Die Gestapo Aachen berichtet
Die Gestapo Aachen berichtete über den Monat März 1936:
„Im Berichtsmonat wurde eine auffallend rege Versammlungstätigkeit der hier vorhandenen jüdischen Vereine und Organisationen festgestellt. Wegen des Verbots von politischen Veranstaltungen vor der Wahl wurden in den Vorsammlungen durchweg wirtschaftliche und kulturelle Fragen behandelt und erörtert.
Auch die Zweigstelle Aachen des "Jüdischen Kulturbundes Rhein-Ruhr" nahm erstmalig im Berichtsmonat nach Aufhebung des Versammlungsverbotes ihre Arbeit wieder auf und lud ihre Mitglieder zu mehreren grösseren Veranstaltungen ein. So fand am 18. März ein Konzert des jugendlichen Meistergeigers Gerhard Kannder statt, das sehr gut besucht war. Auffallend war, dass von dem Künstler nur Tonschöpfungen deutscher (arischer) Komponisten wie Brahms, Beethoven u.a. zum Vortrage gebracht wurden. Weiterhin fand am 26. März eine Aufführung des Lustpicls "XYZ" von Klabund statt. Auch diese Veranstaltung erfreute sich eines sehr guten Besuches.
Die Zionistische Ortsgruppe Aachen hatte ihre Mitglieder zu einem Vortragsabend am 30. März eingeladen, an dem etwa 30 Personen teilnahmen. Der Redner des Abends, Jehuda Kaufmann aus Köln, schilderte eingehend die augenblicklichen wirtschaftlichen Verhältnisse in Palästina und versuchte, die wilden Gerüchte über Bankenkrisen und Wirtschaftsnot zu zerstreuen. Durch die zahlenmässig hohe Einwanderung in Palästina in den letzten Jahren sei viel Kapital ins Land gekommen. Dies sei jedoch nicht in gesunde Wirtschaftsbahnen gelenkt worden, sondern in erster Linie dem Bauwesen und der Industrie zugeflossen, weniger dagegen der Landwirtschaft und dem Orangenanbau. Der Redner hob besonders hervor, dass alle nicht in Palästina lebenden Juden dazu beitragen müssten, Kapital und Waren nach dort zu senden, um das Land weiterhin lebensfähig zu erhalten.
Zu erwähnen wäre noch eine Versammlung der "Nichtarischen Christen ", die am 14. März stattfand. Die Versammlung war mit etwa 20 Personen nur schwach besucht. Die Rednerin des Abends, Gewerbelehrerin Hilde Zimmermann aus Essen sprach zunächst über hauswirtschaftliche Fragen und führte dann weiter aus, dass sämtliche Mitglieder schriftlich mit einander in Verbindung treten und sich gegenseitig ihre Familienverhältnisse schildern sollten. Wenn man dann die Überzeugung gewonnen habe, dass die Verhältnisse zu einander passten, könne ein Austausch der Kinder stattfinden, weil andere Möglichkeiten, dieselben in fremden Haushaltungen auszubilden, so gut wie nicht vorhanden seien. Der Vorsitzende des Vereins, Dr. Frankenstein, Köln, wies auf die Wiederbesetzung der entmilitarisierten Zone durch deutsche Truppen hin und begrüsste diese Massnahme der Reichsregierung.
Anlässlich der Wiederbesetzung der entmilitarisierten Rheinlandzone wurde von der Jüdin Ina Arnold, geh. Altmann, hier, Zollernstr.20 wohnhaft, die Reichs- und Nationalflagge gehisst, obwohl den Juden dies durch die Nürnberger Gesetzgebung verboten ist. Gegen die Jüdin wurde Anzeige erstattet.
Einzelaktionen gegen Juden von wesentlicher Bedeutung haben sich im Berichtsmonat im Bereich der Staatspolizeistelle nicht ereignet.
Erwähnenswert ist das Urteil der I. Gr. Strafkammer Aachen gegen den Juden Emil Levy aus Haaren bei Aachen. Levy hatte im Dezember vergangenen Jahres mit einer verheirateten Frau aus Köln in seinem Büro in Aachen den Geschlechtsverkehr ausgeführt. Das Urteil lautete auf 6 Monate Gefängnis.
Auf meinen Tagesbericht vom 8. 1. 36 weise ich hin.
Im hiesigen Grenzbezirk wird das Gesetz "zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre" vielfach dadurch umgangen, dass Juden in ausländischen Zeitungen Annoncen aufgeben, in denen sie junge Hausangestellte fremder Staatsangehörigkeit, in den meisten Fällen Holländerinnen und Belgierinnen, für ihre Haushaltungen suchen. Wenn dies gesetzlich auch nicht verboten ist, so mutet es doch höchst sonderbar an, wenn man sich einmal die praktische Auswirkung vor Augen führt. Ein Jude war gezwungen, auf Grund des erwähnten Gesetzes seine 30 jährige Hausangestellte zu entlassen, weil diese die deutsche Staatsangehörigkeit besass und arischer Abstammung war. Er stelle dafür eine 18 jährige Hausgehilfin ein, die in Deutschland geboren ist, eine deutsche Mutter hat, jedoch die niederländische Staatsangehörigkeit besitzt, weil ihr Vater Holländer ist.
Festgenommen wurde am 18. des Berichtsmonats der jüdische Kaufmann Manfred Heinz Silberberg, geb. am 25.4.1909 zu Polzin in Pommern, z.Zt. ohne feste Wohnung. Silberberg, gegen den Passperre besteht, hatte am 13.3. die deutsch-belgische Grenze bei Aachen im Walde illegal überschritten. Er hatte ursprünglich die Absicht gehabt, sich nach Paris zu begeben, um von hier mit Unterstützung der jüdischen Gemeinde nach Übersee zu gelangen. Diesen Plan gab er aber wieder auf und blieb zunächst in Belgien. Während seines Aufenthaltes in Belgien hat er sich nach eigenen Angaben ausschliesslich in Emigrantenkreisen und deren Zentralen aufgehalten. Die Festnahme erfolgte, als er im Begriff war nach Deutschland zurückzukehren.
Silberberg wurde wegen Passvergehens dem Richter vorgeführt. Nach seiner Entlassung erfolgte Schutzhaft.
Juden im Viehhandel.
Im hiesigen Bezirk sind die Juden am Viehhandel noch massgebend beteiligt. So konnte festgestellt werden, dass ein jüdischer Viehagent während des Grossmarktes am 2.März 1936 22 Stück Grossvieh verkauft hat. Der Verkaufspreis beläuft sich auf etwa 9000 RM. Von dieser Summe erhält der Agent 1 1/2 % Provision, also insgesamt 135.- RM. An manchen Tagen soll der Verkauf sogar 30 und an einem Tage 47 Stück Vieh betragen haben, sodass dieser Jude an diesen Tagen einen noch grösseren Verdienst verbuchen konnte. Nebenbei hat derselbe jüdische Viehagent auch die Viehversicherung auf dem Grossmarkt. Etwa 75% des aufgetriebenen Viehs wird bei ihm versichert. Z.B. sind bei einem Auftrieb von 117 Tieren 92 bei ihm versichert worden. Die Versicherungssumme beträgt z.Zt, für eine Kuh 3.«-RM und für ein Rind 2,50 BM. Aus diesen Zahlen ist zu erkennen, dass der Verdienst aus den Versicherungsprämien sehr hoch ist.“