Juni 1934
Der Juni spielte im Rahmen der endgültigen Etablierung und Stabilisierung des NS-Regimes eine wichtige Rolle. Es begann damit, dass sich Vizekanzler Franz von Papen am 17. Juni in überraschend scharfer Form gegen jene Kräfte des NS-Regimes wandte, die jene konservativen Kreise, denen er selbst zuzurechnen war, als „Reaktionäre“ abstempeln würden. Von Papen sprach in diesem Zusammenhang von „Eigennutz, Charakterlosigkeit, Unwahrhaftigkeit, Unritterlichkeit und Anmaßung unter dem Deckmantel der deutschen Revolution“. Die Veröffentlichung dieser in Marburg gehaltenen Rede wurde von Propagandaminister Goebbels umgehend verboten, weil – so dessen Begründung – von Papen damit seinen im Mai begonnenen „Feldzug gegen Miesmacher und Kritikaster“ angreife. Die Ausgabe der „Frankfurter Zeitung“, in der am 18. Juni die Rede abdruckt wurde, ließ Goebbels beschlagnahmen und deren Autor, den konservativen Publizisten und Politiker Edgar J. Jung, am 25. Juni verhaften. (Im Zuge des „Röhm-Putschs“ wurde Jung dann am 1. Juli im KZ Oranienburg erschossen.) Goebbels verlangte von Papens Rücktritt, den dieser auch tatsächlich einreichte. Hitler lehnte dieses Ansinnen zunächst jedoch ab, weil er den Vizekanzler als bürgerlich-konservatives Aushängeschild noch an Bord behalten wollte.
Am 21. Juni griff Goebbels in einer in Berlin gehaltenen Rede seinerseits die „Reaktion“ an, deren Vertreter die NS-Revolution nicht verstanden hätten. Diese Kräfte seinen aber keineswegs in der Lage, den „Marsch des Jahrhunderts“ aufzuhalten. Wiederum drei Tage später erneuerte der Propagandaminister seine Kritik im Rahmen einer Veranstaltung in Essen, wo er betonte, der Feind des Nationalsozialismus seien nicht die Arbeiter, sondern die „vornehmen Herren“, für die er lediglich eine Zeiterscheinung darstelle. Es sei nunmehr an der Zeit, dass das deutsche Volk diese „Clique“ in die Flucht jage.
Der politische Wind blies aber nicht nur den konservativen Kreisen um von Papen immer stärker ins Gesicht. Am 25. Juni richtete Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß über Rundfunk einen dringenden Appell an all jene, die wie SA-Stabschef Röhm versuchen würden, eine „zweite Revolution“ zu entfesseln. „Wehe dem, der die Treue bricht, im Glauben, durch eine Revolte der Revolution dienen zu können.“ Zugleich versuchte Heß ausgleichend auf die Marburger Rede Franz von Papens einzugehen, weshalb sein Rundfunkauftritt international als Ausdruck einer ernsten Krise des NS-Regimes interpretiert wurde.
Nachdem solche an Röhm gerichteten Warnungen, die Idee einer „zweiten Revolution“ in Deutschland nicht weiter zu verfolgen, verpufft waren, wurden fünf Tage später am frühen Morgen des 30. Juni reichsweit führende Funktionäre der SA – unter ihnen auch Röhm – verhaftet und die meisten von ihnen – etwa 200 - kurzerhand und ohne Rechtsgrundlage ermordet. Dieser Coup war von Hitler akribisch vorbereitet worden und wurde von der Reichswehr befürwortet und unterstützt. Das war nicht verwunderlich, hatte Röhm doch die Absicht geäußert, die Reichswehr und die mehr als 2 Millionen Mitglieder zählende SA unter seiner Führung zu vereinen. Das alles wurde regimeseitig zum „Pusch“-Versuch stilisiert, dem man mit aller Härte habe begegnen müssen. Selbst für Röhm als alten Weggefährten kannte der in dieser Frage zunächst zögerliche Hitler nun keine Gnade mehr. Nachdem der sich geweigert hatte, Selbstmord zu begehen, wurde er am nächsten Tag erschossen. Die SA sollte danach unter dem zum neuen Stabschef ernannten Viktor Lutze keine große Rolle mehr spielen.
Zugleich nutzte das NS-Regime die Chance, alte Rechnungen zu begleichen. Zahlreiche weitere unbequeme Gegner aus den eigen Reihen (z.B. Gregor Strasser) oder aus konservativen Kreisen (z.B. den ehemaligen Reichskanzler Kurt von Schleicher) wurden ausgeschaltet, d.h. ohne jegliche Handhabe ermordet.
Schon zum Monatsbeginn hatte sich das Regime den Militärs genähert, als Reichspräsident von Hindenburg am 4. Juni den Armeebefehl „Die Pflichten des deutschen Soldaten“ erließ, der in mehrfacher Hinsicht weichenstellend war. Nunmehr war nicht von Berufspflichten, sondern von „Soldatenpflichten“ die Rede, und die Bezeichnung „Reichswehr“ wurde durch den umfassenderen Begriff „Wehrmacht“ ersetzt. Zudem flossen Kerngedanken der NS-Ideologie von „Blut und Boden“ durch die Nennung von „Volkstum und Erde“ in das neue militärische Pflichtenheft ein, das schließlich auch den Schutz des NS-Staates als ausdrückliche Aufgabe des Soldaten definierte. Der hatte seine neuen „Pflichten“ gemäß Anweisung von Reichswehrminister von Blomberg nicht nur umgehend zur Kenntnis zu nehmen, sondern wurde angewiesen, sie auswendig zu lernen.
Anpassung lautete also das Wort der Stunde. Was passieren konntet, wenn man sich den Gleichschaltungsbestrebungen des NS-Regimes zu widersetzen wagte, war der Bevölkerung bereits am 19. Juni am Beispiel von Paul Fischer vor Augen geführt worden. Nachdem sich der Geschäftsführer des aufgelösten Reichsverbands der deutschen Fischhändler geweigert hatte, der Auflösung seines Verbandes zuzustimmen, wurde er kurzerhand mit der Begründung in „Schutzhaft“ genommen, dass er durch sein Verhalten versuche, „Unruhe in der Fischwirtschaft zu stiften“.
Zugleich wurde natürlich weiterhin versucht, die Bevölkerung bei Stimmung zu halten. So kündigte Fritz Reinhardt, Initiator des nach ihm benannten Programms zur Arbeitsbeschaffung, am 11. Juni an, dass es gelingen werde, die sich aktuell noch auf 2,5 Millionen belaufende Zahl an Arbeitslosen innerhalb von zwei Jahren völlig zu beseitigen. Voraussetzung hierfür sei jedoch die strenge Einhaltung der Vorgaben der Reichsregierung. Zudem wurde der 15. Jahrestag der Unterzeichnung des Versailler Vertrags am 28. Juni zum Anlass genommen, um sämtliche öffentliche Dienstgebäude und Schulen halbmast zu flaggen. Und als am 17. Juni die Kieler Woche eröffnet wurde, nutzte das NS-Regime dieses international vielbeachtete Sportereignis mit hohem propagandistischem Aufwand zur Selbstdarstellung des „neuen“ Deutschland.