Januar 1934
Zum Jahresbeginn 1934 musste es nach außen so erscheinen, als ob Hitler es mit seinen Friedensbekundungen tatsächlich ernst meinen würde, denn am 26. Januar wurde ein auf seine Initiative zurückgehender deutsch-polnischer Nichtangriffspakt unterzeichnet. Das Abkommen sah – zunächst für einen Zeitraum von zehn Jahre - einen friedlichen Ausgleich deutsch-polnischer Differenzen, die etwa in Form von Grenzstreitigkeiten zu Tage traten. Zugleich bedeutete es für das Deutsche Reich einen ersten Schritt heraus aus seiner außenpolitischen Isolation.
Am 30. Januar wurde dann der erste Jahrestag der „nationalen Revolution“ mit großen Feiern und viel Pomp begangen und dauerhaft als „Tag der Machtergreifung“ zum nationalen Feiertag erhoben. Zu diesem Anlass wurde in feierlichen Reichstags- und Reichsratssitzungen auch das „Gesetz zum Neuaufbau des Reiches“ verabschiedet, das die Länderparlamente abschaffte und die Landesregierungen der Reichsregierung unterstellte. „Die geballte Kraft des deutschen Volkes“, so begründete Innenminister Frick diesen Schritt, müsse in der Hand des „Führers“ liegen. Damit waren die letzten Schranken gefallen, die noch nicht durch das Ermächtigungsgesetz beseitigt worden waren. Deutschland war nunmehr auch formell zum „Einheitsstaat“ geworden, in dem das NS-Regime über unbeschränkte und absolute Vollmachten verfügte.
Die sollten auch auf den kirchlichen Bereich ausgedehnt werden. In diesem Sinne versuchte der evangelische Reichsbischof Müller am 4. Januar in der evangelischen Kirche per Verordnung wieder „geordnete Zustände“ herzustellen. Was er hierunter zu verstehen war, fasste er so zusammen: „Der Gottesdienst dient ausschließlich der Verkündigung des lauteren Evangeliums. Der Missbrauch des Gottesdienstes zum Zwecke kirchenpolitischer Auseinandersetzungen, gleichviel in welcher Form, hat zu unterbleiben.“ Das richtete sich in erster Linie gegen die Pfarrer des Pfarrernotbundes und ihnen nahestehende NS-kritische Gläubige, die Müller mundtot zu machen gedachte. Außerdem untersagte er zugleich jegliche Kritik an den von ihm angeordneten Maßnahmen. Die Kirchenleitungen der evangelischen Landeskirchen in Bayern und Württemberg lehnten die Verordnung daher postwendend ab.
Aber auch vom NS-Regime und der NSDAP selbst wurde eine neue Front gegen die Kirchen in Deutschland aufgebaut. Am 24. Januar ernannte Hitler nämlich den Reichsleiter Alfred Rosenberg zum „Beauftragten für die Überwachung der geistigen und weltanschaulichen Erziehung der Partei und aller angeschlossenen Verbände“. Rosenberg, Verfasser des 1930 erschienen äußerst umstrittenen Buches „Der Mythus des 20. Jahrhunderts“ und so etwas wie der NS-Chefideologe, propagierte eine Neudeutung des germanischen Weltbildes, um so die „Rassenseele zum Leben zu erwecken“. Damit wurde er zum Hauptvertreter eines „Neuheidentums“, das in den deutschen Kirchen naturgemäß auf massive Gegenwehr stieß.
Solche Initiativen trugen erhebliche Unruhe in die deutsche Bevölkerung. Um etwaige Kritik frühzeitig aufzufangen, wurde immer wieder versucht, die Bevölkerung durch andere Neuerungen und Meldungen positiv zu stimmen. Am 19. Januar etwa wurde in Goslar, das damit zugleich zur „Reichsbauernstadt“ mit Sitz des Reichsnährstandes aufstieg, der erste Reichsbauerntag abgehalten. Das bedeutete eine öffentliche Aufwertung des Bauernstandes, der vom NS-Regime zum „Blutquell der Nation“ stilisiert wurde. Perspektivisch sollten die deutschen Landwirte durch eine verstärkte Lebensmittelproduktion zur Autarkie des Reiches beitragen.
