Oktober 1942
Im nördlichen Stalingrad begann am 14. Oktober ein Großangriff deutscher Truppen auf den letzten der Roten Armee verbliebenen Brückenkopf in der umkämpften Stadt, die damit endgültig erobert werden sollte. Da die deutschen Kräfte aber bald erschöpft waren, kam der Vorstoß einige Tage später zum Stillstand, ohne dass die nicht zuletzt von der deutschen Bevölkerung sehnlichst herbeigesehnte Einnahme der Stadt gelungen wäre. Im Gegenteil: Auch im Norden der Ostfront musste die Wehrmacht am 22. Oktober eine Niederlage hinnehmen, als es sowjetischen Truppen gelang, eine deutsch-finnische Landungseinheit beim Versuch, die Versorgungsverbindung der belagerten Stadt Leningrad über den Ladogasee zu unterbrechen, zu zerschlagen. Lediglich im Süden gab es einen Teilerfolg zu vermelden: Die deutsche 1. Panzerarmee unter Befehl von Generaloberst Ewald von Kleist eröffnete am 25. Oktober am Nordrand des Kaukasus eine Offensive, die zur Räumung der Stadt Natschik durch die Rote Armee führte.
Am 23. Oktober eröffnete die britische 8. Armee mit überlegenen Kräften eine Großoffensive gegen die deutsch-italienischen Streitkräfte in der Al-Alamain-Stellung in Ägypten.
Der immer aussichtsloseren Lage versuchte die deutsche Seite – namentlich Adolf Hitler – mit immer brutaleren Anordnungen und Maßnahmen zu begegnen. Am 18. Oktober ordnete der zum Oberbefehlshaber mutierte „Führer“ im sogenanntem „Kommandobefehl“ an, alle bei feindlichen Kommandounternehmen aufgegriffenen Personen, gleich ob Soldaten oder Zivilisten, zu töten. Zugleich betonte er, dass der Kampf gegen Partisanen „ein Kampf der restlosen Ausrottung des einen oder anderen Teils“ darstelle. Damit verließ die deutsche Kriegführung endgültig den Boden der Genfer Konvention. Schon gut zei zuvor war am 2. Oktober die Aufstellung der Bewährungs-Division „999“ für rund 30.000 überwiegend aus politischen Gründen als „wehrunwürdig“ erklärte Männer verfügt worden, die daraufhin seitens der Wehrmacht in aller Regel bei lebensgefährlichen Unternehmungen an den Fronten eingesetzt wurden.
Im Verborgenen gelang Anfang des Monats Bedeutsames, das an sich im weiteren Verlauf des Krieges nach zahlreiche Hoffnungen knüpfen sollte: Am 3. Oktober gelang auf dem Gelände der deutschen Heeresversuchsanstalt für Raketenforschung in Peenemünde auf der Ostseeinsel Usedom der Start der A 4, der ersten Fernrakete der Welt, die dann unter dem Namen V 2 bekannt werden sollte.
An der Heimatfront“ verlegten sich die Verantwortlichen mehr und mehr auf Durchhalteparolen. So charakterisierte Propagandaminister Joseph Goebbels im Rahmen einer Großkundgebung vor der Münchner Feldherrnhalle am 18. Oktober den Krieg als deutschen Kampf um „Sein oder Nichtsein“ und hoffte so den Durchhaltewillen der Bevölkerung zu erhöhen. Zugleich rechtfertigte er den systematischen und der Öffentlichkeit nicht unbekannt bleibenden Massenmord in besetzten Gebieten mit der angeblichen Notwendigkeit, „den eroberten Raum zu organisieren“. Letztlich, so Goebbels, gelte nur eins: „Führer befiehl, wir folgen!“
Angesichts der wachsenden Rohstoffknappheit im Reichsgebiet wurde die Bevölkerung durch die Presse aufgefordert, der Jahreszeit entsprechend vermehrt Bucheckern zur Gewinnung von Speiseöl zu sammeln. Bereits zuvor waren Gerste und Zichorien als Kaffeeersatz und die Qualität von Brot aus Gerste und Kartoffelmehr angepriesen worden.
Die auf deutschem Reichsgebiet liegenden Konzentrationslager wurden im Monatsverlauf „judenfrei“ gemacht, indem die dort noch untergebrachten jüdischen Häftlinge zur Ermordung nach Auschwitz deportiert wurden.
Verdrängung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung
Am 7. Oktober wurde der noch im Reichsgebiet weilenden jüdischen Bevölkerung jeder direkte oder indirekte jeder Verkehr mit ausländischen diplomatischen Vertretern verboten, was eine ohnehin praktisch kaum mehr existenten Hoffnungen auf eine Emigration noch weiter reduzierte. Angesichts der allgemeinen Entwicklungen fiel dann wohl kaum mehr ins Gewicht, dass ihr zwei Tage später auch noch der Kauf von Büchern in Buchhandlungen untersagt wurde.
In Berlin ließ die Gestapo am frühen Morgen des 20. Oktober im Rahmen der sogenannten „Gemeindeaktion“ sämtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jüdischen Gemeinde in der Oranienburger Straße 31 antreten. Nachdem einige Abteilungsleiter der Gemeindeverwaltung dabei der Aufforderung, für die weitere Arbeit entbehrliche Beschäftigte zu benennen, nicht nachkamen, traf die Gestapo selbst die Entscheidungen. Von den etwa 1.500 bezahlten Angestellten der Jüdischen Gemeinde oder der Reichsvereinigung wählte sie 533 aus, die sich gemeinsam mit weiteren 328 Familienangehörigen zwei Tage später im Sammellager Große Hamburger Straße einfinden mussten. Bei diesem Deportationstermin mussten die in Berlin zurückbleibenden Gemeindeangestellten ihren bisherigen Kolleginnen und Kollegen hilfreich zur Seite stehen. Mehr als die Hälfte der Ausgewählten wurde zusammen mit ihren Familienangehörigen am 26. Oktober nach Riga deportiert und kurz darauf erschossen. Die übrigen der als entbehrlich ausgewählten wurden nach Theresienstadt deportiert und wahrten sich so eine letzte Überlebenschance. Ab Oktober hatten immer mehr Transporte - vor allem jene aus Berlin, aber auch jene aus Theresienstadt - Auschwitz als direktes Ziel.
Auf Seiten der SS blieb man trotz aller Maßnahmen in Richtung auf die „Endlösung“ bestrebt, aus der Not der Menschen weiterhin auch direkten Profit zu ziehen oder sich selbst abzusichern. So erteilte Heinrich Himmlers am 12. Oktober Gestapo-Chef Heinrich Müller die Anweisung, 10.000 Jüdinnen und Juden ungarischer oder rumänischer Abstammung, die „einflussreiche“ Verwandte in den USA hatten, in einem speziellen Lager „wohlbehalten und gesund“ unterzubringen, um sie später eventuell als Geiseln einsetzen zu können.