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Chronik und Quellen
1935
September 1935

Die Gestapo Aachen berichtet

Die Gestapo Aachen berichtete über den Monat September 1935:

„Die Juden-Gesetzgebung findet, wie bei der bekannten Mentalität der hiesigen katholischen Bevölkerung nicht anders zu erwarten war, in kirchlichen Kreisen keinen Beifall; begrüsst wird lediglich, dass diese Juden-Gesetzgebung Auswüchse in der antisemitischen Propaganda und Ausschreitungen unterbindet. Es wäre in der Tat begrüssenswert, wenn nunmehr solche antisemitischen Ausschreitungen, die von dem überwiegenden Teil der Bevölkerung verurteilt werden, ihr Ende finden würden; im Berichtsmonat waren noch mehrere Einzelaktionen gegen Juden zu verzeichnen, die bei der hiesigen Bevölkerung   und zumal bei der Nähe der Reichsgrenze   mehr Schaden als Nutzen angerichtet haben.“

„Überhaupt ist das Verständnis der Bevölkerung für die Notwendigkeit der nationalsozialistischen Rassepolitik nur sehr gering. Wenn dazu nun noch von geistlicher Seite derartige Äusserungen zu diesem Thema fallen, so wird es schwer sein, die gläubigen Katholiken von der Notwendigkeit der Rassegesetzgebung zu überzeugen. Vielmehr sieht ein erheblicher Teil der Bevölkerung alle Massnahmen gegen die Juden als unchristlich und überflüssig an.“

„Der „Stürmer“ findet nach wie vor eine nur sehr geteilte Aufnahme und wird in weitesten Kreisen der katholischen Bevölkerung ganz entschieden abgelehnt. Der Grund der Ablehnung liegt einmal in der antisemitischen Einstellung, die in dieser Entschiedenheit der hiesigen Bevölkerung nicht verständlich ist und dann auch darin, dass Sittlichkeitsvergehen von Juden in einer Form wiedergegeben werden, die für bedenklich für die Jugend angesehen wird.“

„Die Ausschreitungen gegen Juden, an denen Partei- oder SA-Angehörige beteiligt gewesen sind, haben im Berichtsmonat noch nicht gänzlich aufgehört. So wurde in der Nacht vom 21. zum 22.9. die Haustür eines Juden in Weisweiler, Kreis Düren, von dem SA-Obertruppführer Zetting in Begleitung weiterer Personen derart mit schweren Steinen beworfen, dass die Tür zertrümmert und eine Scheibe zerstört wurde. Später marschierte Zetting an der Spitze mehrerer Personen durch die Hauptstrasse des Ortes mit den Ausrufen „Juda verrecke!“ Dem hinzutretenden Polizeibeamten bereitete er Schwierigkeiten.

Angesichts dieser einzelnen Vorfälle bedarf es keiner weiteren Ausführung darüber, wie notwendig es ist, dass innerhalb der Gliederungen der Partei strenge Disziplin gewahrt wird, damit das Ansehen der Partei keinen Schaden erleidet. Die Bevölkerung meines Bezirks, die sowieso zu einem grossen Teil der nationalsozialistischen Bewegung nur sehr skeptisch gegenübersteht, wird in ihrer ablehnenden Haltung dadurch bestärkt, wenn sie Zeuge von Ausschreitungen von Parteigenossen wird, die nicht in genügender Weise zur Rechenschaft gezogen werden.“

„Innerhalb der jüdischen Organisation sind in diesem Monat besondere Ereignisse nicht eingetreten. In sportlicher Hinsicht war es lediglich die Sportgruppe des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten, die am 8.9.35 die leichtathletischen Vereinsmeisterschaften des Rheinbezirks in Aachen abhielt. Die Veranstaltung wurde überwacht. Zu Zwischenfällen ist es nicht gekommen. Boykottmassnahmen gegen Juden sind in grösserem Umfang im Berichtsmonat nicht mehr vorgekommen, dagegen sind verschiedene Ausschreitungen anderer Art zu verzeichnen, die in Anbetracht der Nähe der Reichsgrenze im hiesigen Bezirk recht schädliche Folgen haben können.

In der Nacht zum 15.9.1935 wurde an der Hausfront des Hauses der Geschwister Berlin (Jude), wohnhaft in Vettweis, mit roter Ölfarbe folgender Wortlaut angebracht:

„Rassenschänder Jude J. Berlin.“

Die Buchstaben der Schrift waren ungefähr 30 cm hoch. Die Schrift wurde entfernt. Die Ermittlungen nach dem Täter waren erfolglos.

Des Weiteren wurde in der Nacht zum 20.9.1935 von bis jetzt noch nicht ermittelten Personen in Hostel/Eifel an dem Hause des Juden Kaufmann mit Ölfarbe Folgendes angeschrieben:

„Hier wohnt eine Judensau.“
„Ein Rassenschänder.“
„Heraus aus Hostel.“
„Unser Ziel ist, die Juden an den Nil „Izich.“

In derselben Nacht wurden dem Genannten mit einem schweren Stein die Fensterscheiben eingeworfen und die Fensterrahmen beschädigt. Die Ermittlungen nach den Tätern versprechen Erfolg.

Bedauerlicher ist ein Vorfall in Weisweiler (Krs. Düren), wo in der Nacht zum 24.9. an dem Hause des Juden Leyens mit Steinen an die Haustür geworfen wurde. Dabei ist die Haustür gerissen und die Fensterscheibe zerstört worden. Die Täter stehen noch nicht einwandfrei fest, wenn auch ein dringender Verdacht auf einige SA-Angehörige gefallen ist.

Allgemein muss leider gesagt werden, dass die Ausschreitungen gegen Juden im Monat September zugenommen haben. Die Ermittlungen nach den Tätern gestalten sich äusserst schwierig, da sämtliche strafbaren Handlungen unter dem Schutze der Dunkelheit ausgeführt wurden und die daran beteiligten Personen nach der Tat mit Fahrrädern oder Krafträdern die Flucht ergriffen.

Schliesslich wurde noch in Baesweiler auf der Hauptstrasse Aachen-Alsdorf-Baesweiler am Eingang des Ortes ein Transparent mit der Inschrift:

„Juden passieren den Ort auf eigene Gefahr.“

quer über die Strasse gespannt. Ein weiteres Transparent mit der Inschrift:

„Wer den Juden kennt, kennt den Teufel“

war im Orte selbst über die Strasse gespannt. Nach der eigenen Wahrnehmung des Bürgermeisters in Baesweiler wurde das am Eingang des Ortes befindliche Transparent von SA-Leuten aufgehängt. Wegen Entfernung der Transparente wurde mir vom Brigadeführer der Brigade 76 mitgeteilt, dass die SA. an der Anbringung der Transparente nicht beteiligt sei und infolgedessen auch nicht in Anspruch genommen werden könne. Die Transparente sind inzwischen durch die Ortspolizeibehörde entfernt.

Die Ausschreitungen in Weisweiler (Krs. Düren), an denen der SA-Obertruppführer Zetting beteiligt war, habe ich bereits unter Punkt VI. erwähnt.“

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