller Entschiedenheit entgegenzutreten.

Die Grenzen scheinen also eindeutig gezogen zu sein. Die Linien dürften dabei nicht ohne genaue Ueberlegungen von der Reichsregierung sowohl mit Rücksicht auf die Wirtschaft als auch mit Rücksicht auf die verbleibenden Lebensmöglichkeiten für Nichtarier in dieser Art geführt worden sein. Jedoch die Aufgabe, das Bewußtsein davon im Volke selbst zu verbreiten, stößt sichtlich auf vielfache Widerstände und Hemmungen. Die Frage aber, ob man ein Unternehmen betreiben kann, ist ja nicht nur von den Gesetzen und Verordnungen abhängig, sondern ebenso sehr davon, ob unter der Verbraucherschaft die Vorstellung herrscht, daß man hier auch kaufen dürfe, oder davon, in welchem Umfange dem Inhaber das Bestimmungsrecht über seinen Betrieb im Rahmen der allgemeinen gesetzlichen Schranken verbleibt, ja selbst davon, inwieweit geschäftliche Werbung praktisch durchführbar ist. Oder aber: selbst der energischste Treuhänder könnte schwerlich einen Arbeitsplatz auf die Dauer gegen den geschlossenen Willen von Arbeitskollegen sichern.

Die Probleme, die hier auftauchen, sind angesichts des gewaltigen Umbaus auf allen Gebieten des deutschen Lebens zu mannigfaltig, um ihren Kreis vollständig zu umschreiben. Es lassen sich nur Beispiele anführen. Das aktuellste davon ist die Frage der nichtarischen Betriebsführer. Die Reichsregierung hat hier, wie man weiß, in einer amtlichen Bekanntmachung in aller Oeffentlichkeit klargestellt, daß Nichtarier ebenso wie Arier Führer des Betriebes sein können. Gegen die bekannte Erklärung der Gauleitung der NSBO/DAF in Mittelfranken, daß „Juden als Betriebsführer nicht in Frage kommen“, hat der Treuhänder der Arbeit für Bayern sofort Stellung genommen. Damit ist das Negative entschieden. Auch das Positive? Nach dem neuen Arbeitsgesetz sollen alle Angehörigen des Betriebes in Vertrauen und Gemeinschaft zusammenstehen. Das aber ist unter Umständen eine Frage des besonderen Standpunktes lokaler Führung. Ueberhaupt sind heute viele Angelegenheiten, die früher Fragen des Gesetzes waren, eigentlich zu Führungsproblemen geworden. Ein anderes: die wirtschafte- und sozialpolitischen Verbände. Viele von ihnen, obgleich nicht mit dem Recht des Zwangsanschlusses aller Berufsangehörigen ausgestattet, streben doch berechtigterweise nach möglichst umfassender Eingliederung aller in Frage kommenden Berufstätigen. Auf dem Wege zu diesem Ziel ist zahlenmäßig Enormes erreicht worden. Für die Berufsausübung ist es dann im Einzelfalle von sehr unterschiedlicher Bedeutung, ob der Betreffende dem Verband des Wirtschaftszweigs, in dem er arbeitet, angehört oder nicht. Es scheinen alle Gradunterschiede vorhanden zu sein, von einer empfindlichen Behinderung der wirtschaftlichen Tätigkeit bis zu ihrer ungehinderten Ausübung. Daß Nationalsozialisten in den Organisationen, wie überall, die Führung beanspruchen, bedarf keiner Erwähnung; aber es ist nicht recht einleuchtend, wenn solche Verbände den Arierparagraphen für Mitglieder überhaupt einführen. Vom „Zentralverband der deutschen Handelsvertretervereine“ wird jetzt berichtet, daß die begonnenen Auflösungs- und Ueberführungsmaßnahmen, von welchen die nichtarischen Mitglieder des Verbandes betroffen worden wären, angesichts des neuen Gesetzes zur Vorbereitung des organischen Aufbaues der Wirtschaft vorläufig eingestellt worden seien. Umgekehrt hat der „Reichsverband Deutscher Makler“ erst soeben die bevorstehende Einführung des Arierparagraphen angekündigt. Daß ein gewisses Bedürfnis nach Vereinheitlichung besteht, erscheint einleuchtend. Dabei wird man wohl nach irgendeiner Form suchen, mit der sich die Betätigungsmöglichkeiten der Nichtarier in der Wirtschaft auch in den Satzungen der wirtschafts- und sozialpolitischen Verbände ausdrückt.

Noch ein drittes: Die Frage der Geschäfte mit jüdischen Unternehmungen und des Einkaufs in jüdischen Geschäften. Diese Angelegenheit scheint in kleineren Orten zuweilen recht heikel zu stehen. Auch zwischen den verschiedenen Gegenden Deutschlands dürften da recht beträchtliche Unterschiede vorhanden sein. Mehrfach schon war von der „Frühjahrsoffensive des deutschen Handwerks, Gewerbes und Einzelhandels“ die Rede, die unter dem Motto „Die Tat der Gemeinschaft dient dem Aufbau“ vom 23. März bis 7. April stattfindet; dabei war hervorgehoben worden, daß die Aktion einer Stärkung des Leistungsgedankens, nicht aber Rassenprinzipien in der Wirtschaft dienen solle. Wenn wir recht unterrichtet sind, sind irrige Auffassungen in dieser Hinsicht bei den lokalen Instanzen nach Möglichkeit auch berichtigt worden. Jede antijüdische Boykottpropaganda ist, wie die NSK mitteilt, von den verantwortlichen Führern der Aktion ausdrücklich untersagt worden. Allein es ist offenbar nicht leicht, die erforderliche Aufklärung überallhin wirksam werden zu lassen, zumal in solchen Fällen die lokale Presse oft keinerlei Neigung zur Mitarbeit zeigt. Drastische und äußerlich sichtbare Methoden gegenüber nichtarischen Firmen und Geschäften sind auch in dieser Hinsicht vielleicht nicht immer das Entscheidende. In vielen Fällen erzielt ein persönlicher Appell zusammen mit einer gewissen Kontrolle gerade in kleineren Orten beträchtliche Wirkung. Es ist wohl so, daß es bei fortschreitender Beschäftigung des Volkes mit Rassenfragen ausführlicher Belehrung auch über die Grenzen des beabsichtigten Vorgehens bedarf, wenn nicht spontane Strömungen entstehen sollen, die über die gewollte Begrenzung der Ariergesetze auf außerwirtschaftliche Gebiete hinausgehen. Solche Strömungen scheinen es heute schon fast undurchführbar zu machen, daß die deutschen Nichtarier der oft vorgebrachten Forderung Rechnung tragen, sich gleichmäßiger als bisher über die verschiedenen Berufe zu verteilen. Erst kürzlich ist ja öffentlich in einem Teil der Presse vor der Aufnahme nichtarischer Lehrlinge in der Landwirtschaft gewarnt worden. Und ebenso ist mit großem Nachdruck dagegen Verwahrung eingelegt worden, daß sich neuerdings Juden bemühten, „Lehrstellen für ihren Nachwuchs bei Handwerks- und Gewerbemeistern zu ergattern“. Wie junge deutsche Nichtarier ihr Leben gestalten könnten oder sollten, ist danach nicht leicht auszumachen. Wie denn überhaupt der Lebensraum für die deutschen Nichtarier früher oder später dadurch bestimmt werden wird, inwieweit der Staat, der auf so vielen Gebieten der persönlichen Haltung führend hervortritt, auch neben dem [Gesetz] den erwähnten Strömungen Raum oder - eine [Gren] ze gibt.

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