Bereits am 6. Januar hatte Wirtschaftsminister Schwerin von Krosigk eine positive Bilanz der NS-Wirtschaftspolitik gezogen, durch die die Arbeitslosenzahl deutlich habe reduziert werden können. Angesichts des langsam verschwindenden Gespenstes der Arbeitslosigkeit werden es nicht wenige dann leichter verkraftet haben, als am 20. Januar mit dem „Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit“ in Kraft eine Grundlage für das künftige NS-Arbeitsrecht verabschiedet wurde. Damit verschwanden die Betriebsräte aus deutschen Unternehmen und wurden durch „Vertrauensräte“ ersetzt, denen künftig jeweils der „Betriebsführer“ vorsaß, der auch sämtliche Entscheidungen traf. Damit war jede Form von Mitbestimmung abgeschafft und die Unternehmer alleinige „Herren“ in den Betrieben.
Ohnehin erwartete man künftig eine vorbehaltlose Mitarbeit am Aufbau der deutschen Wirtschaft. Wer sich hier nicht entsprechend einfügte, hatte mit harten Konsequenzen zu rechnen. Wie die ausfallen konnten, demonstrierte die Düsseldorfer Stadtverwaltung, als sie am 11. Januar die Einweisung von drei „arbeitsscheuen Burschen“ in ein Konzentrationslager wegen „notorischer Faulheit“ veranlasste. Für „ Arbeitsscheue“, so wurde klargestellt, sei das KZ „der einzig mögliche Aufenthaltsort“.
Verdrängung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung
Am 15. Januar wurde ein Erlass über die Rückwanderung deutscher Emigranten aus dem Ausland veröffentlicht, den der Preußische Ministerpräsident auf Veranlassung der Gestapo verfasste. Flüchtlinge, die keine deutsche Staatsbürgerschaft besaßen und in ihrer Mehrzahl aus Osteuropa nach Deutschland eingewanderte Jüdinnen und Juden waren, sollten verhaftet und bis zu ihrer Ausweisung aus Deutschland in einem Konzentrationslager interniert werden.
Einen Tag später erließ das Präsidium der Reichsrechtsanwaltskammer am 16. Januar neue Richtlinien, nach denen jegliche berufliche Verbindungen mit jüdischen Rechtsanwälten, deren Zulassung zurückgenommen worden waren, verboten wurden. Dieses Verbot umfasst auch Bürogemeinschaften, Mietverhältnisse für Büroräume oder die Beschäftigung solcher Juristen als Hilfskräfte.
Am 17. Januar erließ der Reichsinnenminister eine Anordnung gegen die „ungesetzliche Ausdehnung der Ariergesetzgebung auf das Gebiet der ‚'freien Wirtschaft‘“, der sich insbesondere gegen den Boykott jüdischer Geschäfte und Warenhäuser richtete. Laut Bericht des Berliner Gestapa rief dieser Erlass „in der Judenschaft die Auffassung hervor(…), daß für sie nunmehr jede Gefahr im Wirtschaftsleben überwunden sei. Es besteht bei ihnen sogar die Hoffnung, auf Grund dieser Anordnungen ihren wirtschaftlichen Einfluß zurückgewinnen zu können“. Solche Hoffnungen waren jedoch lediglich von kurzer Dauer.
Am gleichen Tag wurde seitens des Reichsinnenministeriums ein weiterer Erlass über die Änderung von Familiennamen veröffentlicht, der die Änderung jüdischer Familiennamen künftig deutlich erschwerte.
Am 24. Januar wurde das für die künftigen Arbeitsbeziehungen im Reichsgebiet sehr wichtige „Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit“ verabschiedet. Demnach durften „nichtarische“ Arbeitnehmer künftig nicht mehr Vertrauensleute, Betriebsführer oder Mitglieder der Deutschen Arbeitsfront (DAF) tätig sein.