Das Jahr 1936
Im Laufe des Jahres 1936 deuteten trotz betont friedensmäßiger Olympischer Spiele in Garmisch-Partenkirchen und Berlin immer mehr Zeichen auf einen künftigen Krieg, formierten sich die Fronten doch immer deutlicher: Das NS-Regime, aber auch italienische und spanische Faschisten demontierten den diplomatischen Status quo und schufen zugleich militärische Fakten. Hitler ließ unter Verletzung international gültiger Verträge das entmilitarisierte Rheinland besetzen, er bildete gemeinsam mit Mussolini die „Achse“ Berlin-Rom, und beide Diktatoren unterstützten den spanischen Putschisten Franco in dem von ihm angezettelten Bürgerkrieg. In einer internen Denkschrift zum Vierjahresplan von August 1936 forderte Hitler von Wirtschaft und Wehrmacht, spätestens 1940 kriegsfähig zu sein für eine „endgültige Lösung" der „Erweiterung des Lebensraumes bzw. der Rohstoff-Ernährungsbasis unseres Volkes". Nach außen wiederholte Hitler jedoch weiterhin seine Friedensbeteuerungen, nicht zuletzt, um den Erfolg der Olympischen Sommerspiele, die vom 1. bis 16. August in Berlin stattfanden, nicht zu gefährden.
Dabei konnte sich Hitler auf zunehmende öffentliche Zustimmung und Zufriedenheit stützen, fand 1936 doch der Übergang von der Arbeitslosigkeit zum Arbeitskräftemangel statt. Insbesondere aufgrund der Rüstungsanstrengungen erhöhte sich der Bedarf an Arbeitskräften deutlich und konnte in vielen Bereichen – insbesondere in der Landwirtschaft sowie in der Eisen-, Metall- und Bauwirtschaft - nicht mehr erfüllt werden.
Die massive Ankurbelung der Rüstungsproduktion schuf zwar Arbeitsplätze, zog aber in den wichtigen Industriezweigen auch eine weitere Einschränkung von Freiheiten und eine deutliche Verschlechterung der Arbeitsbedingungen nach sich. Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit stieg 1936 von 44,4 auf 45,6 Stunden, die durchschnittlichen Bruttolöhne der Arbeiter dagegen nur um 2,1 Prozent. Besonders bei den Arbeitsunfälle und Berufserkrankungen war eine große Steigerung von fast 13 Prozent auszumachen.
Das NS-Regime setzte 1936 verstärkt auf Autarkie. So wurde die deutsche Hausfrau „im Kampf um die Ernährungsfreiheit“ immer wieder dazu aufgefordert, beim Kochen nur im Reichsgebiet hergestellte Nahrungsmittel zu verwenden. Insgesamt betrachtet brachte das Jahr eine Verschlechterung der Nahrungsmittelqualität und einen andauernden Mangel an Lebensmitteln.
Das versuchte das NS-Regime durch andere Angebote zu kompensieren. Nicht zuletzt durch die NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“ (KdF) konnten sich 1936 sich immer mehr Deutsche eine Urlaubsreise leisten. Immerhin verreisten mit der KdF jährlich acht bis neun Millionen Deutsche, deren monatliches Einkommen nicht mehr als 250 Reichsmark betragen durfte. Diese Angebote – etwa Kreuzfahrten (14 Tage für 100 RM), Schiffsreisen nach Madeira (14 Tage ab 285 RM) oder Erholung im KdF-Seebad Rügen (acht Tage für 32 RM)- waren staatlich subventioniert und galten nicht nur als Urlaubs-, sondern auch als Propagandareisen.
Auch sonst gab sich das Regime sozial: 1936 wurden erstmals seit sechs Jahren wieder mehr als 300.000 Wohnungen gebaut, womit die Wohnungsnot der Nachkriegszeit zum Jahresende als überwunden gelten konnte. Die NS-Regierung versuchte dabei zunehmend, durch Senkung der Hypothekenzinsen und Steuervergünstigungen den Wohnungsbau der privaten Initiative zu überlassen.
Mit der Durchführung der Olympischen Spiele konnte das NS-Regime einen bemerkenswerten Propagandaerfolg verbuchen. Den 150.000 ausländischen Gästen präsentiert sich ein von antisemitischen Plakaten gesäubertes und um Gastfreundschaft bemühtes Land, dessen Regime so in bestem Licht erscheint. Die sportlichen Erfolge der deutschen Mannschaft mit 32 Goldmedaillen tun ein Übriges, um die Spiele zu einem glänzenden Erfolg zu machen.
Hinter dem schönen Schein und trotz zunehmender Zufriedenheit und Zustimmung in der Bevölkerung gab es aber weiterhin Kritik und Widerstand. Allein 1936 wurden im Deutschen Reich 1.374 Sozialdemokraten und 11.687 Kommunisten verhaftet.
Verdrängung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung
Das Jahre 1936 war eher eine Zeit der „schleichenden“ Verfolgung. Aber obwohl - gerade vor dem Hintergrund der in die Weltöffentlichkeit ausstrahlenden Olympischen Spiele in Garmisch-Partenkirchen und Berlin - der öffentliche Antisemitismus seitens des NS-Regimes deutlich reduziert wurde, wurden auf anderen Ebenen Entscheidungen getroffen, die die endgültige Entrechtung und letzthin sogar die physische Vernichtung des deutschen und in letzter Konsequenz des europäischen Judentums zur Folge habe sollten
Im Zusammenhang mit der forcierten Aufrüstung standen die Bemühungen um die ebenfalls fortschreitende wirtschaftliche Ausschaltung des deutschen Judentums, die - zusammen mit allen anderen gesetzlichen und diffamierenden Maßnahmen - seine verstärkte Auswanderung aus Deutschland bewirken sollte.
Am 29. September, wenige Wochen nach dem Reichsparteitag und wohl in Zusammenhang mit den dort verkündeten wirtschaftspolitischen Entscheidungen, fand im Reichs- und Preußischen Innenministerium eine hochrangig besetzte Besprechung über „die grundsätzliche Richtung der gesamten Judenpolitik“ statt. „Restlose Auswanderung“ der jüdischen Bevölkerung als Erfüllung des Parteiprogramms galt unbestritten als oberstes Ziel aller Maßnahmen der NS-Judenpolitik.
Die finanzielle Ausbeutung nahm im Verlauf des Jahres exorbitante Formen an. Von Mitte 1936 bis Mitte 1937 trieb das neu geschaffene „Amt Devisen“ jüdisches Vermögen im Gegenwert von rund 473 Millionen Reichsmark ein. Um diesen für damalige Verhältnisse außerordentlich erfolgreichen Raub zu bewerkstelligen, wurden zwei gegen wohlhabende jüdische Kreise gerichteten Gesetze erlassen: das „Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftssabotage“, das den Transfer von Vermögen ins Ausland mit langjährigen Haftstrafen oder gar der Todesstrafe belegte; sowie das „Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Devisenbewirtschaftung“, dass den Finanzämtern erlaubte, einen beträchtlichen Teil des Vermögens von „auswanderungsverdächtigen“ Personen als Sicherheit für die später zu entrichtende „Reichsfluchtsteuer“ einzufrieren. Offiziell konnten Jüdinnen und Juden über die „Deutsche Golddiskontbank“ ihr Vermögen zwar weiterhin in andere Länder transferieren. War hierfür im Januar 1934 ein Abschlag von 20 Prozent festgelegt worden, der im Juni 1935 auf 68 Prozent erhöht worden war, wurde dieser Satz im Oktober 1936 schließlich auf 81 Prozent hochgesetzt. Die Auswanderung wurde von NS-Seite zwar weiter gefördert, aber daraus sollten „dem deutschen Staat keine Nachteile“ entstehen. Die „Förderung“ bestand vor allem darin, einerseits den Terror gegen die jüdische Bevölkerung systematisch zu erhöhen, und andererseits durch restriktive Bestimmungen möglichst viele Devisen einzusparen und viel Eigentum zu konfiszieren. Damit begann im Sommer 1936 die Enteignung der Juden auf Kosten der deutschen Staatskasse.
Der Sicherheitsdienst der SS hatte im Jahr 1934 mit rund 200 Mitarbeitern im gesamten Reich 1934 weder über die personellen Ressourcen noch über die notwendige Autorität verfügt, um die antijüdische Politik reichsweit wesentlich zu beeinflussen. Erst nach der Verabschiedung der „Nürnberger Gesetze“ konnte der SD mit einer planmäßigen „Bekämpfung des Judentums“ beginnen. Im Januar 1936 wurde eigens dafür die Abteilung „II 112“ eingerichtet, in der Adolf Eichmann und Dieter Wisliceny, zwei der späteren Hauptorganisatoren der Deportation der europäischen Juden, von Anfang an maßgeblich mitarbeiteten.